Gendering the mainstream

Fraueneigene Geschichtswissenschaft zwischen Anpassung und historisch-kritischem Widerstand

Ist Frauengeschichtsschreibung eine notwendige, aber überwundene Frühphase in einem wissenschaftlichen Fortschrittsprozess und kann der Verzicht auf Benennung von Fraueninteressen vermieden werden?

Die entscheidende Zäsur in meinem Leben als Historikerin und Feministin ist mit dem Jahr 1968 verbunden. Von einer älteren Freundin wurde ich aufgefordert, an einer Arbeitsgruppe zum Thema "Frauen als innovative Kraft" teilzunehmen; zeitgleich verlangten meine Studentinnen und Studenten nach Beachtung der Frauengeschichte in meinem Lehrangebot. So fing alles an.

Die Stichworte für mein neues frauen- und geschlechtergeschichtliches Denken lagen damals in der Luft. Frauen der Neuen Frauenbewegung suchten nach eigenen weiblichen Räumen - in der Öffentlichkeit, in der Privatheit und in der männlich besetzten Geschichte. Die wissenschaftliche Herausforderung lag für mich vor allem darin, diesen Schlagwörtern ihren Platz in der Geschichte einzuräumen: "Das Private ist politisch"; die erkenntnisleitenden Interessen von Frauen; Geschlechtergleichheit; strukturelle patriarchale Gewalt; historische Entwicklungen im dialektischen Prinzip der Matriarchalisierung; die Frau als historisches Subjekt und als soziale Größe usw. Denn diese Ansätze waren keineswegs so neu, wie die Frauen der Neuen Frauenbewegung damals dachten. Sie hatten eine lange, in der Frauen- und Geschlechtergeschichte eingelagerte Vergangenheit.

"Gendering the mainstream" gehörte, noch ehe der Begriff von Frauen in den 80er Jahren erfunden wurde, zur Praxis der Neuen Frauenbewegung. Es stellte von Anbeginn eine Herausforderung für das historisch-politische Denken insgesamt und für die Disziplin der Geschichtswissenschaft insbesondere dar.

Seit den Anfängen der 68er-Bewegung boomte innerhalb - und eher mehr noch außerhalb - der Universitäten in einer naturwüchsigen Weise die frauengeschichtliche Forschung. Frauen der Neuen Frauenbewegung interessierten sich für ihre Geschichte. "Mehr Demokratie wagen" hieß auch für die wenigen Frauen im akademischen Betrieb, in Theorie und Praxis geschlechterdemokratische Umgangsformen zu wagen, die geschlechterspezifischen Denkverbote zu hinterfragen und neue Wege in der eigenen Forschung und Lehre einzuschlagen. Das Interesse an der bisher vergessenen frauen- und geschlechtergeschichtlichen Sicht der eigenen Vergangenheit begleitete die frauenpolitische Praxis der 68er-Bewegung. Sonst wäre zum Beispiel der Lehrstuhl Frauengeschichte an der Bonner Universität nicht eingerichtet worden.

Die heutigen Forderungen nach "Gender Mainstreaming" gehörten zu den impliziten Forderungen der Neuen Frauenbewegung. Aber auch die Ambivalenzen und Widersprüche dieser Zielsetzung waren von Anfang an spürbar und Gegenstand wissenschaftlicher Reflexionen.

Streit um Begriffe

Die Wortbildung "Gender Mainstreaming" geht unter anderem zurück auf die nur im Englischen mögliche, nur scheinbar klare Unterscheidung zwischen "sex" und "gender", das heißt zwischen der Vorstellung eines biologisch bestimmbaren Geschlechts ("sex") und eines durch kulturelle Konstruktionen hervorgebrachten sozialen Geschlechts ("gender").

