Zukunft für Frauen?

Einige Überlegungen zu Diskursen um Geschlechtverhältnisse im Internet

in (16.02.2001)

Der Standpunkt

Im Magazin von Credit Suisse, Sommer 2000, sind Frauen Leitthema: "Sie kommen langsam, aber sie kommen", heißt es auf der Titelseite zu einem leicht melancholischen Profil mit Marlene Dietrich-Charme. Die Redakteurin Rosmarie Gerber beginnt ihr Editorial kritisch:

Neue Technologien und offene globale Aktionsfelder verändern in rasendem Tempo die Arbeitswelt und das kulturelle Selbstverständnis der Industriegesellschaften. Aus dem Chaos erwachsen ständig neue Normen. Stabil scheint nur das Verhältnis zwischen Männern und Frauen, angesiedelt in der Fürsorge- und Abhängigkeits->Idylle

Die Terminus "Idylle" in Anführungszeichen gibt gleich zu verstehen, die "Stabilität" in den Mann-Frau-Beziehungen ist ein Hindernis.

Die versteinerte Beziehungskiste zwischen Mann und Frau zeitigt real wenig Sicherheit und Mehrwert: Die Scheidungsraten steigen, und im Berufsleben werden -- oft -- weibliche Begabungen ausgegrenzt.(ebd.)

In einem Magazin aus einem Kreditinstitut erwartet man Begriffe wie Mehrwert und sieht daher darüber hinweg, dass er, wenn auch in Negation, aus einer Beziehungskiste kommen soll, und liest gleichwohl mit wachsendem Erstaunen weiter zur Befreiung der Frau:

Kein Wunder, dass Expertinnen wie die Harvard-Ökonomin Suzanne Franks nur noch schwarz sehen. Franks schreibt in ihrem 1999 erschienenen Buch >Women, Men and the Future of WorkIllusionen >, >WunderInnovationen

Immer wieder wird ein Generationenkonflikt ausgerufen, um neuen Märkten -- zumeist schlicht "Das Neue" genannt -- zum Durchbruch zu verhelfen. "Sucht bloß nicht bei den Altvorderen. Schmeißt all eure analoge Prädisposition über Bord, bringt endlich die Mütter ans Netz", zitiert die FAZ vom 2.9.00 den Chefredakteur eines Internetmagazins.

Die Fähigkeit neoliberaler Stimmen, den Aufbruch aus der Frauenbewegung, also oppositionelle Diskurse, sicher in ihre Reden zu verstreuen, verlangt Anerkennung. Es werden hier lediglich das Kollektiv und die Bewegung weggelassen: nicht "Frauen gemeinsam sind stark", sondern "hole dir selbst, was du verlangst, sonst kriegst du nichts" ist die Devise. Selbst in dieser Formulierung steckt noch ein Stück Berechtigung. Wäre da nicht offensichtlich, dass gar nicht alle, jede für sich, gemeint sind, sondern nur einige wenige Ausnahmen, Managerinnen, die es zu etwas bringen konnten, gerade weil andere es zu nichts brachten. Den Tüchtigsten gehört die Welt, und in dieser Welt ist Frauenbefreiung ein modisches Accessoir.

Hervorzuheben ist, dass die Weise, wie hier im Bulletin der Credt Suisse gesprochen wird, ziemlich allgemein vertraut ist bzw. anders, dass auch diejenigen, die sich tatsächlich der Förderung und Gleichstellung von Frauen verschrieben haben, sich in der Sprache, im Bericht über die Lage kaum von den Managerinnen und im Bankdienst tätigen Redakteurinnen unterscheiden, lediglich weniger frech formulieren. Es scheint so, als ob ausgerechnet in der Frauenproblematik ein Konsens erreicht werden konnte über alle Grenzen und Klassenschranken hinweg.

