Globalisierung und Imperialismus

Es gibt wenige ideologische Erscheinungen, an denen sich die Tragweite der schweren Krise des Marxismus ähnlich deutlich ablesen lässt wie an dem Triumph des Begriffs der Globalisierung.

Es gibt wenige ideologische Erscheinungen, an denen sich die Tragweite der schweren Krise von Hegemonie und Autonomie des Marxismus ähnlich deutlich ablesen lässt wie an dem Triumph des Begriffs der ,,Globalisierung" und der Unangefochtenheit, mit dem er heute die politische Debatte beherrscht. Gewiss verwundert weder das Wohlgefallen, mit dem im Lager des siegreichen Liberalismus das Bild von einer befriedeten internationalen Ordnung - fähig, die Individuen vom Joch staatlicher Fürsorge zu befreien und sogar den alten Traum von der Einheit des Menschengeschlechts zu verwirklichen - verbreitet wird, noch die Begeisterung, mit dem sich jener Teil der Linken dem anschließt, der die Brücken zur kommunistischen Bewegung abgebrochen hat. Doch ist es äußerst negativ, wenn auch jene, die sich auf den Marxismus und die Geschichte des Kampfs der subalternen Klassen beziehen, ständig diesen Begriff benutzen, ohne sich zu überlegen, was dies schon auf der terminologischen Ebene bedeutet und welche Konsequenzen dies für das Verständnis historischer Phänomene hat. Es handelt sich dabei um einen unbewussten theoretischen Irrtum, der jedoch auf die Gesamtheit der ideologischen Unterordnung unter heteronome Interessen verweist, von der wir uns zuerst selbst befreien müssen, wenn wir zum autonomen und einheitlichen politischen Subjekt werden wollen.

Das Märchen von der Globalisierung und sein Publikum

Die Entscheidung für bestimmte Begriffe zur Charakterisierung von Problemen ist offenkundig nie ,,unschuldig", und die Sphäre von Sprache und Bedeutung ist zweifellos die erste und grundlegende Dimension der Hegemonie. Wer zum Beispiel von den großen geografischen Entdeckungen der Neuzeit durch den Okzident spricht, legitimiert damit faktisch, ob er will oder nicht, die tragische Wirklichkeit eines Prozesses der Eroberung, dessen unlösbarer Bestandteil der Völkermord war. Und Ähnliches gilt letzten Endes für den unkritischen Gebrauch des Begriffs ,,Globalisierung": er zeugt von einem schwerwiegenden Maß an Unterordnung und Unbewusstheit, die schädlichste Folge des mangelnden Nachdenkens der kommunistischen Bewegung über die politische und Systemniederlage in der Auseinandersetzung mit dem Gegner im ausgehenden 20. Jahrhundert. Dieser Gebrauch trägt, wie wir sehen werden, dazu bei, die politische Dynamik, die solchen Erscheinungen zugrunde liegt, völlig auszublenden. Die Kategorie der Globalisierung braucht deshalb nicht aus dem Wörterbuch der marxistischen Theorie getilgt zu werden, wir sollten sie jedoch ausschließlich in kritischem Sinn benutzen. Wo es um die Beschreibung der Realität geht, sollte sie dagegen systematisch ersetzt werden durch jenen heute vernachlässigten Begriff, der während des ganzen letzten Jahrhunderts die mächtigste theoretische und politische Waffe der subalternen Klassen in aller Welt war: das heißt, wir sollten bewusst und mit gutem Grund zum Leninschen Imperialismusbegriff zurückkehren.

Gerade aus der Fortdauer und aus der derzeitigen Verstärkung der imperialistischen Charakterzüge des globalisierten kapitalistischen Systems ergibt sich die Rolle der nationalen Frage als zentrale Frage dieser historischen Phase, in der, wenn eben auch in heutigen Formen, ,,sich die Unterdrückung der Nationalitäten und die Tendenz zu Annexionen, das heißt zur Unterdrückung der nationalen Unabhängigkeit zuspitzt". Diese Konsequenz folgt unausweichlich schon aus Gründen der Logik, sie wird aber auch täglich auf dem Schachbrett der Weltpolitik bestätigt. Eine Politik, die sich als links versteht, die aber die nationale Frage und deren zentrale Bedeutung nicht im Auge behält, die nicht versucht, diese mit einem sozialistischen Programm zu verbinden, lässt sich deshalb den grundlegenden Widerspruch des 20. und des 21. Jahrhunderts entgehen, weil sie de facto auf die Kategorie des Imperialismus verzichtet und sich dadurch zu Rückständigkeit in der Theorie und zu dauerhafter politischer Unwirksamkeit verdammt.

Überwindung des nationalstaatlichen Horizonts?

Doch die Vorstellung von einem Paradigmenwechsel in der Produktionsweise, so radikal, dass er den Horizont des Nationalstaats völlig überrennt, die imperialistische Strategie überwindet und zur Entstehung einer autonomen, ultraimperialistischen Systemstrategie führt, in der die großen kapitalistischen Zentren sich transnationalisieren, sich von den Zentren der politischen Macht emanzipieren, den Erdball friedlich untereinander aufteilen und ihn in das vereinheitlichende Netz der Globalisierung hüllen - diese Vorstellung, wie realistisch ist sie denn letzten Endes?

Die Dinge sind bekanntlich viel problematischer. Wenden wir uns dem marxistischen Ökonomen Samir Amin zu. Dieser kritisiert den Ökonomismus bestimmter linker Analysen, der sich ebenso ökonomistischen Ideen der herrschenden Klassen unterwirft. Die Stagnation des internationalen Kapitalismus, seine zunehmende Mondialisierung und seine finanzkapitalistische Durchdringung, die sich in den letzten Jahrzehnten beschleunigt haben, sind laut Amin ,,tatsächlich keine neue Erscheinung" (Amin 1995, 8); neu sei vielmehr der Kontext, in dem sich all dies heute vollzieht, nämlich die Niederlage des politischen Projekts einer weltweiten sozialistischen Alternative.

Eben diese Veränderung des politischen Kontexts - zu der außer dem Zusammenbruch des sozialistischen Blocks die Krise des westlichen Wohlfahrtsstaats und das Ende der national-bürgerlichen Projekte in der Dritten Welt gehören - ist nach Meinung Amins entscheidend dafür, dass sich die Bedeutung dieser Prozesse verändert hat und dass die ,,liberale Utopie" der völligen Warenwerdung von Arbeitskraft, Natur und Geld wiedererstanden ist. In Wirklichkeit jedoch handelt es sich nicht nur um eine Tendenz, die ganz und gar politisch bedingt ist, sondern die derzeitige ,,Globalisierung" ,,ist auch nicht in der Lage, von sich aus eine neue Etappe der kapitalistischen Expansion zu definieren", da sie im Gegenteil ,,nur das Management der Krise" der vorangegangenen Etappe mittels eines Prozesses der finanzkapitalistischen Durchdringung darstellt (21). Im übrigen stellt auch Chossudovsky fest, dass die aktuellen Funktionsweisen des Finanzkapitals, ,,da sie die Konsumtionsfähigkeit der Gesellschaft vermindern ..., die Expansion des Kapitals letztlich behindern" (Chossudovsky 1998, 9).