Im anglo-amerikanischen Sprachraum erfüllt diese sprachliche und sowohl aufklärende als auch verschleiernde Unterscheidung eine andere Funktion als im Deutschen. Hierzulande fördert die Verwendung des Begriffs "gender" einen wissenschaftlichen Diskurs, der die spezifisch deutschen historischen Erblasten verdeckt, die mit der Begrifflichkeit "weibliches Geschlecht" und der frauen- und menschenverachtenden Politik des Nationalsozialismus konnotiert werden. Noch heute verbinden wir bei der alltäglichen Verwendung dieser Begrifflichkeit ungute Vorstellungen vom "ewigen" "weiblichen Wesen", an dem die Welt, der Mann, usw. genesen soll. Das besonders im deutschen Sprachraum so gefürchtete Gespenst einer essentialistischen oder ontologischen Fixierung der historischen Bedingungen enthobenen Frau als "weibliches Wesen" lässt sich scheinbar durch die Einigung auf den englischen Begriff "gender" vertreiben. Dieser Schein trügt.

Die erkenntnis- und geschichtstheoretisch belangvollen Fragen "Wo gleich fängt das biologische Geschlecht an?" oder "Wo gleich hört es auf?" oder auch "Wann können wir vom Geschlecht als einem kulturell konstruierten, kollektiven und/oder individuellen Körper sprechen?" lassen sich nach über dreißigjähriger Diskussion immer noch nicht eindeutig beantworten.

Die heute favorisierte Lösung liegt in der Bestimmung eines männlich gedeuteten historischen Anfangs unserer Geschichte mit der Erfindung der Schrift und mit der "Geburt" des männlichen Logos in der griechischen Philosophie.

Meine Erkenntnisse gehen in eine andere historisch argumentierende Richtung. Die geschichtstheoretische Annahme eines logozentrischen Anfangs unserer Geschichte in einem patriarchal bestimmbaren Wortsinn greift historisch und erkenntnistheoretisch zu kurz.

Eine unkritische Verwendung des Begriffs "gender" verdeckt die unerledigten Fragen unserer Geschichte, deren Aufdeckung zum erklärten Ziel der frauen- und geschlechtergeschichtlichen Forschung gehört. Denn auf die richtige Fragestellung kommt es beim "Gender Mainstreaming" vor allem an.1

Zur Einführung in die "gender"-Studien hat Christina von Braun die Vorteile des Begriffs hervorgehoben: "Von der ursprünglichen grammatischen Kategorie hat der [Begriff "gender"] sich zu einem Begriff mit weitreichenden Implikationen für gegenwärtige Subjekt- und Identitätsdiskurse entwickelt." Seine Verwendung stelle im Gegensatz zum Feminismusbegriff, der häufig als Ausschluss- bzw. Ausgrenzungskategorie verstanden wird, ein Angebot "auch an männliche Wissenschaftler dar [Â…], sich mit der Konstruiertheit ihrer eigenen und der in Texten vermittelten Geschlechtsidentität auseinanderzusetzen."2

Aus meiner Perspektive stellt sich das Thema "Gender Mainstreaming" anders dar: Ich übernehme das Wort "gender" im Sinne des englischen aktiven Begriffs "doing gender", das heißt "Geschlechterpolitik machen". Dabei bevorzuge ich die Wendung "gendering the mainstream". "Gendering the mainstream" bedeutet eine von Frauen - mit oder ohne männliche Unterstützung - betriebene Geschlechterpolitik im Interesse von Frauen.

Um die Spezifik der Frauengeschichte in ihrer Unterscheidbarkeit von der Männergeschichte sichtbar zu machen, spreche ich gerne von der Fraueneigengeschichte.3 Den Feminismusbegriff verwende ich weiterhin, um die Ausgrenzungs- und Ausschlussmechanismen, die am Feminismus-Diskurs ablesbar sind, in ihrer Vorläufigkeit als begrenzte Teilerfolge partiarchaler Diskursmacht aufzudecken. Aus einer feministischen, historisch argumentierenden Perspektive sind patriarchale Diskursregeln kritisierbar und in ihrem Vernunftanspruch widerlegbar. Es wird sogar aus der fraueneigengeschichtlichen Sicht eine Umkehrung der männlichen Diskurslogik erforderlich, um begreiflich zu machen, dass die Bestimmung der Frau als das andere, als die Ausnahme von der Regel und die Verwendung des Feminimusbegriffs als Ausschlusskategorie zu dieser umfassenden frauen- und geschlechtergeschichtlich erweiterten Perspektive ein historisch nachgeordnetes Phänomen darstellt. Die männliche Diskurspraxis wird als das Logosgeleitete, das Sekundäre entzifferbar.

