"Den Gürtel enger schnallen"

Rechtsextremismus als Begleiterscheinung und Folge

Genauere Kenntnisse über die Zusammenhänge zwischen ökonomischer Globalisierung und rechtsextremer Mobilisierung sind Voraussetzungen für Gegenstrategien - ein Erklärungsmodell bietet der Autor.

Rechtsextremismus ist kein Desintegrationsphänomen oder Jugendproblem. Seinen organisierten Kern bildet auch keine Protestbewegung, die sich für sozial benachteiligte Deutsche einsetzt.1 Vielmehr grenzt er Menschen mit Behinderungen, Obdachlose, Homosexuelle und andere "Randgruppen" genauso aus wie AsylbewerberInnen, will diesen staatliche Leistungen vorenthalten und/oder sie durch Zwangsmaßnahmen disziplinieren. Es geht demnach nicht um eine Negation, sondern gerade um die - bis zur letzten Konsequenz getriebene - Realisation gültiger Normen (Beurteilung einer Person nach ihrer ökonomischen Verwertbarkeit, Leistungsfähigkeit bzw. Angepasstheit) und um gesellschaftliche Funktionsmechanismen wie die Konkurrenz.2
Im Folgenden wird für ein Erklärungsmodell plädiert, das dieses Konkurrenzprinzip als Triebkraft des kapitalistischen Wirtschaftssystems benennt, es für bestimmte Erblasten der politischen Kultur als konstitutiv behauptet und das aktuell die Globalisierung bzw. neoliberale Modernisierung nicht nur des Wohlfahrtsstaates3, sondern beinahe aller Bereiche der Gesellschaft für (Standort-)Nationalismus, Rassismus und rechte Gewalt verantwortlich macht. Der modernisierte Rechtsextremismus stützt sich auf eine ideologische "Verklammerung von Wirtschaftsliberalismus und Nationalismus", die aufgrund ihrer Zuspitzung für populistische Anrufungen instrumentalisierbar ist: "Konstruktionen des Nationalen werden dann als ideologisches Bindemittel genutzt, um soziale Frustration in autoritäre, obrigkeitsstaatliche Orientierungen zu überführen."4

