Einige überhebliche Arten, sich der SF zu nähern

in (12.04.2001)

"Glauben Sie, dass man Science Fiction ernsthaft als Literatur bezeichnen kann?"

Während der letzten Handvoll von Jahren, hat meiner Meinung nach diese Frage - in dieser Zeit habe ich die unterschiedlichsten Science Fiction-Kurse an verschiedenen Universitäten gehalten und an vielen offiziellen und privaten Diskussionen teilgenommen - diejenige vom ersten Platz auf der Liste barocker unbeantwortbarer Fragen, die das Leben eines Science Fiction-Autors schwer machen, verdrängt, die da lautet: "Wo bekommen die Science Fiction-Autoren ihre Ideen her?"

Was solche Art von Fragen so schwer macht, ist, dass sie eine Reihe von Bedingungen voraussetzen, die eine genaue Antwort beim besten Willen nicht erfüllen kann. Zum Beispiel die Frage: "Wo bekommen die Science Fiction-Autoren ihre Ideen her?" setzt voraus, dass es einen oder mehrere Orte gibt, wo Ideen unabhängig von den Schriftstellern existieren und dass die Autoren dorthin gehen können, um sich zu bedienen. Diese Frage hat dieselbe logisch-grammatikalische Form wie: "Wo bekommen Restaurantbesitzer ihre Steaks her?" Aber es gibt keine Antwort der logisch-grammatikalischen Form wie: "Von den hervorragenden Schlachthöfen auf der West Side jenseits der 14.Straße", die sie beantworten würde. Nichtsdestoweniger erwartet die Frage eine Antwort in dieser Form.

Wenn, wie auch immer, wir die Form der Frage von "Wo bekommen die Science Fiction-Autoren ihre Ideen her?" zu "Durch welchen Prozess entwickeln sich Science Fiction-Ideen im Kopf des Autors?" abändern, dann ist die Antwort ziemlich einfach:

"Damals wie heute bekommen die Science Fiction-Autoren ihre Ideen durch ihre besondere und phantasievolle Reaktion auf das Alltägliche, das Gewöhnliche und die Langeweile."

Ein Beispiel gefällig? Meine Bekannte Luise fährt eine Ausfallstraße entlang, und ich sitze neben ihr und lese in einer Zeitschrift. Ich blicke zufällig aus dem Fenster, als wir gerade an drei Plakatwänden vorbeifahren. Fünf Minuten später schaue ich wieder auf, und zwei weitere Plakatwände gleiten vorbei. Doch ich wende mich sofort wieder meiner Zeitschrift zu. Weitere fünf Minuten später schaue ich wieder hoch - um wieder eine Plakatwand zu sehen! Nun, während der Zeit, als ich las, waren möglicherweise weitere Plakatwände neben der Straße. Das ist ziemlich sicher. Doch während einer Zeitspanne von zehn Minuten ergab es sich, dass ich jedesmal, wenn ich aufblickte, eine Plakatwand sah. Plötzlich dachte ich mir: Stell dir vor, neben der Straße würden überall Plakatwände stehen - auf der ganzen Länge! Stell dir vor, beide Straßenseiten wären eingerahmt von Werbeplakaten ...! Und wenn ich nun zufällig Frederik Pohl oder C.M. Kornbluth gewesen wäre, hätte ich mir diese Idee für meinen Science Fiction-Roman Eine Handvoll Venus und ehrbare Kaufleute aus dem Jahre 1952 aufgehoben, in dem diese Idee (neben vielen anderen) noch heute eindrucksvoll wirkt. Im allgemeinen entstehen Science Fiction-Ideen aus einer Kombination von Zufall und Vorstellungsvermögen, einer Verzerrung des Alltäglichen und der Tagesereignisse, die zu einem denkbaren Bild der Zukunft zusammengesetzt werden können. Nun, worin liegt der Nutzen? Ich gehen davon aus, dass von jeweils fünfzig solcher Ideen, die einem Science Fiction-Autor durch den Kopf schießen, neunundvierzig als trivial oder dumm verworfen werden. Wenn dann einige, oder einige hundert gute Ideen gesammelt sind, ist es nochmal eine ganz andere Sache, daraus eine Geschichte zu machen. Aber wie so viele Dinge im Denken, wird dies mit zunehmender Übung einfacher. Weiterhin glaube ich sagen zu können, dass dies nicht die Art und Weise ist, wie die Schriftsteller der Mainstream-Literatur im allgemeinen zu ihren Ideen kommen, oder Verfasser von Theaterstücken, oder Autoren historischer Romane, oder Lyriker - außer es handelt sich um eine ausgesprochene Science Fiction-Idee.

