Terror & Krieg

Einleitung zum SPW-Heftschwerpunkt

Es ist eher die Zeit für eine Waffenpause als für die Bereitstellung weiterer Soldaten und Kriegsmaterialien, seien sie aus Deutschland, England oder sonst wo her.

Ist seit dem 11. September wirklich alles anders geworden? Diese Frage ist nur zu beantworten, wenn wir die verschiedenen Problembereiche entmischen, um sie kritisch zu analysieren und dann neu zusammenzusetzen.

Im Gegensatz zu früheren Formen politischer Gewalt, der sich zumeist gegen ausgewählte Repräsentanten des zu bekämpfenden Systems richtete, hat sich im letzten Jahrzehnt verstärkt eine Strategie entwickelt, bei der es um eine möglichst große Zahl von Opfern unter geplanter Inkaufnahme des eigenen Todes geht. Im Mittelpunkt steht nicht der Anschlag, mit dem eine politische Forderung (welcher Natur auch immer) durchgesetzt werden soll, sondern der Akt der Opferung selbst wird zum Fokus des Attentats. Politische Gewalt wird zu Terrorismus, wo die Zerstörung von möglichst vielen Menschenleben die eigentliche Botschaft wird. Wohnte ersterem eine wenn auch verquere und menschenverachtende vorgebliche Rationalität inne, so dominiert in zweitem die Irrationalität einer religiösen Mystifizierung. Die Selbst- und Massentötung wird als heilsbringender Opfergang der Attentäter zelebriert und wirbt so um Anerkennung ihrer Zielgruppen. Dieser Terrorismus rekrutiert seine Anhänger aus der Erfahrung des Elends der Flüchtlingslager, gekoppelt mit dem Gefühl der Demütigung durch die Weltmächte - ohne dass ihre Akteure (wie bei den mutmaßlich Beteiligten am World-Trade-Center Attentat) selbst aus elenden Verhältnissen kommen müssen. Stattdessen scheint es sich nicht selten um studierte und finanziell gutgestellte Personen zu handeln. Denn dieser Terrorismus ist keine spezifische Folge der Armut der Völker im Zeichen der Globalisierung, sondern nutzt Armut und Verzweifelung als Katalysator für religiös oder auch machtpolitisch begründete Ziele.

Der aktuelle Kampf bin Ladens richtet sich denn auch weniger gegen die ökonomische Ausbeutung, für die der kapitalistische Westen Verantwortung trägt, sondern gegen die islamische Welt, die die Präsenz des Westens auf ihrem Hoheitsgebiet zulässt. Es ist also weniger ein Kampf gegen die Knute der Unterdrückung, sondern darum, wer diese Knute führt.

Insofern ist die Einbindung islamischer Staaten wie Pakistan oder sogar auch Iran in eine globale ,,Anti-Terror-Strategie" unerlässlich, jedoch mit der bislang von den USA verfolgten ,,Schurkenstaaten-Strategie" nicht vereinbar. Und das nun geschmiedete Bündnis ist im höchsten Maße widersprüchlich, stützt es doch einerseits moralisch höchst zweifelhafte Systeme, während andererseits nicht ausgeschlossen ist, dass damit nicht genau das herauf beschworen wird, was verhindert werden soll, nämlich eine weitere Destabilisierung der Regionen, etwa durch die Machtübernahme radikaler Islamisten in Pakistan oder die Ausweitung der Grenzkonflikte zwischen Pakistan und Indien.

Zwei Kriege in drei Jahren

Die Bundesrepublik steht jetzt also vor ihrer zweiten aktiven Kriegsbeteiligung binnen dreier Jahre. Die ,,uneingeschränkte Solidarität", die Bundeskanzler Schröder nach den Terroranschlägen auf das World-Trade Center dem US-Präsidenten Georg W. Bush zugesagt hatte, die Beschlussfassung über den Bündnisfall, der Beginn der Bombardements Afghanistans am 07. Oktober mündete zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe in die Pressekonferenz des Bundeskanzlers, mit der er die Bereitstellung von knapp 4000 deutschen Soldaten für den Einsatz im Krieg gegen Afghanistan ankündigte, um den Bündnisverpflichtungen der USA nach zu kommen.

