Die vergoldeten Diäten.

Zusatzeinkünfte und Versorgungen der Abgeordneten

Diäten sind eine demokratische Errungenschaft. Sie machen die Wahrnehmung des passiven Wahlrechts durch jedermann erst möglich. Hier ein Blick auf die Zusatzeinkünfte und Versorgungen der Abgeordne

Diäten sind eine demokratische Errungenschaft. Sie machen die Wahrnehmung des passiven Wahlrechts durch jedermann erst möglich. Sowohl im Bund als auch in den Ländern beruht die Entschädigung der Abgeordneten heute auf einem Vier-Säulen-System: Mandats-Entschädigung (Grund-Diäten, ergänzt durch Funktionszuschläge), Aufwendungsersatz, Übergangsgeld und Altersversorgung.

Die reine Aufwandsentschädigung der bundesrepublikanischen Gründerzeit (in Korrelation zum Verständnis des Abgeordnetenmandats als pures Ehrenamt) wandelte sich schon in den 50er und 60er Jahren in ihrer faktischen Ausgestaltung immer mehr zu einer Alimentation zur Sicherung des Lebensunterhalts des Abgeordneten und seiner Familie. In diesem Kontext wurde die eigentliche Mandats- Entschädigung durch Zusatzeinkünfte und Versorgungen der Abgeordneten gewissermaßen "vergoldet". Die wichtigsten Schritte bestanden darin, daß 1958 mit der Bindung der Entschädigung von Bundestagsabgeordneten an das Ministergehalt und damit indirekt an die Beamtenbesoldung gleichzeitig für mandatsbedingte "Unkosten " zusätzliche Pauschalen fixiert wurden und daß 1968 zusammen mit einer Anhebung der Entschädigung auf ein Drittel der Amtsbezüge eines Bundesministers die Einführung der Altersversorgung für Bundestagsabgeordnete einherging.

Nachdem wir uns bereits in einem früheren Aufsatz ausführlich mit den Grund-Diäten der Abgeordneten befaßt hatten,(1) soll nun der Blick auf die Zusatzeinkünfte und Versorgungen der Abgeordneten gerichtet werden, die zu Recht immer wieder in das Kreuzfeuer der Kritik geraten.

Funktionszuschläge

Funktionszuschläge, die nach dem Abgeordnetengesetz beziehungsweise aus der Fraktionskasse gezahlt werden, gibt es unter anderem in den Landtagen von Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Brandenburg, Thüringen (2), Sachsen und Sachsen- Anhalt sowie im Bund. In Sachsen-Anhalt hatte die Gewährung von Zusatzentschädigungen für die Ausübung besonderer parlamentarischer Funktionen - mißt man sie am Diäten-Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) von 1975 - eine Inflation erfahren. Es war ein ganzes System von zusätzlichen, in sich gestaffelten Entschädigungen (von 20 bis 100 Prozent zur Grundentschädigung) entwickelt worden. Nicht nur der Landtagspräsident, die Vizepräsidenten und die Fraktionsvorsitzenden und ihre Stellvertreter wurden nach dem Abgeordnetengesetz mit Zusatzentschädigungen bedacht, sondern auch die Vorsitzenden der Ausschüsse des Landtags, die Parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen und die Vorsitzenden der Fraktionsarbeitskreise.(3) In der dritten Wahlperiode des Landtages von Sachsen-Anhalt (1998-2002) erhielten danach von den 99 Abgeordneten immerhin 64 Abgeordnete (entsprechend der Funktion abgestufte) Funktionszuschläge. Das waren fast zwei Drittel aller Abgeordneten. Damit waren die "einfachen Abgeordneten" deutlich in die Minderheit geraten. Daß dies noch verfassungsgemäß war (Stichwort: Gleichheitssatz), darf wohl mit Recht bezweifelt werden.(4)