Die bekannte Braudelsche Dreiteilung der Ebenen sozialökonomischer Formationen aufgreifend bemerkt Amin gegenüber den linken Ökonomisten, dass gerade die Ebene der ,,Macht" ,,für die richtige Bestimmung des Kapitalismus entscheidend" sei (Amin 1995, 23f). Die ,,kapitalistische Macht" ist kein ,,spontanes Produkt des Marktes", sondern bildet sich eher ,,außerhalb und oberhalb der von diesem aufgezwungenen Bindungen". Eben diese Ebene ,,definiert" die Verfassung der kapitalistischen Gesellschaften seit ihrer ersten Herausbildung im 16. Jahrhundert, zusammen mit der Entstehung der Nationalstaaten. Was lässt sich daraus schlussfolgern? Zuvörderst, dass die Tendenz zur Liberalisierung der Märkte und des allgemeinen Wirtschaftslebens samt ihren ,,globalisierenden" Auswirkungen, die es den Unternehmen erlauben, die staatlichen Bíndungen zu umgehen, tatsächlich nicht das Produkt einer systemimmanenten Entwicklungslogik der Produktionsweise ist, sondern ein politischer Vorgang; sodann dass, da eine diesen Tendenzen entsprechende Handlungsebene der Macht, ein globalisiertes kapitalistisches politisches Zentrum fehlt, ,,die freien Strategien des privaten Unternehmens kein zusammenhängendes Ganzes bilden, das die Stabilität einer neuen Ordnung garantiert".

Gerade hier zeigt sich, wie problematisch die Vorstellung vom Ende des Nationalstaats ist. Wenn das Management der ,,Beziehung zwischen dem Bereich der ökonomischen Reproduktion und dem Bereich der politischen Leitung" das Wesen des kapitalistischen Systems bestimmt, wenn sich Kapitalismus nur über ,,das Herauskristallisieren einer Verbindung zwischen politischer Macht und ökonomischem Raum" ergibt, bleibt die ,,Frage der Territorialität" dieses ökonomischen Systems unumgänglich (ebd., 31 und 33). Bei fehlender politischer Territorialität erzeugen die Globalisierungstendenzen daher ,,Chaos" und ,,enthüllen [so] die Störanfälligkeit dieser Globalisierung, die deshalb wahrscheinlich wieder zur Diskussion gestellt wird" (ebd., 26).

Von daher versteht man, dass die Etappe der finanzkapitalistischen Durchdringung, die wir derzeit durchlaufen, nur ,,eine Form des Managements der Krise, nicht der Vorbereitung ihrer Überwindung" ist: Management einer Krise, die innerer Stagnation, aber auch territorialen und politischen Erschütterungen geschuldet ist, deren Lösung sich noch nicht absehen lässt. Auch in der aktuellen Etappe führt die Konkurrenz jedenfalls dazu, ,,dass sich entweder Staaten oder Unternehmen entgegen stehen". Die Vorstellung einer endgültigen Emanzipation der Unternehmen von der nationalstaatlichen Basis ist blanke Illusion. In Wirklichkeit ist das Verhältnis zwischen Unternehmen und Staaten nie ,,eindeutig", sondern es ,,funktioniert immer in zweierlei Richtungen, wobei einmal die eine, in anderen Etappen die andere vorherrscht". Keine berechtigt zu der Feststellung, die aktuelle Tendenz sei ,,ein strukturelles Merkmal der neuen Globalisierung und dazu fähig, sich als solches zu stabilisieren": das ist eine offene Frage, die allerdings, angesichts des notwendigerweise transitorischen Charakters der derzeitigen Etappe der finanzkapitalistischen Ökonomisierung, wahrscheinlich durch eine Tendenzwende beantwortet werden wird. Auf jeden Fall, schlussfolgert Amin, ,,ist nicht gesagt, dass eine entfesselte ökonomische Globalisierung, wie sie die extreme neoliberale Ideologie vorschlägt, sich durchsetzen und die Widerstände des zur Unterwerfung (man spricht von ,Anpassung') gezwungenen ,Politischen' besiegen kann". Ganz im Gegenteil ist dieser kapitalistische Anspruch wahrscheinlich ,,zum Scheitern verurteilt" (ebd., 46-50). Auch für Bellofiore sind nicht nur ,,die Veränderungen, die wir derzeit erleben, alles andere als von der Politik emanzipiert", sondern ,,ist auch nicht einzusehen, warum das, was die Politik dereguliert hat, die Politik nicht reregulieren sollte" (Bellofiori 1999, 39).

Um Amins Auffassungen über die neue Beziehung zwischen Unternehmen und Nationalstaat besser zu verstehen, wenden wir uns jetzt einem nichtmarxistischen Autor zu. ,,Mit der Intensivierung der Globalisierung der Konkurrenz", schreibt der US-Ökonom Porter, ,,haben einige zu behaupten begonnen, die Rolle der Nationen verringere sich" (Porter 1991, 48). Tatsächlich aber ,,sind nicht nur ,,die beachtlichen Kapitalströme zwischen den Nationen keine neue Erscheinung" (ebd., 639), sondern beruht auch ,,der Gedanke, die Globalisierung eliminiere die Bedeutung der nationalen Basen, ... auf falschen Voraussetzungen; er entbehrt ebenso der Grundlage wie die sympathische Strategie des Verzichts auf Konkurrenz". Tatsächlich machen die Globalisierungsprozesse und die aus ihnen sich ergebende ,,Internationalisierung und Eliminierung von Protektionismen und anderen Verzerrungen der Konkurrenz", so fährt Porter fort, ,,die Nationen vielleicht noch wichtiger", weil ,,die nationalen Unterschiede des Charakters und der Kultur" unter solchen Bedingungen ,,ein wesentlicher Faktor des Erfolgs" im ,,globalen Wettbewerb" werden.