Die Gründe gegen die Bereitstellung deutscher Soldaten sind gewichtig. Felix Welti formuliert in einer eMail-Aktion an sozialdemokratische Abgeordnete am 07.11.2001 drei Aspekte:

,,1. Durch die Weite des von der Regierung verlangten Mandats werden die Entscheidungsrechte des Bundestags für diese Wahlperiode ausgehebelt. Rücksichtnahme auf kritische Stimmen aus SPD und Grünen ist nach diesem Beschluss nicht mehr zu erwarten.

2. Die Wirksamkeit des Krieges in Afghanistan als Verteidigung oder Prävention gegen Terrorismus ist nicht erkennbar. Vielmehr ist zu befürchten, dass das Kalkül der Urheber der Anschläge aufgegangen ist, USA und NATO zum Krieg zu provozieren, Fronten aufzubauen und die eigene Basis in den islamischen Ländern zu stärken. Es ist zu befürchten, dass der islamistische Terrorismus gestärkt aus diesem Krieg hervorgeht.

3. Die innerhalb von SPD und Grünen diskutierte Strategie einer Eindämmung des Krieges durch Beteiligung und Mitentscheidung wirkt zur Zeit nicht erfolgreich. Was Gerhard Schröder vorgetragen hat, lässt nicht erkennnen, dass eine räumliche oder zeitliche Begrenzung der Militäreinsätze in Sicht ist."

Gegen die Beteiligung deutscher Soldaten am Krieg in Afghanistan zu sein bedeutet nicht, sich dem St.-Florians-Prinzip hin zu geben, sondern verknüpft sich mit grundsätzlichen Überlegungen, deren wesentlichste aus der Frage geboren ist, ob sich die Logik des Terrors durch die des Krieges brechen lässt. In allen Beiträgen, die wir in diesem Schwerpunkt versammelt haben, ist die Antwort eindeutig ,,Nein". Um zu diesem Ergebnis zu kommen, bedarf es nicht einmal einer pazifistischen Grundhaltung, es genügt eine nüchterne Betrachtung der ,,Gefechtslage".

Trotz wochenlanger Bombardierung Afghanistans unter Inkaufnahme des Todes von bald Tausend Zivilisten ist völlig unklar, welche Schäden den Taliban und den Kämpfern bin Ladens wirklich zugefügt wurden. Die Geländegewinne der Nord-Allianz waren bislang marginal, und was würde passieren, wären sie erfolgreicher? Bis heute hat der Krieg gegen Afghanistan mehr dazu beigetragen, dass sich weitere Tausend islamische Kämpfer den Taliban anschließen. Wollten NATO und USA Afghanistan wirklich erobern, müssten sie sich auf einen jahrelangen Kampf wie in Vietnam gefasst machen. Der Terroranschlag hätte dann ein allseits angenommenes Ziel erreicht, nämlich die Westmächte in einen langen, zermürbenden Krieg mit unzähligen Toten auf allen Seiten zu ziehen.

Es ist deshalb eher die Zeit für eine Waffenpause als für die Bereitstellung weiterer Soldaten und Kriegsmaterialien, seien sie aus Deutschland, England oder sonst wo her.

Bedürfnis nach Sicherheit

Krieg und Terror führen zu erheblichen Verunsicherungen auch in den Ländern, die nicht unmittelbar an den militärischen Aktionen beteiligt sind. Hinzu kommt, dass der Terrorismus nicht mit Händen greifbar, aber trotzdem allgegenwärtig zu sein scheint. Die Aufregungen um tatsächliche und vermeintliche Milzbrandanschläge zeugen davon.

Die reale Angst der Menschen verlangt Sicherheit nach innen und außen. Aber wie ist innere Sicherheit mit einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung vereinbar zu halten? Die Wege, die sowohl in den USA als auch aktuell in Deutschland beschritten werden, scheinen uns eher das Pendel hin zum Abbau von Freiheitsrechten ausschlagen zu lassen, ohne dass dadurch jedoch wirklich Sicherheit erhöht würde.

Ein Grundproblem liegt unseres Erachtens darin, dass Politik zu stark auf fehlerempfindliche Großstrukturen orientiert, seien es technikstarrende Verteidigungssysteme beim Militär, Polizei oder Geheimdienste, sei es aber auch die der sozioökonomischen Landschaft. Wir müssten uns mehr um die Verwandlung unwirtlicher Strukturen der großen Städten in Sozialräume bemühen, in den die personale Präsenz von Polizei Sicherheit signalisiert. Überschaubare Strukturen, bekannte Gesichter schaffen mehr Sicherheit als Großflächigkeit und Anonymität technischer Kontrollsysteme.

