Kohl ist weg - keep cool now

Veränderte Koordination für linke Politik

in (12.04.2001)

Ein bisschen war alles anders am 27. September 1998: die Trends der Hochrechnungen verstärkten sich eher, anstatt sich auszutarieren, die Kommentatoren versprachen sich häufiger als sonst,...

Ein bisschen war alles anders am 27. September 1998: die Trends der Hochrechnungen verstärkten sich eher, anstatt sich auszutarieren, die Kommentatoren versprachen sich häufiger als sonst, Unsicherheiten bei den überraschten Gewinnern, elder statesmen steckten Verluste souverän ein - und traten ab. 7 Prozentpunkte waren nicht mehr dort zu finden, wo sie einmal waren. Zum ersten Mal seit Bestehen der BRD wurde eine Bundesregierung in öffentlichen Wahlen abgelöst.

Als ich etwa vor einem Jahr in Vorträgen und Zeitschriftenartikeln die These vertrat, dass der Neoliberalismus vom Hauptfeind der menschlichen Gesellschaft (Subcommandante Marcos) zu einem umkämpften, mehr und mehr umstrittenen Paradigma zur Lösung der Krise des Fordismus bei den herrschenden Eliten wurde, war die Begeisterung unter den Linken nicht gerade groß, eher exklusiv. Der mühsam-euphorische Kampf gegen den Neoliberalismus tobte noch und übersah dabei, dass dieses vermeintliche Allheilmittel kapitalistischer Restrukturierung mittlerweile selbst zu einem überwindungswürdigen Hindernis für die kapitalistische Entwicklung konvertiert war. Nicht die antikapitalistische Linke schaffte ein breites populares Bündnis gegen den Neoliberalismus (trotz Volksfront-Unterstützung der CDU!), vielmehr war es die Schmiedung einer "neuen Mitte", die ein breites, dafür um so unschärferes Bündnis gegen Kohl zustande brachte und den jetzigen "Wechsel von Menschen und Programme" (Gramsci) einleitete. Ein nicht geringer Teil der Linken fand sich in diesem Kampf "Seit an Seit" mit "guten Liberalen" wieder, um den Verwilderungen des "Kapitalismus pur" entgegenzutreten und diesen in zivilisierte Formen "zurück"zuführen. Diese Fähigkeit, aus der Zivilgesellschaft heraus neues Personal und neue Programmatiken - einschließlich ausgewählter Alt-68er - zur Konsolidierung kapitalistischer Verhältnisse zu generieren, war als eine Re-Artikulation von Staatlichkeit bestimmt worden, die unter der Führung einer "neoliberalen Sozialdemokratie" Aussicht auf Erfolg für eine Neuauflage des gescheiterten Hegemonieprojekts der Herrschenden versprach.

War das gar eine linke Mehrheit? Jenseits von CDU und FDP bedeutet noch nicht links. Das wusste schon Brandt, selbst mit einer anderen FDP. Mitnichten also, das wurde in den letzten Monaten des Wahlkampfs auch deutlich und blies alle Illusionen in den Wind: Kontinuität in der Außenpolitik, Innen- und Sicherheitspolitik und schließlich in der Verteidigungspolitik, verstärkte Innovationspolitik, härtere Arbeits- und Sozialgesetzgebung und eine Steuerreform, deren Etikettierung als "ökologisch" in weiten Teilen nur dem Ausgleich von Haushaltsdefiziten dient. Man könnte sagen: zwischen strukturkonservativ bis radikal halbherzig. Thomas Ebermann wusste sich auf einer Veranstaltung zur Buchmesse in Frankfurt denn auch keinen anderen Rat mehr, als die Unterstützung für eine solche Regierung, die nach seinen Worten schlimmer als Kohl ist, entweder durch eine "Ratsche" (Hau) oder durch Absicht zu erklären: eine linksradikale Publikumsbeschimpfung der (hoffentlich) aussterbenden Art.