Ungeachtet der Propheten des Endes der Nationen tragen ,,die Unterschiede in den nationalen ökonomischen Strukturen, in den Werten, den Kulturen, Institutionen und der Geschichte ... wesentlich zum Wettbewerbserfolg" bei (Amin 1995, 36), und zwar in einem Maße, dass man sagen kann, dass ,,die Rolle der nationalen Basis heute ebenso stark oder sogar stärker ist denn je". Aber ebenso entscheidend sind ökonomisch greifbarere Dinge wie ,,die Politik der Regierung (zum Beispiel die Fiskalpolitik und die Regulierungsmaßnahmen), das gesetzliche Regelwerk, die Bedingungen des Kapitalmarkts, die Faktorkosten" - alles Dinge, welche die nationalen Grenzen geradezu ,,noch bedeutsamer" als früher machen. Die Globalisierung der Märkte beseitigt deshalb ganz und gar nicht die Rolle des Nationalstaats bei der Bestimmung, der Aufrechterhaltung und der Entwicklung des kompetitiven Vorteils der Unternehmen in den verschiedenen industriellen Sektoren, sie ,,verändert [vielmehr] deren Charakter" (ebd., 93).

Von Anfang an ist ,,die Nation ... der Ort, an dem letztlich der Wettbewerbsvorteil seinen Ursprung hat" und wo dieser ,,konserviert wird". Auch Amin weist darauf hin, dass die ,,Konkurrenz zwischen Unternehmen" in Wirklichkeit ,,eine Konkurrenz zwischen nationalen Systemen [ist], von denen aus die Unternehmen Schwung nehmen" (Amin 1995, 47). Die Globalisierung ,,verringert [daher] nicht im geringsten die Bedeutung der Nation" (Porter 1991, 669), sondern ,,vervollständigt und verstärkt [allenfalls] den Wettbewerbsvorteil, der in der heimischen Basis geschaffen" wurde. Porter glaubt anhand seiner vergleichenden Berechnungen nachweisen zu können, dass die gegenteilige Behauptung ,,von der Wirklichkeit selten bestätigt wird" (ebd., 713). Daraus geht schließlich klar hervor, dass es ,,genau die Unterschiede zwischen den Nationen sind, die den Erfolg im Wettbewerb befördern" (ebd., 868), und dass diese keineswegs am Verschwinden, sondern weiterhin sehr lebendig und vital sind.

Zu diesem Ergebnis kommt auch Lafay: ,,obwohl im allgemein privat", sind die großen Unternehmen, die auf dem Weltmarkt konkurrieren, ,,weiterhin von der eigenen Nationalität geprägt" (Lafay 1998, 44f); sie bleiben an sie gebunden, ,,was das Kapital, die Kultur und die wichtigsten Führungskräfte angeht". Im Außenhandel kann man allenfalls, wie schon seit je, die Verflechtung von ,,zwei sich ergänzenden Logiken, der der Unternehmen und der der Nationen" feststellen, und das heißt eine ,,neuen Komplementarität".

Auslöschung oder Neubestimmung des nationalen
Interesses?

Jedoch wird, behaupten die Anhänger der These vom Ende des Nationalstaats, die Überholtheit dieser Institution durch die Tatsache belegt, dass auch in den potenziell imperialistischen Staaten kein ,,nationales Interesse" mehr existiert, weil die transnationalen Unternehmen sich völlig vom Territorium emanzipiert haben, den Reichtum nicht umverteilen und in der Lage sind, die Produktion zuzulassen und anzusiedeln, wo immer es ihnen passt, ganz abgesehen davon, dass sie ihre Profite in den bestmöglichen Steuerparadiesen anlegen.

Doch handelt es sich dabei um die x-te optische Täuschung, die dadurch entsteht, dass man sich mit der Erscheinungsform zufrieden gibt, in der ein historischer Prozess sich manifestiert. In Wirklichkeit verschwindet das nationale Interesse keineswegs. Es erfährt ganz einfach eine radikale Umdefinition nach oben, auf jene Schichten hin, deren Gedeihen keines Staates bedarf, der sie schützt. Es sind die subalternen Klassen der verschiedenen Nationen, die staatlichen Schutz brauchen. Deren Interesse spielt für die transnationalen Unternehmen keinerlei Rolle, umso mehr dagegen das ihrer jeweiligen Aktionäre. Doch diese brauchen ganz und gar nicht einen Staat, der sie verteidigt und deshalb die Unternehmen zwingen würde, die nationalen Verträge und die Verpflichtungen zur Bezahlung der Steuern einzuhalten. Und daher wird ihr sensibelstes Interesse - ein ganz ,,nationales" Interesse, weil davon, was eine Regierung macht und nicht macht, verbietet und zulässt, die Dividenden jenes Unternehmens abhängen, das auf ihrem Territorium arbeitet - am wirksamsten durch die Emanzipation der Unternehmen von den nationalen Institutionen geschützt. Und diese Emanzipation ist genau ihr ,,nationales" Interesse.

Das nationale Interesse verschwindet also keineswegs, sondern wird radikal nach oben umdefiniert, aus dem einfachen Grund, dass die subalternen Klassen wegen der im Klassenkampf erlittenen Niederlage in den letzten Jahren rasch viele der Rechte und Positionen verloren haben, die sie zu einer Zeit, da ihre Kraft stärker war, erobert hatten und die sie - mittels ihrer Parteien - in den staatlichen Gesetzen hatten verankern und von Politik, Gerichten und Polizei hatten schützen lassen können. Diese Klassen, lange ausgeschlossen und als fremd betrachtet, haben erst im 20. Jahrhundert nach einem jahrhundertlangen Kampf das volle Bürgerrecht im bürgerlichen Staat erobert und konnten sich ,,nationalisieren", indem sie dem Gegner die Anerkennung ihrer bürgerlichen, politischen und sozialökonomischen Rechte abrangen (vgl. Losurdo 1993). In dem Augenblick, in dem sie auf der internationalen Ebene unterlagen und die staatliche Macht, die von außen ihre Kräfte verstärkt hatte, sich verminderte (vgl. Hobsbawm 1998, 20, 105, 321), unterlagen sie auch im Innern und müssen daher jetzt gegen einen neuen Versuch der De-Emanzipation kämpfen. Wenn der Wohlfahrtsstaat integraler Teil der politischen Demokratie und der Staatsbürgerschaft im bürgerlichen Staat ist, so ist seine Zerschlagung der schwerwiegendste Versuch, die subalternen Klassen zu ,,entnationalisieren", sie erneut außerhalb der geschützten Rechte und Garantien zu stellen.