Versuchen Sie sich daran zu erinnern, wenn Jean-Luc Godards Film Lemmy Caution gegen Alpha 60 das nächste Mal im Fernsehen gezeigt wird. Die Bilder des Films zeigen die gewöhnliche, alltägliche Welt: Hochbahnen fahren bei Nacht durch einen Pariser Vorort, Männer in identischen dunklen Anzügen, in fluoreszierendes Licht getauchte Bürogebäude nach Dienstschluss, Fensterventilatoren rotieren hinter Drahtgittern. Die Stimme aus dem Off dagegen spricht von Raumschiffen, die sich durch die intergalaktische Nacht bewegen, von bestens trainierten nichtmenschlichen Spionen, von hochwissenschaftlichen Institutionen und monströsen futuristischen Maschinen. Kurz, die Bilder sind nicht aus Science Fiction-Elementen zusammengesetzt, sondern aus den gewöhnlichen Dingen, die für Science Fiction-Ideen ursächlich sind. Daneben handeln die Dialoge (und das Geschehen) von den Science Fiction-Ideen, die durch diese gewöhnlichen Dinge vielleicht hervorgebracht werden. Der Film handelt von nichts anderem als der Art, wie Science Fiction-Autoren (oder -Filmmacher) ihre Ideen bekommen!

Damit ist etwas zu erklären, das ich seit über zehn Jahren sage (und schreibe): Science Fiction handelt nicht von der Zukunft; sie benutzt die Zukunft als eine Erzählform, um die Gegenwart in deutlich verzerrter Form darzustellen. Das wesentliche Element der Verzerrung und die adäquate Erzählform sind die beiden Bedingungen für die Schilderung einer möglichen Entwicklung, die unsere heutige Wissenschaft nicht in der Lage ist, als unmöglich abzuleugnen. Science Fiction handelt von der gegenwärtigen Welt - einer vorgegebenen Welt, die Autor und Leser gemein ist. Aber sie ist keine Metapher für diese vorgegebene Welt, auch nicht für eine umfassende Inversion, eine ausgiebige Relation zwischen der vorgegebenen Welt und der Verzerrung dieser durch die Science Fiction. Science Fiction stellt in einer Art ein Gleichgewicht, einen Dialog, eine Spannung zu dem Vorgegebenen her, doch es gibt zur Zeit nur wenige wissenschaftliche Begriffe, die in der Lage sind, diese gegensätzliche Beziehung, die die Science Fiction etabliert, enthält, voraussetzt, ausnutzt, umstößt und sogar manchmal, zeitweise, völlig zerstört, zu beschreiben.

Science Fiction handelt von der gegenwärtigen Welt; und aus den Möglichkeiten ihrer zukünftigen Verzerrung entsteht neben der Wechselwirkung ihre eigentliche Kraft. Wohlwollende Kritiker der Science Fiction kommen ins Schleudern, wenn sie versuchen, aufzuzeigen, dass die Bedeutung der Science Fiction mehr in dem engen Rahmen der Dinge zu suchen ist, die eintreffen werden, eintreffen sollten oder niemals eintreffen sollten.(1) Diesen Fehler hat Julia Kristeva in einem anderen Zusammenhang die "positive Falle" genannt.

Doch was war unsere eigentliche Frage:

"Kann man Science Fiction ernsthaft als Literatur bezeichnen?"

Was wird hier vorausgesetzt?