Der Kick besteht jedoch vielmehr gerade darin, dass viele Leute den "Machtwechsel" trotz der zu erwartenden mageren Regierungsergebnisse wollten und ihn zudem als eine Öffnung nach links erlebten. Mit dem Wahlabend hatte sich das diskursive Feld der politischen Themen verschoben. Atomausstieg, Neuregelung der Staatsbürgerschaft, Frauenpolitik, Drogenpolitik, Umverteilung von unten nach oben, selbst ökologische Fragen eroberten die Aufmacher der Presse - Themen, die als entwertet galten, aber gleichwohl kritische, linke Power hatten und noch haben. Die eingeschliffenen kulturellen Verhältnisse der Politik haben einen gewaltigen Knacks bekommen, und diese Morgenluft lassen sich die Leute nicht von Griesgrämern vermiesen. Vor Illusionen gegenüber Regierungsprojekten zu warnen, ist eines; viel wichtiger scheinen mir die veränderten kulturellen und ideologischen Konstellationen zu sein, die linker Politik neue Chancen und neuen Schwung geben können. Es gilt also, zunächst die beiden Perspektiven zu trennen: einerseits auf die vorhersehbaren Ergebnisse der neuen Regierungspolitik, andererseits aber auf den mit dem Wählerumschwung einhergehenden kulturellen Wandel, der Raum für Diskussionen, politische Arbeit und die unterschiedlichsten Projekte und Veranstaltungen in Kultur, Musik, Bildende Künste schafft. Eine solche perspektivische Kraft der Linken am Leben zu erhalten und zu stärken, ist eine der vorrangigsten Aufgaben. Vergessen wir nicht, dass 16 Jahre Kohl für viele gleichbedeutend mit kulturellem Stillstand und/oder Subkultur, die ja oft auch Kuscheliges hat, sind; auch solche Deformationen gilt es zu überwinden, um zu geeigneteren, offeneren und demokratischeren Kommunikationsformen zu gelangen. In einem solchen Klima könnten sich die Ansätze der Neuen Sozialen Bewegungen der 80er Jahre neu formieren und das differenzielle Erscheinungsbild der Linken mit neuen Elementen anreichern. Bei dieser Wieder-Urbarmachung des kulturellen Feldes der Linken geht es aber gerade nicht um eine Neuauflage des absurden Gegensatzes von Bewegung und Partei. Parteien können und müssen wie andere Institutionen für eigene Projekte genutzt werden - sind sie doch selber Formen politischer Praxis, die in vielen Situationen einen Erkenntnisgewinn abwerfen, der Einblicke bis tief in hierarchische Verhältnisse freigibt. Das gilt auch für die institutionelle Arbeiterbewegung, die dringend ein neues mittel- bis längerfristiges Konzept für ihre Praxis braucht, vor allem unter Bedingungen der EU. Die Veränderung der allgemeinen Arbeitsverhältnisse war eines der zentralen Angriffspunkte der Neoliberalen der letzten Jahre, ohne dass die Gewerkschaften darauf eine adäquate Antwort gefunden hätten. Kurz: die konservative Kanzlerschaft hat einen Scherbenhaufen offener politischer Fragen hinterlassen, die nun einer breiten gesellschaftlichen Öffentlichkeit als noch zu lösende Problem zugänglich gemacht werden müssen. Und da wird sich schnell zeigen, dass die verschiedenen gesellschaftlichen Kräfte an der "Basis" weiter entwickelt sind, mehr Ideenreichtum zusammenbringen, als die Parteiapparate jemals gedacht haben und aus ihren Haushaltslöchern erkennen konnten. Mit anderen Worten: Was die nun regierenden Kräfte heute ins Regierungsprogramm schreiben, wird in vielen Punkten vom gesellschaftlichen Stand des Wissens, der Diskussion und der politischen Möglichkeiten her überholt sein. Das ließe sich für die Konservativen noch angehen, aber eine sich mutig gebende, mit einer neuen Rhetorik ausgestattete rot-grüne Mannschaft im Spagat zwischen Innovation und Gerechtigkeit, zwischen Wettbewerbsfähigkeit und "mehr Demokratie wagen" wird da mehr bieten müssen als hohle Sprüche und aufwandsneutrale Haushaltsspielereien. Vor allem dann, wenn sie auf eine Bevölkerung trifft, die Politik auch als eine aktive Form der Teilhabe an Demokratie betrachtet. Einmischen ist denn auch angesagt.