Vertane Chancen

Seit den Anfängen der frauen- und geschlechtergeschichtlichen Forschung in den 70er Jahren ist die Diskussion um "gendering the mainstream" mit Leidenschaftlichkeit geführt worden. Indem Historikerinnen für sich einen eigenen realen und theoretischen Ort in der Geschichte in Anspruch nahmen, stellten sie den traditionellen Bezugsrahmen des historischen Denkens in Frage. Auf dem Historikerinnenkongress in Bielefeld 1986 bezweifelten sie die Richtigkeit des totalitären Erklärungsanspruchs der Historikerzunft4 und lösten damit einen akademischen geschlechterpolitischen Machtkampf aus. Es ist kein Zufall, dass die einzigen wissenschaftlich ernst zu nehmenden Angriffe auf die Historikerinnen, die es wagten, unter sich in den eigenen Räumen zu tagen, und die über den Selbstanspruch einer feministischen Geschichtswissenschaft laut nachdachten, von seiten der damals jungen progressiven Bielefelder Vertreter einer innovativen Richtung innerhalb der Geschichtswissenschaft kamen. Die Historikerinnen wurden nicht als Wissenschaftlerinnen, sondern als Frauen angegriffen, die sich - so das tödliche Argument der Männer - wie ihre Mütter im Nationalsozialismus faschistischer Methoden bedienten.

Rückblickend wirkt dieser Konflikt beschämend und grotesk. Es macht aber das Grundproblem des "Gender Mainstreaming" in der Geschichtswissenschaft sichtbar: Die Berufung der Frauen auf eine eigene Geschichte, die sie aus ihrer eigenen erfahrungsgeschichtlichen Sicht und im eigenen Interesse erforschten, stellte eine fundamentale Bedrohung für die Grundannahmen der Historikerzunft dar.

Seit den 70er Jahren haben Historikerinnen ihre eigenen historischen Suchbewegungen in ihrer Verbindung zur Mainstream-Geschichtswissenschaft reflektiert. In den unterschiedlichen Kategorisierungen der Frauengeschichte, die Historikerinnen unternahmen, sei es als additiv, als kontributorisch oder als kompensatorisch, wurde in der Reflexion der Mehrzahl der westdeutschen Historikerinnen die männlich definierte "allgemeine" Geschichte als nicht hinterfragbare Bezugsgröße implizit anerkannt.

Diese Selbstkategorisierung der eigenen Fortschritte in der wissenschaftlichen Disziplin mit Blick auf die herrschenden Paradigmen der Fachwissenschaft setzte sich in den 80er und 90er Jahren fort, als die Frauengeschichte der 68er als eine Frühphase der eigentlichen geschlechtergeschichtlichen Forschung eingestuft wurde. Die Frauengeschichtsforschung wurde als eine überwundene Phase in einem wissenschaftlichen Fortschrittsprozess verstanden. Über die Geschlechtergeschichte sei sie schließlich zu einer lehrstuhlreifen Disziplin im Sinne des anerkannten theoretischen Bezugsrahmens der Gesellschaftsgeschichte mutiert. Der Weg führe von der Frauen- zur Geschlechtergeschichte zur Gesellschaftsgeschichte. Mit dieser Selbstdefinition von seiten einiger Historikerinnen wurde auf der öffentlichen Ebene die erfolgreiche Integration der Frauen- und Geschlechtergeschichte in die eigene wissenschaftliche Disziplin demonstriert. Ein Erfolgsmodell von zweifelhaftem Wert: Mit dem Verzicht auf die Benennung des Eigeninteresses an der frauengeschichtlichen Forschung wurde allen Einzelfortschritten zum Trotz eine neue Phase der Unsichtbarmachung der Frauengeschichte eingeleitet. Die Chancen einer die Geschichtswissenschaft verändernden Politik des "gendering the mainstream" wurden zunächst vertan.