Erstens wird angenommen, dass die Art, wie Literatur traditionell ernst genommen wird, eine gute Sache ist und historisch als eine Weitergabe des richtigen Wissens in Anerkennung des inhärenten Wertes eines literarischen Textes fungiert.(2) Das heißt, was hier wirklich gefragt wird, ist folgendes: Hat Science Fiction, genau wie andere Literatur, einen inhärenten Wert? Zweitens ist es die sehr viel vagere und allgemeinere Voraussetzung, dass Science Fiction und Mainstream-Literatur den gleichen allgemeinen Prinzipien folgen, nach denen sie ihre Aussagen gestalten, so dass man sie möglicherweise unter gleichen Voraussetzungen betrachten kann.

Die erste Voraussetzung, nach der man Literatur traditionell als eine gute Sache ansieht, steht seit dem Anwachsen der Bildung seit der Mitte des 19. Jahrhunderts unter einer allgemeinen, wenn auch halbherzigen, Kritik, doch diese Kritik hat hauptsächlich pädagogische Gründe. Der übliche Hinweis der Lehrer, "zu wissen, was der Text aussagt", zusammen mit einem Repertoire interpretativer Techniken, das dies herauszufinden ermöglicht, war weder effektiv noch beliebt bei den meisten Schülern, selbst wenn sich die motiviertesten Lehrer darum bemühten. Vor kurzem, in den literaturwissenschaftlichen Arbeiten, die unter die Doppelbegriffe "Poststrukturalismus/Semiotik" fallen, ist diese Auseinandersetzung auf einer theoretischen Ebene wieder aufgeflammt, wobei die pädagogischen Gründe diesmal vor der Tür blieben.

Folgt man den kritischen philosophischen Studien von Jacques Derrida, wird deutlich, dass praktisch jeder Text, wenn man ihn nur sorgfältig genug liest, beides, Denotationen und Konnotationen hervorbringt, die einander widersprechen, die sich gegenseitig aufheben, die sich gegenseitig in einer Weise beeinflussen, dass die Aussage "zu wissen, was der Text meint" auseinanderbröckelt - "überaus problematisch" wird, wenn man sie im Sprachgebrauch der Komparatistik verwendet. Diese vielen und widersprüchlichen Denotationen und Konnotationen eines Textes herauszufiltern und die Beziehung zwischen ihnen auf einer formalen Ebene herauszuarbeiten, wird in dem oben angesprochenen Zusammenhang die "Dekonstruktion" des Textes genannt.

Obgleich man heutzutage viel von "Strukturalismus", "Semiotik" und "Dekonstruktion" hört, ist es doch so, dass die Zahl der Kritiker, die die Aussage eines Textes wirklich unter diesen Aspekten untersuchen, recht gering ist. Es auf eine wirklich sinnvolle Art und Weise durchzuführen, erfordert sehr viel Wissen, eine außerordentliche Exaktheit, endlose Geduld und große wissenschaftliche Befähigung. Und keine dieser Tugenden ist in den Literaturfachbereichen der Universitäten in ausreichendem Maße vorhanden. Trotz dieser neuen Forschungsrichtungen machen die Literaturfachbereiche so weiter wie schon immer: Sie lehren das übliche Repertoire, wie man einen Text interpretiert, ob es nun angewendet werden kann (auf theoretischer Ebene) oder nicht.

Das bringt uns zu unserer zweiten Erwartung: dass die Erzählhaltung der Science Fiction vergleichbar mit der der Mainstream-Literatur ist, so dass man beide mit dem gleichen Mittel der Interpretation behandeln kann.

Die Handlungsführung, kontrastierend oder in anderer Form, die den Science Fiction-Text konstituiert, ist in grundsätzlich anderer Weise gestaltet als die der Mainstream-Literatur.