Ursachen für rechte Gewalt

Neben den ökonomischen Macht- und Herrschaftsverhältnissen, die im Zuge der Globalisierung eine neue Gestalt annehmen, prägt die politische (Un-)Kultur eines jeden Landes seine extreme Rechte, deren Ideologie und Organisationsstruktur, aber auch die Art und Weise, wie ihnen demokratische Kräfte begegnen. Erblasten der politischen Kultur in Deutschland waren und sind zum Teil noch immer: ein ausgeprägtes Freund-Feind-Denken, die Fixierung auf Staat (Etatismus) und Obrigkeit (Untertanenmentalität), politischer Konformismus und übertriebene Harmoniesucht, Autoritarismus und Antipluralismus, Antiintellektualismus und Irrationalismus, ein Hang zum (rechtlichen) Formalismus, die preußische Ordnungsliebe sowie eine Schwäche der Männer für militärische Disziplin.5 Sie gipfelten in einem besonders aggressiven Nationalismus, weil Deutschland als "verspätete Nation" (Helmuth Plessner), von der Ungleichzeitigkeit zwischen Industrialisierung und Demokratisierung charakterisiert, wenn nötig mit Waffengewalt einen "Platz an der Sonne" - Weltmachtstatus - zu erlangen suchte.
Das NS-Regime hat den Nationalismus nicht pervertiert, also für Kriegsverbrechen und Völkermord missbraucht, vielmehr nur auf die Spitze getrieben. Obwohl Deutschlands bedingungslose Kapitulation und Okkupation durch die alliierten Siegermächte nicht bloß bedeuteten, dass der Nationalsozialismus gescheitert, sondern auch, dass der Nationalismus seiner Legitimationsgrundlage beraubt war, blieb letzterer - genauso wie der Antisemitismus - im "kollektiven Gedächtnis" der Deutschen haften, weil sie ihre eigene Rolle weder kritisch reflektiert noch wirklich bewältigt hatten.
Wenngleich die Nation in der Altbundesrepublik trotz einer von Regierung und Opposition benutzten Wiedervereinigungsrhetorik keinen zentralen Bezugspunkt der kollektiven Identitätsbildung mehr darstellte, blieb der Glaube, die Deutschen seien ein besonders tüchtiges und begnadetes Volk, tief im Massenbewusstsein verankert. Eine Renaissance des Nationalismus setzte aber auch nicht erst mit der DDR-"Wende" im Herbst 1989 und der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990, sondern bereits nach dem Regierungswechsel im Oktober 1982 ein, als sich die CDU/CSU/FDP-Koalition der sog. Deutschen Frage zuwandte und diese in "Berichten zur Lage der Nation" wieder für "offen" erklärte. Wenig später hielt das Deutschlandlied (manchmal mit allen seinen drei Strophen) in Klassenräume und Rundfunkanstalten Einzug.
Forderungen nach einer Neukonturierung der "nationalen Identität" fungierten als Brücke zwischen der "liberal-konservativen Mitte" und der extremen Rechten. 1984/85 kam es zu einem Eklat, als die Landsmannschaft Schlesien den damaligen Bundeskanzler Kohl als Redner ihres Deutschlandtreffens unter dem Motto "40 Jahre Vertreibung - Schlesien bleibt unser" ankündigte. Zwar wurde diese Losung leicht abgewandelt ("Schlesien bleibt unsere Zukunft im Europa freier Völker"), an der Stoßrichtung der Veranstaltung mit Teilnahme hochrangiger Unionspolitiker änderte sich aber nichts mehr. Als Helmut Kohl am 8. Mai 1985 gemeinsam mit US-Präsident Ronald Reagan den Soldatenfriedhof in Bitburg besuchte, auf dem sich zahlreiche Gräber von Angehörigen der Waffen-SS befinden, wurden die NS-Täter durch einen symbolischen Akt rehabilitiert. Micha Brumlik sah in diesem "obszönen Ritual" ein klares Signal zur "Rechtsverschiebung des bürgerlichen Lagers" durch die CDU/CSU: "Im Jahre 1985, vierzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, der Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus, leitete die große konservative Volkspartei den ideologischen Rechtsruck ein."6 1986/87 wurde im sog. Historikerstreit versucht, die Liberalisierung der politischen Kultur, meist mit dem Höhepunkt der Schüler- und Studentenbewegung im Jahr 1968 assoziiert, durch Relativierung des Holocaust und Rehabilitierung der NS-Täter rückgängig zu machen.7 Langsam verschob sich das politische Koordinatensystem der Bundesrepublik nach rechts. Später knüpften Debatten über das Buch Hitlers willige Vollstrecker von Daniel Goldhagen und Martin Walsers Frankfurter Friedenspreis-Rede im Oktober 1998 daran wenigstens mittelbar an.8 In jüngster Zeit ließen zwei Situationen deutlich erkennen, dass Kulturrassismus und Deutschnationalismus einflussreiche Strömungen innerhalb der politischen Öffentlichkeit geblieben sind: die Forderung des CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Friedrich Merz, nach Anpassung von MigrantInnen an die "deutsche Leitkultur" und die nach polemischer Kritik des grünen Umweltministers Jürgen Trittin an einer Interview-Äußerung von CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer, die Skinhead-Parolen glich, geführte "Nationalstolz"-Debatte.

