Ökonomie vor dem Absturz?

Die Aussichten der Konjunktur

Alles redet über die Bedrohung durch den "Terrorismus". Aber welche Bedrohung geht von der Konjunktur aus?

Die terroristischen Anschläge in den USA zielten auf die Regierungs- und Militäradministration (Washington) sowie auf das Nervenzentrum der Finanzökonomie (New York). Mit der Zerstörung des World Trade Center, der massiven Beschädigung einiger benachbarter Gebäude und der zeitweiligen Lahmlegung der Börsen ist zwar kein Kollaps ausgelöst worden, aber die wirtschaftliche Talfahrt hat sich seither beschleunigt.

Seit Monaten lahmt die US-Konjunktur und mit ihr die kapitalistische Weltwirtschaft. Die japanische Ökonomie, die seit dem spektakulären Platzen der Finanzblase 1989/90 beständig um die Null-Linie pendelt, ist im 2. Quartal 2001 deutlich geschrumpft, was entsprechende negative Ausstrahlungseffekte auf die benachbarten kapitalistischen Satelliten-Ökonomien hatte. Die Abschwächung des Wirtschaftswachstums in der Euro-Zone bot gleichfalls kein Hoffnungszeichen für eine Umkehr der globalen Entwicklungstendenz. Und in einigen Schwellenländern (wie der Türkei, Argentinien, Brasilien) zogen schon vor den folgenreichen Ereignissen in den USA gewaltige Gewitterwolken auf. Für die kapitalistische Ökonomie insgesamt mussten die Wachstumsprognosen im laufenden Jahr mehrfach zurückgenommen werden.

Eine Panikreaktion infolge der Terror-Attentate blieb allerdings aus. Die US-Notenbank sorgte im Verbund mit der Europäischen Zentralbank für eine reichliche Versorgung des kapitalistischen Finanzsystems mit Notenbankgeld (insgesamt eine Summe von ca. 150 Mrd. Dollar), sodass es nicht zu Unterbrechungen der Zahlungsketten infolge gestörter Zirkulation gekommen ist. Die unmittelbaren ökonomisch-finanziellen Effekte der Anschläge bewegten sich immerhin in der Größenordnung einer schweren Naturkatastrophe. Betroffen waren drei Bereiche:
- Die Immobilienschäden werden auf 40 Milliarden Dollar geschätzt.
- In der Konsequenz wurde dadurch die Versicherungswirtschaft geschädigt. Gebäudeschäden sowie Zahlungen für die große Zahl von Verletzten und Toten und den Ausfall von Geschäftstätigkeit werden die Versicherungen voraussichtlich mit einem dreistelligen Milliardenbetrag belasten.
- Schließlich ist die zuvor bereits angeschlagene Luftfahrtindustrie durch die vorübergehende Schließung des Luftraums und die nachfolgende Änderung des Verbraucherverhaltens in massive Turbulenzen geraten. Sie muss mit erheblichen Verlusten rechnen, die durch staatliche Überbrückungssubventionen in Höhe von 15 bis 25 Mrd. Dollar kompensiert werden sollen. Gleichwohl gehen von den Sanierungs- und Entlassungsmaßnahmen (in den USA zunächst rund 100.000 Beschäftigte) deutliche negative Effekte für die Einkommens- und Wirtschaftskreisläufe aus.

Die höhere Bewertung der Aktien von Bauunternehmen und Firmen, die Sicherheitsdienste anbieten, zeigt umgekehrt, dass es auch positive Impulse gibt. Der US-Kongress hat mit einem Sofortprogramm von 40 Mrd. Dollar einen wirtschafts- und finanzpolitischen Pfad eröffnet, der in den nächsten Wochen durch Subventionen für die Luftfahrtgesellschaften und ein allgemeines Konjunkturprogramm erweitert werden wird. Weitere Steuererleichterungen für Unternehmen und Steuersenkungen auf Kapitalerträge sollen dafür sorgen, dass die Behauptung des US-Präsidenten - "Unsere Unternehmen werden die Herausforderungen bestehen" - praktisch wahr wird.

Der stärkste Effekt zur Stützung der Ökonomie ging - kurzfristig - von der konzertierten Senkung der Leitzinsen durch die Notenbanken in den USA, Kanada, im Euro-Raum, in Japan, Großbritannien, der Schweiz und in den skandinavischen Ländern aus. Für die USA sind mit dieser achten Zinssenkung im laufenden Jahr die Finanzierungskosten für Kapitalkredite deutlich gesenkt worden. Insofern können diese Maßnahmen in Verbund mit den kräftigen Liquiditätsspritzen und den Ansätzen für Konjunkturprogramme nicht nur einfach als Beruhigungspille für die Finanzmärkte interpretiert werden. Die Wiedereröffnung der Wall Street hat weitere Entwertungsprozesse bei den Wertpapieren sichtbar gemacht, aber faktisch sind wir schon seit dem Frühjahr 2000 mit einem Crash auf Raten konfrontiert. Die entscheidende Frage lautet daher: Wird in den USA mit der wirtschafts- und finanzpolitischen Gegenreaktion eine Konsolidierung erreicht? Werden die kommenden Monate einen Aufwärtstrend bringen?