Ich habe mich dem Problem der gänzlich anderen Handlungsführung bei Science Fiction-Texten in einigen Aufsätzen in meinem Sammelband The Juwel-Hinged Jaw und auf einer wesentlich theoretischeren Ebene in meinem Buch The American Shore gewidmet. Ich habe eine sechzehn Seiten lange Science Fiction-Story, "Angouleme" von Thomas M. Disch, genommen und untersucht, wie man den Text als Science Fiction-Story von Anfang bis Ende liest. Wenn man eine Science Fiction-Story aufmerksam liest, stellt man fest, dass praktisch jede rhetorische Figur in einem Science Fiction-Text eine andere Funktion hat als in einem Text der Mainstream-Literatur. Auflistungen, Übertreibungen, geschichtliche Bezüge, Beschreibungen des Schönen, Parodie, psychologische Überlegungen, sogar die wörtliche Bedeutung von vielen verschiedenen Redewendungen und Bildern werden in der Science Fiction anders gelesen als in der Mainstream-Literatur. Es würde ein Buch ergeben, wollte man alle Einzelheiten aufzählen. Doch die allgemeine Richtung, an der sich diese Unterschiede festmachen lassen, ist einfach aufzuzeigen.

Der Autor der Mainstream-Literatur erzählt seine Geschichte vor dem mehr oder weniger lebhaft geschilderten Hintergrund der vorgegebenen Welt. Ich sage "vorgegebene Welt" lieber als "reale Welt", weil die Welt der naturalistischen Texte der Mainstream-Literatur eine höchst konventionelle Angelegenheit ist. All diese Konventionen haben, wenn man sie genauer untersucht, viel mehr mit anderen Büchern gemeinsam als mit irgend etwas, das man als "real" bezeichnen könnte. Der Science Fiction-Autor, wie auch immer, erschafft eine Welt, die sich auf eine wesentlich freiere Art in Übereinstimmung mit (im Widerspruch zu, oder sich davon abhebt) einerseits der vorgegebenen Welt und andererseits den Charakteren der Erzählung befindet. Natürlich folgt auch diese Vorgehensweise ihren Gesetzen; doch anders als einfach festzustellen, welchen Teil der vorgegebenen Welt der Mainstream-Autor in einer bestimmten Erzählung heraushebt, muss der Leser einer Science Fiction-Story sich im Kopf eine neue Welt erschaffen, die in jeder Science Fiction-Story, die er liest, nach anderen Gesetzen funktioniert. Die vielen Sprachstile, die Science Fiction-Autoren hervorbringen, fügen sich in ihre alternativen Welten ein und geben ihnen Farbe. Genauso wie die Form der Sprache die Interdependenz zwischen der Story und der Welt bestimmt, konstituiert sie den wesentlichen Unterschied zwischen Science Fiction- und Mainstream-Text, verändert sich die Lesart der verschiedenen rhetorischen Figuren, die in beiden Texten benutzt werden und gebiert unterschiedliche rhetorische Figuren im jeweiligen Text.

Die Universitäten sind voll von Leuten, die grundsätzlich keine Science Fiction lesen. Diese Leute leiden unter nichts Schlimmerem als Snobismus und ihre Leiden interessieren mich wirklich nicht. Aber es gibt viele Leute, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Universitäten, die ganz aufrichtig nicht in der Lage sind, Science Fiction zu lesen, was bedeutet, dass sie versucht haben, ein paar Science Fiction-Stories zu lesen, nur um herauszufinden, dass ein Großteil des Textes für sie einfach keinen Sinn ergibt. Manchmal sind dies sogar hochgebildete Leser von literarischen Texten.

Mehrere Male hatte ich inzwischen die Gelegenheit, ein paar Science Fiction-Texte mit solchen Leuten zu lesen, den Science Fiction-Text langsam zu lesen, Wort für Wort, Satz für Satz, zu erklären, was angesprochen ist und was nicht. Wenn man einen Science Fiction-Text in dieser Weise mit solchen Leuten liest, wird klar, dass ihre Schwierigkeiten gänzlich in ihrer Unfähigkeit begründet sind, sich eine alternative Welt, die der gesamten Aussage der Erzählung ihren Sinn gibt, vorzustellen. Obwohl diese Leute keine Schwierigkeit haben, sich eine ländliche Druckerei bei Balzac, eine Schule bei Dickens oder ein Wohnzimmer bei Austen vorzustellen, sind sie absolut gelähmt, wenn ein ganz gewöhnlicher Satz eines heutigen Science Fiction-Autors vor ihnen steht, wie etwa "We cruised through the monopole magnet mining operations in the outer asteroid belt of Delta Cygni". (Etwa "Wir durchflogen den Bereich des Monopolmagneten-Bergbaus im äußeren Asteroidengürtel von Delta Cygni.")