Das BVerfG hat in seinem Diäten-Urteil vom 5. November 1975 hinsichtlich des saarländischen Landtages im Zusammenhang mit der Bemessung der Entschädigung auf den Gleichheitssatz abgehoben und dazu in aller Deutlichkeit festgestellt: "Alle Mitglieder des Parlaments sind einander formal gleichgestellt. Das Prinzip dieser formalisierten Gleichbehandlung ist verfassungsrechtlich im egalitären Gleichheitssatz ausgeprägt. ... Aus ihm folgt ..., daß jedem Abgeordneten eine gleich hoch bemessene Entschädigung zusteht, unabhängig davon, ob die Inanspruchnahme durch die parlamentarische Tätigkeit größer oder geringer ist, ob der individuelle finanzielle Aufwand oder das berufliche Einkommen verschieden hoch ist..."(5)

Ausgenommen von der gleichen Bemessung der Entschädigung wurden nur der Parlamentspräsident und seine Stellvertreter, das heißt, ihnen wurde eine höhere Entschädigung zugestanden als dem einfachen Abgeordneten, da ihre angemessene Entschädigung dadurch mitbestimmt werde, "daß sie an der Spitze eines obersten Verfassungsorgans stehen".(6) Das Gericht erklärte dazu: "Die so verstandene einheitliche Entschädigung mit Alimentationscharakter schließt aus den dargelegten Gründen alle weiteren, der Höhe nach differenzierten, individuellen oder pauschalierten finanziellen Leistungen an einzelne Abgeordnete aus öffentlichen Mitteln aus, die nicht einen Ausgleich für sachlich begründeten, besonderen, mit dem Mandat verbundenen finanziellen Aufwand darstellen. Danach werden also künftig zum Beispiel eine Reihe von Pauschalen, Tageund Sitzungsgeldern, Verdienstausfallentschädigungen und ähnlichen Zuwendungen aus der Parlamentskasse sowie gestaffelte Diäten für Abgeordnete mit besonderen parlamentarischen Funktionen entfallen. "(7)

In der rechtswissenschaftlichen Literatur ist diese Passage des Diäten-Urteils unterschiedlich interpretiert worden. Nach Auffassung der Verwaltungsjuristin Annette Fischer widersprechen die Funktionszulagen der verfassungsmäßigen formalisierten Gleichheit der Abgeordneten, wie sie im Diäten-Urteil des Bundesverfassungsgerichts festgestellt wurde.(8) Andere Autoren halten eine Unzulässigkeit von Funktionszulagen dagegen nicht für zwingend.(9) Die Juristen Wolfgang Czepluch und Joachim Linck meinen, das Verbot, den Trägern bestimmter Funktionen im Parlament (zum Beispiel den Fraktionsvorsitzenden) eine höhere Entschädigung zu gewähren, führe im Vergleich zu den Abgeordneten, die im Parlament keine besondere Funktion bekleiden, zu einer relativen Schlechterstellung. Diese einfachen Abgeordneten hätten nämlich aufgrund ihrer geringeren zeitlichen Inanspruchnahme faktisch eher die Möglichkeit, neben dem Abgeordnetenamt noch einer entgeltlichen Tätigkeit nachzugehen.(10)

In ähnlicher Art und Weise argumentiert auch Bundesverfassungsrichter Walter Seuffert in seinem Minderheitsvotum zum Diäten- Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1975: Diejenigen, die Ämter oder Funktionen im Parlament übernommen hätten, seien in deren Wahrnehmung nicht so frei, wie sie es bei Ausübung ihres Mandates selbst seien. Sie hätten Verpflichtungen gegenüber dem Parlament zur Anwesenheit in Sitzungen und zur Erledigung von Amtsgeschäften. Sie könnten vom Parlament mit Aufträgen versehen werden, die sie auszuführen hätten, und mit Verantwortungen belastet werden, für die sie einzustehen hätten. Diese Verpflichtungen könnten durchaus als rechtliche qualifiziert werden. "Erhalten sie Vergütungen - das können solche für zeitlichen und sachlichen Aufwand, aber auch für die Funktionsübernahme selbst sein - , so sind diese Vergütungen nicht unter Art. 3 Abs. 1 GG mit der Abgeordnetenentschädigung vergleichbar; sowohl die Grundlage wie die Rechtsnatur sind andere".(11)

Das Hamburgische Verfassungsgericht hat am 11. Juli 1997 in diesem Sinne eine Klage gegen das Abgeordneten- und Fraktionsgesetz der Hansestadt abgelehnt, mit der die in diesem Gesetz enthaltene Regelung zu Fall gebracht werden sollte, nach der Fraktionsvorsitzende dreifache Diäten erhalten. Das Gericht argumentierte, Abgeordnete dürften eine sonstige Berufstätigkeit ausüben, Fraktionsvorsitzende könnten dies wegen ihrer umfangreichen Aufgaben jedoch nicht.(12) Im speziellen Hamburger Fall sollte allerdings beachtet werden, daß es sich bei der dortigen Bürgerschaft um ein sogenanntes Feierabendparlament handelt.

