Bete und töte!

Sie standen an der Wiege des Neugeborenen und lachten, die Paten, die zugleich Garanten dafür waren, daß alles so blieb, wie es immer gewesen war: ...

... der Generalinspekteur der Bundeswehr, Adolf Heusinger, 16 Jahre zuvor in der Umgebung Hitlers tätig, wo er am 17. März 1941 dessen Befehl "Im großrussischen Reich ist Anwendung brutalster Gewalt notwendig" gehorsamst entgegennahm; der Staatssekretär und Chef des Bundeskanzleramtes, Hans Globke, 22 Jahre zuvor als einer der "befähigtsten und tüchtigsten Beamten" des Nazi-Innenministers Frick Kommentator der "Nürnberger Rassengesetze", die zum Holocaust hinführten; der designierte, aber noch nicht von der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ernannte Militärbischof Hermann Kunst, 22 Jahre zuvor Standortpfarrer in Herford, wo er den jungen Soldaten im November 1935 bei der Vereidigung eingeschärft hatte: "Meine Kameraden... Ihr seid bis an euer Lebensende keine Privatpersonen, sondern dem Führer des Volkes verschworene Gemeinschaft" - woran er sich selbst auch auf seiner weiteren Laufbahn als Feldseelsorger in der Nazi-Armee hielt, gemäß den Richtlinien der damaligen "Feld-Seelsorge": "Die Feldseelsorge ist... ein wichtiges Mittel zur Stärkung der Schlagkraft des Heeres."
Vor diesen erlauchten Paten saßen die Beurkunder der Geburt: Bundeskanzler Adenauer, der nun wußte, daß seine bis dahin umstrittene Wiederbewaffnung der Bundesrepublik, weil kirchlich unterstützt, gelingen würde; sein Verteidigungsminister Strauß, der sich nun Hoffnung machte, mit Hilfe der Kirche bald auch die Atombewaffnung durchsetzen zu können; Kirchenkanzleichef Heinz Brunotte, der 1939 als Oberkonsistorialrat der Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei (DEKK) darauf hingewirkt hatte, daß sich die evangelische Kirche zur NS-Rassenlehre bekannte; schließlich der EKD-Ratsvorsitzende Otto Dibelius, 1933 Segenspender für das Bündnis Hindenburg-Hitler am "Tat von Potsdam" und in der jungen Bundesrepublik erprobter Streiter im Kampf für die Wiederbewaffnung.
Auf einem berühmten Bild ist dieses Ereignis vom 22. Februar 1957 festgehalten: die Unterzeichnung des westdeutschen Militärseelsorgevertrages.
Bei näherem Hinsehen stellt man fest, daß das Neugeborene ein Wiedergänger früherer Verträge war. Die evangelische Kirche wurde dadurch (ebenso wie die katholische Kirche schon durch ihr faschistisches "Reichskonkordat") zu einem Völkerrechtssubjekt, und sie erhielt für ihre staatlich angebundene Militärseelsorge erhebliche staatliche Mittel; hieraus erwuchs ihre bleibende Dankbarkeit gegenüber dem Staat. Die Militärseelsorge wurde zu einer "Schule der Anpassung und des Unfriedens", wie es Hans-Dieter Bamberg im Untertitel seines Buches über die Militärseelsorge treffend ausgedrückt hat; man erfährt daraus, wie sie den verbrecherischen US-Krieg gegen Vietnam unterstützte und der Bundesregierung im Streben nach Atomwaffen half.