Der Verbraucher, das unbekannte Wesen

In den USA wurde mit dem scharfen Einbruch bei den Unternehmensinvestitionen im letzten Quartal 2000 eine längere Phase ökonomischer Prosperität beendet. Seither ist durch den Preisverfall auf den Wertpapiermärkten eine enorme Kapitalvernichtung erfolgt. Die Entwertung von Unternehmenspapieren hat erheblichen Einfluss auf die Wertkreisläufe und damit auf das für die Wertschöpfung eingesetzte Kapital. Abgesehen von erheblichen Verlusten bei der Besicherung von Krediten, haben die Reduktion der Unternehmensgewinne und Veränderungen der durchschnittlichen Zinssätze auch erheblichen Einfluss auf die Bewertung und Abschreibung des Fixkapitals. Die drastische Vernichtung im Bereich des zinstragenden Kapitals hat durchaus die Größenordnung wie beim Platzen der spekulativen Finanzblase in Japan Anfang der 90er Jahre. Eine vergleichbare Schädigung für die US-Ökonomie konnte bisher ausgeschlossen werden, weil der Immobilienmarkt in den USA nicht gleichermaßen von Preisstürzen erfasst worden ist. Der private Konsum, die Immobilien- und Bauwirtschaft und der staatliche Verbrauch haben in den USA bislang als Stabilisatoren im Abwärtstrend gewirkt. Angesichts des hohen Preisniveaus bei Liegenschaften konnte durch Umschichtung auf billigere Hypothekarkredite ein beträchtlicher Teil der Konsumenten Finanzressourcen für den Privatkonsum freischaufeln. "Im Jahr 2000 hat sich der Wert des privat genutzten Wohnungseigentums in Amerika um 1,1 Billionen Dollar erhöht. Zugleich sank der Wert des Aktien- und Fondsvermögens amerikanischer Haushalte bis Ende vergangenen Jahres um 2,2 Billionen Dollar. Insgesamt haben die gestiegenen Immobilienpreise daher dazu beigetragen, dass der private Konsum zwar schwächer, aber nicht eingebrochen ist."1 Diese Stützung der Konjunktur über den privaten Konsum lässt sich nicht einfach fortschreiben. Steigende Arbeitslosenzahlen und die weitere Eintrübung der ökonomischen Perspektiven können zu einem Umschlag führen.