Konsequenzen aus der Solidarität

Nach den Anschlägen hat es gute Gründe gegeben, den USA Solidarität auszusprechen. Dies erforderten allein schon Respekt und Mitgefühl, die in erster Linie aber den Opfern und ihren Angehörigen zu entbieten sind. Die Qualität einer Zivilisation bemisst sich schließlich auch darin, wie sie in der Lage ist, kollektive Trauer für individuelles Leid auszudrücken. Davon zu trennen ist jedoch die Abgabe von Versprechen etwas zu leisten, von dem niemand weiß, welche Konsequenzen dies haben wird.

Strategisch mochte es außenpolitisch für den Bundeskanzler Sinn gemacht haben, den USA die ,,uneingeschränkte Solidarität" Deutschlands zuzusagen und damit die Bündnisverpflichtungen vorab zu antizipieren gemäß dem Motto, nur wer mit im Boot sitzt, kann auch über den Kurs mitbestimmen. Tatsächlich waren die Sorgen groß, dass die außenpolitisch noch nicht sehr erfahrene Bush-Administration zu hektischen Gegenschlägen und zum nach innen gerichteten Unilateralismus neigen könnte. Das öffentliche Signal, das von der Bundesregierung ausging, war aber verwirrend. Sollte damit bereits der Bündnisfall angenommen werden? Versuchte die Bundesregierung - an den europäischen Partnern vorbei - sich bei der US-Regierung ,,Lieb-Kind" zu machen? War es also nicht eher vorauseilender Gehorsam als das Streben nach deutscher Großmannssucht, die Schröder zu seiner Zusage trieb? Die immer währende sozialdemokratische Angst, treulose, antiamerikanische Gesellen zu sein?

Aus einer devoten Haltung heraus kann natürlich auch kein freundschaftlicher Druck ausgeübt werden, und erst Recht dann nicht, wann man die europäischen Partner vor den Kopf stößt, in dem nur mit ausgewählten Regierungschefs die enge Abstimmung gesucht wird. All dies zeigt auch, dass die Europäische Union von einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik weiter entfernt denn je ist. So verwundert es letztlich nicht, wenn die US-Regierung die Strategie eines ,,konsultierenden Unilateralismus" anwendet und die Stimmen in den USA selber zunehmen, die darauf setzen, den Krieg mit eigenen Bodentruppen selbst in die Hand zu nehmen.

Dazu passen auch die Irritationen darüber, dass Schröder am 06.11. verkündet, die USA habe konkrete Bedarfsanforderungen an das deutsche Militär gestellt, während sich gleichzeitig US-Verteidigungsminister Rumsfield am 07.11. darüber sehr überrascht zeigt, man habe lediglich über dieses und jenes gesprochen, aber auf keinen Fall konkrete Bedarfsanforderungen gestellt. Heribert Prantl verglich das Vorgehen des Kanzlers mit dem Bismarcks 1870, als er eine Depesche bewusst dramatisiert an die Zeitungen gab, um eine kriegsgünstige Stimmung zu erzeugen.

Diese ,,Irritation" zwischen der US-Administration und der Bundesregierung lüftete aber auch ein wenig den Schleier von der medialen Inszenierung, die dieser Krieg mit sich bringt. Überhaupt sind es diese unerwarteten Widersprüche und Kommunikationsbrüche, die eine kritische Öffentlichkeit in die Lage versetzt, Fragen zu formulieren, und Gegen-Aufklärung im besten Sinne zu organisieren. Nur wenn sich Risse in der Mauer der ,,Sprachregelungen" zeigen, können Zweifel an der ,,Unabwendbarkeit von Entscheidungen" artikuliert werden.

Literatur:

Ernst-Otto Czempiel, Die Globalisierung schlägt zurück (Langfassung), FR vom 05.11.2001 (www.frankfurter-rundschau.de)

Kritische Interventionen 6 - Gewalt und Zivilisation in der bürgerlichen Gesellschaft, Hannover 2001-11-07

Heribert Prantel, Der Ernstfall, SZ vom 08.11.2001, (www.sueddeutsche.de/deutschland/politik/29459/index.php)

spw-Schwerpunkt ,,Gewalt und Zivilisation", spw Heft 97 (5/97)

spw-Schwerpunkt ,,Schöne Neue Weltordnung", spw Heft 107 (3/99)