Kein Aufstand der Demokraten

in (26.06.2002)

Jürgen W. Möllemann wird davon ausgegangen sein, daß es beim wahlkämpferischen Wettbewerb um öffentliche Aufmerksamkeit nicht so sehr darauf ankomme, ...

... was die Massenmedien über einen Politiker berichten, sondern darauf, daß sie ihn publik machen. Insofern empfinde ich Sympathie für die tageszeitung, die sich zur möllemannfreien Zone erklärte. Aber wir werden nicht darum herumkommen, der Frage nachzugehen: Was hat sich denn da, diskurspolitisch betrachtet, in den Reaktionen auf den gezielten Vorstoß des Erfinders der 18-Prozent-Partei abgespielt? Daß Möllemann darauf aus war, Stimmungen für sich und seine Partei zu nutzen, die derzeit - ziemlich ungenau - als anfällig für "Rechtspopulismus" bezeichnet werden, ist offensichtlich. Daß der Zentralrat der Juden in Deutschland dies als ein übles Manöver erkannt und angeprangert hat, weil dabei antisemitische Ressentiments ins Kalkül einbezogen wurden, war richtig. Ins Grübeln kommt, wer über diese beiden Befunde hinaus die anderen Akteure des Diskurses und ihre Argumente oder Motive in den Blick nimmt.
Wahlkämpfe, so beteuerten unentwegt die Repräsentanten der SPD, der Grünen und der CDU, dürften "nicht auf dem Rücken von Menschen jüdischen Glaubens geführt werden". Wer indessen die Vertreter dieser Parteien in den zahllosen Fernsehrunden zum Thema reden hörte, konnte sich des unangenehmen Gefühls nicht erwehren, daß es ihnen eben doch um Nutzen für den Wahlkampf und Koalitionstaktik ging. Den Grünen dürfte es willkommen sein, wenn die SPD gegenüber dem möglichen Koalitionspartner FDP genierlich wird. Der SPD würde es recht sein, wenn der FDP die Flügel gestutzt werden; die ist dann, falls man sie als Partnerin braucht, etwas bescheidener. Die Union rechnet mit der FDP als ihrer künftigen Partnerin, aber wenn die ein bißchen Federn lassen muß, kann das den eigenen Interessen nicht schaden.
Nicht einmal ansatzweise zeigten die Wortführer dieser Parteien selbstkritisches Nachdenken über eigene Beiträge zu jenen Stimmungen, die Möllemann an sich ziehen möchte. Es erschien so, um nur drei Beispiele zu nennen, als hätte Jamal Karsli nie zu den Grünen gehört, als wäre Martin Walser nie von der SPD als Gesprächspartner für Gerhard Schröder zum 8. Mai eingeladen worden, als hätte Helmut Kohl nie von der Macht der "Ostküste" geraunt. Und wieder einmal war quer durch die Parteien das Argument zu hören, Antisemitismus in Deutschland sei deswegen verwerflich, weil er dem deutschen Ansehen im Ausland schade...
Der SPD-Politiker Wolfgang Clement sagte, durch Möllemanns und Karslis "Tabubrüche" werde "anständige Bürgerlichkeit in Deutschland gefährdet". Hat er nie mitbekommen, wie sich antijüdisches Resentiment hierzulande eben in dieser "anständigen Bürgerlichkeit" eingenistet hat, wo es insgeheim oder im vertrauten Kreis eine "jüdische Weltmacht" beschwört, mit der man sich aus Geschäftsgründen besser nicht anlegen solle?
So viel Verlogenheit wie in dieser politprofessionellen Debatte um Möllemann war selten, spürbar für viele. Und da wird es fatal: Wie soll die notwendige Aufklärung über den Massenmord Deutschlands am europäischen Judentum noch Gehör finden, wenn der Antisemitismusvorwurf zum parteitaktischen Handwerkszeug wird? Diese Frage wird nicht falsch dadurch, daß Martin Walser gern von "Instrumentalisierung" redet; er tut das mit seinen eigenen Ambitionen. Es gibt so etwas wie Mißbrauch der Geschichte. Seitdem Rudolf Scharping und Joseph Fischer serbische Politik als "neues Auschwitz" hingestellt haben, ist es schwieriger geworden, jungen Deutschen deutlich zu machen, was in den Mordfabriken des "Dritten Reiches" geschehen ist. Und durch die wahlkämpferischen Reaktionen auf Möllemann bei den Grünen, bei der SPD und bei der Union ist es schwieriger geworden, gegen den Antisemitismus heute anzugehen.