Zur Theorie der Geschlechterverhältnisse

in (27.03.2002)
Frigga Haug 1. Das Vorhaben 2. Geschlechterverhältnisse als Produktionsverhältnisse 3. Diskussion im Feminismus

1. Das Vorhaben

In Gesellschaftstheorien, Ethnologie, Kritik der Politischen Ökonomie, Geschichte, feministischen Theorien, Männerforschung u.a. ist das Wort Geschlechterverhältnisse geläufig, wenn auch selten begrifflich scharf gefasst. Es gilt daher, zugleich mit der Diskussion unterschiedlicher Auffassungen, Geschlechterverhältnisse überhaupt erst als theoretischen Begriff und damit eine Theorie der Geschlechterverhältnisse zu erarbeiten. Ich formuliere vorweg als ein vorläufiges Resultat: Der Begriff Geschlechterverhältnisse soll tauglich sein, die Einspannung der Geschlechter in die gesellschaftlichen Gesamtverhältnisse kritisch zu untersuchen. Er setzt voraus, was selbst Resultat der zu untersuchenden Verhältnisse ist: die Existenz von "Geschlechtern" im Sinne der je historisch vorfindlichen Männer und Frauen. Die Komplementarität bei der Fortpflanzung ist die natürliche Basis, auf der im historischen Prozess sozial geformt wird, auch, was als "natürlich" zu gelten hat. In dieser Weise treten die Geschlechter als Ungleiche aus dem Gesellschaftsprozess, wird ihre Nicht-Gleichheit zur Grundlage weiterer Überformungen und werden Geschlechterverhältnisse fundamentale Regelungsverhältnisse in allen Gesellschaftsformationen. Sie durchqueren bzw. sind wiederum zentral für Fragen von Arbeitsteilung, Herrschaft, Ausbeutung, Ideologie, Politik, Recht, Religion, Moral, Sexualität, Körper und Sinnen, Sprache, ja, im Grunde kann kein Bereich sinnvoll untersucht werden, ohne die Weise, wie Geschlechterverhältnisse formieren und geformt werden, mit zu erforschen. Davon abzusehen gelingt nur, wenn man zugleich -- wie dies in der Wissenschaft traditionell üblich -- davon ausgeht, dass es nur eines, das männliche Geschlecht gibt und alle Verhältnisse also als männliche abzubilden sind. Dagegen zu opponieren und mit der Erforschung der "vergessenen Frauen" als Nachtrag auch in den Wissenschaften zu beginnen, ist ein Verdienst des Feminismus des letzten Drittels des zwanzigsten Jahrhunderts. Freilich wird dabei häufig im Ansatz der Blick verstellt durch die Phänomenologie der Männer und Frauen, wie sie als Effekt von Geschlechterverhältnissen in Gesellschaft in Beziehung zueinander auftreten, was die Analyse auf Zwischenmenschliches zieht, als sei dies aus sich selbst heraus begründbar. Im Deutschen ist dies vor allem deutlich, wenn das Wort in den Singular rückt: das Geschlechterverhältnis, wie dies in fast allen Arbeiten geschieht. (Eine Recherche im Internet im Jahre 2000 nach Veröffentlichungen zur Problematik seit 1994 ergab 145 Titel in deutscher Sprache, von denen nur vier den Pluralbegriff benutzten. Im angelsächsischen ist ausschließlich der Pluralbegriff gebräuchlich, freilich ist dafür gender ein Singularterm. Die Einzahl mag angemessen sein, wenn es um den Proporz von Männern und Frauen in ausgewählten Bereichen geht. Wer sie in weiterem Sinn gebraucht, tut sich in der Folge schwer, eine unterstellte Festigkeit dessen, was Geschlechter sind, zu unterlaufen. Um den Begriff so zu fassen, dass er dem Beweglich-Veränderlichen seines Gegenstandes Rechnung tragen kann, ist der Plural angemessen. Das Pluralprojekt Geschlechterverhältnisse soll wie der Begriff Produktionsverhältnisse Praxisverhältnisse (mehrere) der Geschlechter fassen und dabei sowohl die Formierung der Akteure als auch die Reproduktion des gesellschaftlichen Ganzen auf dieser Grundlage der Erkenntnis zugänglich machen. Kein festes Verhältnis also und keine natürlichen festen Akteure. Die Formulierungen verorten die Studie in marxistische wie in feministische Theoriegeschichte. Im Jahre 2000 fasst Regina Becker-Schmidt die Lage wie folgt zusammen: ‘Es ist der feministischen Forschung bisher nicht gelungen, eine Theorie der Geschlechterverhältnisse zu entwerfenÂ’ (61). Der folgende Text arbeitet an der Besetzung dieser Leerstelle. Die Forschung ist umfangreich, verlangt historisches Herangehen. An dieser Stelle beschränke ich mich darauf, aus dem neuerlichen Studium von Marx und Engels, sowie Gramsci und Althusser, die Umrisse einer Theorie von Geschlechterverhältnissen kritisch zu begründen und in Diskussion mit feministischen Arbeiten zu überprüfen.1

2. Geschlechterverhältnisse als Produktionsverhältnisse

In seinem ersten Entwurf einer Kritik der politischen Ökonomie, den Manuskripten 44, spricht Marx von den ‘beiden Geschlechtern in ihren sozialen VerhältnissenÂ’ (MEW 40, 479). Diese Formulierung ist für eine Theorie der Geschlechterverhältnisse tragfähig. Der frühe Engels äußert sich zum Verhältnis der Geschlechter, meint aber wesentlich die Beziehung von Männern und Frauen zueinander. Beide, Marx und Engels, orientieren seit ihren Frühschriften auf herrschaftsfreie Mann-Frau-Beziehungen, die sie im Fundament ihres gesellschaftlichen Emanzipationsprojekts verankern. Im Kontext des -- Fourier aufnehmenden -- berühmten Satzes, der ‘Grad der weiblichen EmanzipationÂ’ sei ‘das natürliche Maß der allgemeinen EmanzipationÂ’ (Heilige Familie, MEW 2, 208), wird das Prinzip aufgestellt, an der Entwicklung der Geschlechterbeziehung die Entwicklung der Menschen abzulesen, ‘weil hier im Verhältnis des Weibes zum Mann, des Schwachen zum Starken, der Sieg der menschlichen Natur über die Brutalität am evidentesten erscheintÂ’ (ebd.). Laut Manuskripte 44 entscheidet sich am ‘Verhältnis des Mannes zum WeibeÂ’, ‘inwieweit das Bedürfnis des Menschen zum menschlichen Bedürfnis [...] geworden ist, inwieweit er in seinem individuellsten Dasein zugleich Gemeinwesen istÂ’ (MEW 40, 535). Das Szenario der Deutschen Ideologie rückt die Problematik ins Zentrum. Unter den ‘MomentenÂ’, ‘die vom Anbeginn der Geschichte an und seit den ersten Menschen zugleich existiert habenÂ’, fungiert, dass ‘die Menschen, die ihr eignes Leben täglich neu machen, anfangen, andre Menschen zu machen, sich fortzupflanzen -- das Verhältnis zwischen Mann und Weib, Eltern und Kindern, die Familie. Diese Familie, die im Anfange das einzige soziale Verhältnis ist, wird späterhin, wo die vermehrten Bedürfnisse neue gesellschaftliche Verhältnisse, und die vermehrte Menschenzahl neue Bedürfnisse erzeugen, zu einem untergeordneten VerhältnisÂ’ (MEW 3, 29f). Und von Anfang an gilt: ‘Die Produktion des Lebens, sowohl des eignen in der Arbeit wie des fremden in der Zeugung, erscheint nun schon sogleich als ein doppeltes Verhältnis -- einerseits als natürliches, andrerseits als gesellschaftliches Verhältnis --, gesellschaftlich in dem Sinne, als hierunter das Zusammenwirken mehrerer Individuen [...], verstanden wird. Hieraus geht hervor, daß eine bestimmte Produktionsweise oder industrielle Stufe stets mit einer bestimmten Weise des Zusammenwirkens oder gesellschaftlichen Stufe vereinigt ist, und diese Weise des Zusammenwirkens ist selbst eine "Produktivkraft" [...] also die "Geschichte der Menschheit" stets im Zusammenhange mit der Geschichte der Industrie und des Austausches studiert und bearbeitet werden muß.Â’ (MEW 3, 29f) Unrealisiert bleibt dabei nur, dass dazu auch die komplementäre Regel gelten muss, nämlich die politisch-ökonomische Geschichte nie in Abstraktion von der Geschichte jenes natürlich-gesellschaftlichen Verhältnisses zu studieren. Der Hinweis, dass diese ‘FamilieÂ’ genannte Organisation zu einem ‘untergeordneten VerhältnisÂ’ wird, verlangt zudem, den Prozess dieser Unterordnung eigens zu untersuchen. Es gibt in der Deutschen Ideologie eine Reihe von Hinweisen, wie die Entwicklung in diesem Bereich vorangeht. Als fundamental gilt die ‘ungleiche, sowohl quantitative wie qualitative Verteilung der Arbeit und ihrer Produkte [...], also das Eigentum, das in der Familie, wo die Frau und die Kinder die Sklaven des Mannes sind, schon seinen Keim, seine erste Form hat.Â’ (32) Die ‘latente Sklaverei in der FamilieÂ’ wird begriffen als ‘das erste EigentumÂ’, wobei die Autoren hervorheben, dass dieses ‘hier schon vollkommen der Definition der modernen Ökonomen entspricht, nach der es die Verfügung über fremde Arbeitskraft istÂ’ (ebd.). (2001 erschien ein bisher unveröffentlichtes Manuskript von Marx zum Selbstmord, hg. von Eric Plaut u. Kevin Anderson; hier studiert Marx die Dokumente zum Selbstmord von Peuchet unter der Frage der Frauenunterdrückung in der Familie, einer patriarchalischen Form, deren Abschaffung er für notwendig hält). Die Teilung der Arbeit entwickelt sich mitsamt den Bedürfnissen weiter auf der Grundlage von Überschüssen und bringt diese wiederum eweitert hervor, wie auch die selbständige Produktion der Lebensmittel ein Ergebnis der ‘Vermehrung der BevölkerungÂ’ ist und sie befördert (MEW 3, 21). Arbeitsteilung birgt weiter die Möglichkeit, dass ‘der Genuss und die Arbeit, Produktion und Konsumtion, verschiedenen Individuen zufallenÂ’ (31), sie ist damit zugleich Voraussetzung von Herrschaft und von Entwicklung. Zwei einander überlagernde Herrschaftsarten bestimmen den Fortgang der Geschichte, die der Verfügung einiger über die Arbeitskraft vieler in der Lebensmittelproduktion und die Verfügung der (meisten) Männer über weibliche Arbeitskraft, Gebärfähigkeit und den sexuellen Körper der Frauen in der "Familie". Das widersprüchliche Ineinander bewirkt, dass die Entwicklung des Gemeinwesens zugleich mit der Zerstörung seiner Grundlagen voranschreitet, gestützt und getragen durch Geschlechterverhältnisse, in denen aus Herrschaftsgründen das sozial Überformte als Natur behauptet und mit der Natur die sinnlich-körperliche Substanz unterworfen wird. Marx und Engels verlassen nach diesen skizzenhaften Anfängen den Bereich der Geschlechterverhältnisse in ihrer Kritik der Politischen Ökonomie. Ins Zentrum rücken Kapitalverhältnis, Arbeit in der Industrie und Austausch.