Die Unfähigkeit ist nicht so sehr eine Unfähigkeit im Vorstellungsbereich, sondern es ist eine Unfähigkeit, auf den Text, Wort für Wort, einzugehen. Untersuchen wir diese Unfähigkeit an diesem spezifischen Teil eines Textes.

Monopolmagneten

Zuerst muss ich sagen, dass die meisten Leser, mit denen ich gearbeitet habe, keine Vorstellung davon hatten, was Monopolmagneten sein könnten. Monopolmagneten gibt es nicht, zumindest soweit wir wissen. Sämtliche Magneten, die wir auf der Erde gefunden bzw. entwickelt haben, sind Dipole; sie haben zwei Pole, einen "Nordpol" und einen "Südpol". Wenn man zwei gleiche Pole zusammenbringt, dann stoßen sie sich ab, bringt man ungleiche Pole zusammen, dann ziehen sie sich an. Und das gilt für jeden Magneten, den wir kennen. Aus diesem Grunde bedeutet die Erwähnung von "Monopolmagneten", dass in unserem Universum eine völlig neue Art von Magneten entdeckt worden ist, weiterhin bedeutet es, dass vielleicht ein ganz neuer Zweig der elektromagnetischen Technologie entstanden ist (jeder Elektromotor, Generator, Transformator ist ein Beispiel für die heutige elektromagnetische Technologie), die die Dinge in der Welt, oder den Welten, des Universums dieses Science Fiction-Textes verändert hat.

Monopolmagneten-Bergbau

Einer der Leser, unabhängig davon, dass er keine Vorstellung davon hatte, was Monopolmagneten sein könnten, vermutete, dass, was immer sie auch seien, der Bergbau mit Hilfe dieser Magneten vorgenommen wurde und nicht, um sie zu gewinnen. Nun, eine Formulierung wie Goldbergbau oder sogar Uranbergbau hätte nicht zu einem solchen Irrtum geführt. Es ist überflüssig zu erwähnen, dass dieser Leser völlig verwirrt von den nachfolgenden Ereignissen in diesen Minen gewesen wäre.

Der Monopolmagneten-Bergbau im äußeren Asteroidengürtel

Ein weiterer Leser, schon genauso verwirrt wie die anderen von dem Monopolmagneten-Bergbau, dachte, ein Asteroidengürtel wäre "ein Gürtel von Steinen um einen Planeten". Nun gut, wenn man Sonne für Planet einsetzt, könnte man es auf diese Weise ausdrücken. Doch als ich diesen Leser weiter fragte, stellte ich fest, dass er eine Vorstellung von Steinen in seinem Kopf hatte, "die nicht sehr groß seien, vielleicht einen Meter im Durchmesser" und dass sie "eng zusammen wären", so dass höchstens ein Zwischenraum "von ein paar Zentimetern bis zu einem Meter zwischen ihnen wäre". Für diesen Leser bestanden "die Minen wahrscheinlich aus Schläuchen zwischen den Steinen ... Vielleicht sind die Steine auch in den Schläuchen ...?" Und was bedeutet das Wort äußere? Über die Hälfte der Leser glaubte, dass äußere eher bedeutete, dass der Abbau jenseits des Gürtels aus Steinen stattfinde als innerhalb. Und Delta Cygni? Vielleicht war das ein "Bereich im Weltall" oder "ein Planet".

