Profitdominanz und Kapitalherrschaft

Die im PDS-Programmentwurf zur Frage der Profitdominanz vertretene Position ist widersprüchlich und irreführend.

Aus: Beilage zu Z 46, Juni 2001, 24-26

Der von André Brie, Michael Brie und Dieter Klein vorgelegte Entwurf eines neuen PDS-Parteiprogramms beschäftigt sich an mehreren Stellen recht ausführlich mit Grundzügen der heutigen kapitalistischen Gesellschaft. Es finden sich hier zahlreiche Formulierungen und Einschätzungen zum heutigen Kapitalismus, die ich voll unterstützen kann. Zugleich enthält der umfangreiche Text mehrere Wiederholungen, bei denen gleiche Sachverhalte mit unterschiedlichen Erklärungen versehen werden. Und bei einigen Problemen bleiben die Ausführungen unklar. Hierzu gehört auch die Formel von der "Profitdominanz".

Wer die Programmdiskussion in den vergangenen Jahren aufmerksam verfolgt hat, dem fällt sofort auf, daß die Autoren gegenüber früheren Veröffentlichungen zur PDS-Programmatik in dem neuen Programmentwurf auf eine ausführlichere Darstellung des Verhältnisses von Kapitalismus und "Moderne", von "Profitdominanz" und "Moderne" verzichtet haben. Dies ist nur zu begrüßen, stießen diese Auffassungen doch in der Diskussion überwiegend auf starke Ablehnung. Dessenungeachtet ist auch die im jetzigen Papier vertretene Position zur Frage der Profitdominanz widersprüchlich und auch irreführend.

Einerseits wird an mehreren Stellen von einer "heutigen gesamtgesellschaftlichen Dominanz von Profit" oder auch von einer "Dominanz der Kapitalverwertungsinteressen" gesprochen, die es einzuschränken oder gar zu überwinden gelte, um andere, soziale, Kriterien als Orientierungsgrößen für die Entwicklung der Gesellschaft durchzusetzen. Zugleich bleibt aber unklar, was nun eigentlich unter "Profitdominanz" zu verstehen ist, wodurch diese bestimmt wird. So schließt sich z.B. an die vorstehend erwähnte Formel zur Profitdominanz die folgende irritierende These an: "Die Möglichkeiten moderner Gesellschaften können völlig gegensätzlich genutzt werden: barbarisch oder gerecht, herrschaftlich oder emanzipativ, ausbeuterisch oder solidarisch." (PDS-Pressedienst, Nr.17, 27.4.2001, S. 3). Aber: Inwiefern handelt es sich hier um eine reale Alternative? Solche "Möglichkeiten" wären doch nur gegeben, wenn die Gesellschaft gründlich verändert würde; d.h. allgemein von solchen "Möglichkeiten" zu sprechen ist völlig nichtssagend oder sogar irreführend. In solchen Formulierungen taucht das alte Konzept der Autoren von der "kapitalistischen Moderne" wieder auf; nämlich die Grundthese, die heutige Gesellschaft sei einerseits kapitalistisch und andererseits modern, in dem Sinne, daß sie über Institutionen mit dem Charakter von Entwicklungs- oder Evolutionspotentialen verfügt. Und es käme darauf an, diese Institutionen aus der Dominanz der Kapitalverwertung zu befreien (Zur Programmatik der Partei des demokratischen Sozialismus. Ein Kommentar, Berlin 1997, S. 135). So heißt es auch weiter in dem Programmentwurf: "Wir unterscheiden deutlich zwischen dem kapitalistischen Charakter der heutigen Gesellschaften und den zivilisatorischen Errungenschaften, die in diesen Gesellschaften erreicht wurden" (S. 3). Dies ist unbestritten; aber es bleibt nun mal eine Tatsache, daß diese "Errungenschaften" durch die sozialökonomischen Grundlagen der Gesellschaft, durch die Interessen des Kapitals und die ihnen ensprechenden Macht- und Herrschaftsverhältnisse bestimmt und geprägt werden. Und sie können nur dann für alternative Möglichkeiten der Gesellschaftsentwicklung fruchtbar werden, wenn eben diese Verhältnisse verändert werden.