Die westdeutsche Entwicklung in der frauengeschichtlichen Forschung ist mit der internationalen, insbesondere mit der nordamerikanischen Entwicklung eng verbunden. Hier ist vor allem an den mit dem Werk von Joan Scott verbundenen linguistischen Ansatz zu denken.5 Inzwischen wird aber auch auf die Problematik des "linguistic turn" in der Geschichtswissenschaft hingewiesen. Um der erneuten Unsichtbarmachung der Frauengeschichte entgegenzuwirken, will ich auf eine andere Möglichkeit des "gendering the mainstream" eingehen, die unmittelbar an meine Erfahrungen aus der 68er Zeit und danach am Lehrstuhl Frauengeschichte in Bonn anknüpft.

Historische Radikalität

"Gender Mainstreaming" hat aus der Perspektive der Frauen- und Geschlechtergeschichte als einer akademischen Disziplin eine lange, ambivalente , auf lange Sicht negativ einzuschätzende Geschichte. Daher unterscheide ich bei meinem Plädoyer für ein "gendering the mainstream" zwischen einer Strategie der Anpassung und einer Strategie des historisch-kritischen Widerstandes aus einem fraueneigengeschichtlichen Erkenntnisinteresse heraus. Ich knüpfe an eine patriarchatskritische und konstruktive Phase der Frauengeschichtsforschung an, die vor allem in den Erfahrungen der US-amerikanischen Frauenbewegung wurzelt und weitere feministische Ansätze aufgreift. Auch in der westdeutschen Rezeption radikalkritischer Ansätze in der Frauengeschichtsforschung und ihrer Weiterentwicklung in didaktischer Absicht6 lag ein die akademischen Disziplingrenzen sprengendes Verständnis von Frauen- und Geschlechtergeschichte und von einem frauengeschichtlich fundierten historisch-politischen Bewusstsein zugrunde. Übereinstimmung herrschte darüber, dass der traditionelle geschichtstheoretische Bezugsrahmen der Geschichtswissenschaft als ein zu enges und abgeleitetes, sekundäres Bezugssystem zu begreifen ist, hinter dem ein historisch älteres, umfassenderes, durch die weibliche Produktivkraft, durch Frauenklugheit und -arbeit hervorgebrachtes Bezugssystem sichtbar wird.

Meine Überlegungen zu den geschichtstheoretischen Voraussetzungen einer "Gender Mainstreaming"-Politik, die nicht in ihr Gegenteil, das heißt zum Nachteil der Frauen und ihrer Ansprüche auf die Eigenvertretung ihrer Rechte, ausschlägt, stehen in dieser Tradition der frauengeschichtlichen Forschung als einer historischen Radikalkritik. Sie verbindet sich für mich mit der "Vision einer Geschlechterdemokratie in Deutschland".7

An drei geschichtstheoretischen Grundfragen des historischen Denkens will ich die Tragweite einer feministischen, historischen Radikalkritik am patriarchalen Bezugsrahmen des traditionellen historischen Denkens andeuten: An der inzwischen historisch möglichen Annahme über die Anfänge unserer Geschichte,8 an Überlegungen zu den weiblichen Produktivkräften und an der Frage nach der transformativen Kraft des frauenhistorischen und frauenpolitischen Bewusstseins.