Geduldig und immer wieder musste ich diesen Leuten (einige von ihnen hatten tatsächlich Bücher und Artikel über verschiedene literarische Themen veröffentlicht) erklären, dass der Asteroidengürtel in unserem Sonnensystem ein "Ring aus Steinen" ist, der die Sonne in einem größeren Abstand als unsere Erde umkreist, und dass, obwohl einige dieser Steine einen Kilometer oder sogar Hunderte von Kilometern im Durchmesser sind, die meisten sehr viel kleiner sind: erbsengroß oder wie Staubkörner. Außerdem musste ich ständig wiederholen, dass sogar die staubkorngroßen Kilometer voneinander entfernt sind und die erbsengroßen oder noch größeren Tausende von Kilometern. ("Aber wie können sie dann Schläuche von einem zum anderen bauen?") Es musste ihnen gesagt werden, dass Delta Cygni ein Stern, eine andere Sonne, im Sternbild Cygnus, dem Schwan, ist und dass damit der vierthellste Stern des Sternbilds bezeichnet wurde. ("Woher wissen Sie, dass es der vierthellste ist ...?" "Weil Delta der vierte Buchstabe im griechischen Alphabet ist, und die astronomische Übereinkunft bei der Benennung sagt ...") Doch es war nicht damit abgetan, dies einfach einmal zu erklären. Man musste es wiederholen, es wurde hinterfragt und nochmals erklärt. ("Was heißt das, 'eine andere Sonne'?") Man musste ihnen erklären, dass "äußerer Asteroidengürtel" der kurze Hinweis des Autors ist, uns zuerst einmal daran zu erinnern, dass unsere Sonne nur einen Asteroidengürtel hat, während er andeutet, dass Delta Cygni möglicherweise ein Stern mit zwei Asteroidengürteln ist, von denen einer sich logischerweise weiter ausserhalb als der andere befindet. ("Nun, wieviel weiter draußen?" "Man kann das natürlich nicht mit Sicherheit sagen, aber mehrere Millionen Kilometer kann man schon annehmen." "Mehrere Millionen Kilometer?") Man musste ihnen begreiflich machen, dass der angesprochene Abbau von Magneten eher im äußeren Asteroidengürtel stattfand, denn im inneren. ("Aber woher weiß der Autor, dass es zwei gibt? Woher wissen Sie das?") Alle diese Leute waren in der Lage, mit einem Roman des 19. Jahrhunderts zurechtzukommen, egal ob er von einem russischen Grafen auf seinem Familienbesitz außerhalb von Moskau geschrieben wurde, einer tuberkulösen Pfarrerstochter, die mit ihrer Schwester am Rande eines englischen Moores lebte, oder von einem ehemaligen Drucker in Paris, der bis zum Alter von dreißig Jahren nichts außer kleinen Gelegenheitsversen hervorgebracht hatte und sich dann entschloss, etwas Anspruchsvolles zu schreiben.

Doch für genau diese Leser evoziert ein Satz wie Die Sterne sind Sonnen, viele mit Planeten wie unsere eigene keine klare, deutliche Vorstellung, die sich an den richtigen Größenverhältnissen, den planetarischen im Sonnensystem und dem galaktischen Aufbau des Universums orientiert. Es fällt unter die Rubrik der unverständlichen, verwirrenden Dinge, der großen, unbegreiflichen Zusammenhänge, die das "ganze wissenschaftliche Zeugs" ausmachen, dem sie ihr Leben lang ausgewichen sind.

Im 19. Jahrhundert war sich Sir Arthur Conan Doyle, dessen "Dr. Challanger"-Geschichten einige der deutlichsten Beispiele für Proto-Science Fiction sind, dieses Problems überraschenderweise bewusst. Er schrieb darüber, seltsam genug, in einer seiner Sherlock Holmes-Erzählungen.

In einer Holmes-Erzählung (zufällig die gleiche, in der wir erfahren, dass Holmes Kokain nimmt) ist Dr. Watson erstaunt herauszufinden, dass sein Freund Holmes, der so viel aus Katzenhaaren, Schuhabdrücken und Kratzern auf dem Straßenpflaster herauslesen kann, nicht weiß, dass sich die Erde um die Sonne dreht, dass er, mit Dr. Watsons Worten gesprochen, "die gesamte kopernikanische Theorie der Planetenbewegung" ignoriert.