In diesem Kontext beobachten wir, wie Expertendiskurse, in denen die Bedürfnisse aus sozialen Bewegungen aufgegriffen werden, in potentielle Belange staatlicher Administration übersetzt werden So liest man in einem im Dienste der Frauengleichstellung verfassten Buch (Oechtering u. Winker 1998) nach der Behauptung, dass "die Diskussion um die Informationsgesellschaft bisher geschlechtsblind" (7) geführt wurde, den Aufruf, "das Geschlechterverhältnis" -- damit meinen die Autorinnen die geschlechtstypische Arbeitsteilung -- analog zum technischen Fortschritt, wie ihn die "Informatonsgesellschaft" bringe, zu verändern. Eine Umordnung im "Verhältnis" zwischen Männern und Frauen, wie es die Bankfrau genannt hat, eine "Unordnung im Geschlechterverhältnis", wie es Gabriele Winker bezeichnet (ebd., 13-32). Die Unbestimmtheit des sehr häufig gebrauchten Terms "Geschlechterverhältnis" (im Singular) erlaubt es, vom Proporz in der Arbeitswelt zu den häuslichen Beziehungen zu schreiten, ohne sich Rechenschaft darüber ablegen zu müssen, dass die Organisation der Geschlechter für das Funktionieren von Gesellschaft mehr ist als eine eingespielte Arbeitsteilung und mehr als eine persönliche Beziehung. Die Bulletin-Redakteurin braucht dies nicht zu kümmern, da sie lediglich Spitzenfrauen für höhere Posten motivieren will. Die "frauenbewegten Expertinnen", die mit Unterstützung einiger Bundesministerien, der damaligen Bundespräsidentin Süßmuth und des Deutschen Frauenrats arbeiteten, haben sich mit dieser Formel "Geschlechterverhältnis" einen schmerzlosen Argumentationsrahmen gegeben, der es ihnen erlaubt, Zahlen aufzulisten, jeweils mehr Gleichberechtigung zu verlangen, Gestaltungsermutigungen an Frauen auszusprechen ohne die Produktionsverhältnisse näher anzusehen, in denen die zur Diskussion stehenden Produktivkraftumwälzungen vorangetrieben werden.

So findet man etwa bei Winker Daten über die Produktivitätszuwächse beim Einsatz von Informationstechnologien, die strukturelle Arbeitslosigkeit, die damit einhergehende Zunahme von Teil- und Unterbeschäftigung und wiederum die Vergabe solcher ungeschützter Plätze überwiegend an Frauen. Das liest sich keineswegs falsch, nur fragt man sich, warum solcher Kenntnis von Fakten nichts weiter abzugewinnen ist als sie stets zu wiederholen. Eine Antwort steckt in der verwendeten Sprache bzw. im Standpunkt, der sich sprachlich ausdrückt und solche Aussagen von einer Bankmanagerin ebenso sprechen lassen kann wie eben von den "frauenbewegten Frauen". Lesen wir probeweise etwa folgenden Satz: "Sicherlich wirkt die Offensive im Informations- und Kommunikationsbereich nicht nur arbeitssparend, sondern kann auch arbeitsschaffend sein." (14) Zuvor wurde belegt, dass etwa ein Drittel weiterer "Arbeit eingespart" werden kann (durch Kommunikationstechnologie), danach folgt der Beweis, dass zwar eine ganze Menge, aber doch nicht so viel neue "Arbeit geschaffen" werde. Die Handlungsklemme, in der wir uns nach dieser Aussage finden, kommt daher, dass wir von unten blicken, dabei aber eine Unternehmerbrille mit zusätzlicher Passform für den Verkehr in Politikerkreisen tragen. Denn nur vom Standpunkt eines Unternehmers wird Arbeit "gespart" und vom Politikerstandpunkt Arbeit "geschaffen". Vom Standpunkt gesellschaftlich arbeitender und an Gesellschaftsgestaltung beteiligter Menschen kann sich der Vorgang doch nur so abbilden, dass bestimmte Arbeitsarten, für die sie ausgebildet und in Lohnarbeit tätig sind, von Computern übernommen werden, ein Vorgang, der sie ermutigen sollte, sich den Umgang mit dieser Technologie schnell und umfassend anzueignen und zugleich zu erkunden, was in dieser Gesellschaft, in der es in allen sozialen, ökologischen, kulturellen und Bildungsfeldern weit mehr zu tun gibt als Arbeitskräfte frei sind, von ihnen -- sich dafür qualifizierend -- übernommen werden kann. Endlich nicht mehr vollständig eingespannt in immer gleiche Tätigkeiten, endlich mehr Möglichkeiten, sich menschlich zu betätigen. Jede "Einsparung" von Arbeit wäre also eine Möglichkeit zur Gesellschaftsgestaltung, sobald nicht einfach "Rationalisierungsgewinne" an Unternehmen gingen, als stünde ihnen die gesamte Gesellschaft zu Profitzwecken rechtmäßig zur Verfügung. Aber dieser Gedanke, es gehörte die Gesellschaft den Unternehmern und die Arbeitenden könnten dankbar sein, wenn sie aus einer Arbeit heraus in den Genuss einer gleichgültigen anderen "geschaffenen" Arbeit kämen, ist bezeichnend für den Zustand, der sich im zitierten Satz hoffnungslos festgezurrt findet.