Seit den Anfängen der Frauen- und Geschlechterforschung, die mit den gender-studies in den USA der 70er Jahre eng verbunden ist9, ist eine neue Qualität der historischen Frauenforschung erreicht worden, die sich auf die Interdisziplinarität der historischen Frauenforschung stützt. Auf diese andere Qualität historischen Sehens will ich aufmerksam machen.

Der historische Vorsprung
von Frauen im Evolutionsprozess

Die interdisziplinäre Frauenforschung hat inzwischen eindrucksvolle Belege für die führende Rolle von Frauen im langen Prozess des menschlichen Bewusstwerdens zu Tage gefördert. Die früheren Zeugnisse menschlichen Bewusstseins und seiner kulturellen Ausdrucksformen sind "nahezu ausschließlich weiblichen Geschlechts".10 Philosophinnen und Kulturwissenschaftlerinnen haben erkenntnis- und kulturgeschichtliche Wege erschlossen, um die matriarchal bestimmte frühe Symbol- und Mythenwelt als eine ältere, den patriarchalen Kulturen zeitlich vorgelagerte Phase im Evolutionsprozess zu deuten. In diesem Sinne hat beispielsweise Carola Meier-Seethaler den historisch nachweisbaren symbol- und kulturgeschichtlichen Vorsprung von Frauen durch eine vor-patriarchale, in patriarchalen Kulturen fortwirkende, dissidente weibliche Kulturtradition beschrieben. In vergleichbarer Weise ist die Philosophin Brigitte Weisshaupt philosophiegeschichtlich den Anfängen der Philosophie als Ausdruck der weiblichen Vernunft nachgegangen. Auch sie entwickelt einen dissidenten Theorieansatz, in dem sie "Postulate der Kritischen Theorie feministisch konkretisiert".11 Damit reklamiert sie eine weibliche Vernunfttradition, die den totalitären Anspruch der männlichen Vernunfttradition "zugunsten einer Versammlung von Heterogenem in einer Wissenschaft" zurückweist. In diesem Konzept hat die weibliche Vernunft, die sich unter anderem symbol- und mythengeschichtlich als älter, umfassender und weiser nachweisen lässt, wieder einen historischen Ort.

Den historischen Vorsprung von Frauen können wir paradigmatisch an den frühen Schöpfungsmythen ablesen.

Der Mythos von Eurynome berichtet beispielsweise von dieser als "Göttin aller Dinge", die aus dem Chaos erschien, die den Himmel vom Meer trennte und in seliger Freude auf den Wogen tanzte. "Bei diesem Anblick erhob sich ein Windhauch namens Ophion, umschlang die tanzende Eurynome in der Gestalt einer Schlange und paarte sich mit ihr. Später legte Eurynome ein Ei, aus dem die Welt, die Erde, das heißt die ganze Schöpfung: Berge, Flüsse, Pflanzen u.s.w. hervorging."12

Hier wird ein älteres und umfassenderes Verständnis von der allein durch Frauen dargestellten Vernunft in der Geschichte sichtbar, das aus der frauen- und geschlechtergeschichtlichen Perspektive bis in die Gegenwart hinein zu beobachten ist. Hier gehen Logos und Eros, eine sinnstiftende weibliche Vernunft, eine weibliche Leidenschaft und ein weibliches Begehren, eine kulturstiftende und eine kulturkonstruierende Verbindung ein. Die Dialektik von Eros und Logos ist aus einer frauengeschichtlichen Perspektivierung denkbar und darstellbar.

Um diese ursprünglicheren Zeugnisse von weiblicher Vernunft zu deuten, spricht Brigitte Weissweiler von der "ungedachten Dialektik von Eros und Logos". Ohne auf eine begriffliche Klärung zu drängen, benennt sie hiermit einen historischen Ort, der der "Ausschließung des Weiblichen durch die [männliche] Logifizierung der Liebe" vorgelagert ist und der im Bild der Sophia einen symbolischen Ausdruck findet.