Kräfteparallelogramm

An dem veränderten Verhältnis von Regierten und Regierenden wollte ich deutlich machen, dass weder pauschaler Fatalismus noch blinde Euphorie weiterhilft. Was wir brauchen, ist neben breitem politischen Engagement (nicht nur Demos!) mehr analytische Schärfe bei den sich abzeichnenden Veränderungen. Wenn es im Grundgesetz § 20,2 heißt: "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.", und Brecht fragt, wo sie hingeht, so soll das weniger als kabarettistische Einlage verstanden werden denn als Aufforderung zur konkreten Analyse. Und das heißt letztlich auch, über Kräfteverhältnisse zu reden, zu debattieren. In diesem Sinne möchte ich einige der aktuellen Koordinaten anführen, um über deren Einschätzung etwas näher an Handlungsoptionen für eine linke Politik im Umbruch heranzukommen.

Erstens: Der "Wechsel von Menschen und Programmen" auf oberster Ebene ist weitgehend abgeschlossen und wurde weitgehend aus vorhandenen Potentialen mit nur geringen innovativen Einsätzen vorgenommen. Das bedeutet, dass in der Grundlegungsphase kaum noch Einfluss auf Politik möglich ist. Man wird also von dieser Grundlegung zunächst auszugehen haben. Darin dominiert ein bestimmtes parteiförmiges Kräfteverhältnis aus.

Zweitens: Vorrangige Regierungsziele werden sein: Bildung eines (selektiven) korporativen Blocks für Innovation und Wachstum zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit ("Bündnis für Arbeit"); ebenso Sicherung der Staatstätigkeit im engeren Sinne (Haushalts- und Fiskalpolitik) sowie Stärkung des juridischen Sicherheitsstaates nach innen; Kontinuität in der Außen- und Verteidigungspolitik; Forcierung der Bemühungen um einen europäischen Block (wirtschaftlich, politisch, militärisch) mit starkem deutschen Einfluss nach innen und außen. Das bildet die Hauptabteilung staatsmännische Verantwortungsethik, Helmut Schmidt u.a. wird ihnen beistehen.

Drittens: Die Arbeitslosigkeit wird mithilfe eines rigideren Arbeitsregimes zurückgehen. Die Sozialpolitik wird weitgehend stabilisierende Funktion für die Wirtschaft erhalten, die Steuerreform erhält angebotspolitischen Charakter (Senkung der Lohnnebenkosten), bringt den Arbeitnehmerhaushalten wenig und füllt bestenfalls die Haushaltskassen. Renten bleiben ein Problem. Der umfassend vorsorgende Wohlfahrtsstaat ist Vergangenheit, für den klassischen Kernbereich der Sozialdemokratie ist aber noch keine neue Lösung hervorgebracht worden.

Viertens: Die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts kostet wenig und sichert politisch Stimmen. Die finanzielle Lage der Kommunen bleibt prekär. Zuckerbrot und Peitsche.

Fünftens: Ökologie, Atompolitik, Frauen, Minderheiten, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Kooperation mit anderen Ländern bleiben marginal; Forschung und Entwicklung wird zielgerichtet gefördert. Selektive Hochschulpolitik. Wichtige Bereiche nachhaltiger Entwicklung werden zugunsten kurzfristiger Profitorientierung vernachlässigt.

Sechstens: Die im Neoliberalismus einsetzenden sozialstrukturellen Veränderungen werden sich mit dem zunehmenden Umbau der produktiven Basis des Postfordismus fortschreiben. Vereinzelungsprozesse werden weiter zunehmen, die sich nur zu flexiblen und vorübergehenden Interessenkoalitionen verbinden (homo oeconomicus), gleichzeitig aber die Polarisierung der Gesellschaft in ein wohlgesichertes Drittel oben und ein existenzbedrohtes Drittel unten - ohne starke Verbindung - vorantreiben ("Sanduhrgesellschaft"). Ob eventuell eine politisch induzierte stärkere Top-down-Schichtung ("Amerikanisierung") eine wirkliche Abhilfe schafft, ist fraglich.