Aber weiter: "Profitdominanz", deren Einschränkung und gar Überwindung werden auch an anderen Stellen des Programmentwurfs erwähnt, ohne daß näher erläutert wird, woran diese gebunden sind. So enthalten die Ausführungen im Abschnitt II ("Die gegenwärtige Welt") die Feststellung, daß nach dem Zweiten Weltkrieg in Westeuropa und den USA (?) ein "Wohlfahrtsstaat" entstand und sich Institutionen herausbildeten, die das Prinzip der Kapitalherrschaft partiell durch das Prinzip sozialer Partizipation ergänzten (S. 6). Und weiter: Mit der neoliberalen Gegenreform von oben in den siebziger Jahren wurde dieser "Kompromiß zwischen Kapitalinteressen und organisierter Arbeiterbewegung in den westlichen Hauptmächten aufgekündigt" (S. 7). Erst der "neoliberale Kapitalismus" seit den 70er Jahren dient nun als Demonstrationsobjekt für "Profitdominanz". Offensichtlich wird dieser "Kompromiß" in den ersten Nachkriegsjahrzehnten als Einschränkung der Profitdominanz gewertet. In früheren Veröffentlichungen der Autoren wurde sogar von einer "Halbdominanz" des Gewinns in dieser Periode gesprochen (Zur Programmatik der PDS, a.a.O., S. 126). Damit verschwimmen die Konturen der Formel von der "Profitdominanz" noch mehr.

Folgt man der Logik der Autoren des Programmentwurfs, dann bedeuten Fortschritte bei der sozialen Sicherung der Werktätigen ("Wohlfahrtsstaat"), d.h. eine bestimmte Korrektur der sozialen Folgen des Profitsystems, die aber die Kapitalherrschaft keineswegs beeinträchtigt, bereits eine Einschränkung des Profitsystems selbst - und nicht in erster Linie die Durchsetzung günstigerer Verteilungsverhältnisse und sozialer Errungenschaften entsprechend den vorhandenen Kräfteverhältnissen zwischen den Klassen und Schichten der kapitalistischen Gesellschaft.

Damit sind wir beim Kern des Problems "Profitdominanz" angelangt. In der marxistischen politischen Ökonomie wird bekanntlich unter Profit nicht schlechthin ein Gewinn der Unternehmer, der Kapitalisten, verstanden, sondern es handelt sich um die zentrale Zielstellung, das Bewegungsgesetz des Kapitalismus. Profitdominanz kann daher in erster Linie nur heißen, daß der Profit als bestimmendes Prinzip der Wirtschaftsentwicklung wie auch der gesamten gesellschaftlichen Entwicklung existiert - und zwar solange das Kapital als vorherrschende Eigentumsform vorhanden ist. Kapitalherrschaft und Profitdominanz gehören zusammen, bedingen einander. Dabei ist der Profit nicht nur Ziel des kapitalistischen Wirtschaftens, sondern zugleich wesentlicher Bestandteil des regelnden Mechanismus für das Funktionieren kapitalistischer Wirtschaftsentwicklung.

Bei der Beantwortung der Frage nach der Profitdominanz geht es also nicht darum, ob der Profit hoch oder niedrig ist, ob er "sozial relativiert" ist oder nicht usw. - allein entscheidend in diesem Zusammenhang ist, ob der Profit das vorherrschende, regelnde Prinzip ökonomischer Entwicklung ist oder nicht. Und diese Rolle des Profits ist unlöslich mit dem Verwertungsstreben des kapitalistischen Eigentums, mit dem Charakter des Kapitals verbunden.

Solange kapitalistisches Eigentum die vorherrschende - oder besser die herrschende - Eigentumsform ist, bleibt "Profitdominanz" als Zielstellung und regelndes Prinzip wirtschaftlicher Entwicklung erhalten. Jede Einschränkung oder gar Beseitigung dieser Dominanz ist daher mit Eingriffen in die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse verbunden. Solche Eingriffe sind im Ergebnis politischer Entscheidungen und auf der Grundlage bestimmter politischer Kräfteverhältnisse natürlich vorstellbar. Der vorliegende Programmentwurf gibt allerdings keine klare Auskunft über die Zusammenhänge zwischen Kapitaleigentum und "Profitdominanz" - so wie auch die Wortschöpfung "Profitdominanz" selbst an keiner Stelle erläutert wird.