Für das Vorhaben "gendering the mainstream" in der historischen Forschung lässt sich aus diesen Andeutungen eine erste Schlussfolgerung ziehen. Die Dialektik von Eros und Logos ist an den frühesten Zeugnissen unserer Geschichte ablesbar. Wir müssen lernen, die späteren Spuren dieser Dialektik zu entziffern und in Worte zu fassen. Es fehlt nicht an Zeugnissen für das überlegene Wissen von Frauen in der Geschichte. "In allen Darstellungen von der Antike bis zur Renaissance verkörpert die Frau die philossophia"13, die Liebe zur Weisheit. Im Projekt "gendering the mainstream" gilt es, das scheinbare Verschwinden der Frauenvernunft und der schöpferischen Kraft von Frauen aus der Geschichte zu erklären und zugleich die dissidente weibliche Vernunfttradition in Bildern, in Worten und in Symbolen sichtbar zu machen.

Frauenspezifischer Mehrwert

Das Wissen um die historische Bedeutung eines frauenspezifischen Mehrwerts ist in der Generation unserer Großmütter, der Generation der "starken Frauen" nach 1945 und in der Neuen Frauenbewegung lebendig.14 Zu Recht hat Barbara Degen an die in diesen Erfahrungen des Alltags und der politischen Praxis verwurzelten Utopien in der westdeutschen Frauenbewegung erinnert.15 Noch ausgeprägter ist dieses an der eigenen Erfahrung überprüfte Wissen in der feministischen Literatur der ehemaligen DDR zu erkennen. "Die Philosophen haben die Welt bisher nur männlich interpretiert. Es kommt darauf an, sie auch weiblich zu interpretieren, um sie menschlich verändern zu können." Dieses Postulat von Irmtraud Morgner fasst die gemeinsame Botschaft von Frauen der Frauenbewegungen in Ost und West zusammen. Gestützt auf das Wissen ihres frauenspezifischen Mehrwerts forderten Feministinnen jenseits der Systemgrenzen gesellschaftliche Tauschverhältnisse ein, die der Gleichheit der Geschlechter Rechnung tragen würden.

Um die Einlösung dieser geschlechterdemokratischen Forderung ist inzwischen weltweit eine historisch verfahrende, feministische, interdisziplinäre Wissenschaft entstanden, die Ursachen für die Unsichtbarmachung der von Frauen alltäglich in allen Lebensbereichen produzierten Mehrwerts untersucht. Diese feministische Forschungsrichtung ist durch die Kritik am Marxismus stark geprägt. Sie erinnert nicht nur an den kritischen Vorsprung von Frauen im Evolutionsprozess. Sie weiß darüber hinaus, dass in allen patriarchalen Gesellschaften Frauen den von ihnen produzierten Mehrwert nur in einer verkleideten, begrifflich nicht fassbaren Form öffentlich machen können. Frauenarbeit ist im herrschenden Diskurssystem unsagbar. In diesem Sinne ist das Wirken von Frauen am besten mit den vielfältigen Erscheinungsformen der Sophia als Symbolfigur darstellbar. Obgleich nach unserer herrschenden symbolischen Tradition Salomon Sophia als begehrenswerte Schönheit umwarb, wurde sie in den Salomon zugeschriebenen Sprüchen als "törichtes, wildes Weib voll des Schätzens" beschimpft, als eine Frau, die "von nichts weiß". Diese Sophia ließ sich auch in unserer Symbolwelt aber nicht vertreiben. Im Gegenteil sie ist in ihrer öffentlichen Präsenz als stetes Ärgernis beschreibbar, "sie sitzt in der Tür ihres Hauses auf dem Stuhl oben in der Stadt, zu laden alle, die vorübergehen" (Sprüche des Salomon).