Symptomatisches Lesen

In seinem Buch Das Kapital lesen interessiert Louis Althusser u.a., wie Marx in seiner Kritik an Adam Smith den Wert der Ware herausarbeiten konnte, der doch zugleich im Text von Smith abwesend war. Er nannte das methodische Verfahren eine ‘Symptomatische LesweiseÂ’. ‘Wenn unter ganz besonders kritischen Umständen die Entwicklung der von einer Problematik produzierten Fragen [...] dazu führt, die flüchtige Anwesenheit eines Aspekts des Unsichtbaren im sichtbaren Feld der Problematik hervorzubringen, so kann dieses Hervorgebrachte selbst auch nur unsichtbar sein; denn das Licht des Feldes gleitet blind darüber hin, ohne sich in ihm zu brechen. Das Unsichtbare enthüllt sich dann in seiner Qualität als theoretisches Versehen, als Abwesenheit, Mangel oder Symptom.Â’ (Bd. 1, 31 ff) Um das Unsichtbare sichtbar zu machen, bedarf es praktisch eines zusätzlichen ‘wissenden BlicksÂ’, eines anderen Standpunkts, der aus dem bearbeiteten Text gewonnen wird und ihn überschreitet. Ich lese also im folgenden einige Passagen von Marx und Engels mit der Frage nach den Geschlechterverhältnissen, die wie eine Art Störsendung durch ihre Texte laufen, und deren Bearbeitung nicht auf dem Niveau der sonstigen Analysen erfolgt. So entdecken wir immer wieder Blockierungen, die Austragungsformen der Geschlechterverhältnisse sind, dies insbesondere in Bezug auf die kapitalistische Produktionsweise. Beide notieren sorgfältig die Zusammensetzung des neuen Fabrikpersonals nach Geschlechtern. Marx exzerpiert: "In den englischen Spinnereien sind nur 158818 Männer und 196818 Weiber beschäftigt. [...] In den englischen Flachsfabriken von Leeds zählte man auf 100 männliche Arbeiter 147 weibliche; in Druden und an der Ostküste Schottlands sogar 280. [...] Auch in den nordamerikanischen Baumwollfabriken waren im Jahre 1833 nebst 18593 Männern nicht weniger als 38927 Weiber beschäftigt." (MEW 40, 479) -- Engels kommt nach Auswertung einer Vielzahl von Statistiken zu dem Ergebnis, 1839 seien in den englischen Fabrikindustrien mindestens zwei Drittel der Arbeitenden Frauen gewesen. Er nennt dies eine ‘Verdrängung männlicher ArbeiterÂ’, eine ‘Umkehrung der sozialen OrdnungÂ’, die zu Auflösung der Familie und Verwahrlosung der Kinder führe. Dabei reflektiert er zunächst die geschlechtliche Arbeitsteilung nicht weiter, die ihn dazu führte, die Arbeiterschaft als genuin männlich zu denken (Lage, MEW 2, 367f, 465). Wenig später entdeckt er, dass bei gesellschaftlicher Teilung von außerhäuslicher und häuslicher Arbeit unabhängig vom jeweiligen Geschlecht der Akteur der zweiten von dem der ersten beherrscht wird. Das fasst eine Grundlage herrschaftlicher G. Doch Engels gibt die Empörung über die Lage der Fabrikarbeiterinnen wesentlich mit Kategorien der Moral (Sittenverderb) wieder. Dies erschwert es, den Zusammenhang als Effekt kapitalistisch ausgebeuteter spezifischer Geschlechterverhältnisse zu sehen. Er erkennt, ‘dass die Geschlechter von Anfang an falsch gegeneinandergestellt worden sind. Ist die Herrschaft der Frau über den Mann, wie sie durch das Fabriksystem notwendig hervorgerufen wird, unmenschlich, so muss auch die ursprüngliche Herrschaft des Mannes über die Frau unmenschlich seinÂ’ (MEW 2, 371). Das Problem verortet er in der Gütergemeinschaft mit ungleichen Beiträgen. Er schlussfolgert, dass das Privateigentum die Beziehungen der Geschlechter zersetzt. Umgekehrt denkt er die proletarische Familie, weil eigentumslos, als herrschaftsfrei. ‘Wirkliche Regel im Verhältnis zur Frau wird die Geschlechtsliebe und kann es nur werden unter den unterdrückten Klassen, also heutzutage im Proletariat [...] Hier fehlt alles Eigentum, zu dessen Bewahrung und Vererbung ja gerade die Monogamie und die Männerherrschaft geschaffen wurdenÂ’, MEW 21, 73). Der Gedanke wirkte als ethisches Ideal in der Arbeiterbewegung. Als Aussage über ein tatsächliches Hier und Jetzt war er allezeit kontrafaktisch. Er verfehlt theoretisch die Funktion der Arbeitsteilung zwischen Haus und Fabrik, und damit die Rolle der Geschlechterverhältnisse für die Reproduktion der kapitalistischen Gesellschaft. Im Weiteren gilt Engels' Interesse v.a. dem Mann/Frau-Verhältnis, nicht der Untersuchung, wie Geschlechterverhältnisse alle Praxen von Menschen durchqueren. Von der kommunistischen Gesellschaft erwartet er, dass sie ‘das Verhältnis der beiden Geschlechter zu einem reinen Privatverhältnis machen [wird ...,] worin sich die Gesellschaft nicht zu mischen hat. Sie kann dies, da sie das Privateigentum beseitigt und die Kinder gemeinschaftlich erzieht und dadurch die beiden Grundlagen der bisherigen Ehe, die Abhängigkeit des Weibes vom Mann und der Kinder von den Eltern vermittelst des Privateigentums, vernichtet.Â’ (MEW 4, 377) Im Kapital I notiert Marx, Erhaltung und Reproduktion der Arbeiterklasse als Bedingung für die Reproduktion des Kapitals blieben ‘dem Selbsterhaltungs- und Fortpflanzungstrieb der Arbeiter überlassenÂ’ (MEW 23, 597f). Dies trifft zu, von Formen der "Armenpflege" und "Sozialfürsorge" abgesehen, kann jedoch die Theorie dazu verführen, den Vorgang als Privatsache aus dem Brennpunkt des Interesses zu rücken und womöglich als bloße Gabe der Natur zu betrachten. Ein Effekt der Verfügung der Männer über die Frauen in der Familie besteht darin, dass die Arbeit der Frauen weniger gilt als die der Männer. Dieser Umstand macht Frauenarbeit als Billigarbeit für die kapitalistische Ausbeutung besonders geeignet. Marx wertet die amtlichen Berichte aus, in denen zunächst grammatisch geschlechtsneutral Arbeiter vorkommen; sobald es Frauen und Kinder sind, werden diese extra und als Besonderheit genannt. So kommt eine selbstverständliche Männlichkeit in die Diktion; zugleich registriert Marx, dass männliche Arbeiter durch Frauen und Kinder ersetzt werden. Unter gleichbleibenden Geschlechterverhältnissen hat diese Praxis die Zerstörung der natürlichen Grundlagen der Arbeiterklasse zur Folge. Weil die Annahme der Männlichkeit des Proletariats sich eher unterderhand in die Texte mischt, wird von Marx und Engels nicht wirklich expliziert, dass die Form der Lohnarbeit tatsächlich den männlichen Lohnarbeiter bedingt, bzw. Geschlechterverhältnisse, in denen die Arbeit der Lebensmittelproduktion, soweit sie warenförmig geschieht, eine gesellschaftliche Angelegenheit unter privater Herrschaft ist, die Reproduktion der Arbeitenden (K I, MEW 23, 186), als den einzelnen Familien privat überantwortet, dagegen keine gesellschaftliche Angelegenheit scheint. Das Ineinander von kapitalistischer Ausbeutung und einer Arbeitsteilung in überkommenen Geschlechterverhältnissen zeigt, dass kapitalistische Produktion u.a. auf Frauenunterwerfung basiert. -- Mitten in der Konzentration auf Kapitalismus blitzt bei Marx die Erkennntis auf: ‘Doch bleibt es dabei, dass zu ihrem Ersatz ihre Reproduktion nötig, und insofern ist die kapitalistische Produktionsweise bedingt durch außerhalb ihrer Entwicklungsstufe liegende Produktionsweisen.Â’ (MEW 24, 114) -- Dieser Gedanke wurde von Rosa Luxemburg (Akkumulation des Kapitals) aufgenommen und von Mies, Bennholdt-Thommsen, von Werlhoff weitergeführt, freilich ohne Marx zu erwähnen. Bereits in den Manuskripten 44 beobachtet Marx ‘eine ökonomisch selbständigere StellungÂ’ der Frauen, indem ihnen ‘durch die Veränderungen im Organismus der Arbeit [...] ein weiterer Kreis von Erwerbstätigkeit zugefallenÂ’ ist, wodurch die ‘beiden Geschlechter in ihren sozialen Verhältnissen einander nähergerücktÂ’ sind (MEW 40, 479). In Kapital I interessiert dann die ‘eigentümliche Zusammensetzung des Arbeitskörpers aus Individuen beider GeschlechterÂ’ (MEW 23, 446f), schließlich die Einsetzung der Frauen ‘in gesellschaftlich organisierten Produktionsprozessen jenseits der Sphäre des HauswesensÂ’ als ‘neue ökonomische Grundlage für eine höhere Form der Familie und des Verhältnisses beider GeschlechterÂ’ (514). Hier ist tatsächlich das Verhältnis (Singular) als Verhalten zueinander gemeint, allerdings von den Verhältnissen in der Arbeit austrahlend in alle Bereiche. Die Zusammenarbeit der Geschlechter auf engem Raum und bei Nacht hält Marx unter gegebenen Produktionsverhältnissen für eine ‘Pestquelle des Verderbs und der SklavereiÂ’ (MEW 23, 514; vgl. Engels Lage, MEW 2, 372, 465). als Horizont aber bleibt, dass sie, sobald ‘der Produktionsprozess für den Arbeiter da istÂ’, zur ‘Quelle humaner EntwicklungÂ’ (ebd.) wird. Die Perspektive hat sich in den staatssozialistischen Ländern verengt auf die Berufstätigkeit von Frauen. Da das Gesamt der zur Reproduktion nötigen Arbeiten und ihre Stützung in Moral, Recht, Politik, kurz: Ideologie, Sexualität usw. nicht in die Analyse eingeht, verfehlt diese Lösung die Hartnäckigkeit und Verzweigtheit der Geschlechterverhältnisse. -- Jene Verkürzung hat in der Arbeiterbewegung dazu geführt, ein Nacheinander für die Befreiungskämpfe anzunehmen, wobei übersehen wurde, dass die Geschlechterverhältnisse immer auch Produktionsverhältnisse sind und also, wie stark das Stützungsverhältnis für die Reproduktion der jeweiligen Form der Gesamtverhältnisse ist. Man kann also nicht zuerst die Produktionsverhältnisse revolutionieren und dann erst die Geschlechterverhältnisse. In den letzten drei Jahren seines Lebens (1880-82) legte Marx ausgiebige ethnologische Exzerpte an, die von Engels in seine Arbeit Ursprung der Familie aufgenommen wurden. Marx zusammenfassend formuliert Krader, der Herausgeber der Exzerpte, als Lektüre-Motiv: ‘Die aus Gleichen bestehende Urgemeinschaft ist die revolutionäre Form der Gesellschaft, welche nach der historischen Veränderung, die die Menschheit erfahren hat, und nachdem die Ausbeutung in Form von Sklaverei, Leibeigenschaft und Kapitalismus überwunden ist, einen neuen Inhalt haben wird.Â’ (14f) Von der Ethnologie verspricht er sich Beweise für die Möglichkeit kooperativer menschlicher Institutionen und kommunaler, gemeinschaftlicher Arbeitsbeziehungen. -- Das Morgan-Exzerpt umfasst den größten Raum. ‘FamilieÂ’ und Verwandtschaft sind Schwerpunkte, die eine Prüfung für die Frage der Geschlechterverhältnisse ertragreich machen. Marx folgt zumeist Morgans Auffassungen, so dass die Verwunderung, wann über Geschlechterverhältnisse geschwiegen, wann sie behandelt werden, beide Autoren trifft. Das Material legt die Auffassung nahe, dass die menschliche Entwicklung aus kommunistischer Gleichheit durch die Entstehung des Privateigentums zu Herrschaft und Unterdrückung geführt wurde, dass dieser Prozess zugleich mit Fortschritt einherging und über die Stufen der Barbarei zur zivilen Gesellschaft führte. Erfindungen und Entdeckungen sicherten nicht nur das Überleben, sie legten die Möglichkeit für Überfluss und damit die Grundlagen für die Entstehung von Reichtum, den sich privat anzueignen historische Wirklichkeit wurde. Marx exzerpiert genau die von Morgan vorgeführten Verwandschaftslinien -- von der Blutsverwandschaftsfamilie über die Punalua- zur Paarungsfamilie, zur patriarchalen Familie, die er mit Morgan für eine Ausnahme hält, bis zur Monogamie. Bei Morgan interessiert ihn auch der später von Bloch, Althusser u.a. ausgearbeitete Gedanke einer Ungleichzeitigkeit. ‘Das System hat die Gebräuche überlebt, worin es entsprang, und erhält sich noch unter ihnen, obgleich es in der Hauptsache für die jetzt geltende Abstammung unrichtig ist.