Mit dem Blick auf das unerwartete Revival des häuslichen Dienstbotenwesens in den Vereinigten Staaten spricht Luttwak ausdrücklich von der ,,Wiederkehr viktorianischer Modelle bei der Einkommensverteilung" (Luttwak 1999, 108). Und auf die Rückkehr zu Verhältnissen wie im 19. Jahrhundert wird auch von Bauman hingewiesen, der die massenhafte Wiederaufnahme der Ideologie des Nachtwächterstaats feststellt, die den liberalen Theoretikern jenes Jahrhunderts so teuer war (Bauman 1999, 129ff). Offenkundig werden in diesem Prozess selbst die Begriffe von Staat, Nationalität und nationalen Interessen radikal umdefiniert. Und offenkundig muss all dies verhindert und muss den Versuchen widerstanden werden, die Verteidigung des Sozialstaats und der vollen ,,nationalen Zugehörigkeit", des vollen Staatsbürgerschaftsrechts der subalternen Klassen als Ausdruck von Reformismus oder Rückwärtsgewandtheit zu denunzieren.

Die Formierung neuer geoökonomischer Blöcke

Wir haben bisher zumindest einige ungerechtfertigte Gewissheiten problematisiert und einige Missverständnisse und Gemeinplätze herausgestellt. Gehen wir jetzt einen Schritt weiter und versuchen zu verstehen, welche wirklichen Prozesse sich hinter dem Bild der ,,Globalisierung" verbergen.

Dem deutschen Wirtschaftswissenschaftler Henzler zufolge spielt sich die ökonomische Konkurrenz in dieser Phase nicht einfach ,,zwischen Unternehmen" ab, sondern ,,zwischen kapitalistischen Systemen, die sich in Hinblick auf Werte, Prioritäten, institutionelle Struktur und Ziele grundlegend unterscheiden" (Henzler 1998, 4). ,,Ungeachtet der Ausbreitung von Modellen der Produktion und des Konsums", erklärt auch Lafay, ,,ist die Weltwirtschaft alles andere als homogen" (Lafay 1998, 9). In Wirklichkeit hat die ,,Globalisierung" nicht zur Bildung eines verschwommenen Weltmarkts, nicht zur ,,Einsetzung eines einzigen, die Nationen überschreitenden Kapitalismus" (J. Luzi in Tripodi 1998, 123) geführt, sondern bewirkt weiterhin die Formierung von ,,Nachbarschaftsbeziehungen um die drei von den USA, der EU und Japan gebildeten ökonomischen Pole herum" (Lafay 1998, 9) und von drei Makro-Regionen: Amerika, Eurafrika und Asien-Ozeanien.

Nach dem amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler Thurow hat das Ende des kalten Krieges den Übergang möglich gemacht von einer Phase des internationale Austausches über Marktlücken zu einer Phase des, wie er es nennt, ,,Kopf an Kopf"-Wettbewerbs (Thurow 1992, 22) zwischen Nationen, die in denselben Industriezweigen miteinander konkurrieren ausgehend von der Produktion der im großen und ganzen gleichen Art von Gütern. Diese Veränderung hat also kein ultraimperialistisches Szenario, sondern ein ökonomisches Spielfeld hervorgebracht, auf dem ,,drei ökonomische Supermächte, die Vereinigten Staaten, Japan und Europa" (dessen ,,Dreh- und Angelpunkt" nach Thurows Meinung Deutschland bildet, während England in Vertretung der US-Interessen als destabilisierender Pol fungiert) damit beschäftigt sind, ,,um die ökonomische Vorherrschaft zu streiten" (ebd., 7).

Das gegenwärtige Szenario, erklärt Thurow, ist das Ergebnis des großen Erfolgs der internationalen ökonomischen Institutionen, die das System von Bretton Woods ausgemacht haben. Während sie den antisowjetischen Zusammenhalt der ,,demokratischen" Nationen festigten, beförderten diese Institutionen das Wachstum der kapitalistischen Mächte derart, dass diese in wenigen Jahrzehnten ein Niveau des Reichtums und der Produktivität erreichten, das mit dem der Vereinigten Staaten vergleichbar ist (vgl. auch Lafay 1998, 17-21). Das Szenario, das diese Transformation uns bietet, trägt das Antlitz eines regelrechten ,,Wirtschaftskrieges", bei dem es darum geht ,,festzustellen, wer das 21. Jahrhundert beherrschen wird" (Thurow 1992, 18f).

Es geht dabei nicht nur um eine ,,intrasystemische" Konkurrenz zwischen zwei unterschiedlichen Formen des Kapitalismus - dem individualistischen angelsächsischen und dem kommunitarischen japanisch-deutschen -, sondern auch um die Konfrontation zwischen drei geopolitischen, um drei äußerst starke Nationalstaaten gruppierten Großräumen, die ganz und gar nicht in der Krise, sondern eher dabei sind, sich zu drei großen ,,Fast-Wirtschaftsblöcken" zu entwickeln (ebd., 69). Diese Quasi-Blöcke entziehen sich den allgemeinen GATT-Regeln und sind dabei, mittels einer Reihe wechselseitiger Abkommen ein internationales System des ,,gelenkten Handels" zu schaffen. Jeder dieser Blöcke bildet eine besonders geschützte Freihandelszone, welche die Unternehmen der Nationen des jeweiligen Blocks privilegiert und das Eindringen von Unternehmen der konkurrierenden Blöcke äußerst schwierig, das von Waren aus Drittländern wie jenen der Dritten Welt nahezu unmöglich macht (ebd., 244f). Und zwischen den Nationalstaaten dieser großen Regionalzonen zeigt sich ein Wachstum des internationalen Handels (der jedoch immer nur bis zu 12 % des BSP der verschiedenen Länder ausmacht), während der Handel mit den anderen Staaten sich verringert (vgl. Bellofiore 1999, 38).

Und was ist mit den Nationalstaaten in diesen Blöcken? Nach dem von Thurow gezeichneten Bild scheinen sie ganz und gar nicht zu verschwinden. Bestimmt verschwinden die USA nicht, es sei denn jemand glaubt, sie würden, nach der Gründung der NAFTA, ihre Souveränität mit Mexiko teilen. Bestimmt verschwindet der japanische Nationalstaat nicht, der, im Gegenteil, hervorsticht durch eine ökonomische Aggressivität, die sich mit der fast vollständigen ,,Nipponizität" seiner Unternehmen regelrecht brüstet. Was schließlich Europa angeht, lässt auch die Europa-Rhetorik der letzten Jahre nicht an eine Auflösung der einzelnen EU-Nationen denken, es sei denn, man hielte Dinge wie die Sprache oder die unterschiedlichen nationalen Kulturen für vernachlässigbare Größen.