Das BVerfG hat mit seiner neuen Entscheidung vom 21. Juli 2000 einen vorläufigen Schlußpunkt unter die Debatte um Funktionszuschläge gesetzt. Das Gericht erklärte die bisherige Praxis im Freistaat Thüringen, stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden, Parlamentarischen Geschäftsführern und Ausschußvorsitzenden einen Funktionszuschlag in Höhe von 40 Prozent der Grund-Diät zu zahlen, für verfassungswidrig.(13) Das BVerfG betonte in seiner Entscheidung, daß das Prinzip des "freien Mandats" erfordere, "die Abgeordneten in Statusfragen formal gleich zu behandeln, damit keine Abhängigkeiten oder Hierarchien über das für die Arbeitsfähigkeit des Parlaments unabdingbare Maß hinaus entstehen".(14)

Die obersten Verfassungsrichter hielten aber nun im Unterschied zur Entscheidung von 1975 die Zahlung eines Funktionszuschlages für Fraktionsvorsitzende angemessen, und sie räumten auch ein, daß die "gesetzliche Gewährung von zusätzlichen Entschädigungen mit Einkommenscharakter für Abgeordnete mit besonderen Funktionen eine Maßnahme im Rahmen der Parlamentsautonomie (ist), die der Landtag grundsätzlich in eigener Verantwortung trifft".(15)

Umstritten ist jetzt, ob die Entscheidung des BVerfG nur für Zahlungen nach dem Abgeordnetengesetz gilt oder auch für Zahlungen aus der Fraktionskasse. Während der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Eckart von Klaeden, meint, das Urteil wende sich nicht gegen Zahlungen der Fraktionen, erblickt der Bielefelder Verfassungsrechtler Joachim Wieland keinen Unterschied darin, ob die Zulagen direkt aus der Staatskasse oder von den ebenfalls staatlich finanzierten Fraktionen kommen: "Nach den Leitsätzen des Urteils muß das für alle Parlamente und für alle Zahlungswege gleichermaßen gelten."(16)

Aufwandsentschädigung

Die Abgeordneten des Bundestages und der Landtage bekommen neben ihrer Mandats-Entschädigung eine monatliche (steuerfreie) Kosten-Pauschale für allgemeine Kosten. So erhalten die Abgeordneten des Deutschen Bundestages seit dem 1. Januar 2002 eine monatliche steuerfreie Kostenpauschale von 3 417 EUR.(17) In Rheinland- Pfalz beträgt diese Kostenpauschale 1 125 EUR (2 200 DM).(18) Die Mitglieder des Berliner Abgeordnetenhauses erhalten eine steuerfreie Kostenpauschale von 870 EUR.(19)

Es ist außerdem durchaus üblich, daß über die Kosten-Pauschale hinaus Tagegeld, Übernachtungsgeld, Wegstrecken-Entschädigung und der Ersatz der Aufwendungen für die Beschäftigung von Mitarbeitern sowie eine Reihe weiterer Leistungen gezahlt werden. So erhalten die Abgeordneten des Landtages von Nordrhein-Westfalen neben einer steuerfreien Aufwandspauschale von 1196 EUR monatlich eine Tagegeldpauschale von 296 EUR und je nach der Entfernung ihres Wohnsitzes vom Landtag in Düsseldorf eine gestaffelte Fahrtkostenpauschale (ohne Nachweis der tatsächlich entstehenden Fahrtkosten), die bei einer Entfernung des Wohnortes vom Sitz des Landtags bis zu 50 km 447 EUR beträgt, von 50 bis 150 km 695 EUR und über 150 km immerhin 876 EUR.(20) Im Bundestag ist der jährliche Höchstbetrag, bis zu dem jeder Abgeordnete die Kosten für die Beschäftigung von Mitarbeitern erstattet bekommt, von umgerechnet 9 357 EUR im Jahre 1969 auf 97 907 EUR im Jahre 2002 angestiegen.(21)

