Deregulierung der Menschenrechte

Deregulierung und Privatisierung sind Zeichen der Zeit, die auch auf die Menschenrechte übergreifen.

Der Beitrag zeigt die - historisch bedingten - Unterschiede zwischen dem europäischen und dem USamerikanischen Menschenrechtsverständnis auf. Es handelt sich vor allem um zwei konzeptionelle Differenzen. Für Europa sind die Menschenrechte ein internationales, für die Vereinigten Staaten hingegen ein nationales Konzept. Und für Europa sind sie im Wesentlichen ein rechtliches Konzept, für die USA hingegen im Wesentlichen ein politisches. In der Praxis zeigen sich diese Differenzen erst seit 1989, und dies recht zögerlich: Bis zu diesem Zeitpunkt anerkannten die Vereinigten Staaten das europäische Verständnis der Menschenrechte ebenfalls an, denn mit diesem gleichsam ›europäisch verpackten‹ Konzept ließ sich zusammen mit den westeuropäischen Staaten besser Druck auf den Ostblock ausüben. In einem ersten Teil wird in einigen ausgewählten Schritten nachgezeichnet, wie die Idee der Menschenrechte in Europa positiviert worden ist. Ein zweiter Teil spricht Bereiche an, in denen heute Ansätze zu einer Dergulierung bestehen. Der dritten Teil erläutert einige historische Gründe, die zu den transatlantischen Unterschieden geführt haben, und im vierte Teil wird die besondere Rolle thematisiert, welche Europa vor diesem Hintergrund wahrnehmen könnte. 1. Positivierung der Menschenrechte 1.1. Trennung von Recht und Moral 1.2. Volkssouveränität 1.3. Internationalisierung 2. Deregulierungsbereiche 2.1. Privatisierung/Entstaatlichung 2.2. Entdemokratisierung / Entformalisierung 2.3. Remoralisierung 3. Historische Gründe 3.1. Religion und Nation 3.2. Staat und Regierung 3.3. Begriff der Republik 3.4. Volkssouveränität und Justiz 3.5. Verschiedene Menschenrechtskonzepte 4. Die Rolle Europas 4.1. Universalismus und Regionalisierung 4.2. "Clash of civilisations"? 4.3. Transatlantische Zusammenarbeit

Positivierungder Menschenrechte

Aus der Entwicklung der Menschenrechte, das heißt aus der langen Zeit, die sie zu ihrer Umsetzung in positives Recht bedurfte, sollen im folgenden drei Abschnitte herausgegriffen werden, durch die die Problematik ihrer Deregulierung besonders deutlich wird. 1.1. Nach dem Mittelalter brach in Europa die hierarchische gesellschaftliche Rangordnung auf, und es setzte die moralische Individualisierung ein (vgl. Preuß 1990: 68; Brunkhorst 1999a: 375). Der einzelne sollte selber entscheiden können, was er religiös und moralisch für richtig hielt. In diesem Umfeld brachte die Reformation die Entwicklung auf den Punkt, daß der einzelne Mensch mit Gott direkt in Verbindung stehen könne und daß er dafür der Vermittlung durch die Kirche nicht mehr bedürfe, wie es die römischkatholische Kirche weiterhin für richtig hielt. Eine verhängnisvolle Folge davon waren die Religionskriege. Früher war man eingebunden in eine vorgegebene, ›gottgewollte‹ Ordnung, und wann immer man in den Krieg zog, so war es im Interesse eines Zieles, das man nicht selber akzeptieren mußte. Da man nun neuerdings selber entscheiden konnte oder mußte, welchem Glauben man folgen wollte - diese Entscheidung war wohl in vielen Fällen keine ausschließlich religiöse, sondern aus verständlichen Gründen oft auch eine wirtschaftlich oder gesellschaftlich bedingte -, führte dieses Bekenntnis auch zur Notwendigkeit, für die Zugehörigkeit einzustehen, die man gewählt hatte. Die moralische Individualisierung prägte so auch den Ablauf der Religionskriege, die weitgehend von Kriegsunternehmern - die heute als ›warlords‹ bezeichnet würden - und von privaten Söldnertruppen geprägt waren (vgl. Münkler 2000: 26). Auf diese Situation reagierten europäische Denker mit verschiedenen Forderungen. Das Rechtssystem sollte von religiös-kulturellen Prämissen unabhängig und die Religion vom öffentlichen Raum ins private Gewissen verschoben werden.1 Der Krieg sollte ›verstaatlicht‹ werden, das heißt, nur noch Staaten sollten berechtigt sein, Kriege zu führen und über ein entsprechendes Gewaltmonopol verfügen (vgl. Münkler 2000: 22 ff.). Mit dem Westfälischen Frieden wurde ein Teil dieser Gedanken im Jahre 1648 in die Tat umgesetzt. Man einigte sich am Ende des Dreißigjährigen Krieges darauf, keine konfessionellen Kriege mehr zu führen und gelangte zur Formel ›cuius regio - eius religio‹ (wessen Gebiet - dessen Glaube), also zu einer Territorialisierung der Konfessionen; der König oder der Landesfürst bestimmte die Landesreligion.2 Der einzelne Mensch war nun nicht mehr gesellschaftlich eingebunden, die soziale Ordnung war damals sehr bald zusammengebrochen, und die Religionskriege waren zu einer Orgie von Willkür, Raub, Mord und Gewalt, kurz, zu einer Orgie von Unrecht geworden. So war der Ruf nach einem starken, souveränen Staat und einer Rechtsordnung entstanden, die der Staat zum Schutz des einzelnen durchsetzen sollte. Die souveräne Staatsgewalt sah man bei einem absoluten Herrscher, der die Gesetze erließ, zum Teil in Rücksprache mit dem Adel. Wichtig für die Menschenrechte war nun aber, daß Recht und Moral getrennt wurden. Es setzte sich die Überzeugung durch, daß es nach außen nur auf die Handlungen der Personen ankomme. Was aber diese Personen dabei dachten, ob sie den Sinn der Rechtsordnung einsähen oder nicht, darauf komme es nicht an, wenn das Recht nur äußerlich befolgt werde. Diese Regelung wirkte sich auch umgekehrt aus. Der Staat garantierte dem einzelnen seine Sicherheit, und zwar vor allem die Sicherheit von Leib und Leben - viel weiter ging das damals nicht -, aber auch diese Garantie bestand unabhängig von den moralischen Ansichten der betreffenden Person. 3 Nicht nur der tugendhafte Mensch hatte damit eine Würde als Mensch und genoß den Schutz des Staates, sondern auch der nicht tugendhafte Mensch, was immer man sich darunter vorstellen mag. Auch die strafrechtliche Verantwortlichkeit sollte nach strikt rechtlichen und nicht nach moralischen Kriterien gehandhabt werden: Ob der Straftäter ›gut‹ oder ›böse‹ war, durfte keine Rolle spielen. Die Trennung von Recht und Moral ist noch heute eine der rechtlichen Voraussetzungen für die Positivierung der Menschenrechte. 