Renationalisierung der politischen Kultur

Die deutsche Vereinigung hat den Nationalismus wieder zu einer relevanten Größe gemacht. Nun bekamen Kräfte spürbar Auftrieb, denen "das Nationale" immer schon mehr als "das Soziale" am Herzen gelegen hatte. REPublikaner, DVU und NPD konnten davon zwar weniger profitieren als die Unionsparteien; als eigentliche Sieger fühlten sich aber jene, die nach "Mitteldeutschland" nun auch die ehemaligen Ostgebiete des sog. Dritten bzw. Großdeutschen Reiches "heimholen" wollten.
Wiewohl es nach der Vereinigung von DDR und Bundesrepublik weder hüben noch drüben einen "Nationalrausch" (Wolfgang Herles) gab, hat eine partielle Renationalisierung der Politik und der politischen Kultur stattgefunden.9 Die Bundestagsentscheidung für Berlin wurde zumindest in Teilen der Öffentlichkeit als Distanzierung von der "Bonner Republik", als definitive Abkehr von der Westorientierung und längst überfällige "Rückbesinnung auf die Nation" interpretiert. Seit nicht mehr zwei miteinander verfeindete Teilstaaten existieren, erscheint Deutschland wieder als politisches Kollektivsubjekt, das "selbstbewusst" handeln soll und seinen BürgerInnen mehr Leistungs- bzw. Leidensfähigkeit abverlangen muss.10
Politisch-kulturelle Traditionen entscheiden mit darüber, auf welche Art eine Wirtschaftskrise oder eine gesellschaftliche Umbruchsituation, etwa DDR-"Wende" und deutsche Wiedervereinigung, kollektiv "verarbeitet" werden. Sofern ausgrenzend-aggressive Momente dominieren, werden die gesellschaftlichen Verteilungskämpfe zu Abwehrgefechten der Einheimischen gegen "Fremde" und zu interkulturellen Konflikten hochstilisiert.
Die 1991/93 extrem zugespitzte Asyldebatte hat nicht nur dem Grundrecht selbst geschadet, sondern auch die Verfassung und die demokratische Kultur der Bundesrepublik lädiert.11 Obwohl im Rahmen des Asylkompromisses zwischen CDU/CSU, FDP und SPD avisiert, blieb die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts, das sich hierzulande immer noch auf die völkische Abstammungslehre des "deutschen Blutes" stützt, bis zum Regierungswechsel im Herbst 1998 aus und wurde anschließend nur halbherzig verwirklicht: "Trotz aller in der Bundesrepublik erfolgten Angleichung an die westliche politische Kultur scheint eine zentrale Kategorie noch nicht heimisch geworden: die der republikanischen Staatsbürgernation."12
Symptomatisch dafür war die Unterschriftensammlung von CDU und CSU gegen den "Doppelpass" - gemeint war die Tolerierung der doppelten Staatsbürgerschaft - vor der hessischen Landtagswahl im Februar 1999, durch deren Ausgang sich die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat entscheidend zu Gunsten der Union verschoben. Ihr hatte die rot-grüne Koalition nichts entgegenzusetzen, indem sie ihr ursprüngliches Reformziel nur halbherzig verteidigte und auf eine Mobilisierung für die grundlegende Modernisierung des deutschen Staatsbürgerschaftsrechts verzichtete.
Gudrun Hentges erklärt die Brisanz und Resonanz der im Oktober 2000 entbrannten "Leitkultur"-Diskussion mit dem Zeitpunkt, zu dem sie geführt wurde: "Ein Jahrzehnt nach der Auflösung des sozialistischen Staatensystems und der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten stellt sich die Frage nach der ‚selbstbewußten Nation‘ neu - nicht nur in der sog. Sicherheits- und Verteidigungspolitik, sondern auch im Bereich der Ausländer- und Asylpolitik."13 Tatsächlich befindet sich die Bundesrepublik an einem möglichen Wendepunkt ihrer Entwicklung, wo eine zentrale Weichenstellung auf unterschiedlichen Politikfeldern erfolgt. Ob das vereinte Deutschland wieder nach einer Weltmachtrolle strebt und sich dafür ökonomisch-technologisch wie militärisch rüstet, dürfte von den dominanten Diskursen abhängen, deren Verlauf jedoch auch ganz wesentlich beeinflussen.
Gegenwärtig scheint es so, als würden die Themen der Rechten zu Themen der Mitte: Beispiele für eine Ethnisierung und Kulturalisierung sozialer, politischer sowie ökonomischer Prozesse belegen, dass sich dieser Prozess quer durch das etablierte politische und öffentliche Gefüge hindurchzieht.14 Weit über das ultrarechte Spektrum hinaus dominiert die Position, Deutschsein verlange den entsprechenden Nationalstolz wie zu Zeiten des Kaiserreiches oder des NS-Regimes.