Siebtens: Die seit längerem stattfindende, schleichende Erosion im Repräsentativsystem (Entmischung von fordistischen Normalsubjektivitäten) wird eine Neuzuordnung im Rechts/Links-Schema hervorrufen. Dabei werden Bedeutungsgehalte verschoben, entwertet oder neu geschaffen, die politische Neuorientierungen erfordern - vielleicht gemessen an einer imaginierten postfordistischen Achse des Grades an Zeitsouveräntität. Der Konservatismus wird eine neue Form erhalten werden, Linksradikale werden anders reden und schreiben, die klassische Sozialdemokratie ist jetzt schon tot - und auch die Linke des 21. Jahrhundert wird mit veränderten Werten, Diskursen und Praktiken ihren Neubeginn starten müssen.

Achtens: Diese Neuzusammensetzung des politischen Körpers wird kein ruhiger, reflexiver Prozess sein, sondern bildet einen bebenden Sockel von Praktiken, auf dem sich Akteure stärker an formalen denn an inhaltlichen Aspekten der Politik halten werden müssen - Felder besetzen, Distinktionen wahren, taktische Bündnisse schließen, Raum- und Zeitdimensionen beachten usw. Ein Großteil der inhaltlichen Bedeutungen wird unmittelbar durch diese Bewegungskämpfe bestimmt werden, anstatt dass Inhalte die Kampfformen eindeutig bestimmen.

Neuntens: Mit dem Ende des keynesianischen Wohlfahrtsstaates in den 70er Jahren (Jessop) hat sich entsprechend den Politikformen auch der Staatstyp verändert. Stärker fragmentiert und selektiv, eher moderierend, kooperativ (Esser) und konsultierend tätig, leitet sich staatliches Handeln weniger daraus ab, Ziele seines eigenen Handelns zu kennen, als vielmehr in den vielen differenzierten Moderationen und Aushandlungsprozessen den Verlauf so weit zu lenken, dass diese nun streitbaren Ergebnisse maßgeblich die Zielvorgaben definieren, die in medialen Prozessen noch massenwirksam gemacht werden müssen. Wissen und Wissensformen sind eher seine Ergebnisse als seine Voraussetzungen.

Zehntens: Damit wird aber auch das Wissen um die Zugänge zu politischen Arenen wichtiger, ja entscheidend. Sprechkorridore, personal connections, Seilschaften und andere "Steigleitungen" bestimmen mit hoher Treffsicherheit das, was nach "unten" als politische Selektion wahrgenommen wird, in umgekehrter Perspektive für politisch handlungsrelevant gilt. So gesehen gehört Selektion im Vorfeld bereits schon zur vielgerühmten Wissensgesellschaft, die keineswegs an sich demokratisch ist.

Re-Formierung von Links

Den Sozialdemokraten oder gar den derzeitigen Grünen "Verrat" vorzuwerfen, würde lediglich unsere eigene Subalternität bescheinigen. Sie sind beide das Ergebnis ihres eigenen Politikverständnisses, wie es sich unter konservativer Herrschaft herausgebildet, verändert hat - was viele nicht daran gehindert hat, sie dennoch zu wählen. Kohl ist zwar weg, der Kampf geht dennoch weiter! Die Ergebnisse sind mager, aber die Stimmung ist gut. Dieser kulturelle Aufbruch könnte in eine gesellschaftliche Praxis auf breiter Basis überführt werden, der die vorhandenen Kräfte der Linken jenseits aller Differenzen neu bündelt. Wenn ich das recht sehe, bedeutet das derzeit vor allem zweierlei:

Erstens sollten geeignete Formen gefunden werden, innerlinke Berührungsängste zurückzudrängen und in eine offene und öffentliche Diskussion um eine Re-Formierung von Links einzutreten. Dabei könnten sowohl überkommene geronnene Erfahrungen aus diesem Jahrhundert zusammen mit Erfahrungen Jüngerer in neue zukunftsträchtigere Themen und Fragestellungen transformiert werden und einer breiten Debatte zugeführt werden - z.B. auch die seit 68 diskutierte Frage der Organisations- bzw. Parteiform. Möglicherweise stellen sich zweckgebundene, partielle und strategisch gut eingesetzte Bündnisse in bestimmten Fragen als geeignetere Organisationsformen heraus, ansonsten genügt ein eher lockeres Netzwerk mit gut organisierten Informationsflüssen. Jedenfalls sollte die gemachte politische Praxis durchaus ausgewertet und verarbeitet werden können.