Â’ (135) Welche Frauen und welche Männer jeweils einander in Gruppenehe heiraten durften, wird deshalb relevant, weil sich in dieser Weise die Stammeslinien der Gentes bestimmten. Überall gab es Matrilinearität, d.h. die Kinder blieben bei der Mutter, bzw. bei der mütterlichen Gens. Der Vater gehörte einer anderen Gens an. In den Anfängen der Menschheitsentwicklung richten sich die Erfindungen auf die Beschaffung des Lebensunterhalts und sind auf diese Weise leicht vorstellbar für beide Geschlechter. ‘Gemeinsame Länderein und gemeinschaftlicher Feldbau mussten zu gemeinschaftlichen Wohnhäusern und einem kommunistischen Haushalt führen [...] Frauen bekamen in großen, mit gemeinsamen Vorräten versorgten Haushaltungen, in denen ihre eigene gens ein zahlenmäßiges Übergewicht hatte, einen mächtigen Halt.Â’ (344) Die Lage der Frauen verschlechterte sich, ‘mit dem Entstehen der monogamen Familie, die das gemeinschaftliche Wohnhaus abschaffte, die Frau und Mutter inmitten einer rein gentilen Gesellschaft in ein Einzelhaus stellte und sie von ihrer gentilen Verwandschaft trennteÂ’ (ebd.). Man gewinnt den Eindruck, dass ständige Kriegszüge zur Erfindung von besseren Waffen führten und zur Herausbildung von Heerführern (als wichtige Erfindungen werden genannt Pfeil und Bogen, das eiserne Schwert (Barbarei), Feuerwaffen (Zivilisation). Sowie von Häuptlingen, Räten und politischen Versammlungen die Rede ist, -- als Auswahlkriterium wird notiert: persönliche Tüchtigkeit, Weisheit, Beredsamkeit (199) -- kommen Frauen rätselhaft nurmehr an einer Stelle vor: Die irokesischen ‘Frauen durften ihre Wünsche und Meinungen durch einen Sprecher eigener Wahl ausdrücken. Die Entscheidung traf der RatÂ’ (227). Während sich die Exzerpte nach den Heiratsarten auf die Entwicklung von Getreideanbau, Domestizierung von Tieren; Kriegszüge und die Herausbildung von Eigentum, später von politischer Gesellschaft konzentrieren, gewinnt man überhaupt keinen Eindruck von der Tätigkeit von Frauen. Man kann eher implizit entnehmen, dass die Zuständigkeit für Kinder -- wie vermutlich auch die Geburten; immerhin vermehrten sich die Menschen schnell, aber selbst diese Notiz erhält nur einen Verweis auf vermehrte Konsumtionsmittel (172) -- sie von Kriegszügen abhielten, diese aber durch Eroberung zur Anhäufung von Reichtum führten. ‘Dem folgte im Laufe der Zeit die systematische Bebauung der Erde, was dazu führte, dass sich die Familie mit dem Boden identifizierte und zu einer Organisation zur Erzeugung von Eigentum wurde.Â’ (184) Dies erhellt die Selbstverständlichkeit männlichen Eigentums, der väterlichen Erbfolgelinie und der entsprechenden Monogamie. Schließlich wird das Familienoberhaupt (männlich) ‘das natürliche Zentrum der AkkumulationÂ’ (ebd.). Die Konzentrierung auf die Geschichte der Männer geschieht eher implizit, oft verrät sie sich in spontaner Wortwahl. Marx notiert: ‘Auf der Unterstufe beginnen die höheren Eigenschaften der Menschheit sich zu entwickeln: persönliche Würde, religiöses Empfinden, Offenheit, Männlichkeit und Tapferkeit werden jetzt allgemeine Charakterzüge, aber auch Grausamkeit, Hinterlist und Fanatismus.Â’ (176) Den Androzentrismus scheint er nicht zu bemerken. -- Solange es kein privates Eigentum gab, war die Abstammungslinie über die Mütter offenbar ebensowenig problematisch wie ihre Autorität. Marx notiert ohne weitere Erklärung: ‘Sobald Eigentum in größeren Massen sich ansammelte [...] und ein immer größer werdender Teil in Privatbesitz war, wurde die Abstammung in weiblicher Linie (wegen der Erbschaft) reif zur Abschaffung.Â’ (342) Die Herkunft wurde nun nach dem Vater (patrilinear) bestimmt. Dies wurde u.a. dadurch möglich, dass die allmählich sich herausbildenden "politischen" Machtpositionen (Häuptlinge, Rat, Richter) ebenfalls männlich besetzt waren. Zur Morganlektüre Fouriers notiert Marx eine Erweiterung früherer Bestimmungen der Familie und ihres Verhältnisses zur weiteren Gesellschaft: Fourier charakterisiert die Epoche der Zivilisation durch Monogamie und Grund-Privateigentum. Die moderne Familie enthält im Keim nicht nur servitus (Sklaverei), sondern auch Leibeigenschaft, da sie von vornherein Beziehung hat auf Dienste im Ackerbau. Sie enthält in Miniatur alle die Antagonismen in sich, die sich später breit entwickeln in der Gesellschaft und ihrem Staat. (Ethnolische Exzerpthefte, 53) Man kann aus dem Studium von Morgan und Marx schließen, dass Krieg und Privateigentum Geschlechterverhältnisse bestimmen, die das ursprüngliche Gemeinwesen zersetzen und so eine Entwicklung auf der Grundlage von Ungleichheit befördern. -- Leider schweigt Marx zu einer ethnologischen Forschung, die nach den Verwicklungen, wer wen heiraten durfte und wie Matrilinearität und Urkommunismus zusammenhingen, weitgehend auf Frauenhandeln und -leben verzichtet. Die Relektüre ethnologischer Studien, die dieses Schweigen zum Sprechen bringt, wird das späte Werk marxistischer und feministischer Ethnologie. Claude Meillassoux kritisiert an der Marxschen Lektüre und ihrer Aufnahme durch Engels, sie seien ‘in die ideologische Falle der BlutsverwandschaftÂ’ getappt und hätten ihre eigene Methode, die ‘Reproduktion des LebensÂ’ und die Produktionsverhältnisse als ‘gesellschaftliche ReproduktionsverhältnisseÂ’ zu analysieren, nicht angewandt (1994, 318). Diese Kritik lässt sich ausdehnen auf die Behandlung der Geschlechterverhältnisse bei den Klassikern insgesamt. -- Zur schärferen Fassung der Geschlechterverhältnisse in der Entwicklung der Menschheit lässt sich lernen, dass diese in einer Geschichtsschreibung nahezu unsichtbar bleiben, wofern nicht weibliche Arbeit im Rahmen der Gesamtarbeit, sowie Frauenteilhabe an Politik und Verwaltung mit detektivischem Blick gesucht werden. Die ethnologischen Hefte wurden erst 1972 veröffentlicht. Aber Engels hatte schon 1884 die marxschen Morganexzerpte und seine eigne Lektüre von Bachofen als Buch zusammengefasst und damit zugleich das Material bereitgestellt und die Diktion, in der Frauenunterdrückung gedacht wurde. Damit wurde auch eine Leseweise gestärkt, die Geschlechterverhältnisse gewissermaßen zusätzlich und außerhalb der überformenden Produktionsverhältnisse auffasste. In seinem berühmten Passus über die Einzelehe öffnet er (an die Deutsche Ideologie anknüpfend) durch Anwendung des Klassenbegriffs auf die Mann-Frau-Beziehung ein persönliches Verhältnis ins Gesellschaftliche: Der erste Klassengegensatz [...] fällt zusammen mit der Entwicklung des Antagonismus von Mann und Weib in der Einzelehe, und die erste Klassenunterdrückung mit der des weiblichen Geschlechts durch das männliche. Die Einzelehe war ein großer geschichtlicher Fortschritt, aber zugleich eröffnet sie [...] jene bis heute dauernde Epoche, in der jeder Fortschritt zugleich ein relativer Rückschritt, in dem das Wohl und die Entwicklung der einen sich durchsetzt durch das Wehe und die Zurückdrängung der andern. Sie ist die Zellenform der zivilisierten Gesellschaft, an der wir schon die Natur der in dieser sich voll entfaltenden Gegensätze und Widersprüche studieren können. (MEW 21, 68) (Marx hatte übrigens anderslautend notiert: ‘Die Familie -- selbst die monogame -- konnte nicht die natürliche Basis der Gesellschaft bilden, ebensowenig wie heutzutage in bürgerlicher Gesellschaft die Familie die Einheit des politischen Systems ist.Â’ (Ethnologische Exzerpthefte, 285) Engels mitreißende Rhetorik verdeckt, dass die Form der Einzelehe keine spezifischen Arbeitsverhältnisse impliziert. Begriffe wie ‘Antagonismus, Klassen, Wohl und WeheÂ’ lassen die Geschlechterverhältnisse als bloße Unterjochungsverhältnisse -- wie nach einem Krieg -- auffassen, nicht als Praxen beider Geschlechter. So führen die Studien über Geschlechterverhältnisse nicht zum Zusammenhang der Produktionsverhältnisse, sondern umgekehrt zu einem Auseinander der Bereiche der Lebens- und Lebensmittelpproduktion. Das entspricht zwar der Entwicklung im Kapitalismus, doch verhindert die verallgemeinernde Festschreibung, eben dies als Teil der Produktionsverhältnisse zu sehen. In seinem Vorwort zum Ursprung skizziert Engels, was unter ‘Produktion und Reproduktion des unmittelbaren LebensÂ’ (MEW 21, 27) zu verstehen sei: ‘Einerseits die Erzeugung von Lebensmitteln, von Gegenständen der Nahrung, Kleidung, Wohnung und den dazu erforderlichen Werkzeugen; andrerseits die Erzeugung von Menschen selbst, die Fortpflanzung der GattungÂ’ (ebd. 28). Er nennt beides ‘ProduktionenÂ’ und liefert damit die Ausgangsbasis für eine Theorie der Geschlechterverhältnisse. Jedoch verstellt er den Zugang durch Bestimmungen, die auf der einen Seite alle "Arbeit" anzusiedeln scheint (Nahrung, Kleidung, Wohnung), auf der anderen die Familie; letztere zeichnet sich damit nicht durch spezifische Arbeitszusammenhänge, sondern durch Verwandschaftsverhältnisse aus. Folgerichtig notiert er nach den Exzerptheften von Marx in Ursprung die Organisationsvarianten der sexuellen Beziehungen und der Fortpflanzung, aber nicht, in welchem Verhältnis die in der Familie verrichteten Arbeiten zur Gesamtarbeit und zur Reproduktion von Gesellschaft stehen. Insofern lässt sich seine Arbeit als ein Beitrag zu Geschichte der Geschlechterverhältnisse auf der Ebene von Sexualität und Moral lesen, wobei Engels allerdings, wie Bloch anmerkt, ‘puritanischen MotivenÂ’ folgt, wenn er die Monogamie als weiblichen Sieg gegen ‘den regellosen GeschlechtsumgangÂ’ verkündet und eine ‘rätselhafte MachtergreifungÂ’ der Männer aus einer allzu bedenkenlosen Übernahme bachofenscher Vorstellungen behauptet (1961, 118). Sie ist zugleich ein Versäumnis, diese Geschichte als Dimension der Produktionsverhältnisse zu schreiben, dies obwohl er darauf verweist, dass beim ‘Übergang der Produktionsmittel in GemeineigentumÂ’ die ‘PrivathaushaltungÂ’ ‘öffentliche IndustrieÂ’ wird und die Gesellschaft für alle Kinder sorgt ‘seien sie eheliche oder unehelicheÂ’ (MEW 21, 77). Dagegen sammelt er viel Material, um jeweils die Erniedrigung der Frauen nachzuweisen, wobei ihm aber auch hier entgeht, dass Geschlechterverhältnisse die gesamte Gesellschaft bestimmen und nicht bloß auf das Haus beschränkt sind. Sein berühmtester Satz in diesem Zusammenhang lässt Frauen als bloße Opfer auftreten: ‘Der Umsturz des Mutterrechts war die weltgeschichtliche Niederlage des weiblichen Geschlechts. Der Mann ergriff das Steuer auch im Hause, die Frau wurde entwürdigt, geknechtet, Sklavin seiner Lust und bloßes Werkzeug der Kinderzeugung.Â’ (MEW 21, 60f) Wo er zuvor die Arbeit in der Familie erwähnt (im Anti-Dühring), entgeht ihm jeder Bezug auf Geschlechterverhältnisse. (MEW 20, 180). Er benennt sie in diesem Kontext als ‘Erzeugung von bloßen LebensmittelnÂ’, und schiebt sie damit auf eine Stufe von Nichtentwicklung, der gegenüber gesellschaftlicher Fortschritt aus dem Überschuss des Arbeitsprodukts über die Unterhaltskosten der Arbeit kommt, als Grundlage aller ‘gesellschaftlichen, politischen und intellektuellen FortentwicklungÂ’ (ebd). Auch diese Trennung verunmöglicht, Geschlechterverhältnisse als Produktionsverhältnisse zu denken, deren Indienstnahme auf gesamtgesellschaftlicher Basis eine Grundlage kapitalistischer Akkumulation ist. Engels Perspektive für befreite Geschlechterverhältnisse ist der Einschluss der Frauen in die Industrie, eine Bewegung, die er in der kapitalistisch organisierten Produktion schon Realität werden sieht, weil die moderne große Industrie ‘nicht nur Frauenarbeit auf großer Stufenleiter zulässt, sondern förmlich nach ihr verlangt, und [...] auch die private Hausarbeit mehr und mehr in eine öffentliche Industrie aufzulösen strebt.Â’ (Ursprung, MEW 21, 157f) Da diese Perspektive das staatssozialistische Projekt bestimmte, lassen sich die Probleme konkret historisch studieren.