1.2. Anfänglich waren die absoluten Herrscher durchaus in der Lage, Gesetze so zu erlassen, daß den Bedürfnissen der verschiedenen Bevölkerungsgruppen einigermaßen Rechnung getragen wurde, denn die Gesellschaft hatte sich noch nicht so weit von der mittelalterlichen, ständischen Ordnung entfernt und war deshalb noch relativ übersichtlich. Mit zunehmender Differenzierung der gesellschaftlichen Strukturen wurde es aber immer schwieriger, den Ausgleich zwischen den verschiedenen Interessengruppen zu antizipieren, ohne daß diese Auseinandersetzung auch tatsächlich stattfand (Schapp 1994: 251).4 Die Unzufriedenheit derer, die ihre Interessen nicht genügend berücksichtigt sahen, wuchs, und schließlich setzte die Französische Revolution kurzerhand das souveräne Volk an die Stelle des bisherigen Souveräns. Dabei wurden jedem männlichen Bürger im Prinzip zwei Rollen zugewiesen, eine erste als Teil des ›Volkssouveräns‹, in welcher er die gesetzgebende Versammlung wählte, und eine zweite als ›Rechtsunterworfener‹, der die Gesetze zu befolgen hatte, wobei in dieser zweiten Rolle die weibliche Hälfte der Bevölkerung durchaus mitgemeint war. Aufgrund dieser Unterscheidung wurde in Frankreich auch unterschieden zwischen Menschenrechten und Bürgerrechten: Menschenrechte hat der einzelne als Rechtssperson, als Adressat der Gesetze, denn die Menschenrechte garantieren ihm einen privaten Freiraum im Recht. Bürgerrechte hat er als Bürger, als einer, der im öffentlichen Raum der Demokratie mitbestimmt (vgl. Brunkhorst 1999b: 166). Damit war auch klar definiert, wie dafür zu sorgen war, daß die Rechtsordnung moralischen Kriterien bei aller Trennung von Recht und Moral dennoch genügte. Der Bürger sollte jene Personen in die gesetzgebenden Versammlungen wählen, die seine moralischen Vorstellungen dort einbringen würden. Moral war eine Sache der Rechtssetzung und nicht der Rechtsanwendung. Dieser Schritt fand seinen Niederschlag in den Verfassungsrevolutionen des 18. und des 19. Jahrhunderts. Die Erfindung des Nationalstaates, der Volkssouveränität und der Demokratie stellt einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur Positivierung der Menschenrechte dar. 1.3. Ein dritter Schritt, der hier erwähnt werden soll, beginnt mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, indem die Menschenrechte international festgeschrieben wurden, zunächst in der Form von Deklarationen und später als einklagbare Rechte, wobei ein internationales Verfahren zur Verfügung gestellt wird, das der einzelne in Anspruch nehmen kann. Der Staat als Garant der Menschenrechte wird nun einer internationalen gerichtlichen oder justizähnlichen Aufsicht durch die Gemeinschaft der Staaten unterworfen. Das eigentlich neue in dieser Phase besteht darin, daß das Individuum zum sogenannten Völkerrechtssubjekt geworden ist. ›Völkerrecht‹ ist jenes Recht, welches seit einigen Jahrhunderten die Rechtsbeziehung zwischen den Staaten geregelt hat und immer noch regelt, mit ›Völkern‹ sind also die heutigen Nationalstaaten gemeint. Akteure in diesem Völkerrecht waren jedoch vor 1945 nur Staaten. Sie sind es auch heute noch, nun ist aber als Neuerung dazugekommen, daß der einzelnen Rechtsperson erstens die Menschenrechte nicht mehr nur durch die Verfassung des eigenen Staates, sondern neu auch durch internationale Verträge zwischen den Staaten garantiert werden, und daß zweitens die einzelne Rechtsperson die international festgeschriebenen Rechte international einklagen kann. Dieser Schritt zur Positivierung der Menschenrechte besteht somit darin, daß die letzteren auf die internationale Ebene gehoben werden und daß der Staat als Garant der Menschenrechte durch die anderen Staaten in die Pflicht genommen wird, nicht nur politisch, sondern auch rechtlich.

Deregulierungsbereiche

Die gegenwärtige Situation weist in gewissem Sinne eine Ähnlichkeit mit jener am Anfang der eben aufgezeigten Entwicklung auf. Wenn man sich die Geschichte als Spirale vorstellt, so wäre sie heute gleichsam wieder am selben Ort angelangt, nun aber eine Stufe weiter oben. Es war die Erfindung des Nationalstaates, die die dargestellte Entwicklung letztlich möglich gemacht hat. Heute, im Rahmen der Globalisierung, verliert die nationalstaatliche Rechtssetzung jedoch immer mehr die Fähigkeit, die Dinge wirklich zu regeln. Die nationalstaatliche Souveränität wird immer mehr ausgehöhlt, viele Dinge können nur noch supranational, also überstaatlich geregelt werden - wenn sie überhaupt noch geregelt werden können. Im Hinblick auf die Menschenrechte lohnt es sich, die Entstehung des Nationalstaates in den verschiedenen Phasen der rechtlichen Entwicklung nochmals anzusehen und zu prüfen, was diese für die nächste Stufe der Spirale bedeuten könnten. Es ist nämlich keineswegs ausgeschlossen, daß auf globaler Ebene ähnliche Probleme auftauchen, "für die seinerzeit der demokratische Rechtsstaat die ›kleine‹, regionale Lösung gewesen war" (Brunkhorst 1999a: 374). In diesem Sinne soll hier nochmals von denselben drei Themenkreisen die Rede sein, und zwar - zum besseren Verständnis - in umgekehrter Reihenfolge. Dabei sind diese Themenkreise durchaus interdependent, eine genaue systematische Abgrenzung zwischen ihnen ist nicht möglich. 2.1. Das betrifft zum ersten die Weiterentwicklung des Völkerrechtes. Die weltweite Wirtschaft kreiert weitgehend ihr eigenes Recht, und dies außerhalb des nationalen Rechtes, zum Teil auch außerhalb des Völkerrechtes. Es ist sozusagen ein "Weltrecht ohne Staat" (Teubner 1996: 237). Dieses Phänomen der ›Entstaatlichung‹ droht heute auch auf die Menschenrechte überzugreifen.5 An sich ist es zwar erfreulich, wenn sich Konzernleitungen zur Einhaltung von minimalen Menschenrechtsgarantien verpflichten. Wenn sie aber auf der anderen Seite dafür sorgen, daß Staaten, auf die sie einen Einfluß haben, die internationalen Menschenrechtsverträge und vor allem die individuelle Beschwerdemöglichkeit nicht anerkennen, dann hat dies verhängnisvolle Konsequenzen, denn dieses Vorgehen stellt eigentlich eine Privatisierung der Menschenrechte dar. Daß privat vereinbarte Menschenrechtsgarantien in der Absicht anerkannt werden, eine staatliche Normierung zu vermeiden, wird heute von den dafür zuständigen Beauftragten der international tätigen Konzerne offen ausgesprochen. Darüber hinaus schwächt die tendenzielle Entstaatlichung ganz generell die Verpflichtung des Staates, dem einzelnen die Menschenrechte zu garantieren. Einklagbares, durchsetzbares Recht bringt eine Gleichbehandlung in der Anwendung mit sich, denn alle Leute können sich darauf berufen. Wenn hingegen Menschenrechte nur in privaten Grundsatzerklärungen festgehalten sind, dann hat, wer beim Konzern X arbeitet, gewisse - unter Umständen sogar privat einklagbare - Garantien, während für jenen, der beim Konzern Y arbeitet, dies nicht der Fall ist. Konsequent zu Ende gedacht führt diese Tendenz dazu, daß Menschenrechte nur noch dann umgesetzt werden, wenn eine mächtige Struktur sie zur Anwendung bringt - sei das nun eine Konzernleitung, ein Staat, eine Staatengemeinschaft, eine internationale Organisation oder unter Umständen eine mächtige nichtstaatliche Organisation, die einen der genannten Akteure zum Handeln zwingen kann. Der einzelne Mensch muß also einen Fürsprecher gefunden haben, der genügend politischen Druck ausüben kann. Wenn hingegen kein Fürsprecher gefunden werden kann, weil gerade andere Interessen für mögliche Fürsprecher noch wichtiger sind, werden die Menschenrechte nicht durchgesetzt. Damit rutscht die Verwirklichung der Menschenrechte von der Ebene des Rechts hinunter auf die Ebene der Interessenpolitik. Diese Form der Deregulierung ist somit eine Form der Privatisierung, und sie birgt die Gefahr in sich, daß die Menschenrechte hinter die Errungenschaften zurückfallen, die sich seit 1945 entwickelt haben. 