Die Autorin, Professorin für Arbeits- und Sozialwissenschaften und Frauenbeauftragte scheut sich selbst da, ein Wort wie Profit oder Gewinn in ihre Sätze zu nehmen, wo sie der Sache nach darüber spricht. Neutral heißt es dann: "Mit einer weiter verbesserten Kommunikationstechnologie und fallenden Netzkosten werden immer mehr Tätigkeiten dorthin verlagert, wo es in internationalem Maßstab betriebswirtschaftlich am effizientesten ist." (15) Mit dieser natürlichen cost-benefit-Sprache werden die Sonderausbeutungsplätze z.B. in den Freien Produktionszonen -- interessanterweise vornehmlich besetzt mit Frauen -- elegant verschwiegen, bzw. eigentlich als rationell gerechtfertigt.

1. These: die Ähnlichkeit der Rede von >Frauen und ComputernInitiative D21 angewandt -- einer "Private-Partnership" von Staat und IT-Unternehmen, die den "Aufbruch Deutschlands in das Informationszeitalter" beschleunigen will. In einem Papier der Arbeitsgruppe Frauen und IT -- Chancen für Frauen heißt es, nachdem für einen größeren Frauenanteil in technischen Studiengängen geworben wurde, u.a. großzügig: "Telearbeit setzt sich als Arbeitsmodell in Unternehmen breitflächig durch und ermöglicht neue Unternehmensgründungen. Durch die Nutzung moderner IT-Lösungen lassen sich Erwerbsarbeit, Familienarbeit und privates Engagement vereinbaren." (21) -- Wieder geht es um staatliche Unterstützung für "kreative Unternehmensideen zur Unterstützung der Verbindung von Familie und Beruf bei weiblichen und männlichen Beschäftigten" (ebd.), wobei die Nennung der männlichen Beschäftigten geschickt verdeckt, dass es sich bei den neuen Unternehmen vermutlich um einen Tele-Heimarbeitsplatz handelt, wo der Besitz des Produktionsmittels die Unternehmersprache rechtfertigen soll. Dabei ist es zugleich nicht ausgeschlossen, dass jemand eine software-Firma gründet. Über die Klassen und Geschlechter hinweg werden also diskursiv wechselseitige Stützungsverhältnisse organisiert.

Die Interessen

Dabei gibt es in dem genannten Sammelband zu Frauen und Computern eine ganze Reihe von Beiträgen, die auf den ersten Blick verständliche Problematiken verfolgen: neue Beschäftigungsfelder (Tischer), neue Berufspotentiale (Funken), Telearbeit (Brandt/Winker), neue Bildungswege (Schelhowe), neue Hochschulausbildung (Oechtering), neue Kommunikation (Becker/Funken) und Technikgestaltung (Erb) -- dazu 10 Berichte aus der Praxis. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie die "Chancen" der Computerisierung für Frauen nutzen wollen und dabei -- werbend um mehr Frauenteilhabe -- die verschiedenen Bedingungen in Sozialisation und Ausbildung, die der gleichwertigen Partizipation von Frauen bisher im Wege standen, diskutieren. Es bleibt die interessante Frage, warum im Falle der Computer eine von allen Seiten gut geheißene Offensive für Frauen gestartet, finanziert, unterstützt wird. Schließlich ist es in dieser Gesellschaft nicht üblich, Frauen gleichmäßig an Politik und Wirtschaft zu beteiligen, und schon gar nicht gibt es Kampagnen und regierungsunterstützte Ausgleichsprogramme, wenn Ungleichheit öffentlich wird -- wie Quotenpoltik aus zwei Jahrzehnten belegt. Welches also sind die besonderen Interessen, die das öffentliche Augenmerk auf weibliche Teilhabe richten lassen?