Begriffskritische Zusammenfassung

Der kritische Durchgang durch Marx und Engels zeigt den Ansatz, Geschlechterverhältnisse als Produktionsverhältnisse zu fassen, sowie seinen Abbruch. Als größte Barriere erweist sich die Neigung, bei Geschlechterverhältnissen an Beziehungen zwischen Männern und Frauen zu denken. Zur Regel muss offensichtlich werden, die unterschiedlichen Produktionsweisen in der Geschichte immer auch als Geschlechterverhältnisse zu untersuchen. Keine lässt sich begreifen ohne Beantwortung der Frage, wie die Produktion des Lebens im Gesamt der Produktionsverhältnisse geregelt ist und in welchem Verhältnis sie zur Produktion der Lebensmittel steht, kurz, wie sie die Reproduktion der Gesamtgesellschaft bedingt. Das schließt die differenzielle Gestaltung der Geschlechter selbst, die jeweiligen Konstruktionen von Weiblichkeit und Männlichkeit, ebenso ein wie die Entwicklung der Produktivkräfte, der Arbeitsteilung, der Herrschaft und der ideologischen Legitimationen. Geschlechterverhältnisse als Produktionsverhältnisse denken zu wollen, klingt zunächst anmaßend, soweit wir gewöhnt sind, diese als Ökonomie und Politik aufzufassen, also als die Weise, wie in Gesamtgesellschaft Waren produziert werden und wie diese Produktionsweise politisch reguliert wird. Schließt diese Bestimmung die Frage nach den Praxen der Geschlechter aus? So gefragt wird sicher Konsens sein, dass dies nicht der Fall sein kann, sofern man nicht versucht ist, Gesellschaft als eine Veranstaltung nur eines Geschlechts zu denken. Andererseits sind wir gewohnt, Produktionsverhältnisse als die Organisation der Produktion von Lebensmitteln zu denken, kapitalistische Produktionsverhältnisse z.B. als die Organisation profitlicher Produktion für den Markt zu begreifen. Zentrale Begriffe zur Analyse solcher Produktionsverhältnisse sind etwa Doppelcharakter der Arbeit, entfremdete oder Lohnarbeit, Wert, Produktivkräfte. Aus dieser Konfiguration scheint sich zu ergeben, dass alle diese Bestimmungen nicht nur geschlechtsneutral sind, sondern auch, dass die Praxen, die die Geschlechter als Geschlechter auszeichnen, etwas sind, das zunächst in keinem Verhältnis zu den Produktionsverhältnissen gedacht werden sollte, allenfalls peripher davon berührt ist. Innerhalb des Marxismus und der durch ihn bestimmten Denkweise gibt es dafür topographische Begriffe, wie Basis und Überbau, die empfehlen, wenn überhaupt, dann einen Ableitungszusammenhang herzustellen, also etwa zu fragen: Gibt es Auswirkungen der Produktionsverhältnisse auf die Beziehungen der Geschlechter? Diese Frage können wir sofort mit ja beantworten: es gibt den männlichen Ernährerlohn, die Gestalt der Hausfrau, die den Lohnarbeiter fit hält und schließlich gibt es die Frau als Konsumentin, die einen Teil der in bestimmten Produktionsverhältnissen produzierten Waren kauft und dem Verbrauch zuführt. Obwohl schon dieser Zusammenhang uns misstrauisch machen sollte in Bezug auf die Nebensächlichkeit der Geschlechterverhältnisse für den Zusammenhang der Produktionsverhältnisse, möchte der Versuch, Geschlechterverhältnisse als Produktionsverhältnisse zu behaupten, zugleich mehr. Er unterstellt, dass alle Praxen in der Gesellschaft durch Geschlechterverhältnisse bestimmt sind, einen Geschlechtersubtext haben, auch in dieser Weise herrschaftlich kodiert sind und wir zum Begreifen von Gesellschaft genötigt sind, diesen Zusammenhang grundlegend zu untersuchen. Die Begründung dafür ist die Doppeltheit der gesellschaftlichen Produktion, nämlich einerseits Leben zu produzieren, andererseits Lebensmittel. Die Produktion des Lebens bezieht sich auf fremdes Leben also Fortpflanzung, sowie auf eigenes und seine Erhaltung -- diese beiden Produktionen nennen wir landläufig Reproduktion, obwohl das missverständlich ist, da natürlich auch die Produktion von Lebensmitteln -- also die gesamte gesellschaftliche Anordnung eine Reproduktion braucht --, eine Wiederbeschaffung von Kapital und Arbeitskraft, was den Verkauf des Produzierten voraussetzt, die Instandsetzung des Bereichs und seine Regulierung. Die Unterscheidung kann also nicht die zwischen Produktion und Reproduktion sein, sondern die zwischen Leben und Lebensmitteln und entsprechend sollte man statt von "Reproduktion" vielleicht von lebenserhaltenden und -entwickelnden Tätigkeiten sprechen. Es bleibt dabei die Frage, wie die beiden Bereiche von Leben und Lebensmitteln zueinander geordnet sind, wie sich die Geschlechter darin bewegen, woher Herrschaft in diesen Bereichen kommt. Hier können wir wohl davon ausgehen, dass sich die Entwicklung der Produktivkräfte, Fortschritt, Anhäufung von Reichtum auf den Lebensmittelproduktionsbereich beziehen, der darum der relevantere scheint, und der sich also den der Produktion des Lebens als Voraussetzung und Resultat unterworfen hat. Wir verdanken es wesentlich Antonio Gramsci und Louis Althusser, auch Niklas Poulantzas, dass wir das Begreifen von Gesellschaft nicht mehr so ökonomistisch von oben nach unten denken, Herrschaft nicht bloß einseitig als Tat der oberen, und Beherrschtwerden nicht bloß als Passivität. Bei Gramsci etwa finden wir eine exemplarische Analyse von Geschlechterverhältnissen als Produktionsverhältnissen in seinen Notizen zum Fordismus. Sein Ausgangspunkt war die Änderung der Produktionsweise (Massenproduktion am Fließband), die dazugehörige Schaffung ‘eines neuen MenschentypsÂ’ Arbeiter und die politische Regulation der Rahmenbedingungen. Gramsci denkt nicht einfach Ökonomie als Basis und Staat als Überbau, eine mechanistische Denkweise, die entscheidende Bewegungen und Kräfte verpasst, so u.a. die Geschlechterverhältnisse, sondern er legt den Überbau auseinander in ein Nebeneinander konkurrierend zusammenwirkender Superstrukturen -- was Bewegung, Veränderung, Strategien und Taktiken zu fassen erlaubt, und noch quer dazu schlägt er zwei Ebenen vor: die Zivilgesellschaft und die politische Gesellschaft. Diese Unterscheidung ist eine methodische, eine im Denken, die also verschiedene Dimensionen zu betrachten erlaubt, in der Wirklichkeit ‘im konkreten historischen Leben sind politische und Zivilgesellschaft ein und dasselbeÂ’ (Gefängnishefte 3, H 4, § 38, 498f). Gramscis Vorschlag erlaubt, einen Unterschied zu machen, zwischen Zwang und Konsens, Autorität und Hegemonie, Gewalt und Kultur, (7, H 13, § 14, 1553f). Ziel ist, herauszuarbeiten, wie auf der Ebene der Zivilgesellschaft -- also auf der Ebene, auf der die Menschen in Gesellschaft sich beteiligen, -- sich die für Hegemoniebildung relevanten gesellschaftlichen Zusammenschlüsse, Diskurse, Medien betätigen. Wir könnten auch sagen, wie Zustimmung organisiert wird, bzw. wie die einzelnen zustimmen und warum. Er führt außer dem Begriff Hegemonie den des geschichtlichen Blocks ein. Darunter versteht er die Zusammenbindung von Gruppen im herrschenden Kräfteverhältnis, hier das Zusammenwirken von Massenproduktionsweise, privater Lebensführung und staatlicher Kampagne um Moral -- Puritanismus/Prohibition -- in der Herausbildung des neuen Menschentyps. In diesem Kontext werden Geschlechterverhältnisse sichtbar als besondere Unterwerfung von Männern unter die Erwerbsarbeit am Fließband mit mechanischer Kräfteverausgabung bei höherer Bezahlung, die mehr Konsum, das Halten einer Familie und Freizeit erlaubt, die wiederum notwendig werden für die Aufrechterhaltung des männlichen Arbeitssubjekts. Seine Verausgabung bedingt spezifische Moral und Lebensweise, Monogamie als nicht zeitvergeudend-ausschweifender Sex, wenig Alkoholkonsum, die Einsetzung von Hausfrauen, die über Disziplin, Lebensführung, Gesundheit, Ernährung der Familie, also das Wie des Konsums wachen und entsprechend tätig sind. Man sieht die Disposition der Geschlechter und damit wesentliche Aspekte ihrer Konstruktion, sowie die politischen Regulierung durch Moralkampagnen und Gesundheitspolitik. V.a. sieht man, wie dieses ganze Gefüge sich mit der Änderung der Produktionsweise umwälzt, und erkennt darin wesentliche Scharniere, die die kapitalistische Gesellschaft beweglich zusammenhalten. Bezogen auf den Übergang zur hochtechnologischen Produktionsweise lässt sich von Gramsci lernen, Umwälzungen in der Produktionsweise so zu analysieren, dass Geschlechterverhältnisse als Produktionsverhältnisse sichtbar werden; Regelungen, Lebensweise, Einsatz und Konstruktion der Geschlechter ändern sich. So würde eine Forschungsskizze für die Umwälzung zur hochtechnologischen Produktionsweise von Gramsci lernend und Geschlechterverhältnisse als Produktionsverhältnisse denkend, etwa wie folgt vorgehen: die neue Produktionsweise stürzt das Verhältnis von körperlicher zu geistiger Arbeit um, sie braucht weniger Arbeitskräfte anderen Typs und wird entsprechend anders hegemonial durchgesetzt, benötigt einen anderen staatlichen Eingriff, bringt eine andere Wirkung auf der Ebene der Zivilgesellschaft hervor usw. Die Frage nach den neuen Arbeitssubjekten muss die Neubestimmung der Geschlechterverhältnisse einschließen, eben weil es immer um Lebensführung, -erhaltung und -entwicklung geht, die gewissermaßen so etwas wie ein "marginales Zentrum" gesellschaftlicher Verhältnisse sind. (Vgl. dazu Haug, F., 1998) Für diese neue Aufgabe sind Vorschläge Louis Althussers nützlich. Er denkt im Anschluss an Marx die Struktur von Gesellschaft als verschiedene Ebenen, wobei er im Überbau die juristisch-politische Ebene -- Recht und Staat -- und die ideologische, zu der Religion und Moral gehören, unterscheidet. Dies erlaubt es, die jeweilige Wirksamkeit des einen oder anderen und die relative Autonomie, Dominanz und Verschiebungen in den Dominanzverhältnissen zu denken. Sein Standpunkt ist der der Reproduktion der Gesamtgesellschaft, also wie bestimmte Produktionsverhältnisse mit ihren Regulationen sich fortsetzen. Letztlich geht es ihm um eine Geschichte der Produktionsweise; hierfür werden Begriffe wie Ungleichzeitigkeit, ungleiche Entwicklung, Überlebtheit und Rückständigkeit bedeutsam. Für die Analyse von Produktionsverhältnissen muss die aktuelle Konfiguration des Ganzen betrachtet werden. Für die begonnene Skizze zu den Geschlechterverhältnissen in der hochtechnologischen Produktionsweise in der spezifischen neoliberalen Konfiguration bedeutet die Lehre aus Gramsci und Althusser, dass wir Brüche und Ungleichzeitigkeiten in den Geschlechterverhältnissen entdecken können, den fordistischen Menschentyp zugleich mit dem "neuen Unternehmer"; und auf der Seite staatlicher Regulierung hegemoniale Diskurse um Selbstverantwortung und einen geschichtlichen Block aus Sozialdemokraten und neoliberal-globaler Wirtschaft, repräsentiert in den Medien u.a., der zugleich eine neue Lebensweise von Fitness, Jugend, Gesundheit, Sexualpolitik für die einen propagiert und die anderen in konservative Moral ungleichzeitig einspannt etc.; die teils gegensätzlichen Anrufungen werden im Diskurs um Selbstverantwortung kohärent gehalten. Für die Gewinner in der neuen Produktionsweise kann durch verschärfte Individualisierung auf herrschaftliche Geschlechterverhältnisse -- also Unterwerfung der Frauen -- verzichtet werden; ungleichzeitig existiert sie fort als bestimmbare Rückständigkeit in neuen Verhältnissen. Poulantzas versucht, die in der Vorstellung von einer Abhängigkeit des Politischen von der Produktionsweise immer noch liegende Mechanik dadurch aufzulockern, dass er das Politische kritisch zu fassen vorschlägt, also auch als Kampfplatz für Widersprüche. Diese wären in unserem Fall zu studieren einerseits als die im Selbstverantwortungsdiskurs des Staates angebotene Kohäsion, die auf die Ungleichzeitigkeiten der neuen Menschen beiderlei Geschlechts stößt, die je individuell ihre Leben "managen" und die alten Fürsorgeideale der fordistischen Geschlechterverhältnisse, die immerhin im hegemonialen Block von Kirche, Parteien, Staat und entsprechender Bevölkerung getragen werden. Das bedeutet u.a., dass wir im Politischen so flexibel sein müssen, wie es die Verhältnisse sind, d.h. etwa wie Brecht vorschlägt, Argumente nicht religiös als Glaubenssätze zu benutzen, sondern wie Schneebälle zu formen, hart und treffend, aber einzuschmelzen und neu zu formen, je nach Konfiguration. Der aufhebende Kritik der marxistischen Texte hat für unsere Frage nach den Geschlechterverhältnissen als Produktionsverhältnissen den Vorschlag erbracht, den Begriff der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse von ihrer Beschränkung auf die Praxen in der Lebensmittelproduktion zu befreien, bzw. diese selbst als etwas zu denken, das mit Politik und Ideologie verbunden, juristisch verfasst, moralisch formiert und auf allen diesen Ebenen in Geschlechterverhältnissen konfiguriert ist.