Ökonomische Risiken

Im August 2001 ist die Kapazitätsaus-las-tung in der Industrie auf 76,2% gesunken - ein letztmalig 1960 verzeichneter Wert. Seither sind die Gewinnerwartungen, die Investitionen und die Beschäftigtenzahlen weiter zurückgenommen worden. Auch wenn das verabschiedete Notstandspaket von 40 Mrd. $ in den nächsten Wochen durch ergänzende Maßnahmen aufgestockt wird, dürfte eine neue Phase industrieller Expansion noch einige Zeit auf sich warten lassen. Zwar verbreiten IWF, Banken und Konjunkturexperten überwiegend die Botschaft, dass sich die Erholung der Weltwirtschaft lediglich ein paar Monate verzögere und eine Rezession weder für Amerika noch für die Welt zu befürchten sei. Doch argumentativ ist dieser Optimismus genau so dürftig wie die monatelang vorgetragene Einschätzung einer bloßen Schwächephase (Konjunkturdelle). Gegen die These, dass es noch vor Jahresende zu einem Aufschwung kommen werde, sprechen folgende Argumente:
- Die US-Ökonomie hat in den 90er Jahren ihre Funktion, Konjunkturlokomotive für die kapitalistischen Metropolen und die Globalökonomie zu sein, ausgebaut. Japan ist nach wie vor weit von einer erfolgreichen Sanierung der geplatzten Finanzblase entfernt. Europa - und hier vor allem Deutschland - hat durch Lohn- und Einkommenszurückhaltung die Exportorientierung gesteigert und bewegt sich im Schlepptau des Hegemons der Weltwirtschaft.
- Die Kapitalentwertung hat mittlerweile beträchtliche Größenordnungen erreicht. Nach einer Phase mit vielen Gewinnwarnungen gehen mehr und mehr Unternehmen zur Restrukturierung über und die sich abzeichnenden Entlassungen werden das Konsumentenvertrauen weiter untergraben. Ähnlich wie bei der Finanzblase in Japan unterstellen viele Finanzinstitute und Unternehmen, dass sich das einstige Kursniveau der Wertpapiere rasch wiederherstellen werde. Diese Einstellung verhindert die zügige Abschreibung von Verlusten. Zwar wurden diese Eigentumstitel inzwischen um rund ein Drittel entwertet, aber viele Finanzanalysten können noch keine "›Bodenbildung" erkennen.
- An der Peripherie des kapitalistischen Weltsystems hat sich die Situation für viele Krisenländer dramatisch verschärft. Exemplarisch sei auf die Türkei verweisen. Die Türkei hat im Zusammenhang mit einem Notstandspaket in Höhe von 15,7 Mrd. Dollar mit der Umsetzung des 17. Sanierungsprogramms unter der Aufsicht des Internationalen Währungsfonds (IWF) begonnen. Wichtige Schritte (Bankenschließungen, Privatisierung, Kürzung öffentlicher Ausgaben) sind vollzogen. Bis August gingen die Renditen für staatliche Schuldtitel von 91% im Juli auf ca. 80% im August zurück. Eine geplante Umschuldungsaktion von Auslandsverbindlichkeiten in Höhe von 1,8 Mrd. $ musste jetzt allerdings auf unbestimmte Zeit vertagt werden, weil das Vertrauen des internationalen Finanzkapitals in die türkische Wirtschaft stark zurückgegangen ist. Der Grund: Das Bruttoinlandsprodukt ist um fast 10% gesunken. Die türkische Währung verliert weiter an Wert, und mit Blick auf das Kriegsklima wird mit starken Einbrüchen im Tourismus gerechnet. Außerdem haben die Geldtransfers der türkischen Gastarbeiter aus dem Ausland stark nachgelassen. Schon jetzt wird mit dem IWF über die Umschuldung einer im Jahr 2002 fälligen Rückzahlung von 5 Mrd. $ verhandelt. Jede weitere Verschlechterung der internationalen Ökonomie würde die türkische Wirtschaft massiv schädigen. Internationale Finanzinstitutionen wie der IWF können nur noch sehr begrenzt neue Mittel für die Absturzkandidaten zur Verfügung stellen, weil die Finanzressourcen selbst erschöpft sind.
- In einer ähnlich trostlosen Lage befinden sich einige Länder Südamerikas (Argentinien, Brasilien) und Asiens (Indonesien, Philippinen).

Erdöl im Strudel der Weltpolitik

Zu den Gewinnern der ökonomischen Turbulenzen im Gefolge der barbarischen Terroranschläge gehören die Unternehmen des Energiesektors, vor allem die Erdölproduzenten. Die politischen Formeln - Kriegserklärung, Vergeltungsschläge etc. - haben schlagartig die chronische Unsicherheit über die Versorgung mit Erdöl aufgedeckt. Jede Produktionsstörung würde - auch abgesehen von den Erwartungen der Beteiligten - die Preise dras-tisch nach oben treiben.

Der Erdölpreis liegt zur Zeit bei ca. 29 $ je Fass für die in Europa übliche Qualität. Die sich seit längerem abzeichnende weltwirtschaftliche Abschwächung war von vielen Beteiligten in die Erwartung weiterer Preissenkungen umgesetzt worden. Bekanntlich hatte der Lieferengpass im vergangenen Jahr die Marktpreise nach oben getrieben. Erst durch den Ausbau der Förderung der erdölexportierenden Länder und die schwächelnde Konjunktur konnte dieser Engpass überwunden werden. In Erwartung weiter fallender Preise hatten die Händler gezögert, ihre Reserven aufzufüllen.

Kommt es also zu den sich abzeichnenden Militärattacken gegen Afghanis-tan oder andere islamisch geprägte Staaten, dürfte die Erdölförderung zeitweilig beeinträchtigt werden. Eine solche Entwicklung würde erneut Kaufkraft umverteilen, was für einige Länder wie Russland sicher enorm positive Effekte hätte, aber für den Großteil der kapitalistischen Hauptländer und einen beträchtlichen Teil der unterentwickelt gehaltenen Länder würde diese Umschichtung fatale ökonomische Folgen haben.

Schon im eigenen Interesse müssten die USA daher den Kampf gegen terroristische Strömungen mit nichtmilitärischen Mitteln und Methoden vorantreiben. Sicherlich dient die im Schnelldurchgang gezimmerte internationale Koalition gegen den Terror auch dazu, eine mögliche Spaltung des Weltislam und der islamisch geprägten Staaten zu unterlaufen. Ob dieses politische Kalkül aufgeht, werden die nächsten Wochen zeigen. Es bedarf allerdings keiner großen prognostischen Fähigkeiten, um für den Fall militärischer Auseinandersetzungen einen Anstieg des Erdölpreises vorauszusagen, der dann im Zusammenspiel mit der weiteren Verunsicherung und Verängstigung der Konsumenten den Absturz in eine tiefere weltwirtschaftliche Rezession besiegelt.