Zweitens und parallel dazu sollte die neue Regierungspolitik einer kritischen und laufenden Beobachtung unterzogen werden sowie entsprechende Vorstöße in Richtung einer Einmischung versucht werden. Ziel ist die punktuelle Ausarbeitung von linken Alternativen in der Politik, die nichtsdestoweniger eine Umsetzungschance haben. So könnte die Re-Formierung in eine theoretisch fundierte und praktisch wirksame Linke gelingen, die sich offensiv den Aufgaben in Richtung einer Überwindung kapitalistischen Formen der Vergesellschaftung stellt.

Insgesamt muß das nicht als Doppelherausforderung aufgefasst werden. Organisationsfragen, theoretische Debatten und Erfahrungswissen gehören eng zusammen, bedürfen jedoch besonderer Betreuung, weil sie allzu schnell auseinander klaffen und eine geeignete Dialektik in diesen Fragen not tut.

Solange der zur Zeit auszuhandelnde Koalitionsvertrag noch nicht vorliegt, kann eine genauere Ausrichtung an den inhaltlichen Festlegungen nicht vollends gelingen. Gleichwohl scheinen mir solche zugegeben noch ziemlich abstrakte Überlegungen wichtig, weil so Umrisse einer politischen Praxis einer Linken nach Kohl sichtbar werden. Unser Jahrhundert hat drei Typen des Kapitalismus erlebt und ins Geschichtsbuch verwiesen: den sowjetischen Staatskapitalismus, den Faschismus der Nazis und das sozialdemokratische Modell des New Deal oder des Fordismus. Der Übergang zum 21. Jahrhundert zeichnet sich dadurch aus, dass der utopische Vorrat verbraucht scheint - sowohl auf der Seite der Herrschenden als auch der Subalternen. In unsicheren Zeiten scheint uns das Hemd der Gewohnheit näher als der Rock der Wagnis. Das ist auch der Nährboden für konservatives bis reaktionäres Denken. "Sicherheit statt Risiko" war denn auch das ultimative Motto der Kohl-Mannschaft, wie wird es das Duo Schröder-Fischer formulieren? Von Geschlossenheit ist jetzt schon ausreichend die Rede. Guiseppe Tomasi di Lampedusa hatte in seinem Roman "Der Leopard" den Niedergang seiner aristokratischen Familie in Sizilien verarbeitet und brachte dort das Prinzip des aufkommenden Kapitalismus auf den Punkt: "Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, müssen wir alles ändern." Damals noch aus einer fremdbestimmten Situation geschrieben, ist es heute zu dem Movens kapitalistischer Kräfte geworden - "Akkumuliert!" Okay, wir haben begriffen, dass ihr die Welt verändert, einschließlich uns selbst. Aber wir stimmen mit der Art und Weise nicht über ein, vor allem nicht mit den naturwüchsigen Ergebnissen. Längst ist die soziale Frage in eine sozialökologische Fragestellung aufgegangen. Unser privilegiertes Entwicklungsmodell im Nordwesten des Globus - sofern es noch funktioniert - ist nicht nur ein ungerechtes, exklusives Modell, es ist ohne existenzielle Schädigungen auf Dauer auch nicht zu halten. Antikapitalistischer Kampf hatte einmal viel mit dicken Zigarren und Zylinderhüten zu tun und basierte noch stark auf der Feindschaft gegen die "bösen anderen", Revolution und Reform waren unterschiedliche Tempi auf einem einzigen universellen Entwicklungspfad. Heute steht dieser Entwicklungspfad selber zur Disposition. "Weiter so!" sagen die einen, und was sagen wir? Wir sollten begreifen, das Erreichte zu sichern, es auszubauen, unsere Kräfte zu bündeln. Es wird um einen grundlegend anderen, alternativen Entwicklungskorridor gehen, wenn wir eine sozialökologische, eine nachhaltige Entwicklung wollen. Ob eine solche innerhalb des Kapitalismus möglich ist, wird sich herausstellen, erscheint eher unwahrscheinlich. Lampedusas Motto sollte jedenfalls umformuliert werden: "Wenn wir eine globale nachhaltige Entwicklung wollen, dann müssen wir zwar noch vieles verändern, vor allem aber die Art der gesellschaftlichen Veränderung selbst." Wenn schon Kabarettisten nach dem Regierungswechsel umlernen müssen, warum sollte das eine re-formierte Linke nicht auch können.