Standortnationalismus

Von der Leitkultur-Diskussion führte ein gerader Weg zur Nationalstolz-Debatte, wie schon von der Asyldiskussion zur Standortdebatte, die Mitte der 90er-Jahre das Einfallstor für eine neue Spielart des Nationalismus darstellte.15 War zuerst die Furcht verstärkt worden, Ausländer nähmen "den Deutschen die Arbeitsplätze" weg, so wurde nun der Eindruck erweckt, das deutsche Kapital wandere ins Ausland ab (Bild am 6. Oktober 1999: "Hochsteuerland Deutschland: Haut Daimler ab in die USA?"). Das verbreitete Bewusstsein, auf den internationalen Märkten einer Welt von Feinden gegenüber zu stehen und durch "deutschen Erfindungsgeist", größeren Fleiß und mehr Opferbereitschaft die strukturelle Überlegenheit des "eigenen" Wirtschaftsstandortes dokumentieren zu müssen, bezeichne ich als "Standortnationalismus". Konkurrenzfähigkeit avanciert zum Dreh- und Angelpunkt. Dieser bleibt nicht ohne Konsequenzen für das gesellschaftliche Klima. Für die Nichtdeutschen in Deutschland ergeben sich ungünstigere Aufenthaltsbedingungen: "In einer Situation, in der das "ganze Volk" angehalten wird, "den Gürtel enger zu schnallen", liegt es auf den Stammtischen, daß "Fremde", seien es Arbeitsmigranten, Asylbewerber oder Flüchtlinge, nicht auch noch von den ohnehin knappen Mitteln bedient werden können. "Deutsch sein" heißt unter den Bedingungen des modernen Wohlfahrtsstaates, den eigenen Wohlstand zu verteidigen und Ansprüche anderer Gruppen zu delegitimieren und abzuwehren."16
Hierdurch eröffnen sich dem Rechtsextremismus ideologische Anknüpfungspunkte. Was bereits in der Ablehnung "deutschstämmiger" AussiedlerInnen durch AnhängerInnen und einzelne Gliederungen der REPublikaner zum Ausdruck kam, bestätigt sich: Nicht mehr der mythisch-völkische, sondern ein modernisierter, neoliberal und marktradikal orientierter Nationalismus beherrscht mittlerweile die ultrarechte Szene.17 Wirtschaft und Soziales sind zum zentralen Politikfeld der extremen Rechten geworden18, das sich als Konfliktherd für die demokratische Kultur erweist. Je enger die Verteilungsspielräume einer Gesellschaft werden, desto mehr steigt die Versuchung, sog. Randgruppen von bestimmten Ressourcen auszuschließen. Ethnisierung ist ein dafür geeigneter Exklusionsmechanismus, der Minderheiten konstruiert, diese negativ (etwa als "Sozialschmarotzer") etikettiert und damit eigene Privilegien zementiert.19 Vordergründig geht es bei der Ethnisierung um die "kulturelle Identität"; dahinter stecken aber in der Regel Interessenkonflikte in Bezug auf knappe gesellschaftliche Ressourcen. Zuerst erfolgt eine Stigmatisierung "der Anderen"; mit der Konstituierung/Konturierung einer nationalen bzw. "Volksgemeinschaft" sind allerdings weiter reichende politische und ökonomische Ziele verbunden. Mit der Ethnisierung sozialer Beziehungen korrespondiert eine "Kulturalisierung" der Politik, die nicht mehr auf materielle Interessen zurückgeführt, sondern auf die Wahrung kollektiver Identitäten reduziert wird.
Ein "nationaler Wettbewerbsstaat", der kein herkömmlicher Wohlfahrtsstaat mit einer umfassenden Verantwortung für soziale Sicherheit und Gerechtigkeit mehr sein möchte20, verschärft durch seine marktradikale Wirtschaftspolitik die soziale Ungleichheit und bereitet damit den Resonanzboden für gesellschaftliche Ausgrenzungs- und Ethnisierungsprozesse. Je mehr die Konkurrenz in den Mittelpunkt zwischenstaatlicher und -menschlicher Beziehungen rückt, umso leichter lässt sich die ethnische bzw. Kulturdifferenz politisch aufladen. Gegenwärtig greift ein Trend zum "hedonistisch-konsumistischen Sozialdarwinismus" um sich: "Nach dem globalen Sieg der Marktwirtschaft hat jenes Prinzip, demzufolge der Stärkere sich durchsetzt und das Schwache auf der Strecke bleibt, noch an Plausibilität gewonnen. Der aktuelle Rechtsextremismus und Rechtspopulismus beruht auf einer Brutalisierung, Ethnisierung und Ästhetisierung alltäglicher Konkurrenzprinzipien."21

