Allianz der Profis

Das Hartz-Papier vom 16.08.2002

Bundeskanzler Schröder und der VW-Manager Peter Hartz sehen schöne Tage für die Arbeitslosen angebrochen. Werden die Vorschläge zur energischen Verminderung der Massenarbeitslosigkeit aufgegriffen

... nicht "zerredet" und "zerstückelt", sondern begleitet von einem "Masterplan" als integrales Gesamtreformprojekt in gesellschaftliche Praxis umgewandelt, soll es letztlich nur Gewinner geben:

Gewinnen sollen in den nächsten zwei Jahren annähernd zwei Millionen Arbeitslose, denen neue Berufs- und Lebensperspektiven eröffnet werden.
Gewinnen sollen die angegriffenen Sozialkassen und öffentlichen Haushalte, die über mehr Einnahmen disponieren können und geringere Folgekosten der Arbeitslosigkeit tragen müssen.
Gewinnen sollen die Unternehmen und letztlich die kapitalistische Ökonomie insgesamt, weil in Deutschland endlich das Potenzial zur Senkung der Lohnnebenkosten, zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und zur Aktivierung der Kapitalakkumulation gehoben ist.

Eine win-win-Konstellation par excellance, in der im O-Ton Peter Hartz die "Balance von Leistung und Gegenleistung ... durchgängiges Prinzip" ist.

Gegen Kritik an den auf 346 Seiten niedergeschriebenen Kommissionsempfehlungen haben sich die Beteiligten von vornherein immunisiert. Allein das Gesamtkunstwerk soll gewürdigt werden. Die Kommissionsmitglieder Kunkel-Weber (ver.di) und Schartau (Arbeitsminister NRW) haben mehrfach betont: das Neue ist der Masterplan. "Schaffung eines Bewusstseinswandels auf breiter gesellschaftlicher Ebene, dass es sich nicht um die Arbeitslosen der Bundesanstalt, sondern die der gesamten Gesellschaft handelt. Hierzu wollen wir eine ›Allianz der Profis‹ schließen... Wir überwinden die jeweils konträren Standpunkte zu vermeintlichen Rezepten zur Überwindung der Arbeitslosigkeit. Das Bündnis für Arbeit wird durch eine übergreifende Projektkoalition abgelöst."

Gegen diesen "innovativen Konsens" laufen die Unternehmerverbände, große Teile des Kapitals und der bürgerlichen Oppositionsparteien Sturm. "Hartz-Gequatsche" - auf diese Formel hat Edmund Stoiber die Kritik gebracht. Nur bei entschlossener Demontage des Kündigungsschutzes, der weiteren Auflösung des Tarifvertragsgesetzes (Günstigkeitsprinzip), einschneidenden Leistungskürzungen für Arbeitslose und damit in Folge sinkenden Lohnnebenkosten sei die "Entriegelung" und Flexibilisierung des Arbeitsmarktes möglich. Der "Erfolg" dieser Strategie würde schneller als in den 16 Jahren Kohl sichtbar werden: Die Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit soll dem bundesdeutschen Kapital neue Marktanteile - und gleichsam als Gratisgabe - auch neue Arbeitsplätze bringen.

Die Hartz-Kommission geht nicht den Weg des unter der neoliberalen Kohl-Regierung bereits praktizierten Frontalangriffs auf das sozialstaatlich regulierte Lohnarbeitsverhältnis. "Innovative Konsenspolitik" soll alle ins Boot holen und mit den Beschäftigten und den Arbeitslosen tragbare Perspektiven entwickeln. Hartz und die "Allianz der Profis" bieten ein gesamtgesellschaftliches Co-Management an. Die deutliche Reduktion der Arbeitslosigkeit unterstellt für alle die anteilsmäßige Teilhabe sowohl an den Opfern wie auch an den Erfolgen.

Die Opfer für die Arbeitslosen und die Lohnabhängigen: "Neutralisierung" des Kündigungschutzes, Verschärfung der Zumutbarkeit, weniger Einkommen, dafür Niedriglohnbeschäftigung, Zeitarbeit, Lockerung des gesicherten, regulierten Normalarbeitsverhältnisses. Die Unternehmen erhalten mehr Spielräume, müssen aber auf eine radikale Deregulierung verzichten.

Und die Teilhabe an den Erfolgen? Hier wird auf eine Balance der Gerechtigkeit verzichtet. Am Ende der Projektphase soll eine neuer gesamtgesellschaftlicher Kompromiss stehen: auf der einen Seite souveräne, eigenverantwortliche Vertrauensarbeit auf Basis von Zielvereinbarungen, die mehr Leistung, aber weniger Einkommen und soziale Sicherheit bedeuten. Die Kapitalseite hat zeitweilig den Vorteil einer höheren Konkurrenzfähigkeit, damit einer dynamischeren Akkumulation und höheren Kapitalverwertung.

"Innovativer Konsens" heißt unter diesen Bedingungen: Das bisherige Bauprinzip des Sozialstaates soll gleichsam "sozialverträglich" aufgeknüpft worden. Selbstverständlich ist dies weniger brutal als der Frontalangriff der Neoliberalen. Aber auf mittlere Sicht werden sich unter dem neuen Gesellschaftsvertrag die Verteilungsverhältnisse so zuspitzen, dass der bekannte Widerspruch in den Verteilungsverhältnissen erneut die Frage einer zukunftsfähigen Neuordnung der gesellschaftlichen Arbeit auf die Tagesordnung setzt.