2.2. Die zweite Gruppe von Beispielen betrifft den Zusammenhang zwischen den Menschenrechten und der Demokratie. Das Völkerrecht unterscheidet zwischen soft law und hard law. Hard law ist verbindliches Recht, soft law sind Grundsätze oder Empfehlungen, die auch dazu dienen können, später in hard law umgewandelt zu werden. In der politischen Auseinandersetzung kann soft law jenen Staaten entgegengehalten werden, die es anerkannt haben. Es gilt jedoch nur dann, wenn es respektiert wird; wird es nicht respektiert, so hat es rechtlich keine Wirkung mehr. Hard law gilt auch dann, wenn es nicht befolgt oder nicht durchgesetzt wird (vgl. Steiger 1996: 159; Thürer 2001: 48). International gibt es gar keine andere Möglichkeit der Durchsetzung von Menschenrechten als über völkerrechtliche Verträge und internationale Gerichte oder justizähnliche Anwendungsorgane. Immerhin entstehen diese völkerrechtlichen Verträge im Rahmen internationaler Organisationen, die von demokratisch gewählten Regierungen beschickt werden, und sie bedürfen nach der Unterzeichnung der Ratifikation durch die demokratisch gewählten Parlamente. Genau diese - wenn auch noch schwache - Rückbindung der internationalen Menschenrechtskultur an die demokratischen Strukturen wird durch die ›Entstaatlichung‹ abgeschnitten. Nun besteht heute im Bereich der Menschen- und Grundrechte, aber auch innerstaatlich eine zunehmende Tendenz, soft law nicht mehr in hard law zu überführen, sondern beim soft law stehen zu bleiben (Denninger 1999: 273). Anstelle von ausformulierten Rechten erscheinen dann Zielsetzungen und Programme. Norberto Bobbio stellt ausdrücklich die Frage: "Kann man ein Recht, dessen Anerkennung und effektiver Schutz sine die vertagt wird und dem guten Willen derer anheimgegeben ist, denen die Durchführung des ›Programms‹ obliegt, das also nichts weiter als eine moralische, im besten Fall politische Verpflichtung ist, überhaupt noch ein Recht im eigentlichen Sinne nennen?" (Bobbio 1999: 77). Eine Entdemokratisierung der Menschenrechte ergibt sich zusätzlich dadurch, daß über ihren Inhalt immer mehr die Justiz entscheidet, und nicht mehr der souveräne Gesetzgeber. Das Recht wird gleichsam immer mehr ›entformalisiert‹, man kann sich immer weniger darauf verlassen, was die Gesetze einem nun wirklich garantieren, bevor man nicht ein entsprechendes Verfahren durchgezogen hat. Oft werden die Menschenrechte erst im Einzelfall ausdefiniert (vgl. Maus 1999: 289). Als weiteres Phänomen, das mit dem eben genannten in Verbindung steht, kommt die Ungleichheit im Anspruch auf die Menschenrechte hinzu, welche die Konzeption dieser Rechte in der öffentlichen Wahrnehmung zunehmend beeinflußt. Immer häufiger ist die Forderung nach Ausübung von Menschenrechten als Mitglied einer Gruppe zu beobachten. Diese Logik fördert eine Ideologie der Ungleichheit, die darauf beruht, daß das Ungleiche betont wird und nicht mehr die Gleichheit des Mensch-Seins, aus welcher die Idee der Menschenrechte ursprünglich hervorgegangen ist. Sobald man Menschenrechte ›als‹ Träger irgendeines besonderen Merkmals beansprucht, hebt man diese Rechte leicht aus den Angeln, denn man spricht sie all jenen ab, die dieses Merkmal nicht aufweisen; sonst müßte man sich nämlich auf das besondere Merkmal nicht berufen. Im Zusammenhang mit Diskriminierungsverboten in der Ausübung der Menschenrechte ist es natürlich richtig, Quervergleiche anzustellen, aber in dieser Betrachtungsweise geht es lediglich um Gleichbehandlung. Die Berufung auf besondere Rechte als Angehöriger einer Gruppe geht heute im negativen Sinne weit über eine derartige Logik hinaus. Zieht man die ethnisch motivierten Argumentationen in Betracht, die in den Balkankriegen vorgebracht worden sind, wird offensichtlich, daß sie der Logik der Gleichbehandlung diametral entgegenstehen (vgl. Denniger 1999: 272). Diese zweite Gruppe von Beispielen zur Deregulierung der Menschenrechte betrifft also die Abkoppelung dieser Rechte von der Demokratie. Sie geschieht einerseits schon durch jede Privatisierung und Entstaatlichung der Menschenrechte. Darüber hinaus aber - und vor allem im innerstaatlichen Bereich - geschieht sie durch eine zunehmende Entformalisierung des Rechts, das heißt durch die Ersetzung des Gesetzgebers durch die Justiz und durch eine zunehmende Gruppenorientierung. Diese Formen der Deregulierung tragen die Gefahr in sich, daß die Menschenrechte hinter Errungenschaften zurückfallen, die sich in Europa seit der Französischen Revolution von 1789 entwickelt haben. 2.3. Weiterhin geht es um Menschenrechte und die Moral. Zur Zeit sind verschiedene Ansätze einer ›Remoralisierung‹ der Menschenrechte zu beobachten. Eine Gefahr für die Menschenrechte aus dieser Perspektive liegt in der Idee, nur der tugendhafte Mensch solle letztlich über diese Rechte verfügen. Ein Beispiel dafür ist die Vorstellung, daß gewisse Rechte an die Arbeitsamkeit geknüpft werden könnten. Infolge der Terroranschläge vom 11. September 2001 wurde offensichtlich, wie leicht moralische Kategorien die Menschenrechte aus den Angeln heben können: ›Gut‹ und ›Böse‹ - die moralischen Kategorien par exellence - prägten die öffentliche Auseinandersetzung so stark, daß im Zusammenhang mit Terroristen allen Ernstes das Verbot der Folter in Frage gestellt werden konnte. Möglicherweise ist dies allerdings ein US-amerikanisches Phänomen, worauf später zurückzukommen sein wird. In ein anderes Phänomen ist Europa hingegen durchaus eingebunden: Der NATOKrieg gegen Jugoslawien war der Versuch, "unter Berufung auf die Legitimität einer universalen Moral die Legalität der bestehenden völkerrechtlichen Ordnung zu relativieren" (Preuß 2000: 136 - Hervorhebungen im Original). Kollektivstrafen, die nicht Schuldige treffen, können nur auf einer moralischen Motivation beruhen, eine rechtliche Begründung ist nicht möglich. Viele Menschen in Jugoslawien bezahlten mit ihrem Leben dafür, daß sie sich in ihrem Staat aufhielten, der moralisch disqualifiziert war - und dies widerspricht dem europäischen Menschenrechtsverständnis. Zwar ist dieser Aspekt nur einer unter vielen zur Beurteilung des Geschehens, aber er ist im Zusammenhang mit den Menschenrechten - und in deren Namen fand dieser Krieg seitens der NATO schließlich statt - ein sehr wichtiger.6 Natürlich hat die Moral eine Bedeutung für die Menschenrechte, aber dabei muß ein Bezug hergestellt werden zu Rechtsstaat und Demokratie. Die Gesetzgebung hat dafür zu sorgen, daß das Recht allgemeinen moralischen Grundsätzen entspricht, und dies geschieht in den ebenfalls rechtlich geregelten Verfahren der Gesetzgebung. In der Anwendung dieses Rechts auf den einzelnen aber darf die Moral keine Rolle spielen. Wenn die Moral wieder ins Recht Einzug hält, dann verschwinden die rechtlichen Freiräume, die das 17. Jahrhundert dem einzelnen gewährt hat. Diese Form der Deregulierung birgt deshalb die Gefahr in sich, daß die Menschenrechte sogar hinter die damaligen Errungenschaften zurückfallen, das heißt in den Zustand vor dem Beginn ihrer Positivierung (vgl. auch Kersting 2000: 64).