3. Diskussion im Feminismus

Kapitalismus und Patriarchat. -- Im Feminismus der zweiten Frauenbewegung wurde die Forderung erhoben, das Patriarchat gleichzeitig mit dem Kapitalismus auf die Tagesordnung zu setzen. Geschlechterverhältnisse wurden als wesentlich für die Reproduktion von Herrschaft ausgemacht. Schwierig war es, das Verhältnis der Geschlechterverhältnisse zu den Klassenverhältnissen, als die der Kapitalismus gedacht war, zu begreifen. Die aus dem Maoismus der Studentenbewegung beeinflussten Diskussionen um Haupt- und Nebenwiderspruch versuchten ein Ganzes zu behaupten, dessen Analyse durch diese Begrifflichkeit aber zugleich blockiert wurde. Die Diskussion arbeitete sich am Marxismus ab, wobei Marx praktisch als Autor der Klassenverhältnisse fungierte. Nach den seit den 1970er Jahren gefochtenen Kämpfen um die Anerkenung von Hausarbeit, wurden die Fragen weiter getrieben zur Problematik gesellschaftlicher Gesamtökonomie. Unter dem Namen ‘dual economy debateÂ’ sollte begriffen werden, wie bzw. ob Geschlechterverhältnisse und Klassenverhältnisse in der Ökonomie verschränkt sind. Als eine der ersten versucht Linda Phelps (1975), Kapitalismus und Patriarchat als unterschiedliche Produktionsverhältnisse zu begreifen: If sexism is a social relationship in which males have authority over females, patriarchy is a term which describes the whole system of interaction arising from that basic relationship, just as capitalism is a system built on the relationship between capitalist and worker. Patriarchal and capitalist social relationships are two markedly different ways human beings have interacted with each other and have built social, political and economic institutions. (1975, 39) Zilla Eisenstein schlägt vor, von zwei unterschiedlichen Produktionsweisen zu sprechen, die sich wechselseitig stützen (1979, 27); Sheila Rowbotham (1973) hält eine solche Koexistenz lediglich für kapitalismusspezifisch; Ann Ferguson (1979) liefert als Bezeichnung für die von Frauen dominant besetzte Produktionsweise den term ‘sex/affective productionÂ’ in Fortpflanzungsverhältnissen. Am bekanntesten wurde Heidi Hartmanns Versuch (1981), im Anschluss an die Bemerkung von Marx und Engels in der Deutschen Ideologie (MEW 3, 32), der Keim des Patriarchats sei die Verfügung über weibliche Arbeitskraft, eine materialistische Theorie der Geschlechterverhältnisse zu begründen. Dies richtete sich gegen Theorien, die ein System von Geschlechterverhältnissen auf ideologischer Ebene begründet sehen und die übrigen Produktionsverhältnisse als unabhängig davon, als materiell begreifen. Zu letzteren zählt etwa Juliet Mitchell: ‘we are dealing [...] with two autonomous areas, the economic mode of capitalism and the ideological of patriarchyÂ’ (1974, 409). Roisin McDonough u. Rachel Harrison (1978) bestehen darauf, Patriarchat könne nur begriffen werden, wenn es im Zueinander der ‘relations of human reproductionÂ’ und der Produktionsverhältnisse je historisch konkret bestimmt werde (26), was für den Kapitalismus bedeute, die Klassenverhältnisse in die Analyse von Geschlechterverhältnissen einzubeziehen. Und Gabriele Dietrich formuliert bündig: da ‘die Produktion des Lebens eine unverzichtbare Bedingung für jeden weiteren Produktionsprozess ist, muss die Priorität der Warenproduktion angezweifelt werden, und für die Perspektive der neuen Gesellschaft bleibt uns nicht nur das Problem, wie wir die Assoziation der freien Produzenten erreichen wollen, sondern auch, wie wir das, was "Reproduktion" genannt wurde, für den Verein freier Menschen gestalten wollen.Â’ (1984, 38) In einem kritischen Rückblick formuliert Iris Maria Young (1981) als Ausgangspunkt für eine Theorie der Geschlechterverhältnisse die geschlechtliche Arbeitsteilung und schlägt vor, die ‘dual systemÂ’-Ansätze in Richtung einer einzigen Theorie zu überwinden. ‘We must develop a Theory that can articulate and appreciate the vast differences in the situation, structure, and experience of gender relations in different times and places.Â’ (1980, 1997, 105). Michèle Barrett fasst (1983) die Debatte für ihre Begründung eines marxistischen Feminismus zusammen. Sie bleibt unvollendet, und es gilt nach wie vor den Zusammenhang und das wechselseitige Stützungs- und Blockierungsverhältnis die Unter- und Überordnungen in der Lebens- und der Lebensmittelproduktion zu denken. Feministische Ethnologie. -- Die Frage, ob nicht-patriarchale Gesellschaften eine archaische Wirklichkeit, ein Mythos oder eine Dauer-Utopie sind, hat in der feministischen Ethnologie widersprechende Ausführungen gefunden. Es geht um eine Re-Interpretation der bürgerlichen und marxistischen Ethnologie, um sie vom "männlichen bias" zu befreien und dabei vor allem darum, die in der Formulierung von der universalen Unterordnung von Frauen unter Männer steckenden Vorannahmen und ihre Belege neu zu überprüfen. Der Materialismus der Sache selbst, dass es nämlich um die Erforschung der Geschlechterbeteiligung in unterschiedlichen Produktionsweisen geht und also darum, die vielfältigen Praxen und ihren symbolischen Niederschlag, ihre Verfestigung zu bestimmten Sitten und Gebräuchen, Wertsystemen zu untersuchen, macht diese Forschungen für die Erarbeitung einer Theorie der Geschlechterverhältnisse besonders geeignet. Eine sorgfältige Aufarbeitung muss an dieser Stelle dennoch aus Platzgründen verschoben werden. Ich fasse für die weitere Arbeit lediglich zusammen: die Relektüre ethnologischer Forschung mit der besonderen Suche nach den Frauen und ihrer Einbindung in die Produktionsverhältnisse ergab: meist wurde herkömmlich mit dem Blick und den Kategorien entwickelter kapitalistischer Gesellschaften die Forschung strukturiert -- Kritik also am Ethnozentrismus. Wichtig ist hier insbes. Eleanor Leacock (1989), die zu dem Ergebnis kommt, dass Frauen in jeder Gesellschaft einen wichtigen ökonomischen Status hatten, es aber darauf ankomme, in welchem Verhältnis die Haushaltsökonomie zur Gesamtökonomie stände (42); der zweite Befund: Die Untersuchungskategorien stammten weitgehend aus männlichen Theoriekulturen, machten daher blind gegen die Zurkennntisnahme von Frauenhandeln -- Kritik also am Androzentrismus (neben Leacock u.a. Ilse Lenz 1995, Ute Luig 1995). Es werden andere zusätzliche forschungsleitende Begriffe vorgeschlagen (wie symbolische Ordnung, Körperwissen bei Lenz; Riten, Geschlechtsreife, Religion bei Luig) und die Bedeutung geläufiger Kategorien wie Macht (bei Lenz) so verschoben, dass auch Frauen als Akteure vorkommen können; bzw. andere Kategorien, wie etwa Autonomie statt Gleichheit/Ungleichheit (bei Leacock) angewandt. Hinzu kommt herkömmlich ein struktureller Androzentrismus: indem die Forscher Männer sind, ist ihnen der Zugang zu Frauenbereichen häufig unmöglich. Kritik gilt schließlich umfassend den analytischen Aussagen über Produktionsverhältnisse, die geschlechtsblind vorgehen (insbes. Maxine Molyneux, 1989), ist also umfassend erkenntniskritisch. -- Alle Autorinnen arbeiten sich an Engels zum Teil äußerst kritisch ab, so besonders an der Zweiteilung der Geschichte in eine mutterrechtliche Phase der Reproduktion und eine patriarchale Epoche, gezeichnet durch Produktion, mit der Folge, dass die Frau sich nur durch Teilnahme an letzterer befreien könne. ‘Geschlecht und Herrschaft werden in dieser Zweiteilung der Epochen einfach aufeinander bezogen, und es fehlen die notwendigen Vermittlungsschritte in Wirtschaft, Gesellschaft und Denken.