Allgegenwärtigkeit des Marktes

Sozialdarwinismus wurzelt in der Erfahrungswelt einer Jugend, die durch das kapitalistische Leistungsprinzip, die Allgegenwart des Marktmechanismus und den Konkurrenzkampf jeder gegen jeden geprägt wird.22 Rivalität fungiert als Haupttriebkraft einer zerklüfteten, zunehmend in Arm und Reich gespaltenen Gesellschaft. "Die sozialdarwinistische Alltagsphilosophie, die damit einhergeht, erzeugt eine unauffällige, sich von direkter Gewalt fernhaltende und als "Sachzwang" der Ökonomie erscheinende Brutalität."23 Wo die permanente Umverteilung von unten nach oben mit dem Hinweis auf Globalisierungsprozesse - als für die Sicherung des "eigenen Wirtschaftsstandortes" unbedingt erforderlich - legitimiert wird, entsteht ein gesellschaftliches Klima, das Ab- und Ausgrenzungsbemühungen stützt. In einer Zeit verschärfter Konkurrenz eine ideologische Rechtfertigung der Missachtung ethischer Grundwerte und größerer sozialer Ungleichheit (im Sinne von Ungleichwertigkeit) zu offerieren, bildet Franz Josef Krafeld zufolge einen Hauptgrund für die wachsende Attraktivität rechtsextremer Orientierungen.24
Die (den Verwertungsmechanismen privater Profitmaximierung unterworfenen) Massenmedien tun ein Übriges, um die Bevölkerung in "gute Einheimische" und "böse Fremde" aufzuteilen, wobei JournalistInnen ihrer Verantwortung hinsichtlich einer seriösen Berichterstattung nicht immer gerecht werden.25

Rechtsextremismus im Zeichen der Globalisierung

Kernideologien, organisatorische Formen, politische Strategien und soziale Wählerpotenziale des Rechtsextremismus differenzieren sich im Rahmen der Globalisierung aus: Neben dem völkischen Nationalismus in Bevölkerungsschichten, die Angst vor einem "Turbo-Kapitalismus" (Edward N. Luttwak) haben, tritt ein Standortnationalismus, den in erster Linie solche Schichten unterstützen, die von einer neoliberalen Modernisierung profitieren, den "Umbau" des Wohlfahrtsstaates nach Marktgesetzen forcieren und die soziale Ausgrenzung der weniger Leistungsfähigen intensivieren möchten.
Rechtsextremismus, Rassismus und Gewalt sind keineswegs bloß "hinterwäldlerisch" anmutende Reaktionsweisen direkt betroffener oder benachteiligter Gruppen auf neoliberale Modernisierungs- und soziale Marginalisierungsprozesse. Vielmehr verursachen diese auch in der gesellschaftlichen Mitte bzw. genauer: auf den "höheren Etagen" bedrohliche Erosionstendenzen. "Gefahren der Entwicklung - auch solche der sozialen Desintegration und rechtsextremer Potentiale - gehen nicht von der "Masse" der Bevölkerung aus. In der politischen Qualifikation der alten und neuen Eliten liegt das Problem."26
Globalisierung führt zu diversen Spaltungen: Soziale Polarisierung innerhalb der und zwischen Gesellschaften27; Dualisierung des Prozesses transnationaler Wanderungen in Experten- bzw. Elitenmigration und Elendsmigration28; Krise bzw. Zerfall der Städte, bedingt durch Marginalisierung und sozialräumliche Segregation 29; gehören zu den negativen Folgen, auf die der Rechtsextremismus eine demagogische Antwort gibt.
Geradezu prototypisch für den Rechtspopulismus in Westeuropa stehen Jörg Haider und seine FPÖ, die über einen längeren Zeitraum neben sozialen AufsteigerInnen und BefürworterInnen eines Modernisierungskurses auch sozial Benachteiligte und zutiefst verunsicherte MittelständlerInnen gewinnen konnten30, bis die stärkere Belastung der ArbeitnehmerInnen durch die ÖVP/FPÖ-Bundesregierung im März 2001 bei der Wiener Gemeinderats- bzw. Landtagswahl erhebliche Stimmenverluste nach sich zog. Krisen- und Auflösungserscheinungen innerhalb des politischen Systems führen jedoch auch dann, wenn sich keine rechtspopulistische Partei etablieren oder auf Dauer halten kann, zu tektonischen Verschiebungen zwischen seinem Zentrum und der Peripherie: "Die äußerste Rechte befindet sich nicht mehr am Rand des politischen Spektrums, sondern in dessen Mitte."31
Wilhelm Heitmeyer vertritt die These, "daß sich ein autoritärer Kapitalismus herausbildet, der vielfältige Kontrollverluste erzeugt, die auch zu Demokratieentleerungen beitragen, so daß neue autoritäre Versuchungen durch staatliche Kontroll- und Repressionspolitik wie auch rabiater Rechtspopulismus befördert werden."32 Noch in einer anderen Hinsicht bereitet die neoliberale Hegemonie, die außer der "sozialen Symmetrie" des wohlfahrtsstaatlich organisierten Kapitalismus auch die Demokratie gefährdet, den Nährboden für Rechtsextremismus und Neofaschismus. Die scheinbare Übermacht der kapitalistischen Ökonomie gegenüber der Politik bzw. transnationaler Konzerne gegenüber dem einzelnen Nationalstaat zerstört den Glauben junger Menschen an die Gestaltbarkeit von Gesellschaft, treibt sie in die Resignation und verhindert so demokratisches Engagement, das im Zeichen der viel beschworenen "Globalisierung" allerdings nötiger denn je wäre.33