Ohne Zweifel geht es mit der Computerisierung aller Bereiche, insbesondere seit dem Eindringen der PCs in private Haushalte und entsprechend deren Einbeziehung ins Internet, um eine der Alphabetisierung beinahe vergleichbare kulturelle Revolution; wer da nicht mitkommt, wird langfristig fallen gelassen. -- Dies war am 24. August 2000 gar schon eine Fernsehnachricht wert: Menschen ohne Internetanschluss hätten in Zukunft schlechtere Berufschancen. Am 19.9. 2000 verkündet der Kanzler Schröder für die Bundesregierung ein Programm, nach dem alle Schulen noch in diesem Jahr mit Computern ausgestattet sein sollen und Arbeitslose schon ab Oktober 2000 bei den Arbeitsämtern einen "Internetführerschein" machen können. Trotz der Führerscheinmetapher erkennt man, dass die Erneuerung der Gesellschaft noch weitreichender angepackt werden soll als es die Einführung der Autos war. Allerdings würde dieser Anschluss an herrschende Kultur immer noch nicht den von Wirtschaft und Staat gestützten Extra-Aufwand in Richtung Frauen erklären -- da die Ungleichbehandlung von Frauen in fast allen Bereichen zum System gehört. Schon unter der vormaligen Regierung war antizipiert, was von der jetzigen zur >Grundmodernisierung von Wirtschaft und GesellschaftEdukationsmaßnahmenWirklichkeitMatrix

Freilich findet sich selbst in dieser ausgreifenden Hoffnung noch eine Überhöhung der technischen Produktivkräfte (als Subjekte, die Feministinnen neuer Art hervorbringen) und eine gänzliche Abwesenheit der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse, sodass die neue Perspektive tatsächlich nur "gespielt" sein kann.

4. These: Die Politik, die den Umbruch in der Produktionsweise vorantreibt, kann mit einem Imaginären rechnen, das -- durch Science-fiction-Literatur und -film über Jahrzehnte gespeist -- nicht nur Angst, sondern auch überschießende Hoffnung mit den neuen Medien verbindet. Technikbeherrschung verspricht auch Frauen Macht, verheißt aus alten Geschlechterkonstruktionen aussteigen und neue Verhältnisse gestalten zu können. Die offene Frage bleibt, ob für feministisches gesellschaftliches Befreiungsverlangen vom Internet Stärkung zu erwarten ist.

Die Machtfrage

So sehr die Auseinandersetzungen ums Internet bzw. um die Computerkompetenz von Frauen von phantasievollen Hoffnungen Dringlichkeit und Legitimation beziehen, so erstaunlich ist zugleich, wie bescheiden diese genutzt werden. Immer noch geht es darum, eine Art Alphabetisierung ins Computerzeitalter auch für Mädchen durchzusetzen, die noch gar nicht auf der Ebene angekommen ist, auf der es um Gestaltung, gesellschaftliche Eingriffe und Alternativen geht. Und wo dies dennoch behauptet wird, artikuliert es sich innerhalb eines Diskurses, der lange schon darauf verzichtet hat, Fragen nach gesellschaftlicher Macht und Verteilung von Reichtümern, nach Ausbeutung und Gerechtigkeit überhaupt zu stellen.

So etwa schreibt Esther Dyson, die das Internet anpreist wie einen schnittigen Wagen, indem sie seine hohen Qualitäten für den Handel, die Märkte, das Geschäft und eben auch die menschliche Kommunikation herausstreicht:

"Sei ein Produzent. Es ist nett ein Konsument zu sein; es hilft der Wirtschaft und du kannst die Produkte, die du haben willst, bekommen. Aber lass dir das wirkliche Versprechen des Netzes nicht entgehen: ein Produzent zu sein ohne all den Wasserkopf (overhead), der Produzieren bislang begleitet hat -- Fabriken, Druckerpressen, Sendestationen, staatliche Infrastruktur. Im Netz kannst du zwischen all den Angeboten auswählen -- und du hast die Wahl, selbst ein Angebot zu machen. Du kannst zum Beispiel deine eigene Website gestalten. Du kannst mehr, Du kannst eine ganze Gemeinschaft gestalten. Sieh nur eine der 210.000 (letzte Zählung) online-Diksussionen an. Die meisten wurden von Individuen mit einer Idee entworfen." (1999, 345)

Bleibt zu hoffen, dass jemand für das Essen sorgt, das man auch vor Websites braucht, für Kleidung, ein Dach über dem Kopf, vielleicht etwas staatliche Infrastruktur im Gesundheits- und Bildungswesen, auch Müllabfuhr für die schnell veraltenden schwer zu entsorgenden Computeranlagen und zuvor das Geld für diese und die Warenauswahl, für die es Spaß macht, Konsument zu sein usw. Dyson hält dies insgeheim auch für eine Machtfrage, verspricht aber, bis 2004 habe sich das erledigt bzw. sei die Macht bei den einzelnen Individuen angekommen, die darum alle Freiheit und Selbstbestimmung wahrnehmen könnten (94f).