Â’ (Lenz, 44). Im Resultat lässt sich aus der feministischen Ethnologie gewinnen, dass die Erforschung der geschichtlichen Produktionsweisen neu unternommen werden muss, dass Produktionsverhältisse nicht ausreichend begriffen werden, wenn die Geschlechterverhältnisse nicht sorgfältig einbezogen sind. Das gilt bis in Sprache, Begriff, Theorie. Die Arbeit ist auch deswegen schwierig, weil für die angemessene Wahrnehmung von Frauen Begriffe nicht einfach vorliegen und auch Feministinnen sich selbst aus einer Unterwerfungssprache erst herausarbeiten. #u#Die Kontroverse um Geschlechterverhältnisse als Produktionsverhältnisse Die Analyse von Geschlechterverhältnissen setzt die Kategorie Geschlecht voraus. Bis in die 1990er Jahre hat sich die Auffassung durchgesetzt, dass das Geschlecht sozial konstruiert sei. Die im angelsächsischen vorhandene Möglichkeit, Geschlecht biologisch (sex) und sozial (gender) auszudrücken, war die Basis für eine mehr als 20jährige Konjunktur, die bis in die Übernahme des Wortes "gender" ins Deutsche reichte. Aber die Analysen zum Geschlecht, die die Selbstverständlichkeit vorhergehender Thematisierung von Frauenfragen ablösten, -- dies nicht zuletzt auch wegen des Rückgangs der Frauenbewegung -- hatten den noch in der Hausarbeitsdebatte vorherrschenden Bezug zu den Produktionsverhältnissen abgestreift, so war von Geschlecht, nicht aber von Geschlechterverhältnissen die Rede. Der Untergang des Staatssozialismus machte es für marxistische Feministinnen unabweisbar, das Verhältnis von Geschlechter- und Produktionsverhältnissen neu zu denken, schon weil der nun offensichtliche Abbau an Frauenrechten durch Angleichung an den Kapitalismus mit der Behauptung einherging, der Staatssozialismus habe die Frauen genauso unterdrückt wie der Kapitalismus und zugleich, es habe sich um eine von den kapitalistischen ganz unterschiedliche, mit ihr nicht konkurrenzfähige gehandelt. Die Problemanordnung unterstellt, dass Geschlechterverhältnisse und Produktionsweise keinen inneren Zusammenhang haben. Die Zeit war für solches Nachdenken nicht günstig, denn der Niedergang der staatssozialistischen Länder hatte auf der Theoriebene auch dem Zweifel an Gesellschaftstheorie im Großen Nahrung gegeben, sodass den Zusammenhang zu untersuchen als ein Relikt vergangenen Denkens erscheinen musste. Zu scharfen Kontroversen führte mein Versuch (1993) Geschlechterverhältnisse als Produktionsverhältnisse zu fassen, und den Nutzen eines solchen Vorschlags mit exemplarischen Fallstudien aus Literatur, Oper, Quotenpolitik, Zeitökonomie, Leistung, Moral, Krieg, Sexualität zu belegen, um durch den Aufweis der Vielzahl von Bereichen, in denen Geschlechterverhältnisse wirksam sind, die Notwendigkeit einer Theorie der Geschlechterverhältnisse zu begründen. Mein Fazit war: Die herrschende Ökonomie mit Tausch, Markt, Profit, Wachstum setzt auf eine umfassende Ausbeutung nicht nur erwerbstätiger Arbeitskraft, sondern ebenso anderer (dritter) Welten, die nicht nach den gleichen Prinzipien produzieren, und auf Vernachlässigung der Sorge um Leben und ihre Überantwortung an Menschen, die dies aus Liebe, aus "Menschlichkeit" tun und daher nicht als Gleiche behandelt werden können. Ebenso ist die symbolische Ordnung, sind die Bereiche von Kunst und Wissenschaft, ist das gesamte Zivilisationsmodell durchdrungen und legitimiert durch solche Geschlechterverhältnisse als Produktionsverhältnisse. Das betrifft auch die Subjekte selbst als Persönlichkeiten. (zit. aus dem überarbeiteten Nachduck 1996, 151) Die umfangreiche Kritik betraf vor allem den Begriffsvorschlag, der einerseits als zeitgemäße Aufweichung des marxistischen Begriffs der Produktionsverhältnisse befürchtet wurde (Hildegard Heise 1993, 3); oder die ‘marxschen Begrifflichkeiten erhalten nunmehr einen rein illustrativen Charakter, die eine Verknüpfung zur originären Theorie suggerieren, aber nicht mehr das Geringste mit ihr zu tun habenÂ’, (Ursula Beer 1993, 6); oder durch die Verbindung von Geschlechterverhältnissen mit Produktionsverhältnissen werde ‘einer der wesentlichsten Begriffe des Marxismus anti- bzw. unmarxistisch aufgefasst, indem [...] die marxistisch gesehen notwendige Änderung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse als Widerspruch zwischen männlicher Produktion und weiblicher AneignungÂ’ gesehen werde (Rech 1993); dann umgekehrt: immer weiter Produktionsverhältnisse zu untersuchen, sei altmodisch (Ilona Ostner 1993, 4). Dagegen Carmen Tatschmurat emphatisch: ‘Dieser Zusammenhang ist unbestritten. Wer ihn kritisiert, fällt hinter zwei Jahrzehnte Frauenforschung zurück.Â’ (1993, 3) Beer hält es für beliebig, ob der Begriff im Singular oder Plural benutzt wird. Sie meint, ‘das GeschlechterverhältnisÂ’ werde von mir dem Kapitalverhältnis ‘additiv hinzugefügtÂ’ (1993, 3). Sie bestimmt in der Folge als ‘systemübergreifende Momente von Geschlechterungleichheit [...] z.B. den Ausschluss von Frauen von Macht und Einflusspositionen, die [...] geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in Familie und Erwerb, die Kulturproduktion weitgehend als MännersacheÂ’ (1993, 8). Das ist ungenügend bestimmt. Man wird kaum sagen können, daß Â‘die [...] geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in Familie und ErwerbÂ’ im Kapitalismus und den ehemaligen sozialistischen Ländern, zu denen die fast völlige Integration der Frauen ins Erwerbsleben gehörte, gleich gewesen sei. Beer schlägt dagegen den Begriff ‘GeschlechterungleichheitÂ’ vor und spezifiziert ‘zu Lasten der FrauenÂ’ (10). Schließlich fragt sie nach ‘GeschlechterherrschaftÂ’, analog zu Klassenherrschaft. Aber Klassen sind bereits ein Aspekt der Klassenherrschaft. Klassen sind nichts Natürliches. Geschlechter aber sind (wiewohl sozial geformt und gleichsam überbaut) auch etwas Natürliches, und die Existenz von Geschlechtern ist nicht einfach die Folge oder ein Aspekt von ‘GeschlechterherrschaftÂ’. Auch der Begriff der ‘GeschlechterungleichheitÂ’ ist fragwürdig, weil der Begriff ‘GeschlechtergleichheitÂ’ allenfalls als politischer Slang-Ausdruck verständlich wäre. Von Geschlechtern zu sprechen heißt von Geschlechtsunterschieden zu sprechen. Mehr noch: Unterschied ist zu schwach, um die Komplementarität zu denken, die durch das natürlich ungleiche Zusammenwirken bei der Fortpflanzung bedingt ist. Rechtliche Gleichstellung von Frauen und Männern stellt sie als Rechtssubjekte gleich, abstrahiert also vom Geschlecht. Wo die rechtliche Gleichstellung sich faktisch nicht verwirklicht und zu kompensatorischen Maßnahmen wie Quotenregelungen gegriffen wird, werden sogar, von Ungleichheit ausgehend, die Angehörigen der einzelnen Geschlechter im Einzelfall "ungleich" behandelt, um zu einer durchschnittlichen Gleichbehandlung in bestimmter Hinsicht zu gelangen. Wenn Veit Bader von ‘asymmetrischen MachtverhältnissenÂ’ (1993, 6) oder Regina Becker-Schmidt (bei Beer 1993, (5)) von ‘männlicher SuprematieÂ’ sprechen, ist dies zu schwach, weil Machtbeziehungen erst als asymmetrische überhaupt als solche wirken können, und Vormacht ein vagierendes Phänomen ist, während Herrschaft etwas Strukturelles ist. -- Heise schlägt u.a. den Begriff ‘GeschlechtergegensatzÂ’ (1993, 1) vor. Auch dieser Begriff, dem Klassengegensatz nachgebildet, ist nicht zuende gedacht. Geschlechterkomplementarität ist das eine (sozusagen als Naturform der Säugetiere), die herrschaftliche Ausprägung der Verhältnisse der komplementären Geschlechter das andere. Indem Heise den ‘GeschlechtergegensatzÂ’ in Nachfolge des Klassengegensatzes sieht, glaubt sie, das Denken von Geschlechterverhältnissen als Produktionsverhältnissen betreibe ‘die Substitution der Klassen durch die GeschlechterÂ’ (1993, 3). Als Heises Allgemeinbegriff kann der Begriff ‘GeschlechterkonstellationÂ’ angesehen werden. Da es sich bei Männern und Frauen so nur um zwei "Gestirne" handelt, ist nicht einsichtig, warum es eine komplexe Konstellation dieser beiden geben soll. Es sei denn, es wird zu modellieren versucht, dass und wie in allen gesellschaftlichen Bereichen die Geschlechterverhältnisse ihre bereichsspezifischen Formen finden, und dass es darauf ankommt, die ‘KonstellationÂ’ all dieser Formen zu denken, was als - dies mein Vorschlag an dieser Stelle --strategische Kodierung zu fassen wäre; dies setzt aber den Begriff der Geschlechterverhältnisse voraus.