Ein Dokument intimster Anpassung, das zugleich die Verfassungsfeindlichkeit des Militärbischofs Kunst offenbart, ist ein Geheimpapier, das 1969 im Einvernehmen mit dem damaligen Verteidigungsminister Gerhard Schröder angesichts der "rasanten Zunahme der Kriegsdienstverweigerung", "einer Krankheit der Gesellschaft", ausgearbeitet wurde. Dieses Kunst-Werk setzte auf drastische Abschreckung: Der "waffenlose Dienst" sollte bis zu 27 Monate lang in der Bundeswehr, z.B. für Reinigungsarbeiten, erbracht werden. In einem Nachruf 1999 entließ der derzeitige Militärbischof Hartmut Löwe den Stammvater seines Gewerbes "mit großer Dankbarkeit" auf die himmlischen Schlachtfelder: " Bischof Kunst hat Spuren hinterlassen, die bleiben." Die längere Dauer des Zivildienstes gegenüber dem Wehrdienst ist eine der Spuren, die bislang geblieben sind.
Nach diesem Skandal wurde es relativ ruhig um die Militärseelsorge. Mit der Übernahme der DDR kam das Thema wieder ins öffentliche Bewußtsein, nachdem sich die ostdeutschen Kirchen um des Glaubens willen geweigert hatten, die vorgesehene Ausweitung der Militärseelsorge auf ihr Gebiet zuzulassen - um "nicht dem Bundesverteidigungsministerium zu dienen", wie der heutige Bischof der Kirchenprovinz Sachsen, Noack, damals vollmundig erklärte. Als 1995 die "Ost-Kirchen" immer noch bei ihrer Ablehnung des Militärseelsorgevertrages geblieben waren und sogar die Synoden einiger westdeutscher Landeskirchen dafür Sympathien bekundet hatten, unternahm es Bundeskanzler Kohl, der um den Wert einer staatlich angebundenen Militärseelsorge in den kommenden Kriegen wußte, die Glaubensflausen den Kirchenleuten aus den Köpfen zu vertreiben. Im September 1995 gab er ihnen bis Ende 2003 Zeit, den Vertrag für "Gesamtdeutschland" zu übernehmen. Und so lernten die Kirchenleute, daß auch in ihrer Institution letztlich nicht Glaube und Theologie entscheiden, sondern Geld. "Wenn man realistisch ist, wird es auf die Übernahme des Militärseelsorgevertrages zulaufen, weil die finanziellen Zwänge groß sind", so 1998 Oberkirchenrat Wild für die EKD.
Entsprechend wurde auf einer kurzen Abendsitzung der EKD-Synode im November 2001 ein Grundsatzbeschluß bei vier Gegenstimmen (von 120) gefaßt, den Vertrag bis Ende 2003 in allen Landeskirchen einzuführen. So wie die Bundesrepublik durch ihre "uneingeschränkte Solidarität" mit der US-Militärpolitik verbunden ist, so wird dann auch die Gesamtkirche in Deutschland mit der Militärpolitik verbunden und für deren Folgen mitverantwortlich sein, einschließlich aller Kriegsführungsverbrechen (z. B. Streubomben) der "Antiterror-Allianz". Dazu erklärten die Militärbischöfe beider Konfessionen, daß nicht nur in Afghanistan, sondern "auch bei künftig notwendig werdenden Einsätzen Militärgeistliche beider Kirchen... unsere Soldaten der Bundeswehr begleiten werden". Im Hinblick auf Afghanistan vergaß der evangelische Bischof nicht, sie auf ihr "robustes Mandat" hinzuweisen - damit sie ja nicht das Töten unterlassen, nachdem sie mit Gebet aus Deutschland verabschiedet wurden.
Bleibt eine Frage: Sollen die Militärpfarrer an den Einsätzen direkt mitwirken wie im Mai 1941 beim Überfall der deutschen Fallschirmjäger auf die Insel Kreta? Damals sprangen fünf Feldgeistliche mit ab, "um ihren seelsorgerlichen Dienst auszurichten"; zwei von ihnen "fielen". Oder sollen sie nicht doch lieber nach alttestamentlichem Vorbild (2. Mose 17, 8 ff) in sicherer Entfernung, "auf einem Hügel" etwa, die Arme erheben und die Stimme, damit die Kämpfer nicht müde werden beim Töten? Wie auch immer: Dabei sein ist alles.