Dieses Bild lässt sich übertragen auf das Einklagen von gerechten, privaten und gesamtgesellschaftlichen Tauschverhältnissen durch Frauen in der Geschichte. Diese Frauen müssen sich aber wie Sophia verkleiden, um sich in der Männergesellschaft Gehör zu verschaffen. Wie Salomon warnen die Männer immer wieder vor dem Umgang mit klugen Frauen, die wie Sophia als "öffentliche Frau" ("filia publica") , also als Hure beschimpft, schon in den Erzählungen des Alten Testaments ihr Haus öffnen für alle, die den richtigen Weg suchen. In den Rathäusern des Mittelalters wird diese Warnung des Salomon zum ikonographischen Programm16, das von heutigen Museumsmachern wieder unterschlagen wird.17

Trotz aller Drohungen und Verfolgungen ist es der Sophia als Symbol für die kluge und schöpferische Frauenpraxis gelungen, sich in den mythologischen Erzählungen, im gnostischen Schrifttum und in der männlichen Überlieferung in das historische Gedächtnis einzuschreiben. Bis ins späte Mittelalter ist die Symbolgestalt der Sophia als "Mutter Gottes und ehrwürdiger Jungfrau, in welcher der Vater seit Anbeginn verborgen war", in der religiös bestimmten christlichen Vorstellungswelt lebendig, um als eine neuzeitliche Sophia, etwa in den Schriften der Christine de Pizan oder der Olympe de Gouges, die männlich geprägte Vernunfttradition, etwa die halbierte Vernunft der Aufklärung, zu beeinflussen.

Die feministisch bestimmte historisch-kritische Frauenforschung schließt an diese Sophia-Vernunfttradition an, um die versteckte materielle und geistige Mehrwert-Produktion von Frauen in ihrer historischen und gesellschaftlichen Bedeutung zu erfassen und um die Unvernunft in den Normsystemen und gesellschaftlichen Praxen sichtbar zu machen, die im Namen einer halbierten männlichen Aufklärung und Vernunft ungleiche Tauschverhältnisse legitimieren und perpetuieren.

Die transformative Kraft

Die Erinnerung an die verschlungenen Wirkungsweisen der Sophia in der Geschichte deutet die Richtung der feministischen Geschichtsforschung als historische Radikalkritik an. Sie knüpft zugleich an die Erfahrungsgeschichte von Frauen in der ost- und westdeutschen Nachkriegsgesellschaft an, die 1945 politische Konsequenzen aus der NS-Politik der Menschenverachtung und der Vernichtungslogik zu ziehen suchten. Die gegenwärtige frauengeschichtliche Reflexion dieser gesamtdeutschen Geschichte versteht sich als eine Weiterführung der Forderungen der westdeutschen Frauenbewegung und des ostdeutschen literarischen Feminismus. "Gendering the mainstream" heißt für diese frauen- und geschlechtergeschichtliche Forschung, die andere Politik von Frauen der Vergangenheit sichtbar und im Hinblick auf eine geschlechtergerechte Zukunft bewusst zu machen. In diesem Sinne stellt das Projekt "gendering the mainstream", ähnlich wie in der Aufbruchszeit von 68, eine Herausforderung an die Geschichtswissenschaft dar. Heute wie damals gilt die frauenpolitsche Erkenntnis: "Nur noch Utopien sind realistisch."18

Die frauen- und geschlechtergeschichtliche Forschung, die dieses frauenpolitische Andere und Mehr, diese spezifische Form der Mehrwert-Produktion und des realutopischen Rests in den Frauenvernunftpraxen erschließt, begreift "Gender Mainstreaming" als Chance.

"Gender-mainstreaming" in der Geschichtswissenschaft ist somit zunächst eine fachspezifische Aufgabe, die aber nur in einem inter- und transdisziplinären Diskurs lösbar ist. "Gendering the mainstream" wird in der Geschichtswissenschaft in erster Linie zum Gradmesser für das eigene historische Bewusstsein von Frauen. Der Versuch, die eigene einschlägige Erfahrungsgeschichte bei diesem Projekt außer Acht zu lassen, kehrt dieses von Frauen initiierte Projekt in sein Gegenteil.