Tatsächlich aber wird die Diskussion um Frauen und Computer weitgehend so geführt, als handele es sich lediglich um die Akzeptanz und das Erlernen einiger Regeln der Handhabung. Da dies mit dem Pathos geschieht, Frauen verpassten sonst die Zukunft, die sich jetzt für sie chancenhaft öffne, fällt spät erst auf, dass sie in den Diskursen ja wiederum nicht an den Schaltstellen dieser neuen Realität vorgesehen sind, bzw. dass für ihre Einmischung weit mehr notwendig ist an gesellschaftlicher Veränderung als einiger Unterricht am Computer. Das heißt nicht, dass es gleichgültig ist, wer von der Computeralphabetisierung ergriffen wird und wer nicht, sondern dass dies nur ein außerordentlich bescheidener Anfang ist, den in unseren Kulturen die Kinder im Spiel lernen und in Deutschland die Arbeitslosen beim Arbeitsamt als "Führerschein" erwerben können (siehe oben).

Die Fragen um die neue Produktionsweise, um die Möglichkeit anderer Geschlechterverhältnisse und damit anderer Produktionsverhältnisse beginnen erst danach. Elementar sind nicht nur die Fragen von Einschließung und Ausschluss, d.h. danach, wer eigentlich einen Zugang zu den neuen Medien erhalten wird; mit ihnen stellt sich die Frage des Eigentums an diesen Produktionsmitteln. Aber auch auf dieser Ebene sind die Probleme der Produktionsverhältnisse noch nicht begriffen. Für die meisten Menschen sind diese Produktionsmittel, obgleich sie nur ein Bruchteil der in fixem Kapital gebundenen Kosten der automatisierten Arbeitsplätze ausmachen, nur über individuelle Verschuldung erwerbbar, die kontinuierlich ansteigt, weil die privaten Anlagen beständig veralten und also erneuert werden müssen. Für Computer, die tatsächlich als Produktionsumgebungen und demnach als Produktionsmittel fungieren, stellt sich die Frage nach den Verhältnissen, in die sie eingebunden sind, auch auf andere Weise neu. Welchen Teil in der Produktionskette bearbeiten die Computerbesitzenden und welche Verfügung erlaubt ihnen der Besitz über die Bedingungen ihrer Arbeit? Inwieweit jetzt die Geschlechterverhältnisse in Bewegung geraten und Frauen Chancen haben, Einfluss zu gewinnen, hängt zum geringsten Maß davon ab, ob sie einen PC bedienen können -- so wenig wie ein Managementposten bei Mercedes von der Fähigkeit abhängt, Auto zu fahren.

Aber eröffnet nicht das Internet z.B. die Möglichkeit, sich weltweit zu vernetzen und insofern eine Weltfrauenmacht auszubilden, die alternative Entwürfe von Gesellschaft diskutieren, verbreiten, öffentlich machen sowie den Protest gegen die alten Verhältnisse je lokal und zugleich weltweit organisieren könnte? Die Frage bewegt sich in dem Rahmen, in dem der Einsatz von neuer Technologie diskutiert wird. Sind Computer und Internet, unabhängig von ihrer militärischen Herkunft, neutrale Technologien, deren Einsatz eine Machtfrage ist? Beantworten wir diese Frage probeweise mit ja, stellt sich die Anschlussfrage, ob die Globalität, die zeitliche und räumliche Überschreitung bisheriger Möglichkeiten, sich weltweit direkt zu verständigen, diese Technologie zur subversiven Aktion besser geeignet macht als bisherige technologische Entwicklungen. Selbst wenn wir auch diese Frage mit ja beantworten und in dieser Weise Frauen in Weltzusammenschlüssen denken können, bleibt immer noch als Grundvoraussetzung, dass es diese Frauen in Bewegung auch gibt. Sie werden nicht durch die Technologie hervorgebracht, nicht durch den Computer und nicht durchs Internet, aber soweit sie existieren, können sie sich der Medien bedienen und kann auf diese Weise Schnelligkeit der Information und Stärkung erfolgen. -- Zuweilen gibt es Nachrichten von solchen Nutzungen etwa des Internet für offizielle Weltfrauenkonferenzen und die sie begleitenden NGOs. In dieser Weise ist neuerlich auch eine Initiative einer einzelnen Akteurin aus US-amerikanischen Regierungskreisen und von ihr angerufenen NGOs bekannt geworden. Es geht darum, Frauen, die bekanntlich in der NATO ebensowenig vertreten sind wie sonst in Regierungen, am Konfliktmanagement zur Regelung von Problemen, die sie angehen, zu beteiligen: Women waging Peace, gegründet Ende 1999 von der ehemaligen US-Botschafterin in Wien. Das Projekt zugunsten von Frauen wird von regierungsnahen Institutionen gesponsort und tagt mit eingeladenen Repräsentantinnen vorläufig jährlich in Krisengebieten. Das Kommunikationsmittel ist das Internet. (vgl. FAZ, 14.9.00) Das Beispiel soll an dieser Stelle Möglichkeiten vorführen, tatsächlich zugunsten von Frauen weltweit politisch einzugreifen und zugleich die Enge der Grenzen -- gesetzt etwa durch die Notwendigkeit gesponsort zu werden -- die solche Projekte trotz aller Weltumspannung haben, diskutierbar machen.