Historische Gründe

Seit einiger Zeit wird darüber diskutiert, ob Menschenrechte universal gelten oder ob sie eine spezifisch ›westliche‹ Sichtweise beinhalten. Die Deregulierung der Menschenrechte gehört allerdings nicht in den Rahmen dieser Kontroverse. Vielmehr ist die Deregulierung eine Fragestellung innerhalb des Westens. Die bisherigen Ausführungen waren deshalb ganz bewußt von einer europäischen Sichtweise geprägt und die Darstellung erfolgte im Lichte der europäischen Geschichte. Seit 1989 zeigt es sich zunehmend, daß das Verständnis der Menschenrechte diesseits und jenseits des Atlantiks nicht in allen Teilen dasselbe ist - wobei hier mit ›jenseits des Atlantiks‹ immer nur die Vereinigten Staaten gemeint sind, denn in Kanada liegen die Verhältnisse wieder anders. Auf beiden Seiten des Atlantiks finden sich freiheitliche Gesellschaften, aber diese waren mit sehr unterschiedlichen historischen Anforderungen konfrontiert und sind deshalb das Resultat einer sehr unterschiedlichen Geschichte. Wenn im folgenden - wenn auch sehr summarisch - einige geschichtliche Fakten erwähnt werden, die zu einem transatlantisch unterschiedlichen Verständnis der Menschenrechte geführt haben, so muß ebenso weit zurückgegriffen werden wie bei der einleitenden Darstellung ausgewählter Schritte der Positivierung dieser Rechte in Europa. 3.1. Wie bereits erwähnt, bekannte sich Europa nach dem Ende der Religionskriege zum Grundsatz des religiösen Territorialprinzips - der König oder Fürst sollte die Religion des Landes bestimmen. Gleichzeitig wurde aber auch das Recht auf Auswanderung begründet, damit Andersgläubigen die Möglichkeit gegeben war, ihre Religion auch öffentlich auszuüben, allerdings an einem anderen Wohnort. Die neue territoriale Ordnung leitete somit "massenhafte ›religiöse Säuberungen‹ ein. Sie provozierte Völkerwanderungen, vor allem protestantischer Christenmenschen: von Deutschland nach Osten, von Frankreich nach Norden, aus Europa gen Westen, in die neue Welt" (Kallscheuer 1996: 22). So kam es, daß "die Freikirchen allmählich dem amerikanischen Wesen ihren Stempel aufdrückten" (Im Hof 1993: 47). Viele Auswanderer mögen aus wirtschaftlicher Not oder aus Abenteuerlust oder aus einer Kombination von beidem den Weg nach Amerika gewählt haben. Längst nicht alle hatten eine klare Haltung in Sachen Religion und Staat. Insoweit sie aber in diesen Fragen eine Überzeugung hatten, rekrutierten sie sich klar aus dem Segment der europäischen Gesamtbevölkerung, für die die Befolgung der eigenen religiösen Überzeugung über alle anderen Werte dominierte. Hinzu kam in der Neuen Welt eine koloniale Situation, die dazu führte, daß "zu den aus der alten Welt her übergekommenen Sekten neue geradezu ausgebrütet wurden, und dogmatische Auseinandersetzungen innerhalb einzelner Sekten ließen die Zahl der Gruppierungen noch mehr anschwellen" (Vollrath 1988: 218). Europa brauchte gleichsam die Freiheit zum Staat, um die Freiheit von der Religion durchsetzen zu können. Demgegenüber beanspruchten die Auswanderer in die Neue Welt umgekehrt die Freiheit vom Staat, um die Freiheit zur Religion durchsetzen zu können.7 Deshalb ist nicht nur ›Mißtrauen gegenüber dem Staat‹ zum festen Bestandteil der politischen Kultur Amerikas geworden, sondern es hat sich darüber hinaus auch kein eigentlicher ›Staatsbegriff‹ entwickelt (vgl. Eisenstadt 2000: 57 - mit Verweisen). An die Stelle des Staates, wie ihn die Europäer kennen, treten in den USA die unzähligen privaten Vereinigungen, in denen sich die Amerikanerinnen und Amerikaner mit anderen zusammenschließen, wobei sie den Wortlaut ›freiwillig zusammenschließen‹ gebrauchen würden, denn die staatliche Zugehörigkeit empfinden sie vor dem dargestellten Hintergrund als ›Zwang‹. Dieser Unterschied hat auch das Verständnis der Nation auf beiden Seiten des Atlantiks stark beeinflußt. Die Begründung der US-amerikanischen Nation ist letztlich eine religiöse, was sich unter anderem in der "civil religion" zeigt, wie sie Robert N. Bellah in einem Aufsatz 1967 erstmals bezeichnet hat (vgl. Bellah 1991: 168 ff.). Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Vorstellung, von Gott als Volk auserwählt zu sein, welche von den Anfängen der Einwanderung an eine große Rolle spielte (ausführlich beschrieben bei Spillmann 1984: 39 ff.; auch Bellah 1992: 41 ff.). Dieser Mythos war zum Teil auch ein Ersatz für das Fehlen eines Volkes mit gemeinsamer Geschichte. Einerseits gab und gibt es in den USA eine fast unbegrenzte religiöse Toleranz. Andererseits aber war Religiosität und das Bekenntnis zu (irgend)einer Religion geradezu Voraussetzung für die Integration in das US-amerikanische Volk. Ernest Gellner weist darauf hin, daß Religiosität heute viel eher ein Ausdruck des ›American way of life‹ ist als ein Ausdruck der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft (vgl. Gellner 1992: 5). Die Übernahme dieses ›American way of life‹ spielt wiederum für Einwanderer eine wichtige Rolle, wenn sie möglichst rasche Zugehörigkeit zur Gesellschaft erlangen wollen, denn durch eine rasche Übernahme bekennen sie sich nach außen sichtbar zu den Vereinigten Staaten (Eisenstadt 2000: 50).8 Den europäischen Nationen ist demgegenüber eine religiöse Begründung fremd. Zwar bestehen inhaltliche und zeitliche Differenzen in der Nationenbildung zwischen den verschiedenen europäischen Staaten, aber die nichtreligiöse Begründung der Nation ist ihnen allen historisch gemeinsam. Die Französische Revolution, die ganz Europa entscheidend geprägt hat, definierte die Nation als Staatsnation. Auch sogenannte Kulturnationen, wie zum Beispiel Deutschland im 18. Jahrhundert, entwickelten später eine staatsnationale Identität. Dies ist übrigens auch der Grund dafür, daß in der europäischen Geistesgeschichte, wenn man sie langfristig betrachtet, das Phänomen des sogenannten ›heiligen Krieges‹ überwunden werden konnte, auch wenn es gelegentlich Rückfälle in ›heiliges Feuer‹ gab und immer noch gibt - in Nordirland schwelend, im Balkan nun hoffentlich wieder erlöschend. 3.2. In den Vereinigten Staaten verlief die geschichtliche Entwicklung der ›Staatsgründung‹ anders als in Europa: Eine durch die Ereignisse hochpolitisierte Gesellschaft hatte sich vom Staat emanzipiert, der durch die Mutterländer, insbesondere durch England, repräsentiert wurde. Zusätzlich zur bereits beschriebenen Staatsfeindlichkeit, die auf das Verhältnis von Staat und Religion zurückzuführen war, kam nun noch der Wille, die eben erlangte Freiheit möglichst zu bewahren, und keinesfalls einen eigenen Staat in eben jener Ausgestaltung zu errichten, die man gerade abgeschüttelt hatte. Es ging darum, sich irgendwie vernünftig zu organisieren, aber die Regierung, die man wohl oder übel einsetzen mußte, betrachtete man eher als "rechenschaftspflichtiges Dienstleistungsunternehmen" (Adams 1996: 297). Heute wie vor 200 Jahren gilt in den Vereinigten Staaten der volkstümliche Spruch, wonach jene Regierung die beste sei, die am wenigsten regiere (vgl. Howard 2001: 18). Ob man diese Regierung als Wirtschaftsbürger, als Religionsausübender oder als Staatsbürger einsetzte, war nicht von Bedeutung. Wichtig war lediglich, daß deren Kompetenzen sehr beschränkt sein sollten. Gesellschaft und Staat waren in den USA unter diesen Umständen gar nicht mehr trennbar (vgl. Adams 1996: 