Anmerkungen

1) Annette Kuhn: Was verändert sich durch die Frage nach dem Geschlecht der Frauen? In: Anne Jensen/Maximilian Liebmann (Hg.): Was verändert feministische Theologie? Interdisziplinäres Symposium zur Frauenforschung, Münster 2000, S.21-36

2) Christina von Braun/Inge Stephan: Gender Studies. Eine Einführung, Stuttgart/Weimar 2000, S.10-11

3) Annette Kuhn: "Graben tief" - ein feministischer Blick auf die frauengeschichtliche Forschung. In: Angelika Cottmann/Beate Kortendiek/Ulrike Schildmann (Hg.): Das undisziplinierte Geschlecht. Frauen- und Geschlechterforschung. Einblick und Ausblick, Opladen 2000, S.205-220

4) Beispielhaft hierfür sei auf die "Kocka-Kontroverse" hingewiesen. Das Verschwinden der sogenannten "Kocka-Kontroverse" wäre eine Untersuchung wert. Siehe u.a.: Annette Kuhn: Gibt es eine nicht-autonome Wissenschaft? Polemische Anmerkungen zur Kritik von Jürgen Kocka. In: Geschichtsdidaktik, Nr.3/1982, S.325-328

5) Joan Scott: Gender: A useful category of historical analysis. In: American Historical Review, Nr.92/1986, S.1053-1068

6) Susanne Thurn: Â… und was hat das mit mir zu tun? Geschichtsdidaktische Positionen, Pfaffenweiler 1993

7) Uta C. Schmidt: Politeia - eine frauengeschichtliche Sicht auf die deutsche Zeitgeschichte. In: metis. Zeitschrift für historische Frauenforschung und feministische Praxis, Nr.16/1999, S.5-11

8) Marie E. P. König: Am Anfang der Kultur. Die Zeichensprache der frühen Menschen, Berlin 1973

9) Bernice A. Carroll (Hg.): Liberating womens history. Theoretical and critical essays, Urbana/Chicago/London 1976

10) Carola Meier-Seethaler: Ursprünge und Befreiungen. Die sexistischen Wurzeln der Kultur, Frankfurt 1992, S.44

11) Brigitte Weisshaupt: Dissidenz als Aufklärung. Elemente feministischer Wissenschaftskritik. In: Dies./Marion Andreas-Grisebach (Hg.): Was Philosophinnen denken, Bd. II, Zürich 1986,S.9-19

12) Joe Heydecker: Die Schwestern der Venus. Die Frau in den Mythen und Religionen, München 1991, S.15

13) Marit Rullman: Philosophinnen. Von der Antike bis zur Aufklärung, Frankfurt 1993, S.11

14) Annette Kuhn/Marianne Pitzen/Marianne Hochgeschurz (Hg.): Politeia. Sezenarien aus der deutschen Geschichte nach 1945 aus Frauensicht, Bonn 1998

15) Barbara Degen: "Die Kraft, die uns bewegt" - Utopien in der Geschichte der westdeutschen Frauenbewegung. In: Ökonomie und Arbeit - Frauenansichten. Festschrift für Carola Möller, Frankfurt 2000, S.149-174

16) Hedda Ragotzky: Der weise Aristoteles als Opfer weiblicher Verführungskunst. Zur literarischen Rezeption eines verbreiteten Exempels "verkehrter Welt". In: Helga Scurie/Hans-Jürgen Bachorski (Hg.): Eros - Macht - Askese. Geschlechterspannungen als Dialogstruktur in Kunst und Literatur, Trier 1996, S.279-302

17) Beispielhaft hierfür die Ausstellung: Die gute Regierung. Vorbilder der Politik im Mittelalter (Schnütgen-Museum), Köln 2000

18) Ingrid Kurz-Scherf: Nur noch Utopien sind realistisch. Feministische Impulse in Deutschland (Feministische Impulse, Bd. 2), hrsg. von Die Grünen, o. O. 1992

Prof. Dr. Annette Kuhn ist Historikerin und lebt in Bonn.