Holmes erklärt (egal wie unaufrichtig diese Erklärung heute klingt), dass Katzenhaar, Schuhabdrücke und Ähnliches sein gegenwärtiges Leben und sein Auskommen beeinflussen, doch es mache keinen Unterschied, ob sich die Erde um die Sonne oder die Sonne um die Erde bewegt. Deshalb bräuchte er solche Sachen auch nicht zu wissen; und mehr noch, selbst als Dr. Watson ihn jetzt darüber aufgeklärt hat, will er diese Dinge so schnell wie möglich wieder vergessen. Wenn das stimmt, was Holmes über sich sagt, können wir mit Sicherheit behaupten, dass er beim Abbau von Monopolmagneten im äußeren Asteroidengürtel genauso hilflos sein würde wie jeder unserer Leser von Romanen aus dem 19. Jahrhundert; genauso sicher können wir aber sein, dass Watson (genau wie Doyle der Science Fiction-Autor war) der Science Fiction-Fan gewesen wäre, wenn er jemals eine der Proto-Science Fiction-Stories seines Schöpfers gelesen hätte.

Doch die Unfähigkeit, sich ein Szenario auf der astronomischen Ebene vorzustellen, erschöpft nicht die "imaginative Unfähigkeit" dieser Leser. Diese Leser, die sich dabei wohlfühlen, einer sozialen Analyse von Balzac oder Austen oder sogar eines Durkheim, Marx oder Weber zu folgen, kommen bei der Beschreibung eines Protagonisten ins Schwimmen, der in einen Drugstore geht, um eine Packung Enthaarungspflaster zu kaufen und "... seine Kreditkarte in den Kassenschlitz steckt, worauf die Rechnung an die städtische Bank übermittelt und gegen sein Guthaben aus der Bezahlung für seinen ersten und zweiten Job aufgerechnet wird."

Für den Science Fiction-Leser impliziert ein solcher Satz die gesamte Neuorganisation der Gesellschaft nach den Maßgaben von Kredit, Umsatz, Computerisierung und Arbeitskraft. Natürlich kann niemand erwarten, dass man durch einen einzigen Satz die gesamten Details dieser Neuorganisation kennt; aber auf der anderen Seite kann man zumindest schemenhaft die allgemeinen Konturen erkennen. Und diese Konturen sorgen für den kleinen, Science Fiction gemässen Schauder, der das Vergnügen an der Vision der Science Fiction ausmacht. Die Leser, mit denen ich gearbeitet habe, reagierten auf diesen Satz: "Warum hat er nicht mit dem Geld in seiner Tasche bezahlt?" und waren überrascht, als ich ihnen sagte, dass der Protagonist wahrscheinlich kein Geld bei sich trägt. ("Aber woher wissen Sie das ...?") Diese Leser, gewöhnt an die vorgegebene Welt der Mainstream-Literatur, tendieren dahin, die Science Fiction der vorgegebenen Welt überzustülpen und stürzen sich dadurch in heillose Verwirrung. Sie wissen noch nicht, dass die Science Fiction die Elemente der vorgegebenen Welt ersetzt, auslöscht und neu organisiert und neue Welten kreiert. Die Hilfen, die Vorschläge, die verpassten Gelegenheiten und sogar manchmal die genialsten Würfe, mit denen die erfahrensten Science Fiction-Autoren die alternative Welt skizzieren, ergeben bei ihnen kein zusammenhängendes Bild, sondern nur einen verwischten Eindruck und eine undeutliche Verzerrung der vorgegebenen Welt, die sie gewöhnt sind.

Dadurch, dass diese Leute Science Fiction-Texte mit mir lasen, war ich in der Lage, bei ihnen ein Verständnis hervorzurufen, d.h. für die Texte, die wir gemeinsam lasen. Aber das Gefühl, dass sie jetzt besser vorbereitet wären, weitere Science Fiction zu lesen, hielt sich mit dem die Waage, dass die tatsächliche Komplexität der Science Fiction sie sogar noch mehr verschrecken werde, als sie sich bisher hatten träumen lassen.