296; Kallscheuer 1994: 117). Wenn Amerikanerinnen und Amerikaner von ›Administration‹ sprechen und damit eigentlich die Regierung in Washington meinen, so drücken sie damit genau dies aus: Es handelt sich um die Verwaltung einer gesellschaftlichen Angelegenheit, genau so wie es sich um die Verwaltung eines Konzerns, einer Religionsgemeinschaft oder eines großen Vereins handeln könnte, der im nicht-wirtschaftlichen Bereich tätig ist. Um die Verwaltung eines Staates im Sinne des europäischen Staatsbegriffes handelt es sich jedenfalls nicht. Mit anderen Worten: In Amerika sind bei der Staatsgründung Staat und Gesellschaft verschmolzen, und zwar mehr oder weniger in dem Sinne, daß die Gesellschaft den Staat aufgesogen hat.9 Dafür war der Boden durch den Primat der Religion über den Staat bereits vorbereitet. So entstand der horizontale Gesellschaftsvertrag als Grundlage für das, was die USA auch heute noch sind, und was sich von Staaten europäischen Zuschnitts unterscheidet.10 Diese europäischen Staaten sind etwas ›Drittes‹, sie existieren auch jenseits der rein horizontalen Beziehungen zwischen den Individuen. Der US-Amerikaner kennt nur die Beziehungen zwischen den Individuen, etwas Drittes im europäischen Sinne gibt es nicht, und dies ist auch der Grund, weshalb der Gesellschaftsvertrag immer wieder im gegenseitigen Bekenntnis und im gegenseitigen Versprechen erneuert werden muß, wobei auf die amerikanische Nation zurückgegriffen wird, auf das auch religiös und moralisch verstandene Amerikaner-Sein. In Europa, wo man für die Integration der Gesellschaft den Staat - oder die Staatlichkeit auf verschiedenen Ebenen - zur Verfügung hat, muß die Existenz der Ordnungsstruktur nicht immer wieder neu festgestellt werden, eben deshalb, weil sie etwas Drittes ist. 3.3. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, als nach Erlangung der Unabhängigkeit die ›Staatsgründung‹ der USA bevorstand, hatte sich Frankreich zwar noch nicht in eine Republik gewandelt, aber die Forderung danach war bereits gestellt, der republikanische Gedanke war längst geboren, und es stand außer Frage, daß sich die Vereinigten Staaten daran orientieren würden. Die Bedürfnisse und die Probleme in der amerikanischen Revolution waren aber völlig anders gelagert als jene, die die französische Revolution auslösten, insbesondere gab es keinen Adel und keine Monarchie abzuschaffen (vgl. Howard 1999: 174).11 Die Gründerväter der USA behalfen sich in dieser Situation damit, daß sie verschiedene Begriffe zwar Übernahmen, ihnen aber entsprechend den Umständen und ihren Bedürfnissen einen anderen Sinn gaben, so auch dem Begriff der Republik. 12 Der Vorgang dieser neuen Sinngebung und deren Begründung läßt sich heute im Detail nachlesen, und zwar in den Federalist papers, einem eigentlichen Verfassungskommentar, der 1787 von Alexander Hamilton, James Madison und John Jay herausgegeben wurde, eine Streitschrift zugunsten der Verfassung, wie sie die ›Federalists‹ vorgeschlagen hatten, und wie sie sich dann schließlich auch durchsetzte (vgl. Hamilton/Madison/Jay 1993). Ein Unterschied im US-amerikanischen und im europäischen Republikverständnis soll hier erwähnt werden, weil sich darin ein Bezugspunkt findet zum amerikanischen Gesellschaftsvertrag, der in seiner rein horizontalen Funktion einen Gegensatz bildet zum europäischen Staat. Es ist in diesem Zusammenhang nochmals zurücktranszendente zukommen auf den Mythos vom Auserwählten Volk Gottes. Die USamerikanische Republik versteht sich auch als ›Bund mit Gott‹, analog dem Bund, den die Stämme Israels gemäß dem Alten Testament mit Gott geschlossen hatten (vgl. Kallscheuer 1994: 119ff.). Die Vorstellung dieses ›covenant‹ ist noch heute präsent und hat nach wie vor eine wichtige Funktion in der US-amerikanischen Politik.13 Bemerkenswert ist, daß in den Anfängen der Auswanderung in die Neue Welt in den neuenglischen Kolonien die biblische Idee des ›covenant‹ sowohl den Politikern wie auch den Theologen als Grundlage diente, und zwar nicht etwa unter verschiedenen Vorzeichen, sondern als identische, theoretische Grundlage sowohl des ›Staates‹ als auch des Glaubens: Gesellschaftsvertrag und biblischer Bund waren für die Puritaner dasselbe, der Bürger und der Gläubige waren identisch (vgl. Adams1996: 285; Kallscheuer 1994: 121; Spillmann 1984: 41). Der erwähnte Bezugspunkt zwischen dem europäischen Staat, der jenseits der rein horizontalen Beziehungen zwischen den Staatsbürgern oder Einwohnern eines Landes etwas Drittes darstellt, und dem rein horizontalen Gesellschaftsvertrag der Vereinigten Staaten sei in folgender Überlegung angedeutet: Wenn dieser horizontale Gesellschaftsvertrag eine Urverwandtschaft aufweist mit dem ›covenant‹, also mit dem Bund, den Gott mit den Mitgliedern des von ihm auserwählten Volkes geschlossen hat, so gibt es also auch für Amerikanerinnen und Amerikaner etwas Drittes. Nur ist dieses Dritte nicht im staatlichen Bereich angesiedelt, sondern im religiösen. Der Gegensatz ›Staat‹ versus ›horizontaler Gesellschaftsvertrag‹ könnte also auch auf den eingangs erläuterten grundlegenden Unterschied ›Primat des Staates‹ versus ›Primat der Religion‹ zurückgeführt werden. 3.4. Wie bereits erwähnt, hatte die US-amerikanische Verfassung nie die Funktion, den absoluten Herrscher durch das souveräne Volk zu ersetzen, denn es gab - nachdem man sich einmal von den Mutterländern losgesagt hatte - weder einen Adel noch einen König. Hingegen hatten die Urheber der Verfassung der Vereinigten Staaten ein Mißtrauen nicht nur gegen die gewählten Repräsentanten des Volkes sondern sogar gegenüber diesem Volk selbst (vgl. Preuß 1990: 32 f.). Deshalb fehlt in der Verfassung auch das Prinzip der Volkssouveränität. Die US-amerikanische Geschichte ist gleichsam ein großer und immer wieder gelungener Versuch zu verhindern, daß sich eine politische Gewalt überhaupt anmaßen kann, im Namen des Volkes zu sprechen (dazu Howard 2001: 280 ff.). Die Souveränität wurde im Prinzip nur bei Erlaß der Verfassung ausgeübt, und seither wird die geschriebene Verfassung dem demokratischen Prozeß übergeordnet. Die amerikanische Verfassung kann zwar geändert werden, aber die Hürden sind so hoch, daß dies fast nie geschieht. Folgerichtig wird das Parlament in seiner Funktion als Gesetzgeber durch zwei Instanzen gehindert: durch das Vetorecht des Präsidenten und vor allem durch das oberste Verfassungsgericht (vgl. Maus 1999: 283). So erhält das Recht und die Justiz eine ganz andere Funktion als in Europa: Die Zugehörigkeit des einzelnen zu den USA manifestiert sich - aufgrund der fehlenden staatlichen Identität - weniger über Parlamentswahlen und Gesetzgebung, sondern "in erster Linie durch Abgrenzung, Behauptung und Durchsetzung" in dividueller Rechte, so daß "die Institution des Gerichts zum höchsten und letzten Garanten individueller Sicherheit und bürgerschaftlicher Anerkennung wird" (Preuß 1994: 19 - Hervorhebung G. H.). Mit dem Unterschied zwischen dem kontinentaleuropäischen und dem angloamerikanischen Rechtsraum hat letzteres übrigens nur am Rande zu tun, jedenfalls hinsichtlich der Bedeutung der Justiz für diese bürgerschaftliche Identität im Rahmen des Verständnisses von Staat, Nation und Verfassung. Denn auf "institutioneller Ebene könnte der Gegensatz des britischen zum amerikanischen Verfassungsmodell kaum drastischer