Das BVerfG erklärte in seinem Diäten-Urteil vom 5. November 1975 eine zusätzlich gewährte pauschale Aufwandsentschädigung unter der Voraussetzung für zulässig, daß sich diese Pauschale am tatsächlichen und angemessenen Mandatsaufwand orientiert.(22) Der Parteienkritiker Hans Herbert von Arnim verlangt, die Kostenpauschale müsse der durchschnittlichen Höhe der erstattungsfähigen Aufwendungen entsprechen und dürfe nicht überhöht sein, sonst entspreche sie nicht mehr dem Kriterium der Angemessenheit und sei verfassungswidrig.(23)

Die rechts- und staatspolitisch am meisten befriedigende Lösung wäre - analog zu den Werbungskosten des normalen Bürgers - die Festlegung eines Sockelbetrages und (sofern die mandatsbezogenen Aufwendungen des Abgeordneten diesen Betrag übersteigen) die Erstattung der mit dem Mandat verbundenen Aufwendungen auf der Grundlage des Einzelnachweises. Der frühere Bundesverfassungsrichter Willi Geiger hat vorgeschlagen, diesen pauschalierten Sockelbetrag so festzusetzen, daß er "in etwa dem niedrigsten tatsächlichen besonderen Aufwand entspricht, den die Abgeordneten mit den günstigsten Verhältnissen haben. Den übrigen Abgeordneten wird ein Vorbehalt gerecht, daß jeder, der insgesamt einen höheren gerechtfertigten besonderen Aufwand nachweist, diesen höheren Aufwand von seinem Einkommen steuerrechtlich absetzen kann."(24)

Um ungebührlichen Verwaltungsaufwand zu vermeiden, der die gute Absicht der Einsparung öffentlicher Gelder leicht in ihr Gegenteil verkehren könnte, sollte meines Erachtens die Kostenpauschale der durchschnittlichen Höhe der erstattungsfähigen Aufwendungen entsprechen. Abgeordnete, die insgesamt einen höheren gerechtfertigten besonderen Aufwand nachweisen, sollten diesen gegen Einzelnachweis unmittelbar erstattet bekommen. Hierbei könnte zudem ein Höchstbetrag festgelegt werden, mit dem man kritikwürdige Überausgaben vermeiden könnte. Und schließlich bliebe bei einem Erstattungsvorgang innerhalb der Landtagsverwaltung sowohl die Diskretion gewahrt als auch eine fachbezogene Prüfung gewährleistet. (25)

Sowohl im Bund als auch in den Ländern Bayern und Thüringen ist eine (automatische) Dynamisierung der Kostenpauschale entsprechend der durchschnittlichen Preissteigerung beziehungsweise der Entwicklung der allgemeinen Lebenshaltungsausgaben aller privaten Haushalte im vorvergangenen Kalenderjahr eingeführt worden. Eine solche Erhöhung der Kostenpauschale ist in der Literatur besonders deshalb auf Kritik gestoßen, weil für den normalen Bürger und Steuerzahler die meisten steuerlichen Pauschalen, Freibeträge und Grenzen seit Jahren nicht mehr angehoben und hinsichtlich der steuerlichen Geltendmachung von Werbungskosten und Betriebsausgaben seit Anfang 1996 auch noch empfindlich eingeschränkt worden sind wie beispielsweise beim häuslichen Arbeitszimmer.

Übergangsgeld

Die Funktion des Übergangsgeldes besteht darin, dem aus dem Parlament Ausscheidenden den Übergang in den alten Beruf zu erleichtern. Es soll eine Start- und Anpassungshilfe sein. Für eine angemessene Gestaltung lassen sich daraus nach von Arnim drei Eckpunkte ableiten:(26) Erstens: Das Übergangsgeld wird wirklich nur für eine Übergangszeit gezahlt (Willi Geiger: drei Monate; Hans Herbert von Arnim: maximal ein Jahr).(27) Zweitens: Wer über ein ausreichendes Erwerbseinkommen verfügt, bedarf keiner Anpassungshilfe; Erwerbseinkommen aus privater und erst recht aus halbstaatlicher Quelle, das unterhalb des Übergangsgeldes liegt, ist daher auf das Übergangsgeld anzurechnen. Drittens: Bereits im Pensionsalter befindliche Personen können kein Übergangsgeld beanspruchen, da sie keiner beruflichen Anpassung mehr bedürfen.