Die Nationalstaaten verschwinden so wenig, dass Thurow die Auseinandersetzung zwischen den drei Blöcken geradezu gleichsetzt mit einer Auseinandersetzung zwischen den USA, Japan und Deutschland. Im Zusammenhang mit dieser Auseinandersetzung erklärt er die Notwendigkeit für den amerikanischen Nationalstaat, sich an die neuen Spielregeln der Weltwirtschaft anzupassen und, um in dieser neuen ökonomischen Partie Sieger zu bleiben, sich mit ,,nationalen ökonomischen Strategien" (Thurow 1992, 343; vgl. auch Porter 1998) und einer deutlicheren ,,Industriepolitik" zu versehen (Thurow 1992, 346); d. h. er muss eine protektionistische Etappe einleiten, seine Antitrust-Gesetzgebung abschwächen und die Herausbildung von strategischen Allianzen zwischen amerikanischen Unternehmen fördern, um diese zu befähigen, ,,mit den deutschen und japanischen Unternehmensgruppen" zu konkurrieren (was übrigens pünktlich eingetreten ist: vgl. Reich 1998, 129). Andernfalls würden die USA das Schicksal Kanadas erleiden, eines Landes, in dem, da der größere Teil der wichtigen Unternehmen in fremde Hände gefallen ist, sogar die wohlhabenden Bürger nicht mehr den welthöchsten Lebensstandard erreichen können (Thurow 1992, 236).

Das 20. Jahrhundert: Aufstieg und Niedergang des imperialistischen Konflikts zwischen den Großräumen

Allen, welche die Kategorien des Leninismus noch für gültig halten, erscheint die von Thurow beschrieben Lage glasklar: hier ist die Rede von der Herausbildung einer neuen Etappe des zwischenimperialistischen Konflikts am Ende des kalten Krieges. Um die Bedeutung dieser Tatsache im Zusammenhang einer allgemeineren historisch-politischen Dynamik zu verstehen, ist es aber erforderlich, sie in Beziehung zu setzen zu den Leitlinien, denen die Geschichte des 20. Jahrhunderts folgte, einer Periode, die mit der Niederlage des sozialistischen Lagers, das darf man wohl sagen, grundsätzlich beendet ist.

Am Vorabend des Ersten Weltkrieges hatte sich deutlich die strategische Dynamik eines zwischenimperialistischen Konflikts herauskristallisiert, der sich nicht einfach zwischen Nationalstaaten entwickelte, sondern zwischen Großräumen, zwischen riesigen imperialistischen Blöcken, die sich auf diese stützten. Die räumliche Dimension war, so lehrte es jene ,,geopolitische" Schule, die sich sowohl im angelsächsischen Raum wie auf dem Kontinent verbreitet hatte, entscheidend geworden: Konkurrenten um die Neuverteilung der Weltmacht sind dabei vor allem die Vereinigten Staaten und Russland; stark dank der ungeheuren inneren Räume, die ihnen zur Verfügung stehen, sind sie in der Lage, die absolute Vorherrschaft des britischen Imperiums in Frage zu stellen, das in jenen Jahren den Gipfel seiner Ausdehnung erreicht hatte und die Erde in einer soliden eurozentrischen Balance hielt. Deutschland erhebt den Anspruch, bei der bevorstehenden Neuaufteilung der Welt ein Wort mitzureden und will Zugang zu den Vorteilen bekommen, die es von der rassistischen Herrenvolk-Ordnung, die das Schicksal des ganzen Planeten bestimmt, zu erwarten hat; es muss sich zu diesem Zweck allerdings zuerst eine ausreichend breite territoriale Basis verschaffen und ersetzt deshalb die alte großdeutsche durch die ,,Mitteleuropa"-Idee.

Diese Dynamik führt zu einem Konflikt, der dann das gesamte Gefüge der internationalen Politik radikal verändern wird. Nicht nur wird Deutschland besiegt, sondern das entscheidende Eingreifen der USA, die jetzt Großbritannien in seiner Rolle als Führungsmacht ablösen, lässt die bisherige eurozentrische Welt- und Kolonialordnung endgültig zusammenbrechen. Der Ausgang dieses ,,Sezessionskriegs der Weißen" (Losurdo 1996, 135ff u. 171) macht zunächst der imperialistischen Konfrontation zwischen den kontinentalen Großräumen ein Ende, weil er sie alle außer einem aus dem Spiel wirft: das amerikanische Jahrhundert, eingeleitet durch den Spanisch-amerikanischen Krieg von 1898, beginnt jetzt in die ganze Welt exportiert, ,,globalisiert" zu werden. Doch dieser Typus des zwischenimperialistischen Konflikts gerät auch durch ein anderes Ereignis ins Stocken, das durch den Krieg ausgelöst wird: die Oktoberrevolution besiegelt den Zusammenbruch des Zarenreiches und führt zur Geburt einer neuen Macht, die im Kampf gegen den Imperialismus als Unterdrücker der Freiheit der Völker - und zwar der reichen wie der armen Länder - ihre wohl wichtigste Bestimmung finden wird. Schon allein durch ihre geopolitische Präsenz gibt die UdSSR, ungeachtet enormer Schwierigkeiten, den nationalen Unabhängigkeitsbewegungen in den Kolonien Kraft und trägt aktiv zu einer großen Welle der Entkolonisierung bei, die sich wie eine riesige Weltrevolution ausnimmt.

Doch die Dynamik des kontinentalen Imperialismus ist keineswegs erschöpft. Nach den Jahren der Großen Depression stellt sich das Dritte Reich Hitlers, der eigentliche Erbe der blutigsten Kolonialtraditionen, die Aufgabe, die Welle der weltweiten Emanzipation vom imperialistischen Joch aufzuhalten und umzukehren; es schlägt zuerst den USA und Großbritannien eine einvernehmliche Aufteilung der Welt im Namen der gleichen Würde als ,,Herrenvölker" vor, um dann die imperialistischen Ansprüche des neuen Deutschland ins Spiel zu bringen und zu versuchen, sein Kolonialreich im europäischen Osten und auf dem ganzen Kontinent zu errichten. Ein weiteres Mal schlägt der Versuch fehl, und ein weiteres Mal gerät die kontinental-imperialistische Dynamik ins Stocken. Zum Eingreifen der USA, die interessiert sind, ihre Rolle als neue Stütze des internationalen Kräftegleichgewichts zu festigen, gesellt sich aber diesmal die aktive Teilnahme der UdSSR Stalins. Der Opfergang der sowjetischen Bevölkerung - des ersten Opfers des Krieges, mit über 20 Millionen Toten - im ,,Großen Vaterländischen Krieg" gibt ihrem Staat den Rang einer Weltmacht.