Anmerkungen

1) Vgl. zur Kritik dieser und vergleichbarer Ansätze: Christoph Butterwegge: Rechtsextremismus, Rassismus und Gewalt. Erklärungsmodelle in der Diskussion, Darmstadt 1996

2) Vgl. Dieter Bott: Jugend und Gewalt. In: Deutsche Jugend 2/1993, S. 87

3) Vgl. hierzu: Christoph Butterwegge: Wohlfahrtsstaat im Wandel. Probleme und Perspektiven der Sozialpolitik, 3. Aufl. Opladen 2001

4) Klaus Dörre: Globalisierung - Ende des rheinischen Kapitalismus?. In: Dietmar Loch/Wilhelm Heitmeyer (Hrsg.): Schattenseiten der Globalisierung. Rechtsradikalismus, Rechtspopulismus und separatistischer Regionalismus in westlichen Demokratien, Frankfurt am Main 2001, S. 79

5) Vgl. dazu vor allem: Kurt Sontheimer: Deutschlands Politische Kultur, 2. Aufl. München/Zürich 1991; Wolfgang Bergem: Tradition und Transformation. Eine vergleichende Untersuchung zur politischen Kultur in Deutschland, Mit einem Vorwort von Kurt Sontheimer, Opladen 1993; Martin Greiffenhagen/Sylvia Greiffenhagen: Ein schwieriges Vaterland. Zur politischen Kultur im vereinigten Deutschland, München/Leipzig 1993

6) Micha Brumlik: Das Öffnen der Schleusen. Bitburg und die Rehabilitation des Nationalismus in der Bundesrepublik. In: Georg M. Hafner/Edmund Jacoby (Hrsg.): Die Skandale der Republik, Frankfurt am Main 1989, S. 264

7) Vgl. z.B. Heinrich Senfft: Kein Abschied von Hitler. Ein Blick hinter die Fassaden des "Historikerstreits", Köln 1990

8) Vgl. dazu: Wolfgang Wippermann: Wessen Schuld? Vom Historikerstreit zur Goldhagen-Kontroverse, Berlin 1997; Martin Dietzsch/Siegfried Jäger/Alfred Schobert (Hrsg.): Endlich ein normales Volk? Vom rechten Verständnis der Friedenspreis-Rede Martin Walsers. Eine Dokumentation, Duisburg 1999; Johannes Klotz/Gerd Wiegel (Hrsg.): Geistige Brandstiftung? Die Walser-Bubis-Debatte, Köln 1999

9) Vgl. dazu: Andreas Dietl/Heiner Möller/Wolf-Dieter Vogel: Zum Wohle der Nation, Berlin 1998; Siegfried Jäger u.a.: Der Spuk ist nicht vorbei. Völkisch-nationalistische Ideologeme im öffentlichen Diskurs der Gegenwart, Duisburg 1998; Margret Jäger/Siegfried Jäger: Gefährliche Erbschaften. Die schleichende Restauration rechten Denkens, Berlin 1999