Ein Grund für die pädagogischen Probleme, die die Literatur der letzten anderthalb Jahrhunderte gehabt hat, ist ein einfacher Umstand, den jeder, der einmal im Ausland gewesen ist, begreifen kann. Wenn jemand eine Sprache beherrscht, kann er sich schwer vorstellen, dass ein anderer sie nicht beherrscht. Egal wie viele Hilfestellungen jemand gibt, man wird nicht verstanden, und tief im Innern bleibt immer der quälende Verdacht, dass man auf den Arm genommen wird, oder dass der andere sich einfach keine Mühe gibt oder gehässig ist. Die Konventionen von Lyrik, Drama, Mainstream-Literatur, aber auch Science Fiction, sind für sich genommen selbständige Sprachen. Wenn man eine dieser Sprachen gelernt hat und sich in den Texten, die sie benutzen, zuhause fühlt, ist es sehr schwer, davon überzeugt zu werden, dass ein anderer diese Sprache nicht versteht, besonders wenn die Texte in der eigenen Muttersprache verfasst sind, erwartungsgemäß die Sprache, die beide sprechen. Wie die meisten Sprachen lernt man die Science Fiction-Sprache am besten früh und an Beispielen. Einige meiner erwachsenen Leser fühlten sich etwas düpiert, als sie feststellten, dass sich ihre zwölfjährigen Kinder in beiden Welten, der des Monopolmagneten-Bergbaus und der der computerisierten Kreditwirtschaft, in einer Art zurechtfinden, wie es ihren Eltern unmöglich ist.

An diesem Punkt nun ist es an der Zeit, zu unserer anfänglichen Frage zurückzukehren.

"Glauben Sie, dass man Science Fiction ernsthaft als Literatur bezeichnen kann?"

Zuerst muss man die Frage stellen: Sollte man Science Fiction ernst nehmen?

Für mich lautet die Antwort eindeutig ja. Science Fiction ist ein faszinierendes Sprachphänomen und ihr weitgehender Unterschied zur traditionellen "Literatursprache" ist der Grund dafür.

Die zweite Frage lautet: Gehorcht Science Fiction denselben Gesetzen wie andere Kategorien der Literatur? Hier lautet die Antwort nein. Science Fiction funktioniert nach anderen Kategorien als die übrige Literatur, besonders solche Kategorien, die als literarisch bezeichnet werden. Sie funktioniert auf die gleiche Art nur so weit, wie alle Kategorien der Literatur es tun. Science Fiction hat ihre speziellen Konventionen, ihre Bezugssysteme, ihre Interessengebiete und Vorlieben, genauso wie ihre eigene sinnvolle Sprache. Wenn man irgendeine dieser Konventionen falsch versteht, dann kommt es zu Missverständnissen in dem, was den Sinn eines Science Fiction-Textes ausmacht.

Anmerkungen

(1) Man könnte das etwas wirklichkeitsfremde Argument anführen, dass sich die Science Fiction entwickelt hat, um die Tatsache auszugleichen, dass die modernen westlichen (und östlichen) Sprachen, anders als das alte Griechisch und Sanskrit, keine optative Form mehr kennen. Optativ ist ein Begriff der griechischen Grammatik, der eine Verbform bezeichnet, die alles das aussagt, was wir heute unter dem Begriff Option subsumieren, was wiederum, wie der Kritiker Ihab Hassan behauptet, das ist, was die Science Fiction eigentlich ausmacht.

(2) Der französische Gelehrte Michel Foucault hat vermutet, dass die meisten der heutigen kritischen Methoden der Interpretation einfach auf Denkgewohnheiten zurückgehen, die noch aus der Zeit stammen, in der man versuchte, den Beweis anzutreten, dass bestimmte Schriftstücke von Heiligen geschrieben seien und so für eine Form von Heiliger Schrift gehalten wurden.

Mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Wilhelm Heyne Verlags. Originaltitel: "Some Presumptuous Approaches to Science Fiction". Copyright c 1984 by Samuel R. Delany (erschienen in Starboard Wine: More Notes on the Language of Science Fiction, Pleasantville, Dragon Press, 1984). Copyright der deutschen Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München (erschienen in Wolfgang Jeschke (Hrsg.), Das Science Fiction Jahr, Nr. 8, Ausgabe 1993, vergriffen). Aus dem Amerikanischen übersetzt von Florian F. Marzin.