Dies ist eine neue Wende im 20. Jahrhundert. Die Entstehung des Konflikts USA-UdSSR wird von nun an weltweit die zwischenstaatlichen Beziehungen polarisieren und gibt ihnen die Form eines Krieges, der, obgleich ,,kalt", von vielen Historikern als Dritter Weltkrieg verstanden wird (vgl. Hobsbawm 1998, 268). Doch ,,kalt" ist dieser Krieg keineswegs an den Peripherien der beiden großen Blöcke, die aus dem Treffen von Jalta hervorgehen. Und ,,kalt" kann man ihn auch nicht nennen auf den Ebenen der politisch-ideologischen, der technologischen oder gar der ökonomischen Konfrontation.

Eine einzige imperialistisch-kontinentale Macht ist übrig geblieben: die Vereinigten Staaten. Ein einziges Hindernis steht ihrem Bemühen im Weg, den ganzen Planeten ihrer imperialistischen Kontrolle zu unterwerfen: der sozialistische Block und das Band der Solidarität, das dieser um des Überlebens willen auf jegliche Weise erhalten muss. Die außenpolitische Strategie der Vereinigten Staaten richtet von nun an alle Kraft darauf aus, diesen Feind zu schlagen. Hier sind wir am entscheidenden Punkt angelangt. Genau hier, in der ökonomischen Dimension dieses Krieges, enthüllt sich das Geheimnis jener kapitalistischen ,,Globalisierung", die heute auf dem ganzen Planeten grassiert: diese ist in Wirklichkeit die historische Folge der imperialistischen US-Strategie in der Periode der Konfrontation mit dem sozialistischen Lager.

Lesen wir wieder Thurow: ,,Ein Großteil des letzten Jahrhunderts", schreibt er, einen Lieblingsausdruck Reagans zitierend, ,,war charakterisiert durch die Furcht vor Begegnungen mit dem russischen Bären im Wald" (Thurow 1992, 3). Sofort nach Kriegsende hatte es tatsächlich den Anschein, mit dem Sieg der chinesischen Revolution 1949, ,,als wolle der russische Bär mit Hilfe des neuen siegreichen roten chinesischen Drachens die Welt erobern". An diesem Punkt wurden die ökonomische und die politische Strategie der USA gänzlich eins: ,,die Hilfen für Griechenland und die Türkei, die Wiederbewaffnung Japans und Westdeutschlands und der Koreakrieg waren alle darauf ausgerichtet, die Bären und Drachen des Waldes zurückzuhalten". Ein erstes brisantes Problem stellten Japan und Deutschland dar, die bis dahin Gegenstand einer derart massiv feindlichen politisch-ideologischen Kampagne gewesen waren, dass es äußerst schwierig wurde, mit ihnen reguläre Beziehungen herzustellen. Und doch war deren geopolitische Lage äußerst delikat. Deshalb war es jetzt nicht angesagt, weiter zu wüten; vielmehr war die Überlegung der weitblickenden herrschenden Klasse Amerikas, ,,wenn man die Länder reich macht, würden sie demokratisch werden" (ebd., 16). Und das heißt, ,,wenn ihr Reichtum vom Verkauf auf den amerikanischen Märkten abhängig wäre, wären sie verpflichtet, Verbündete der Vereinigten Staaten zu sein."

Diese Überlegung galt nicht nur für Japan und Deutschland, sondern für ganz Europa und die ganze Welt. Für die Vereinigten Staaten, meint Hobsbawm, ,,war es politisch wichtig, Ländern, die künftig ihre Konkurrenten werden konnten, in höchstmöglicher Eile beim Wachstum zu helfen" (Hobsbawm 1998, 324). Wie die italienischen Kommunisten nur zu gut wissen, war der Marshallplan ein Kernbestandteil der imperialistischen antisowjetischen Strategie der Amerikaner. Und doch, als sich die Volkswirtschaften der verbündeten Staaten allmählich wieder erholten, begannen sie unvermeidlicherweise mit ihrem Freund und Patron in Wettbewerb zutreten, versuchten seinen Unternehmen Konkurrenz zu machen und größere Anteile am Weltmarkt zu erobern. Es wird nämlich die klassische Dynamik des innerimperialistischen Konflikts ausgelöst, die früher oder später auch auf das politische Gebiet übergreifen muss. Die politischen Erfordernisse haben in der Zeit des Kalten Krieges allerdings regelmäßig die Oberhand über die ökonomischen gewonnen, da damals der innerimperialistische Konflikt weniger grundlegend war als der Systemkonflikt zwischen kapitalistischer und sozialistischer Welt. Es handelt sich dabei um ein Prinzip des Geschichtsverständnisses, das die ,,kritische" und ökonomistische Linke begreifen wird: unter den Bedingungen des Ausnahmezustands siegt die politische Seite des Grundwiderspruchs immer über seine ökonomische. Deshalb sind ,,die unzähligen Handelsstreitigkeiten" zwischen den USA, Europa und Japan ,,während der Jahre des Kalten Krieges so mühelos unter Kontrolle gehalten" worden (Luttwak 1999, 165). Tatsächlich rührte die damals ,,so mühelos entstandene Interdependenz" von dem Umstand her, dass ,,die wirtschaftliche Zusammenarbeit innerhalb beider Blöcke die logische Ergänzung des bestehenden strategischen Konflikts war" (ebd., 176).

Somit sahen sich die Großmächte im kapitalistischen Lager gezwungen, ,,ihre ökonomischen Differenzen zu mildern, um die Militärbündnisse zur Niederhaltung der UdSSR aufrechtzuerhalten" (Thurow 1992, 25). Seit Kriegsende bis heute, da hat Thurow keinen Zweifel, haben nur ,,die militärischen Erfordernisse verhindert, dass die ökonomischen Konflikte zum Ausbruch kamen". Und das war die Kernfrage: Wie vermeiden, dass diese Konflikte Fuß fassen und zur Restauration von kontinentalimperialistischen Tendenzen und zu neuen Versuchen führen, einen europäischen Großwirtschaftsraum-Block zu bilden, möglicherweise zur französischen Hegemonie, welche sich auf die Konfrontation mit den Vereinigten Staaten konzentriert und damit die antisowjetische Solidarität der kapitalistischen Nationen geschwächt hätten? So kam es mittels des internationalen Handelssystems GATT zur Bildung einer großen Freihandelszone zwischen diesen Ländern und zu den verschiedenen Bretton-Woods-Institutionen, die den Rückgriff auf den Protektionismus durch die Verallgemeinerung des ,,Meistbegünstigungs"-Prinzips eindämmten. Es entstand damit nach Thurow ein System des ,,globalen unilateralen Keynesianismus" (ebd., 56).