10) Vgl. z.B. Arnulf Baring: Deutschland: was nun?, Ein Gespräch mit Dirk Rumberg und Wolf Jobst Siedler, Berlin 1991; Heimo Schwilk/Ulrich Schacht (Hrsg.): Die selbstbewußte Nation. "Anschwellender Bocksgesang" und weitere Beiträge zu einer deutschen Debatte, 2. Aufl. Berlin/Frankfurt am Main 1994; Arnulf Baring: Scheitert Deutschland?, Abschied von unseren Wunschwelten, Stuttgart 1997

11) Vgl. dazu: Heribert Prantl: Deutschland - leicht entflammbar. Ermittlungen gegen die Bonner Politik, München/Wien 1994; Alfons Söllner: Asylpolitik, Fremdenfeindschaft und die Krise der demokratischen Kultur in Deutschland - eine zeitgeschichtliche Analyse. In: Uwe Backes/Eckhard Jesse (Hrsg.): Jahrbuch Extremismus und Demokratie 7, Baden-Baden 1995, S. 43 ff.

12) Bruno Schoch: Der Nationalismus - bekannt, nicht erkannt. In: Berthold Meyer (Red.): Eine Welt oder Chaos?, Frankfurt am Main 1996, S. 53

13) Gudrun Hentges: Die Büchse der Pandora. Deutsche Leitkultur und nationale Interessen. In: Ulrich Schneider (Hrsg.): Tut was! Strategien gegen Rechts, Köln 2001, S. 65

14) Vgl. Christoph Butterwegge/Alexander Häusler: Themen der Rechten - Themen der Mitte. Rechtsextreme Einflüsse auf Debatten zu Migration, Integration und multikulturellem Zusammenleben. Medienexpertise im Auftrag der Landesarbeitsgemeinschaft der kommunalen Migrantenvertretungen Nordrhein-Westfalen (LAGA NRW), Februar 2001 (erhältlich bei der LAGA NRW, Helmholtzstr. 28, 40215 Düsseldorf, Tel. 0211/994160

15) Siehe hierzu: Christoph Butterwegge: Marktradikalismus, Standortnationalismus und Wohlstandschauvinismus - die Sinnkrise des Sozialen als Nährboden der extremen Rechten. In: Christoph Butterwegge/Rudolf Hickel/Ralf Ptak: Sozialstaat und neoliberale Hegemonie. Standortnationalismus als Gefahr für die Demokratie, Berlin 1998, S. 121 ff.

16) Frank-Olaf Radtke: Fremde und Allzufremde. Der Prozeß der Ethnisierung gesellschaftlicher Konflikte. In: Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung: Abt. Arbeits- und Sozialforschung (Hrsg.): Ethnisierung gesellschaftlicher Konflikte. Eine Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung am 11. Oktober 1995 in Erfurt, Bonn 1996, S. 14

17) Vgl. dazu: Herbert Schui u.a.: Wollt ihr den totalen Markt? Der Neoliberalismus und die extreme Rechte, München 1997

18) Vgl. Jens Mecklenburg: Bestandsaufnahme und Perspektiven des Rechtsextremismus. In: Jens Mecklenburg (Hrsg.): Was tun gegen Rechts, Berlin 1999, S. 13

19) Vgl. Wolf-Dietrich Bukow: Feindbild: Minderheit. Ethnisierung und ihre Ziele, Opladen 1996

20) Siehe Joachim Hirsch: Der nationale Wettbewerbsstaat. Staat, Demokratie und Politik im globalen Kapitalismus, Berlin/Amsterdam 1995

21) Jutta Menschik-Bendele/Klaus Ottomeyer: Sozialpsychologie des Rechtsextremismus. Entstehung und Veränderung eines Syndroms, Opladen 1998, S. 303

22) Vgl. Reinhard Kühnl: Nicht Phänomene beschreiben, Ursachen analysieren. Zum Problem der extremen Rechten in der Bundesrepublik Deutschland. In: Ulrich Schneider (Hrsg.): Tut was! a.a.O., S. 32 f.