5. These: Die Machtflügel, die das Internet Frauen verleihen soll, scheinen imaginär oder wie Schmetterlingsfügel, die zum Transport der Weltnahrungsmittel eingesetzt sind. Gleichwohl eröffnen die neuen Kommunikationswege Möglichkeiten, aber ohne die entsprechenden sozialen Bewegungen bleiben sie ein bloßes Versprechen -- wie ein Branchentelefonbuch für einen Notleidenden oder eine Speisekarte für einen Hungernden. Der Kampf um das Internet scheint heute zwischen denjenigen ausgetragen zu werden, die die ganze Welt in einen jederzeit verfügbaren Konsummarkt verwandeln wollen, und denjenigen, die noch um einen Rest Politik streiten. Dabei wird der Heißhunger, die ganze Welt mit Computern zu überziehen, also auch die Dritte Welt, bei der noch die vorhergehenden Alphabetisierungen uneingelöst sind, auch für linke Politik problematisch werden. Sollten die Chancen dieser anderen Alphabetisierung unter den Bedingungen der vielfach fehlenden ersten und der dramatischen Verelendung der Dritten Welten gleichwohl emanzipatorisch nutzbar sein? Die Benutzung des Internets durch die Befreiungsbewegungen, insbes. die Zapatistas, scheint dafür zu sprechen. Und Frauen? Für sie scheint auch diese Technologie eine Herausforderung, sie sich zueigen zu machen, sie zu nutzen für die notwendigen gesellschaftlichen Eingriffe. Nicht mehr und nicht weniger.

Literatur

Chaberny, A., 1996: "Multimedia - Beschäftigungschancen und -risiken für Frauen". In: ibv Nr. 44, 30. 10.

Credit Suisse, 2000: Magazin, Juni/Juli

Dyson, Esther, 1998: Release 2.1. A design for living in the Digital Age. Harmondsworth (dt. 1999, Release 2.1. Die Internet-Gesellschaft. Spielregeln für unsere Zukunft, München)

Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) v. 10.8.00; 22.8.00; 2.9.00; 8.9.00; 14.9.00;

Funken, Ch., 1998: Neue Berufspotenziale von Frauen in der Softwareentwicklung. In: Oechtering, V. u. G. Winker (Hg.), aaO.

Gibson, William, 1984: New Romancer, New York (dt., 2000**, Neuromancer, Hamburg)

Initiative D21, 2000: Frauen und IT -- Chancen für Frauen (Arbeitsgruppe 4), in: www.initiatived21.de

Paterson, Nancy, 2000: Cyberfeminism, in: http://internetfrauen.w4w.net/

Piercy, Marge, 1993: Er, Sie und Es, Hamburg

Oechtering, Veronica und Gabriele Winker (Hg.), 1998: Computernetze - Frauenplätze. Frauen in der Informationsgesellschaft, Opladen

Schade, G., 1998: Geschlechtsspezifische Medienkompetenz. Ein Erfahrungsbericht von der TU Ilmenau. In: Oechtering, V. u. G. Winker (Hg.), aaO.

Tischer, U., 1998: Neue Beschäftigungsfelder und weibliche Qualifikationspotentiale. In: Oechtering, V. u. G. Winker (Hg.), aaO.