Die einzigen, die mächtig genug sind, um dieses System durchzusetzen, sind offenkundig die Vereinigten Staaten, und sie sind auch sein alleiniger Betreiber und Hauptnutznießer. Unbestreitbar haben sich die USA seit Kriegsende unermüdlich stark gemacht ,,für die Vereinheitlichung der Weltwirtschaft und die Beseitigung aller Handelsschranken, Investitionshemmnisse und Konzessionsbeschränkungen" (Luttwak 1999, 99). Und doch, stellt Luttwak verblüfft fest, gibt es Leute, denen ,,der halboffene Weltmarkt von heute als naturgegeben erscheint" (ebd., 171f.). In Wirklichkeit ist dieser nicht das Resultat einer der Produktionsweise innewohnenden systemischen Dynamik, wie die ,,erneuerte" italienische Linke meint, sondern ,,weitgehend ... eine Schöpfung der Vereinigten Staaten, das Ergebnis von über 50 Jahren amerikanischer Diplomatie, Pressionen und Bestrebungen der USA". Seit 1948, dem Geburtsjahr des GATT, wurden von ,,Runde" zu ,,Runde" die protektionistischen Schranken der kapitalistischen Staaten ,,zuweilen Artikel für Artikel in einer aufreibenden Serie von Verhandlungen" niedergerissen. Besonders entscheidend waren die Jahre der Kennedyrunde von 1964 bis 1967: ,, ... die heutige liberalisierte Weltwirtschaft verdankt viel den beispiellosen damals durchgesetzten Tarifsenkungen". Dem offensichtlichen ökonomischen Vorteil haben die Vereinigten Staaten jedoch von Anfang an ihre vorrangige politische Sorge beigesellt: ,,es war kein Zufall, dass der ursprüngliche GATT-Vertrag von den Vereinigten Staaten grade in der Frühzeit des Kalten Krieges mit solchem Nachdruck vorangetrieben wurde", und ebenso wenig Zufall war es, dass ,,die Kennedyrunde zum Abschluss kam, als der Kalte Krieg auf den Zenit seiner Intensität zutrieb".

Selbst die Wortführer der Sieger im Kalten Kriege erklären heute offen: ,,das entscheidende Motiv für die Liberalisierung des Handels ... war immer politischer und strategischer Natur". Und das heißt im Klartext: ,,Das GATT war eindeutig als die kommerzielle Entsprechung zum engen strategischen Bündnis des gesamten Westens gegen die Sowjetunion konzipiert worden." Vor dieser Wahrheit freilich verschließt eine gewisse unpolitische Linke, welche die in dieser Phase des Klassenkampfs erlittene Niederlage nur in der Form der Verdrängung und der Negation verarbeiten kann - ,,ich war's nicht und wasche meine Hände in Unschuld", ,,das war nicht der wahre Kommunismus" - beharrlich die Augen.

Das 21. Jahrhundert: Globalisierungs- und Blockstrategie in der Zeit des wieder erwachenden Großraumimperialismus

Wie immer jedoch erlaubt uns ein dialektischer Blick zu erkennen, dass der Widerspruch von gestern den Widerspruch von heute bereits in sich barg. Als mit dem totalen Sieg des Westens und dem Fall des sozialistischen Lagers die geschichtliche Periode der Systemauseinandersetzung zu Ende ging, war plötzlich auch die politische Notwendigkeit dahin, um jeden Preis den Zusammenhalt des kapitalistischen Weltsystems zu garantieren. Von nun an konnte die Logik des zwischenimperialistischen Konflikts ihre Wirkungen von neuem entfalten. Damit sind wir beim Heute angekommen. Nicht länger von der Zwangsjacke höherer politischer Prioritäten des Systems in Schach gehalten, brechen die innersystemischen ökonomisch-politischen Rivalitäten durch, die auf dem immensen Feld des von der Pax americana garantierten Freihandels herangereift sind. Die ,,globalisierende" amerikanische Wirtschaftsstrategie dauert zwar an, gleichzeitig aber beginnen neue imperialistische Polaritäten sich zu konsolidieren und tendenziell zu emanzipieren. Die Dynamik des kontinentalen Imperialismus, im Verlauf des 20. Jahrhunderts dreimal unterbrochen, doch nie wirklich besiegt, nimmt jetzt ihren Lauf wieder auf, und neue geopolitische und geoökonomische Großräume verdichten sich. Auf Grund der ideologischen Konfusion, der anhaltenden kulturellen und medialen Hegemonie der USA und der objektiven Ungewissheit möglicher künftiger Blockallianzen für die Masse der Konsumenten unsichtbar, treten neue und der US-"Globalisierung" entgegengesetzte Strategien auf den Plan.

,,Die Geschichte ist alles andere als zu Ende", mahnt Thurow: ,,wir erleben derzeit eine neue Periode der Konkurrenz" (Thurow 1992, 6). Und Luttwak stimmt bei: gleich nach dem Ende des Kalten Krieges sind zwischen den kapitalistischen Großmächten ,,die wirtschaftlichen Rivalitäten wieder aufgeflammt" (Luttwak 1999, 152). Es ist die soeben beschriebene Logik: ,,Nicht länger in den Käfig einer von der gemeinsamen Furcht vor der Sowjetunion erzwungenen Solidarität gesperrt, haben Amerikaner, Europäer und Japaner eine Reihe neuer Handelsstreitigkeiten eröffnet und machen sich auf verschiedenen, strategisch bedeutsamen Gebieten der Wirtschaftstätigkeit das Primat streitig." Ein Wirtschaftskrieg mit seinen Härten findet statt, und die Leichtigkeit, mit der in der vorangegangenen Periode die Abkommen über Handelsliberalisierung zustande kamen, ist schon heute bloße Erinnerung. Die Uruguayrunde des GATT hat sich über zehn Jahre hingezogen und konnte erst unter tausend Schwierigkeiten abgeschlossen werden, während die Nachrichten dieser Tage - mit einem Seattle, in dem sich die unterschiedlichsten Protestkräfte konzentriert zu haben scheinen - ankündigen, dass die Milleniumsrunde der neuen Weltwirtschaftsinstitution, des WTO, im wesentlichen gescheitert ist. Zahllos sind die Handelsstreitigkeiten zwischen den USA und Europa, wenngleich sie zumeist mit dem Sieg ersterer enden, deren Macht noch immer weitgehend überwiegt. Sie erstrecken sich auf alle Gebiete, von der ,,kulturellen Ausnahme" bis zu den genetisch manipulierten Lebensmitteln. Kurz, ,,eher als in absoluter Ruhe erreichte Fortschritte sind heute offene Dispute und ungewisse Ausgänge die Norm", während ,,unilaterale Handelsmaßnahmen" ausgeweitet und neue, nichttarifäre Schranken errichtet werden (ebd., 172-74).