Geschlechterverhältnisse und die Kategorie Geschlecht

Schon 1987 hat Donna Haraway grundsätzliche Kritik an der Erklärung von Frauenunterdrückung durch das "sex-gender-System" angemeldet. Ihre Kritik am biologischen Essenzialismus dieser Unterscheidung bereitete den Weg vor, auch das Denken von Geschlecht preiszugeben. Dieses Gelände wurde vornehmlich von Judith Butler weiter bearbeitet, die ‘genderÂ’ als ‘identifikatorischen Ort der politischen Mobilisierung [...] auf Kosten der Rasse oder der Sexualität, der Klasse oder der geopolitischen Positioniertheit/VerschiebungÂ’ zurückweist (1994, 133). Sie radikalisiert die Vorstellung von der sozialen Konstruiertheit von Geschlecht auch in den als biologisch angenommenen Teil und verlegt damit den Kampfplatz in die Anfangsphasen der Herausbildung von Identität. ‘Es gibt kein "Ich" vor der Annahme eines Geschlechts [...,] sich mit einem Geschlecht zu identifizieren bedeutet, zu einer imaginären und überzeugenden [...] Drohung in einem Verhältnis zu stehenÂ’ (110f). Im Symbolischen wird das ‘sexuierteÂ’ Subjekt normativ durch Sprache gebildet. (120) Die Verschiebung der Machtkämpfe in die Zuweisung von Geschlecht erlaubt es, Ausgrenzungen, Verbote, Stabilisierungen als Elemente von Geschlechterverhältnissen zu entziffern. Auch kann der Streit um die jeweilige Priorität von Rasse, Klasse und Geschlecht, der die entsprechenden Bewegungen dazu brachte, sich entpolitisierend zu zerstreiten, umgelenkt werden durch die Frage nach den Artikulationen des einen im -- und auf Kosten bzw. zu Gunsten des -- Anderen (133). Der Zusammenhang von Geschlechterverhältnissen und Produktionsverhältnissen kann auf solcher Grundlage als Forschungsfrage etabliert werden. Butler baut diesen Ansatz aus zu einer Grundlage produktiver Konflikte für eine Linke, die nicht einheitlich, aber in einem perspektivischen Sinn ‘universellÂ’ ist (1998, 36ff). Dies ist die befreiende Seite von Butlers Eingriff. Die politische Intervention wird zudem schärfer durch ihr Plädoyer für eine Art demokratischer Kohärenz (nach Gramsci), die die einzelnen für sich und ihre Identitäten erarbeiten, ohne die Ausgrenzungen durch unreflektierte Vereinheitlichung stets zu wiederholen. Gegen die ‘Plünderung der Dritten WeltÂ’ durch Feministinnen auf der Suche nach Beispielen für die ‘universelle patriarchale Unterordnung der FrauÂ’ (134) schlägt Butler vor: ‘die Formen aufzufinden, in denen die Identifizierung in das verwickelt ist, was sie ausschließt, und [...] den Linien dieser Verwicklung zu folgen um der Landkarte eines zukünftigen Gemeinwesens wegenÂ’ (136). Die Verflüssigung der Kategorien ist nachvollziehbar; allerdings hat die Vermeidung jedes Funktionalismus den Nachteil für die Frage der Geschlechterverhältnisse, dass aus dem Blick gerät, wie es tatsächlich auch um die Reproduktion der Menschen geht, eine Notwendigkeit, deren Abstützung, Ermöglichung und gleichzeitige Marginalisierung, dennoch als eine Art Brennpunkt zu fassen ist, von dem die von Butler entzifferten Handlungen im Symbolischen, in Sprache, im Imaginären ihre Virulenz erhalten. Jürgen Habermas' Analyse der modernen Gesellschaft, in der er das kapitalistische ökonomische System als ‘systemisch integriertÂ’, die Kleinfamilie als ‘sozial integriertÂ’ auffasst (1981, 1, 457, 477ff; 2, 256, 266) dient Nancy Fraser (1994) als paradigmatisch für androzentrische Sozialtheorie und als Leerstelle, in die kritisch-feministische Sozialtheorie eingreifen kann. An seinem Modell der unterschiedlichen Bereiche der materiellen und symbolischen Reproduktion zeigt sie eine vertane Möglichkeit, das Öffentliche und das Private in ihrem wechselseitigen Bezug wirklich neu zu verstehen. Habermas blockiere die Möglichkeit, Familien als ökonomische Systeme zu analysieren, als ‘Stätten der Arbeit, des Tauschs, der Berechnung, der Verteilung und AusbeutungÂ’ (183). Dass er Kinderaufziehen als symbolisch, Lohnarbeit dagegen als materiell auffasst, während beide beides sind, macht die Tatsache, dass er ersteres überhaupt in sein Modell hineinnimmt, sogleich problematisch; weil seine qualitative Unterscheidung von Systemwelt und Lebenswelt inhaltlich nicht zutreffe und politisch ideologisch sei, Stützargument für das private Kinderaufziehen als Form weiblicher Unterordnung. Fraser fasst die Schwächen des habermasschen Konzepts als Unfähigkeit, den ‘gender subtextÂ’ (Dorothy Smith, 1984) der beschriebenen ‘Beziehungen und Arrangements zu thematisierenÂ’ (190). Alle vermittelnden Personifikationen seien aber geschlechtlich bestimmt: der Arbeiter z.B. als männlich -- ‘Gekämpft wurde um einen Lohn, [...] als Bezahlung eine Mannes zum Unterhalt seiner ökonomisch abhängigen Frau und KinderÂ’ (190). Mit Carol Pateman (1985) zeigt Fraser: Frauen sind in der Erwerbarbeit nicht abwesend, sondern anders präsent: z.B. reduziert auf Weiblichkeit, häufig auf sexualisierte Bedienstete (Sekretärinnen, Hausangestellte, Verkäuferinnen, Prostituierte, Stewardessen); als Mitglieder der helfenden Berufe mit mütterlichen Fähigkeiten (wie Krankenschwester, Sozialarbeiterin, Grundschullehrerin); als gering qualifizierte Arbeiterinnen mit geringem Status in segregierten Arbeitsplätzen; als Teilzeitarbeiterinnen unter Doppelbelastung von unbezahlter Hausarbeit und bezahlter Arbeit, als arbeitende Ehefrauen und Mütter, als Zusatzverdienerinnen. So zeigt sich die offizielle Ökonomie mit der Familie nicht nur durch Geld gegen Ware verbunden, sondern auch durch die Männlichkeit "normaler" Lohnarbeit. Umgekehrt sei der Verbraucher ‘im klassischen Kapitalismus Gefährte und Gehilfe des ArbeitendenÂ’ (191). Und ‘Werbung hat [...] aufbauend auf der Weiblichkeit des Verbrauchersubjekts eine ganze Trugwelt der Begehrlichkeit entwickeltÂ’ (ebd.). Dies ist freilich produktabhängig und Änderungen in dieser Branche, die auch Männer ansprechen, kämpfen nicht nur mit den Zuschreibungen des Weiblichen, wie Barbara Ehrenreich (1984) in einer Analyse von Playboy zeigt. Im Arsenal der Akteure fehlt bei Habermas die Kinderbetreuerin, kritisiert Fraser weiter, die er gleichwohl bei seiner Funktionsbestimmung von Familie in einer Hauptrolle unterstellen muss. Ihre Berücksichtung hätte die zentrale Bedeutung von Geschlechterverhältnissen für die ‘institutionelle Struktur des KapitalismusÂ’ (192) zeigen können. Die ‘StaatsbürgerrolleÂ’, diese Scharnierstelle zwischen Privatheit und Öffentlichkeit ist selbstverständlich männlich -- sie bezieht sich auf den Teilnehmer an politischer Debatte und Meinungsbildung, und natürlich auf den Soldaten als Verteidiger des Gemeinwesens und Beschützer von Frauen, Kindern, Alten. Weil er Geschlecht als analytische Kategorie nicht erkennt, misslingt es Habermas die Verbindungen von Familie zu offizieller Ökonomie, zu Staat, zu politischer Rede zu sehen. ‘Ihm entgeht zum Beispiel die Form, in der die maskuline Rolle des Staatsbürger/Soldaten/Beschützers den Staat und die Öffentlichkeit nicht nur untereinander, sondern auch mit der Familie und dem privaten Arbeitsplatz verbindetÂ’ (194f), wie die Schutz/Angewiesenheitsstruktur alle Institutionen durchzieht und wie schließlich ‘die Konstruktion maskulin- und feminingeschlechtlicher Subjekte benötigt wird, um jede Rolle im klassischen Kapitalismus auszufüllenÂ’ (195). Frasers Analyse belegt die Bedeutung der Kategorie Geschlechterverhältnisse für Kritische Sozialtheorie. Sie benutzt diesen Begriff selbst nur einmal (211), wobei er durch die Übersetzung ‘das GeschlechterverhältnisÂ’ vollends beiläufig wird. Ihre zentralen Begriffe sind Geschlechtsidentität und Geschlecht. Diese Begriffsverwendung macht, dass sie in ihrer Schlussfolgerung, eine kritische Sozialtheorie kapitalistischer Gesellschaften brauche ‘geschlechtersensitive KategorienÂ’ (196), hinter die eigene Analyse zurückfällt. Schließlich zeigte auch sie Praxen, die die Menschen zur Reproduktion ihres Lebens eingehen. Sie schlägt vor, "Arbeiter", "Verbraucher", Lohn als geschlechterökonomische Konzepte zu begreifen und Staatsbürger als geschlechterpolitisch. Aber auch diese Formulierung bleibt vage in Bezug auf die gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse, von denen man so nur die geschlechtstypischen Effekte in den Blick bekommt. So geraten die offenen Fragen, die Fraser aus der umfangreichen Auseinandersetzung gewinnt, vergleichsweise harmlos: soll eine künftige Gesellschaft, die nicht auf Unterordnung von Frauen beruht und daher keine feste Zuschreibung in den Konstruktionen von Männlichkeit und Weiblichkeit braucht, alle Arbeit unter der Form der Lohnarbeit konzipieren oder sollte der politische Teil der Gesellschaft, den Habermas unter den Begriff der Staatsbürgerrolle fasste, ausgedehnt und in seiner bisherigen Form ersetzt werden, indem das Aufziehen von Kindern für alle wesentlich wird? Fraser begreift ihre Habermaskritik zugleich als Antwort auf die dual economy debate der siebziger und achtziger Jahre. Die Theorie zweier Systeme war eine der ersten feministischen Bemühungen, Modelle mit einer "einzigen Variablen" zu vermeiden, indem sie die Überschneidung von Geschlecht und Klasse (und in manchen Fällen auch Rasse) thematisierte. [Da aber] von Beginn an eine grundlegende Trennung von Kapitalismus und Patriarchat, Klasse und Geschlecht unterstellt worden war, wurde niemals klar, wie sie wieder zusammengebracht werden sollten. (19f) Fraser entziffert, dass Habermas die neuen sozialen Bewegungen, bzw. ihre Triebkraft ausschließlich in negativen Begriffen erklärt. Ihr Angriff gelte der ‘KolonisierungÂ’, dem ‘Vordringen der SystemweltÂ’, der ‘Erosion der LebensweltÂ’, der ‘Austrocknung kultureller RessourcenÂ’ etc. Wieder sei es die Blindheit gegen Geschlecht, die Habermas daran hindert, den Entwicklungsprozess als widersprüchlich zu erkennen. Was ihm als das Eindringen in die Lebenswelt etwa durch staatliche Bürokratien erscheint, bedeutet für die Frauen, die diese Welt besiedeln, auch eine Zunahme an Freiheit; zugleich betrifft sie der Klientelismus anders als die Männer, die Sozialversicherungssystemen ausgesetzt sind, aber nicht etwa als Angehöriger defekter Familien (als alleinerziehende Mutter) zugleich moralisch in Abhängigkeit marginalisiert werden. Frauen treten vom häuslichen ins öffentliche Patriarchat -- zu untersuchen wäre also auch ein Wandel im Charakter männlicher Herrschaft, nicht nur ein Wechsel in der Verbindung von System- zu Lebenswelt.