sein" (Preuß 1994: 15). Daß in den Vereinigten Staaten unter diesen Umständen Moralvorstellungen viel direkter in die Rechtsanwendung einfließen, ergibt sich aus dem bisher dargelegten: Die Trennung zwischen den beiden Rollen des Bürgers als Teil des Volkssouveräns und als Rechtsunterworfener ist nicht wie in Europa konzeptionell durchgeführt, bürgerschaftliche Identität wird vor den Gerichten erlebt und weniger über die Vertretung im Parlament, so daß die Moral nicht vor allem den Weg über die Gesetzgebung nimmt, sondern direkter in die Rechtsanwendung. Darüber hinaus aber trägt die moralische Komponente im Verständnis der amerikanischen Nation, die mindestens so stark ist wie die religiöse und in der sich die letztere oft auch ausdrückt, dazu bei, daß Moralvorstellungen in der amerikanischen Rechtsanwendung präsenter sind als in der europäischen - dies, um nur zwei Gründe zu nennen, die keineswegs abschließend sind. 3.5. Das unterschiedliche Menschenrechtsverständnis diesseits und jenseits des Atlantiks basiert nun weitgehend auf den eben umschriebenen transatlantischen Differenzen, die hier nur sehr summarisch dargestellt werden konnten. Im Prinzip lassen sich die Unterschiede in zwei konzeptionellen Verschiedenheiten zusammenfassen, die aber sehr grundlegend sind. Ein erster konzeptioneller Unterschied ergibt sich daraus, daß Europa seit dem Zweiten Weltkrieg ein klar international definiertes Konzept der Menschenrechte verfolgt, weshalb der einzelne Staat in seiner Garantenpflicht von der Staatengemeinschaft kontrolliert wird. Die USA haben demgegenüber ein nationales Konzept der Menschenrechte, und dies führt dazu, daß sie völkerrechtliche Verpflichtungen im Bereich der Menschenrechte weitgehend ablehnen und sich insbesondere internationalen Überwachungsmechanismen nicht unterstellen. Der zweite konzeptionelle Unterschied liegt darin, daß für die Vereinigten Staaten die Menschenrechte im internationalen Verkehr nicht eine rechtliche, sondern eine Angelegenheit des politischen Druckes sind. Dabei haben sie weniger die internationalen Verträge vor Augen als die Freiheitsrechte der Amerikanischen Verfassung, kombiniert mit dem US-amerikanischen Verständnis nicht nur von Verfassung und Demokratie, sondern auch von der (amerikanischen) Nation. Deshalb fließen in das US-amerikanische Menschenrechtsverständnis die religiösen und die moralischen Elemente mit ein, welche diese Nation mitbegründen. Dies ist auch eine Konsequenz aus dem erstgenannten konzeptionellen Unterschied, dem nationalen Verständnis der Menschenrechte, von welchem die Vereinigten Staaten ausgehen.14 Zurückzuführen sind die beiden konzeptionellen Unterschiede auf den Umstand, daß in Europa auch der Staat selber dem Individuum die Menschenrechte garantiert, während für die US-Amerikaner die Menschenrechte dem Individuum ausschließlich die Freiheit vom Staat garantieren. Letzteres ist für Europäerinnen und Europäer formal natürlich auch der Fall, aber das europäische Staatsverständnis führt weit über das US-amerikanische Grundrechtsverständnis hinaus: Für den Europäer ist der Staat historisch gesehen gewissermaßen "die letzte Reserve, deren Potential die Einheit der Gesellschaft gewährleistet " (Preuß 1994: 19). In Frankreich vor 200 Jahren, in England schon früher und in anderen Ländern später - aber letztlich überall nach demselben Muster - haben Europäer die Staaten aus den Händen von Königen und Monarchen befreit, haben sie diese Staatlichkeit in die eigenen Hände genommen und den Staat zum Garanten der Freiheit gemacht. Anders in den Vereinigten Staaten, wo vor allem die soziale Dimension der Grundrechte fehlt, deren Gewährleistung in Europa als Aufgabe des Staates gesehen wird.15 Deutlich geworden ist nun aber auch der Zusammenhang zwischen den verschiedenen Deregulierungstendenzen und dem konzeptionellen Menschenrechtsverständnis der Vereinigten Staaten. Dieser Zusammenhang kann allerdings in der Praxis noch nicht sehr lange beobachtet werden. Möglicherweise ist das transatlantisch unterschiedliche Verständnis der Menschenrechte in der Praxis überhaupt erst seit 1989 effektiv wahrnehmbar: Bis 1989 ließen die Vereinigten Staaten das europäische Verständnis der Menschenrechte nämlich ebenfalls gelten. Sie anerkannten, daß es erstens nicht nur ein nationales, sondern auch ein internationales, und daß es zweitens nicht nur ein politisches, sondern auch ein rechtliches Konzept ist, denn mit diesem gleichsam ›europäisch verpackten‹ Konzept ließ sich zusammen mit den westeuropäischen Staaten besser Druck auf den Ostblock ausüben. Erst seit 1989 werden die Unterschiede erkennbarer.

Die Rolle Europas

Wenn von den ›westlichen‹ Werten oder vom ›Westen‹ die Rede ist, so meint der Sprachgebrauch die beiden Kontinente Europa und Nordamerika, unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten ist gelegentlich auch Japan mitgemeint. Daß der Begriff ›Westen‹ oder ›westliche Kultur‹ nach wie vor gebräuchlich ist, darf nicht verwundern, stammen diese Begriffe doch aus dem Kalten Krieg, der erst vor etwas mehr als einem Dezennium zu Ende gegangen ist. In manchen Zusammenhängen ist es auch richtig, diese Begriffe weiterhin zu verwenden, insoweit nämlich Europa (allenfalls Westeuropa) und Nordamerika mehr oder weniger dieselben Errungenschaften oder Fehlentwicklungen aufweisen, insoweit sie sich darin von den anderen Kontinenten unterscheiden, und insoweit darin eine weiterhin parallele Entwicklung abzusehen ist. So war es zweifellos richtig, die Verletzlichkeit, die mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 schlagartig ins Bewußtsein gerückt ist, dem Westen als Ganzem zuzuordnen. In der Aufarbeitung dieses Geschehens klangen aber immer wieder Unterschiede an, schon die Wortwahl war in Europa nicht immer dieselbe wie in den Vereinigten Staaten. In der Tat gibt es Bereiche, in welchen die Entwicklung zwischen Europa und den USA nicht nur seit einiger Zeit auseinandergeht, viel mehr haben immer Differenzen bestanden, wie oben in einigen ausgewählten Punkten skizziert worden ist. Die Konstellation des Kalten Krieges hat es jedoch nicht erlaubt, diese Unterschiede zu thematisieren oder gar sie überhaupt wahrzunehmen. 4.1. Auch wenn Menschenrechte universelle Gültigkeit beanspruchen - oder vielleicht gerade deshalb -, kommt ihrer regionalen Durchsetzung eine große Bedeutung zu. Bei der Durchsetzung dieser Rechte ist Europa als Kontinent immer vorangegangen, hat es doch mit der Europäischen Menschenrechtskonvention einklagbare Rechte formuliert und mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein internationales Verfahren zur Verfügung gestellt, das der einzelne in Anspruch nehmen kann. Aber auch andere Kontinente oder Staatengemeinschaften haben besondere Durchsetzungsmöglichkeiten geschaffen, die teilweise ähnlich ausgestaltet sind. Von den regionalen Ebenen gehen also durchaus dynamische Entwicklungen aus, die sich gegenseitig befruchten können (vgl. Steiger 1999: 48 ff.). 