Wer wird das 21. Jahrhundert beherrschen, fragt sich Thurow. Wenn die Militärmacht der USA seines Erachtens auch nicht ausreicht, um das ökonomische Primat auf lange Sicht zu gewährleisten, so spielt sie doch eine nicht zu unterschätzende Rolle. Thurow räumt die geoökonomische strategische Bedeutung des Golfkriegs ein, und dasselbe ließe sich heute für die des Kriegs gegen Jugoslawien sagen (vgl. Arrighi 1999). Die historische Periode, die wir durchlaufen, entscheidet über die Richtungen, die das neue Jahrhundert nimmt. In diesen Jahren müssen die Großmächte und neuen Blöcke untereinander ausmachen, wer von ihnen das neue politisch-ökonomische Weltsystems ,,managen" wird. Es ist klar, dass dieses jemand braucht, der sich die führende Rolle zuweist, und ebenso klar ist, dass die Vereinigten Staaten fest entschlossen sind, ihr eigener Nachfolger zu werden. ,,Kein System", meint Thurow, ,,kann auf diese Weise lange überleben" (Thurow 1992, 285), nämlich unter Verhältnissen einer scharfen Blockrivalität: die Herausbildung einer stabilisierenden Führungsmacht ist für das Funktionieren des globalisierten Kapitalismus lebensnotwendig. Und, ,,ob es gefällt oder nicht, die internationale leadership ist das einzige Feld, auf dem die Militärmacht bedeutsam wird". Was folgt aus dieser Überlegung? Es ist sehr wahrscheinlich, dass, ,,da die USA im 21. Jahrhundert die einzige militärische Supermacht sein werden, gar nichts anderes übrigbleibt, als sie zum Manager des Systems zu ernennen".

Viele Faktoren beeinflussen diese Entscheidung, und nicht der unwichtigste ist, bei aller wachsenden Rivalität, eine objektive Konvergenz der Interessen zwischen den USA und dem europäischen Block. Doch auch Japan, das sich schwer damit tut, einen asiatisch-pazifischen Wirtschaftsblock zu schmieden und das derzeit die Niederlage seines kapitalistischen Modells erlebt, könnte an einem Bündnis interessiert sein (vgl. Polato 1999; Nukazawa 1998). Doch nicht das ist es, was die Wahl schließlich auf die USA fallen lassen wird, sondern ein viel elementareres Kalkül hinsichtlich der Möglichkeiten von Leben oder Tod der Staaten und Blöcke. Was geschähe denn, würde die amerikanische Führerschaft von einem konkurrierenden Block ernsthaft in Frage gestellt, verbunden mit dem nötigen Niveau an Kohärenz und ökonomisch-politischer Macht? ,,Quasi per definitionem", meint Thurow, ,,sind die militärischen Supermächte Staaten, die nicht von anderen geleitet werden können:" Daraus ergibt sich, dass ,,die Vereinigten Staaten, wollte ein anderer versuchen, die Kontrolle über das System zu übernehmen, einfach zu ihrer Militärmacht greifen könnten, um dies zu vereiteln" (Thurow 1992, 287). Auch für Arrighi ist die ,,unumstrittene Suprematie" in militärischer Hinsicht ,,derzeit der einzige entscheidende Vorteil der amerikanischen Industrie auf den Weltmärkten", wobei das Gewicht des militärisch-industrielle Komplexes im Gesamt der US-Wirtschaft weiter wächst (Arrighi 1999, 36).

Gewiss, in der Welt der Träume kann man eine Situation imaginieren, in der die USA ultraimperialistisch und in Freundschaft die wirtschaftlichen Güter einer globalisierten Ökonomie verteilen, in der sie zulassen, dass andere Staaten und Blöcke immer größere Teile des Markts für ihre Unternehmen in den strategischen Sektoren herausbrechen, und verhindern, dass der Lebensstandard ihrer besitzenden Stimmbürger weiter wächst. Jedoch ,,in Wirklichkeit ist es unwahrscheinlich, dass all dies geschieht", kommentiert Thurow (Thurow 1992, 287). ,,Wenn die Amerikaner es mit einer Reihe von Niederlagen zu tun hätten", ,,würden sie sich früher oder später einigeln, die anderen draußen halten oder gegen jene vorgehen, die sie, ob zu Recht oder Unrecht, für verantwortlich für ihr Misslingen hielten". Solange sie als Staat Nutzen aus dem Freihandel ziehen, wird alles wie geschmiert laufen. Aber wenn sich diese Bedingungen einmal ändern, ,,sind die USA imstande, das Weltwirtschaftssystem des 21. Jahrhunderts in die Luft zu jagen", und nicht nur das Wirtschaftssystem.

An diesem Punkt lässt sich die Bedeutung von Samir Amins Überlegungen zur Beziehung zwischen dem Niveau des Markts und dem des ,,Anti-Markts", der Macht, sowie der Frage der Territorialität verstehen. ,,Wie könnten man übersehen", fragt Amin, ,,dass der Erfolg der amerikanischen Gegenoffensive zur Wiederherstellung ihrer Hegemonie sich zu einem Großteil auf ihre militärische Überlegenheit stützt?" (Amin 1995, 48) Wie ließe sich übersehen, dass die Europäer angesichts der überlegenen Kriegsmacht der USA ,,Tag für Tag beweisen, dass sie nichts machen können, weder in Jugoslawien oder der ehemaligen UdSSR noch in Somalia, ohne die Vereinigten Staaten"? Die ,,Globalisierung" als spezifische Form des antisowjetischen Imperialismus der USA stellt sich derzeit neu ein auf die Eindämmung der neuen zwischenimperialistischen Widersprüche. Die USA drängen beharrlich auf die Beibehaltung des Freihandelssystems, das sie begünstigt, und greifen im Namen der ,,Handelsfreiheit" - wie England zur Zeit des Opiumkriegs - und im Bewusstsein ihrer militärischen Übermacht die nationale Souveränität anderer an.

Stellen wir uns eine vollständige Emanzipation der Unternehmen von der Kontrolle durch die Zentralgewalten vor. Das Chaos, das sich daraus ergeben würde, würde neben internationalen Spannungen heftigste Wellen von sozialer Unzufriedenheit hervorbringen. Die Folge wäre ,,der Rückzug auf die Triade ... und eine generelle Apartheid, verbunden mit Völkermorden zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Beruhigung der Wohlhabenden und zum Schutz ihrer Reichtümer" (ebd., 58) Aber auch dann würden die konkurrierenden Blöcke sich schließlich ,,wechselseitig zerfleischen" und müssten sich entweder einigen und einen Systemführer wählen oder das Gewicht ihrer Feuerkraft, ihrer militärischen Arsenale in die Waagschale werfen. So oder so, bliebe einer und nur einer der Sieger der Partie. Nun, sagt Amin, ,,das hier skizzierte Szenario war der Traum Reagans".

Literatur

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