Feministische Soziologie

In feministischer Theorie ist Geschlechterverhältnisse als Wort gebräuchlich, wird jedoch kaum als Begriff gefasst. aher scheint es kaum widersprüchlich, wenn Plural und Singular einander abwechseln, als käme es nicht darauf an. So formuliert etwa Hildegard Maria Nickel rätselhaft: ‘Das Geschlechterverhältnis [...] (i.S. "gendersystem", "Geschlechterordnung") und [?] die Lage von Frauen (und Kindern) sind Paradigmen für die Krise der Bundesrepublik (2000, 132). Doris Janshen verkündet programmatisch: ‘Wir meinen, dass es historisch an der Zeit ist, dass Frauen und Männer sich Begegnungsorte suchen, um qualifiziert den Diskurs über das Geschlechterverhältnis aufzunehmenÂ’ (2000, 7); um wenig später zu diagnostizieren: ‘Zeitgleich findet eine Akzentuierung und Auseinandersetzung über unterschiedliche Theorien zu den Geschlechterverhältnissen stattÂ’ (13). Charlotte Annerl (1991) schreibt ein Buch zum Geschlechterverhältnis, aber es handelt ausschließlich von Geschlechterdifferenz. Irene Dölling und Beate Krais (1997) erwähnen Geschlechterverhältnisse als etwas, das historisch entstanden ist und im alltäglichen Handeln immer wieder neu konstruiert wird (8), wodurch sie einen Anschluss an die Konstruktion von Geschlecht schaffen, Geschlechterverhältnisse jedoch eher als veränderlichen Rahmen zu fassen scheinen, nicht selbst als gesellschaftliche Praxisformen. Andrea Maihofer (2001) spricht zumeist im Plural von Geschlechterverhältnissen, setzt ein begriffliches Wissen allerdings voraus, sodass sie problemlos als Helga Bildens (1980) Schwerpunkt die ‘Analyse von GeschlechterverhältnissenÂ’ sieht, bei der ‘Veränderungen im GeschlechterverhältnisÂ’ beobachtet werden (2ff). Subjekttheoretisch genauer resumiert sie: ‘Geschlechterverhältnisse werden nicht nur durch Individuen, sondern auch in den Individuen reproduziert. Genau das macht einen zentralen Aspekt der "Produktivität" (Foucault 1979) gesellschaftlicher Hegemonie(n), gesellschaftlicher Macht- und Kräfteverhältnisse ausÂ’. (ebd. 6) Für Ursula Beer (1990) verengt sich ‘das GÂ’ durchweg auf ‘generativen BestandserhaltÂ’ oder ‘generative ReproduktionÂ’. Als solches "Strukturelement" (77) will sie es in die marxsche Gesellschaftstheorie einschreiben und diese, wenn nötig, entsprechend umbauen. Sie begreift Marx im Grunde als Strukturtheorie, zentraler Begriff ist ‘TotalitätÂ’ (70ff). ‘Die Produktion des LebensÂ’ schirmt sie begrifflich ab gegen empirische Praxen. Es geht ihr nicht um Praxisverhältnisse, sondern um den Stellenwert, den etwa die Gebärfähigkeit von Frauen (das G) in einer Strukturtheorie der Gesellschaft hat. Der Blick geht von oben auf eine theoretische Ordnung, in der den Individuen ein "kategorialer" Platz zugewiesen wird. Dass diese in Wirklichkeit widerständig oder fügsam ihre Leben gestalten, wird ausgeblendet. Die für ‘empirischeÂ’ Zwecke vorgeschlagenen Begriffe erlauben eine soziologische Untersuchung nur um den Preis, die Widersprüche, in die sich die wirklichen Menschen verwickeln, zu marginalisieren: ‘Ausdifferenzierung von ArbeitsbereichenÂ’ (52) bleibt vage; ‘nicht marktvermittelte Arbeitsformen/ProduktionÂ’ (73, 76f) löst nur scheinbar das Problem der Hausarbeitsdebatte, da in diese Summe ja nicht bloß Tätigkeiten der Reproduktion des Lebens, sondern auch z.B. linke Theorie, Gartenarbeit, Kegeln, Ehrenamtliches aller Art eingehen. Regina Becker-Schmidt und Gudrun-Axeli Knapp (1995) wollen die Begrenztheit feministischer Forschung, die sich in der Analyse der Konstruktion von Geschlecht festgefahren habe, kritisch überwinden. Dafür soll ‘das GÂ’ ins Zentrum feministischer Soziologie rücken. Forschungsfrage ist, wie die Mann-Frau-Beziehungen ‘in bestimmten historischen Konstellationen gesellschaftlich organisiert sindÂ’ (7), ‘inwieweit übergreifende Zusammenhänge und Bedingungen das Verhältnis der Geschlechter beeinflussenÂ’ (8) und umgekehrt, wie ‘GeschlechterbeziehungenÂ’ auf Gesellschaft zurückwirken. Die Formulierung bleibt strukturtheoretisch in der Logik von Ursache und Wirkung. Auf diese Weise scheinen die Geschlechter selbst fixiert und Gesellschaft als eine Art Rahmen gefasst, innerhalb dessen menschliche Beziehungen bloß stattfinden. Die Rede ist von ‘GeschlechterarrangementÂ’ (nach Goffman 1994), von ‘Verfasstheit von GÂ’ oder, 5 Jahre später die Schwierigkeit durch Sprachflucht umgehend, ‘Gender-RelationenÂ’ (2000, 45). Um die bloß psychologisierende Erforschung von "Geschlechterbeziehungen" zu überwinden, fassen Becker-Schmidt und Knapp diese als ‘kulturell, politisch und ökonomischÂ’ (1995, 18) und beziehen sie auf ‘AustauschÂ’ in ‘Arbeit, Leistungen, BedürfnisbefriedigungenÂ’ (17f) oder auf ‘AusschlussÂ’ ‘von Räumen, Praxisfeldern, Ressourcen, RitualenÂ’. Im Unterschied hierzu gelten ihnen die G als ‘Herrschafts- und Machtzusammenhänge, in denen die gesellschaftliche Stellung der Genus-Gruppen institutionell verankert und verstetigt wirdÂ’ (18). G treten auf diese Weise zur Gesellschaftsreproduktion wie eine Art Verwaltungsapparat hinzu; sie sind extra zu studieren und scheinen nach eigenen Gesetzen zu funktionieren, die durch die gesamtgesellschaftliche Reproduktion lediglich modifiziert werden können. Im Vorwort zu Becker-Schmidt/Knapp (2000) heißt es zur Verwendung von Singular und Plural bei G: Wenn wir die wechselseitige soziale Bezogenheit der Genusgruppen ausdrücken wollen, [...] macht epistemologisch nur der Begriff "Geschlechterverhältnis" einen Sinn. Stoßen wir empirisch auf allen sozialen Ebenen einer Gesellschaft auf Zustände der Disparität, stellen sich [...] alle Geschlechterordnungen als auf ähnlichen Verhältnisbestimmungen beruhend heraus, so ist ebenfalls die Einzahl geboten. [...] Der Plural ist angesagt, wenn wir [...] internationale Variabilität ins Auge fassen. (154, Fn 38) Die Anbindung des Begriffs G ans Internationale wird durch ‘ethnographische VielfaltÂ’ begründet; mit "das G" ist eine kulturelle Anordnung als Ausdruck der Struktur (Sozialgefüge, Symbole) gemeint. Gesellschaft kann in dieser Weise kaum praktisch gedacht werden, obwohl angestrebt ist, Struktur und Handlung über den Begriff ‘KonnexionenÂ’ (40) irgendwie zusammenzubringen. In Anlehnung an Beer (1990) wird versucht, die Gleichheit bestimmter Mechanismen in unterschiedlichen Bereichen (hier Familien, Gesinde- und Dienstvertragsrecht) ‘als Ausdruck der Struktur von ProduktionsverhältnissenÂ’ (165) zu fassen. Oder es soll eine patriarchalische Bevölkerungspolitik, geschlechtliche Arbeitsteilung und männerbündlerische Politik den Komplementärgedanken fundieren, Geschlecht als Strukturkategorie zu denken. Die Vielfalt, Diskrepanz, ja Gegenläufigkeit menschlicher Praxen zu untersuchen, wird durch solches Ausdrucksdenken allerdings blockiert. -- Am Ende resümiert Becker-Schmidt: ‘Es ist der feministischen Forschung bisher nicht gelungen, eine Theorie der G zu entwerfen, die fähig wäre, alle Ursachenkomplexe und Motivzusammenhänge aufzuschlüsseln, welche sich in den Relationen zwischen den Geschlechtergruppen verschränken.Â’ (61) Allerdings bleibt der Anspruch ‘alle Motive und Ursachen aufzuschlüsselnÂ’, selbst in der uneinlösbaren Vorstellung befangen, es sei möglich, solches theoretisch zu entwerfen, statt die Praxen der Menschen in der Organisation ihres Lebens und seiner Reproduktion zusammenhängend zu erforschen. Zu Beginn der zweiten Frauenbewegung hefteten sich an die Reproduktionstechnologie Befreiungshoffnungen. Shulamith Firestone (1975, 1978) hielt Retortengeburten für eine unerlässliche Revolution, da sie Frauenunterdrückung als biologisch determiniert begriff. Donna Haraway schlug in einem heftig umstrittenen Manifest vor, die ‘Gentechnologie sozialistisch-feministisch zu unterwandernÂ’, ‘das Durcheinandergeraten aller Grenzen (wie denen zwischen Mensch und Maschine) zu genießen und sie verantwortungsbewusst mit abzusteckenÂ’ (1984/1995, 165). Als heraufziehende ‘Informatik der HerrschaftÂ’ begriff Haraway die ‘Übersetzung der Welt in ein Kodierungsproblem, in einer Suche nach [...] einem Universalschlüssel, der alles einer instrumentellen Kontrolle unterwirftÂ’ (167). Da Frauen in den bisherigen Grenzbefestigungen mehr verloren als gewonnen haben, sollen sie sich nicht auf Mutterschaft, menschliche Würde und ähnlich ‘unschuldigeÂ’ Positionen zurückzuziehen, sondern das der kapitalistischen Inbetriebnahme geschuldete Ausmaß dieser ‘Informatik der HerrschaftÂ’ und die darin steckende Gewalt gegen Frauen offensiv mit ‘eigener biotechnologischer PolitikÂ’ beantworten (169) und die Probleme der Gentechnologie unter Berücksichtigung von Geschlecht, Rasse und Klasse sowie von Arbeit, Armut, Gesundheit und wirtschaftlicher Macht öffentlich zu verhandeln. Zu einem wichtigen Medium solcher Verhandlung wurden feministische Science-Fiction-Romane (Joanna Russ, Ursula K. LeGuin, Marge Piercy). Hier wurde soziologische Phantasie entwickelt, wie eine Umwälzung der Geschlechterverhältnisse durch die technologische und ökonomische Entwicklung im besten wie im schlimmsten Fall aussehen könnte, wenn sich die Bindung der Mutterschaft an den weiblichen Körper auflöst, wenn Träume vom Ende aller Ursprungsmängel in Gestalt "fehlerloser" Kinder wie zum Umtausch berechtigender Waren kapitalistisch bedient werden oder die Mensch-Maschine-Grenze durchlässig wird. Hier wird die drohende Zerstörung der Erde durch die neoliberale Entfesselung eines wilden Kapitalismus antizipatorisch erkundet. Eine Welt, in der alles dem Profitprinzip unterworfen wird, lässt sich nicht ohne wachsende Selbstzerstörung aufrechterhalten. Perspektive: Geschlechterverhältnisse als "Verhältnisse, die die Menschen in der Produktion ihres Lebens eingehen", sind immer Produktionsverhältnisse, wie Produktionsverhältnisse umgekehrt immer auch Geschlechterverhältnisse sind. Die Doppelung der "Produktion" in die von Leben (im weitesten, Aufzucht und Pflege umfassenden Sinn) und die von Lebensmitteln (im weitesten, die Produktionsmittel umfassenden Sinn) war Ausgangspunkt der historischen Verselbständigung der letzteren zum System der Ökonomie und -- im Kapitalismus -- deren Dominanz über die Lebensproduktion. Der Staat stabilisiert diese Dominanz, indem er dafür sorgt, dass sie nicht ihre Grundlage zerstört. Für die Analyse von Produktionsverhältnissen muss die Kodierung des Ganzen mit Überdeterminierungen, Artikulationsbeziehungen, Abhängigkeiten betrachtet werden. Geschlechterverhältnisse als Produktionsverhältnisse zu erforschen, verlangt eine differenzierte Verbindung historisch-vergleichender und auf Übergänge achtender Studien mit gesellschaftstheoretischen sowie mit subjektwissenschaftlichen Analysen. Für all diese Aspekte besteht Klärungsbedarf. Die Entwicklung und kapitalistische Verwertung der Gentechnologie verschiebt nun aber, wo sie in die menschliche Reproduktion eingreift, die Grenze zwischen Lebens- und Güterproduktion so entscheidend, dass der Zusammenhang der Geschlechterverhältnisse als Produktionsverhältnisse neu gedacht werden muss. Konnte bislang davon ausgegangen werden, dass Kapitalismus sich zu seiner Verbreitung die residuale "häusliche Produktionsweise" der Familie unterwirft, bzw. auf ihr gedeiht, so schiebt die kapitalistische Industrie ihre Grenzen in die Geschlechtskörper und ihre Fortpflanzung hinein vor. Vorläufer war die Transplantationsmedizin, die den Körper zur verwertbaren Organressource gemacht und dem Geschäft wie dem Verbrechen ein neues Betätigungsfeld erschlossen hat. Die Reproduktionsmedizin hat die Grenze weiter verschoben. Samen, Eier, Embryos werden zur Ware, Befruchtung, Qualifizierung und Einnistung zur käuflichen Dienstleistung. Die Gebärfähigkeit kann verkauft werden wie die Arbeitskraft oder wie die Nutzungsrechte am Körper zur sexuellen Befriedigung. Solange die Hervorbringung von Kindern nicht-kapitalistisch organisiert war, tauchten Frauenschutz und Kontrolle über den Frauenkörper als zwieschlächtige Dimension der Produktionsverhältnisse auf. Nun aber werden seine Organe -- wie zuvor der männliche Same -- selbst Rohstoff oder Produktionsmittel einer Produktionsweise, die zu den bisherigen Individualitätsformen der Hausfrau, der Geschäftsfrau, der Lohnarbeiterin, der Prostituierten, in denen die Geschlechtskörper je verschieden agieren und zueinander positioniert sind, eine weitere Form, die der "Leihmutter" gefügt hat. Dies ist der Beginn einer Entwicklung, deren Auswirkung auf die Geschlechterverhältnisse künftiger Analyse und emanzipatorischer Politik die Aufgaben stellt. In Geschlechterverhältnisse, in denen Frauen mit der Fähigkeit zur Mutterschaft und den entsprechenden Schutz- und Blockierungsstrategien, die gesellschaftliche Einmischung im Großen abgemarktet war, kann die Durchkapitalisierung der Fortpflanzung alle Grenzen in Bewegung bringen.

Anmerkung

1 Der vorliegende Text basiert teilweise auf Passagen aus dem Stichwort Geschlechterverhältnisse, im Historisch-Kritischen Wörterbuch des Marxismus, Bd.5, 2002: Ein Buch zur Thematik ist für 2002 in Vorbereitung

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