Kurzum

Was haben SozialistInnen eigentlich noch in der SPD zu suchen? Nein, dies ist nicht die Überschrift eines Kapitels im neuen Buch von Bodo Hombach. Der hat der innerparteilichen Frontbegradigung ja längst entsagen müssen. Aber auf diesem Feld wird der Genosse Hombach auch gar nicht benötigt. Die Frage nach der Legitimation der SPD-Mitgliedschaft von wirklichen SozialistInnen stellt die sozialistische Linke, schon von alters her, selber. Viele LeserInnen der spw werden sich noch an die leidenschaftlichen Auseinandersetzungen rund um den Nato-Doppelbeschluß erinnern. Die jüngeren denken wahrscheinlich zuerst an die Petersberger Wende von 1992 und die bleiernen Zeiten unter dem Parteichef Engholm. Die älteren werden darauf verweisen, dass die Frage "Wie hältst Du es mit der Sozialdemokratie" eine lange Geschichte vorweisen kann, die schon vor dem zweiten Weltkrieg die sozialistischen Strömungen gespalten hat. Der Austritt unseres Redaktionssekretärs Ralf Krämer aus der SPD hat die Debatte um die sogenannte "Sozialdemokratie-Orientierung" in der spw wieder belebt. Wir führen die Debatte auch in diesem Heft mit mehreren Beiträgen fort. Weitere werden folgen.

Es gibt nicht wenige in den aktiven Kreisen der spw, die diese Debatte, bei allem persönlichen Respekt für unseren Redaktionssekretär, zum jetzigen Zeitpunkt mehr als skeptisch betrachten und sehr deutlich nach dem "politischen Gebrauchswert" dieser Erörterung fragen. Andere wiederum drängen auf eine offene Diskussion über Perspektive und Aufgaben der spw vor dem Hintergrund der politischen Transformation der SPD.

Kurzum: Das Aufwerfen der politisch-strategischen Grundsatzfrage gehört zur Geschichte der spw, wie der Kompaß zur praktischen Navigation. Sie dient der Überprüfung des eigenen Kurses und der Selbstrechenschaft über die politische Legitimation des eigenen Handelns. Insoweit ist eine offene Debatte über die politische Strategie immer sinn- und ehrenvoll. Wenn aber die Organisationsfrage zur sektiererischen Selbstbeschäftigung verkommt und wenn die eigene politische Identität am Ende nur noch in der "permanenten Kritik am Versagen der SPD" auf der nach oben offenen "Verratskala" besteht, dann führt diese Debatte geradewegs in die strategische Sackgasse.

Die offene Diskussion über die Perspektiven der spw ist längst eröffnet - bleibt die Frage nach dem politischen Gebrauchswert.

In der letzten größeren Kontroverse über diese Frage innerhalb der spw schrieb Peter von Oertzen in einer Replik auf Oliver Brosch-Guesnet: "Die Überzeugung die Partei (die SPD oder irgendeine andere) sei das einzige oder zumindest entscheidende Vehikel auf dem Weg zum Sozialismus war immer ein Irrglaube - der nun endlich durch die geschichtliche Entwicklung für (fast) jede/n offenkundig gemacht worden ist. Heißt das aber, dass eine demokratische freiheitliche, rechtstaatliche und sozialorientierte Massenpartei vom sozialistischen Standpunkt aus völlig nutzlos und uninteressant geworden ist? Könnte die Sozialdemokratie - von der Überfrachtung mit unrealistischen emotionalen und ideologischen Hoffnungen befreit - neben anderen gesellschaftlichen Kräften und Strömungen nicht durchaus eine auch für Sozialisten positive Rolle spielen?" (vgl. spw Heft 74, 1993)

In dieser Aussage von Peter von Oertzen steckt mehr als die deutliche Absage an das antiquierte Bild von der SPD als konsequent sozialistischer Partei etc. Sie öffnet auch den Blick für ein anderes Verständnis einer Massenpartei, sie richtet die Aufmerksamkeit stärker auf die komplexen inneren Mechanismen des Zusammenspiels von Partei, Gesellschaft und sozialer Bewegung.

Die Partei als Parteiorganisation ist nicht die Mutter aller Politik. Die Verbindung von individueller politischer Weltanschauung und Parteiorientierung ist bereits für viele WählerInnen eine machtpolitische Zweckgemeinschaft. Die organische Verbindung von sozialer Herkunft, Milieutraditionen und politischer Organisation ist schon seit geraumer Zeit in der Auflösung befindlich. Die sozialistischen Kräfte und Strömungen, die sich für die Arbeit in einer Partei entschieden haben, haben bis heute noch keinen Weg gefunden, diese gesellschaftliche Funktionsveränderung im Zusammenspiel von Gesellschaft, Wählern, Medien und Parteien in eine veränderte Politikstrategie umzumünzen. Wenn sich eine politisch-strategische Grundsatzfrage für die weitere Arbeit der spw aufdrängt, dann die nach einem tiefergehenden Verständnis einer modernen Massenpartei mit praktischen Konsequenzen für die eigene politische Kampagnenarbeit. Bei der Art und Weise jedoch, wie jetzt diejenigen das (Partei)Kind mit dem Bade ausschütten, die noch vor Jahren als "Lord-Siegelbewahrer der Sozialdemokratie-Orientierung" auftraten, beschleicht einen das Gefühl, hier wird eher die Schlußbilanz eines eigenen Irrtums als eine zeitgemäße Kritik der Rolle der Parteien präsentiert.

Kurzum: Die Frage: "Ist die SPD "noch" unsere Partei?" läßt sich nur mit der Gegenfrage beantworten : "War die SPD denn je unsere Partei?" Ging der Kampf in Wahrheit nicht immer "lediglich" darum, sich mit belastbaren Reformansätzen und entsprechenden politischen Forderungen in die tobenden parteipolitischen Auseinandersetzungen einzuschreiben? Und schließlich, verlassen wir nicht selber den Pfad des dialektischen Geschichtsverständnisses, wenn wir jede Trockenphase, die wir bei diesen Auseinandersetzungen zwangsläufig durchlaufen müssen, immer wieder zur historisch unübertrefflichen Phase erheben?

Wir sollten bei der ganzen Debatte nicht vergessen, dass der gute Ruf der sozialistischen Idee in Deutschland, und nicht nur dort, mehr als ruiniert ist. Wir können der Schröder-Regierung viel vorwerfen, nur eines können wir ihr nicht in die Schuhe schieben: für die ideologische und hegemoniale Schwäche linkssozialistischer Weltanschauungen ist die sozialistische Linke selber verantwortlich. Die vordringliche Aufgabe der spw liegt nach meinem Verständnis deshalb auf einem anderem Feld. Wer, wenn nicht die spw, ist prädestiniert dafür, sich zwanzig Jahre nach der Erscheinen der Herforder Thesen mit der Reformulierung einer politischen Strategie zur Gesellschaftsreform zu befassen? Diese Arbeit steht im Mittelpunkt unserer Aktivitäten in diesem Jahr. Dafür werden wir den Austausch über die Grenzen der Parteien und politischen Strömungen suchen. Vom bescheidenen sozialistischen Standpunkt aus betrachtet wäre es schon ein deutlicher Fortschritt, wenn die Auseinandersetzungen in den Parteien auf der Basis einer eigenen Reformperspektive geführt werden kann.