23) Arno Klönne: Schwierigkeiten politischer Jugendbildung beim Umgang mit dem Thema "Rechtsextremismus". In: Christoph Butterwegge/Georg Lohmann (Hrsg.): Jugend, Rechtsextremismus und Gewalt. Analysen und Argumente, 2. Aufl. Opladen 2001, S. 266

24) Vgl. Franz Josef Krafeld: Zur Praxis der pädagogischen Arbeit mit rechtsorientierten Jugendlichen. In: Wilfried Schubart/Richard Stöss (Hrsg.): Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Bilanz, Opladen 2001, S. 287

25) Vgl. hierzu: Christoph Butterwegge/Gudrun Hentges/Fatma Sarigöz (Hrsg.): Medien und multikulturelle Gesellschaft, Opladen 1999; Christoph Butterwegge/Gudrun Hentges: "Ausländer und Asylmissbrauch" als Medienthema: Verantwortung und Versagen von Journalist(inn)en. In: Christoph Butterwegge/Georg Lohmann (Hrsg.): Jugend, Rechtsextremismus und Gewalt, a.a.O., S. 83 ff.

26) Michael Vester: Wer sind heute die "gefährlichen Klassen"?, Soziale Milieus und gesellschaftspolitische Lager im Wandel. In: Dietmar Loch/Wilhelm Heitmeyer (Hrsg.): Schattenseiten der Globalisierung, a.a.O., S. 343

27) Vgl. dazu: Sebastian Herkommer (Hrsg.): Soziale Ausgrenzungen. Gesichter des neuen Kapitalismus, Hamburg 1999; Hans-Jürgen Bieling: Dynamiken sozialer Spaltung und Ausgrenzung. Dynamiken sozialer Spaltung und Ausgrenzung. Gesellschaftstheorien und Zeitdiagnosen, Münster 2000

28) Vgl. hierzu: Christoph Butterwegge/Gudrun Hentges (Hrsg.): Zuwanderung im Zeichen der Globalisierung. Migrations-, Integrations- und Minderheitenpolitik, Opladen 2000

29) Vgl. dazu: Wilhelm Heitmeyer u.a. (Hrsg.): Die Krise der Städte. Analysen zu den Folgen desintegrativer Stadtentwicklung für das ethnisch-kulturelle Zusammenleben, Frankfurt am Main 1998; Jens S. Dangschat (Hrsg.): Modernisierte Stadt - gespaltene Gesellschaft. Ursachen von Armut und sozialer Ausgrenzung, Opladen 1999; Klaus Ronneberger u.a.: Die Stadt als Beute, Bonn 1999; Peter Bremer: Ausgrenzungsprozesse und die Spaltung der Städte. Zur Lebenssituation von Migranten, Opladen 2000; Wilhelm Heitmeyer/Reimund Anhut (Hrsg.): Bedrohte Stadtgesellschaft. Soziale Desintegrationsprozesse und ethnisch-kulturelle Konfliktkonstellationen, Weinheim/München 2000

30) Vgl. z.B.: Brigitte Bailer-Galanda/Wolfgang Neugebauer: Haider und die Freiheitlichen in Österreich, 2. Aufl. Berlin 1997; Christa Zöchling: Haider. Licht und Schatten einer Karriere, 2. Aufl. Wien 1999; Hans-Henning Scharsach (Hrsg.): Haider. Österreich und die rechte Versuchung, Reinbek bei Hamburg 2000; ders./Kurt Kuch: Haider. Schatten über Europa, Köln 2000

31) Ursula Birsl/Peter Lösche: (Neo-)Populismus in der deutschen Parteienlandschaft. Oder: Erosion der politischen Mitte. In: Dietmar Loch/Wilhelm Heitmeyer (Hrsg.): Schattenseiten der Globalisierung, a.a.O., S. 369 f.

32) Siehe Wilhelm Heitmeyer: Autoritärer Kapitalismus, Demokratieentleerung und Rechtspopulismus. Eine Analyse von Entwicklungstendenzen. In: ebd., S. 500

33) Vgl. Arno Klönne: Schwierigkeiten politischer Jugendbildung beim Umgang mit dem Thema "Rechtsextremismus", a.a.O., S. 262

Prof. Dr. Christoph Butterwegge, Jahrgang 1951, leitet die Abteilung für Politikwissenschaft und ist Geschäftsführender Direktor des Seminars für Sozialwissenschaften an der Universität Köln.

Forum Wissenschaft 3/2001