4.2. Mit dem sprichwörtlich gewordenen "clash of civilisations" wird vom amerikanischen Politologen Samuel Huntington eine Konfrontation bezeichnet, die durch das Aufeinanderprallen von Kulturen verursacht werde, die durch verschiedene Religionen geprägt sind (vgl. Huntington 1996). Wenn hier dieser Begriff angesprochen wird, so keineswegs etwa deshalb, weil die Auseinandersetzung um transatlantisch verschiedene Konzepte der Menschenrechte einem "clash of civilisations" gleichkäme, schon deshalb nicht, weil der ganze westliche Raum historisch gleich christlich geprägt ist. Dennoch hat diese Auseinandersetzung etwas mit Religion zu tun, allerdings nicht in dem Sinne, daß sich zwei Kulturen mit verschiedenen Religionen gegenübertreten, sondern damit, daß die beiden transatlantischen Partner der Religion im gesellschaftlichen Kontext unterschiedliche Bedeutung beimessen. Vor allem aber ist die Auseinandersetzung in diesem Bereich nicht eine religiöse, sondern eine rechtliche. Dem Erfinder des "clash of civilisations" muß jedoch insoweit recht gegeben werden, als profunde Differenzen, die zu schwierigen Auseinandersetzungen führen, oftmals religiös begründet sind. Daß er die Frontlinie für das abzusehende Aufeinanderprallen der Kulturen zwischen dem ›Westen‹ und dem ›Rest der Welt‹ - schlimmstenfalls in einer "konfuzianisch-islamischen Allianz" (so bei Müller 1999: 208) - sieht, ist hingegen auf eine spezifisch US-amerikanische Weltsicht zurückzuführen, die einer Analyse aus europäischem Blickwinkel wohl nicht standhält.16 Wer indessen den transatlantischen Dialog über konzeptionelle menschenrechtliche Differenzen fördern möchte, tut jedoch zweifellos gut daran, die Widerstände gegen ein solches Vorhaben nicht zu unterschätzen, da sie zum Teil in religiösen Kategorien begründet sind. Habermas hat davor gewarnt, die Debatte über unterschiedliches Verständnis der Menschenrechte voreilig abzubrechen, weil die Konzeption dieser Rechte weltweit ohnehin bestritten sei. "Westliche Intellektuelle sollten ihren Diskurs über ihre eigene eurozentrische Befangenheit nicht mit den Debatten verwechseln, die andere mit ihnen führen" (Habermas 1999: 394 - Hervorhebung im Origi nal). Mit "anderen" sind Kritiker aus der Sicht anderer Kulturen gemeint und es folgt der Hinweis, daß die Kritiker des Westens die Menschenrechte keineswegs in Bausch und Bogen verwerfen würden. Genauso sollten sich europäische Intellektuelle jedoch auch nicht den Diskurs über transatlantische Differenzen in der Menschenrechtskultur selber verbieten, weil sie dahinter eine eurozentrische Befangenheit vermuten. Im Gegenteil, die Debatte über Menschenrechte wird einen neuen und wichtigen Impuls erhalten, sobald die transatlantischen Unterschiede darin ernsthaft thematisiert werden. Dabei kann es nicht darum gehen, daß von der einen oder von der anderen Seite des nördlichen Atlantiks der Versuch gestartet wird, einer wie immer gearteten ›antiwestlichen‹ Kritik zu entgehen. Aber die Thematisierung des - wie es sich gezeigt hat nicht unbeträchtlichen - transatlantischen Unterschiedes in der Konzeption der Menschenrechte, insbesondere ihre Funktion einerseits im nationalen Recht, in der nationalen Politik und im Staat, andererseits aber auch ihre Rolle im Völkerrecht in der internationalen Politik und in der Staatengemeinschaft betreffend, dürfte der Debatte eine neue Dimension verleihen, indem nämlich den Kritikern des Westens verschiedene ›westliche‹ Denkangebote zur Verfügung stehen werden, die ihnen mit ihrer eigenen Sicht mehr oder weniger vereinbar erscheinen können. Dies wiederum könnte sie veranlassen, ebenfalls differenzierter zu argumentieren. Insbesondere seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 und angesichts dessen, was sich seither in diesem Umfeld ereignet hat, erscheint es als äußerst sinnvoll, solche Differenzierungen zu fördern - dies übrigens auf beiden Seiten der Frontlinie, welche die Propheten des "clash of civilisations" vor Augen haben mögen, und just in der Absicht, einen solchen zu vermeiden. 4.3. Eine derartige Erweiterung der Debatte über verschiedene Konzeptionen der Menschenrechte können einzig die Europäer ermöglichen, und dies bringt sie in eine nicht sehr einfache Position: Am Anspruch auf Universalität der Menschenrechte - im Bereich der garantierten Rechte - werden sie keinen Zweifel aufkommen lassen, denn einerseits sind sie durch diese Universalität geschichtlich geprägt, und im europäischen Innenverhältnis sind sie andererseits darauf angewiesen. Aber die Europäer können nicht erwarten - ihr Geschichtsbewußtseins wird sie vor dieser Illusion bewahren -, daß sich die Vereinigten Staaten dem europäischen Menschenrechtsverständnis anschließen. Ein neues Fingerspitzengefühl der Europäer ist deshalb insbesondere in der transatlantischen Zusammenarbeit nötig, da sich Veränderungen der Prämissen seit 1989 ja gerade auf dieser Achse anbahnen. Anknüpfungspunkte dafür sind durchaus vorhanden. Die transatlantische Zusammenarbeit hat seit dem letzten Jahrhundert eine Geschichte des gegenseitigen Beistands. Im Zweiten Weltkrieg haben die Vereinigten Staaten mit Waffengewalt geholfen, Europa zu befreien. Gegenseitiger Beistand heißt, daß jeder Teil das anbietet und beiträgt, über das er in höherem Maße verfügt als die anderen Beteiligten. Im Zweiten Weltkrieg war das die Gewalt der Waffen. Vielleicht steht jetzt eine Zeitspanne bevor, in der sich Europa auch in der transatlantischen Zusammenarbeit erkenntlich zeigen kann, indem es die Qualitäten einbringt, über die es, historisch bedingt, in besonderem Maße verfügt. Es ist zu hoffen, daß in der transatlantischen Kooperation neben der notwendigen Verstärkung der Terrorismusbekämpfung so bald als möglich auch jene Samenkörner gelegt werden, die den spezifischen Beitrag Europas ausmachen. Aus diesem spezifischen Beitrag Europas sollen abschließend drei Elemente hervorgehoben werden. Erstens gehört der ›Zugang zum Anderen‹ zu Europa, und dies über die Jahrhunderte gesellschaftlicher Entwicklung hinweg. Europa kann auf andere, auch auf das ganz andere zugehen, kann sich in andere einfühlen, denn es ist selber so entstanden, und dies nicht erst in der jüngsten Geschichte der europäischen Integration, obwohl hier vielleicht am eindrücklichsten. 17 Zweitens hat Europa eine lange, blutige und schuldbeladene Geschichte, nicht nur innerhalb Europas, sondern auch in den kolonisierten Gebieten anderer Kontinente, so daß es heute keinen Anspruch mehr stellt, bei anderen für die eigene Überzeugung zu missionieren. 18 Etwas ganz anderes ist es, im Gespräch miteinander zu einer Lösung oder zu einer gemeinsamen Grundlage zu kommen, die beiden Gesprächspartnern entspricht. Das kann Europa. Das dritte Stichwort heißt ›Säkularisierung‹, wobei hier nicht die technische Säkularisierung im Sinne der Trennung von Kirche und Staat gemeint ist, sondern viel weitergehend die kulturelle Integration des Religiösen, insoweit dieses Religiöse zur Gewaltanwendung führt. Dies bedeutet nicht, Religiosität an sich abzulehnen. Aber es bedeutet, daß Religion im politischen Bereich so gehandhabt wird, daß daraus keine Gewaltanwendung entstehen kann. Die Geisteshaltung, die es braucht, um mit Gesprächspartnern zunächst überhaupt zu kommunizieren und später vielleicht zu kooperieren, die religiös auf einem völlig anderen Standpunkt stehen, diese Geisteshaltung kann nur eine säkularisierte sein, das heißt eine, die aus dem anderen auch deshalb kein Feindbild macht, weil sie selber das Religiöse soweit integriert und in sich besänftigt hat, daß es nicht mehr gewaltsam werden muß und deshalb kein Feindbild mehr braucht. Diese Voraussetzung erfüllt Europa.

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Der Beitrag ist die überarbeitete Version eines Referates, das anläßlich der internationalen Konferenz der Europäischen Vereinigung von Juristinnen und Juristen für Demokratie und Menschenrechte in der Welt, die im November 2001 in Frankfurt/Oder zum Thema "Erweiterung der Europäischen Union - mögliche Folgen - notwendige Bedingungen" stattgefunden hat, vorgetragen wurde. 1 Kersting bezeichnet die rechts- und politiktheoretischen Entwürfe von Bodin, Hobbes und Grotius als "Schwellendokumente, in denen sich der Übergang vom theologisch-konfessionellen Zeitalter in die Ära des rationalen Naturrechts spiegelt" (Kersting 2000: 64). 2 Vgl. Kallscheuer (1996: 20-22), wo auch Ausnahmen von dieser Regel erwähnt werden, zum Beispiel die Niederlande, die Helvetische Republik oder die Polnisch-Litauische Adelsrepublik; zur Bedeutung der westfälischen Friedensordnung vgl. Koller (2000: 97-102). 3 Dies war gleichsam der Anfangspunkt für die auch formal garantierte Gewissensfreiheit (vgl. Müller 2001: 294). 4 Dieser in gewissem Sinne rechtliche Begründungszusammenhang für die Französische Revolution ist insofern interessant, als er auf die zunehmende Differenzierung der Gesellschaft Bezug nimmt, ein Prozeß, der bis heute .andauert. 5 Brunkhorst umschreibt dieses Phänomen folgendermaßen: "Es gibt eine Weltrechtsordnung vor allem unterhalb der Ebene positivrechtlicher Institutionalisierung, sie reicht vom Handelsrecht über die internen Rechtsordnungen multinationaler Konzerne, das Arbeits-, Professions- und sogar das Sportrecht bis hin zu positivem Völker- und Menschenrecht. In allen Fällen sind die Staaten schon lange nicht mehr die ›Herren der Verträge‹ oder gar die obersten Gesetzgeber. (Â…) Das Weltrecht funktioniert ohne Staat, z. T. als ›transnationale Privatjustiz‹, aber ohne die übliche Einbettung in die nationalen oder internationalen Zivilrechtssysteme " (Brunkhorst 1999a: 381). 6 Vor einem "Menschenrechtsfundamentalismus " als Antwort auf einen Fundamentalismus, der sich in massiven Menschenrechtsverletzungen manifestiert, warnt Günther (1994: 142 ff.). 7 In einem Vergleich zwischen dem, was sie als amerikanische und französische Bürgerreligion bezeichnen, arbeiten Kleger/Müller unter anderem die folgende Differenz heraus: "Biblische Vorstellungen Â… erwiesen sich als Matrix der politischen Selbstdeutung der Amerikaner und fördern im Verbund mit dem weltlichen Fortschrittsmythos bis heute die religiös-politische Dynamik des nationalen Sendungsbewußtseins. (Â…) (Für Frankreich) ist die religiöse Bindung für die Konstitution des Bürgers dagegen hinderlich. Das Individuum muß durch den Staat, vor allem über ein einheitliches Erziehungssystem von der Vormundschaft der Kirche befreit und zur kulturellen Freiheit ermächtigt werden" (Kleger/Müller 1996: 68 - Hervorhebungen im Original). 8 Den Vorgang der Erreichung von Konformität durch ›Amerikanisierung‹ hat ebenfalls historische Wurzeln, ausführlich beschrieben bei Spillmann (1984: 161 ff.). 9 Bedauernd stellt Hannah Arendt fest, daß man in den USA politische Prinzipien in gesellschaftliche ›Werte‹ transformiert habe (vgl. Arendt 1974: 285). 10 Adams stellt lapidar fest, daß es für den Begriff des Staates "im überhöhten deutschen Sinn" in den "jüngst Vereinigten Staaten (Â…) keine Verwendung" gegeben habe (Adams 1996: 297); zum horizontale Gesellschaftsvertrag vgl. Preuß (1994: 18); der Begriff ›Horizontalität‹ wird auch verwendet, um jenen Übergang im Prozeß der Säkularisierung zu bezeichnen, in dem die Begründung des Staates - zum Beispiel die Autorität des Monarchen, der als göttlich galt - definitiv ersetzt wurde durch die Selbstorganisation der Bürger, die von nun an ohne überirdische Autorität auskommen mußten (vgl. Frankenberg 1997: 84 ff.). Im vorliegenden Beitrag wird der Begriff zwar auch in letzterem Sinne verwendet, wobei der so verstandene horizontalen Gesellschaftsvertrag sowohl im europäischen Denken wie auch in jenem der Vereinigten Staaten existiert. Aber in den letzteren gibt es nur den Gesellschaftsvertrag und nicht zusätzlich den Staat als etwas darüber hinausgehendes ›Drittes‹. Wird der Begriff ausschließlich im Sinne der Säkularisierung verwandt, so würde sich sogar die Frage stellen, ob die so verstandene Horizontalität in den Vereinigten Staaten effektiv gegeben ist. 11 Deshalb konnte sich - so Preuß (1990: 54) - die amerikanische Revolution auf eine "radikale Neubegründung von ›government‹ beschränken". 12 Zehnpfennig spricht von einer eigentlichen "Umdeutung der Begriffe" und umschreibt diese folgendermaßen: "Die republikanische Gleichheit wird transformiert in eine modifizierte Form der Eliteherrschaft; der Föderalismus wird zur Rechtfertigungstheorie für die Stärkung der Zentralgewalt; die Vielfalt an Meinungen und Lebensstilen, der Pluralismus, wird zum Instrument für eine im Grunde monistische Zielsetzung. " Es folgt eine Erläuterung dieser Umdeutung in den einzelnen Punkten (vgl. Zehnpfennig 1996: 304 f.). 13 Bellahs Buch, in welchem er den Niedergang der amerikanischen Zivilreligion bedauert, trägt den Titel The broken covenant: Americas civil religion in time of trial (Bellah 1992); selbst Präsident Clinton bediente sich zur Eröffnung seiner Wahlkampagne im Jahre 1991 der Form des Neuen Bundes zwischen Volk und Regierung. Die erste programmatische Rede des Präsidentschaftskandidaten Clinton vom 23.Oktober 1991 enthält den folgenden Passus: "Vor über zweihundert Jahren entwarfen unsere Gründungsväter den ersten Sozialpakt zwischen Regierung und Volk, nicht nur zwischen Herren und Königen. Vor mehr als hundert Jahren gab Abraham Lincoln sein Leben dahin, um die durch diesen Pakt geschaffene Union zu retten. Vor sechzig Jahren erneuerte Präsident Roosevelt dieses Versprechen mit einem New Deal, der im Austausch für harte Arbeit neue Chancen bot. Heute müssen wir einen Neuen Bund schließen, um das zerschlissene Band zwischen dem Volk und seiner Regierung zu reparieren und zu unseren Grundwerten zurückzufinden" (zitiert in Kallscheuer 1994: 138 f.). 14 Als Präsident George W. Bush einige Tage nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 die Bevölkerung der Vereinigten Staaten dazu aufrief, sich gegenüber Personen arabischer Abstammung weiterhin korrekt zu verhalten, begründete er seinen Aufruf nicht mit der Menschenwürde dieser Personen, sondern damit, daß es sich bei ihnen auch um ›Amerikaner‹ handle. 15 So auch Weidenfeld, der für Europa auf die christliche Soziallehre sowie auf sozialistische und sozialdemokratische Konzepte verweist (vgl. Weidenfeld 1996: 57). Zum transatlantisch unterschiedlichen Staatsverständnis wird meistens lediglich die sozialstaatliche Komponente erwähnt. Es ist hier nicht der Ort, die Frage beantworten zu wollen, ob diese Betrachtungsweise allenfalls darauf zurückzuführen sei, daß sowohl der Ultra- Liberalismus als auch der "orthodoxe" Marxismus die Tendenz haben, das politische Universum auf ökonomische Belange zu reduzieren, was den Blickwinkel auch nach Abschluß der Grundkontroverse des 20. Jahrhunderts zwischen diesen beiden Philosophien immer noch einschränken könnte. Dieser rein ökonomische Blickwinkel genügt heute in der Diskussion über die Rolle des Staates nicht mehr. Schon die Kriege im Balkan haben dies deutlich gemacht, und spätestens der 11. September 2001 hat unter ganz verschiedenen Aspekten gezeigt, daß Â›Staatlichkeit‹ in viel weiterem Sinne thematisiert werden muß. 16 Kersting weist darauf hin, daß uns Huntingtons Kulturkonfliktparadigma in die Zeit der Religionskriege zurückwirft und er sich damit "gegen die gesamte europäische Tradition rationaler Friedenspolitik" (Kersting 2000: 64) ausspricht. 17 Brague beobachtet und beschreibt diese Muster der europäischen Entwicklung über mehr als 2000 Jahre zurück (vgl. Brague 1993: vor allem 144 ff.); Habermas datiert den Anfang des entsprechenden Lernprozesses im ausgehenden Mittelalter (vgl. Habermas 1998: 155f.). 18 Morin attestiert Europa ein "allgemeines Bewußtsein für die Gefahren falscher Lösungen und falscher Messien" (Morin 1991: 200 - Hervorhebungen im Original).