Otto Rudolph Kissel, der frühere Präsident des Bundesarbeitsgerichts, vertritt die Auffassung, das Übergangsgeld müsse im Gegensatz zum überkommenen Recht, das eine pauschale, für alle ausscheidenden Abgeordneten gleich hohe und großzügig bemessene langdauernde Zahlung vorsehe, "an den Zweck der Wiedereingliederung herangeführt werden, damit man dem oft erhobenen Vorwurf, hier liege ein zweites Einkommen des Abgeordneten vor, die Grundlage nimmt".(28)

In der rechtswissenschaftlichen Literatur ist - von den oben genannten Kriterien ausgehend - kritisiert worden, daß das Übergangsgeld in vielen Bundesländern über einen zu langen Zeitraum gezahlt werden soll. Da die Mitgliedschaft im Parlament grundsätzlich nur auf Zeit angelegt sei, müßten die Abgeordneten von vornherein damit rechnen, das Parlament nach einer oder mehreren Wahlperioden wieder zu verlassen. Es könne daher von ihnen erwartet werden, daß sie sich auf eine andere Lebensgrundlage für die Zeit nach der Beendigung des Mandats einzustellen hätten.(29)

Die Abgeordneten des Landtages von Sachsen-Anhalt erhalten nach ihrem Ausscheiden aus dem Parlament ein Übergangsgeld in Höhe der Grund-Entschädigung von derzeit 3 937 EUR für mindestens drei Monate und höchstens für zwei Jahre, das auf Antrag auch zum halben Betrag für den doppelten Zeitraum gezahlt wird.(30) Die Vorschriften in Sachsen-Anhalt genügen der gebotenen Anrechnung aller beruflichen Einkünfte (auch der aus privater Quelle) auf das Übergangsgeld. Jedoch ist offensichtlich der Grundsatz, daß ein Übergangsgeld in den Ruhestand sinnwidrig und deshalb nicht zu gewähren ist, in Sachsen-Anhalt nicht berücksichtigt worden.

Die Hamburger Enquête-Kommission "Parlamentsreform" hat das für die verschiedenen Berufsgruppen unterschiedliche Risiko, nach dem Ausscheiden aus dem Parlament wieder problemlos eine Erwerbstätigkeit aufnehmen zu können, analysiert und davon ausgehend eine "differenzierte Ausgestaltung der Reintegrationsleistungen" vorgeschlagen: Zunächst sollen alle ausscheidenden Mandatsträger wegen der finanziellen Abwicklung des Mandats ein Übergangsgeld in Höhe einer dreimonatigen Entschädigung erhalten. Darüber hinaus solle bei Bedürftigkeit eine "Übergangshilfe" für bis zu neun weiteren Monaten in Höhe von 50 Prozent der Entschädigung gezahlt werden.(31)

Dieser Vorschlag ist durchaus begrüßenswert, weil er zum einen das volle Übergangsgeld auf drei Monate begrenzt und zum anderen für alle ausscheidenden Abgeordneten gleich gestaltet (Gleichheitssatz). Der Vorschlag geht dabei davon aus, daß die für alle Abgeordneten einheitliche Grundentschädigung zugrundegelegt wird und Funktionszuschläge keine Berücksichtigung finden. Der Hamburger Vorschlag läßt sich in der Weise weiterentwickeln, daß die nach drei Monaten einsetzende "Übergangshilfe" - analog zum Arbeitslosengeld - nach dem erreichten Lebensalter in seiner Bezugsdauer gestaffelt wird.

Eine solche Lösung würde insbesondere jenen Abgeordneten zugute kommen, die entweder als Arbeitslose Abgeordnete wurden oder die als abhängig Beschäftigte in Unternehmen tätig waren, die zwischenzeitlich in Konkurs gegangen sind. Sie würde den Unterschied zwischen diesen Abgeordneten und den Beamten-Abgeordneten, die heute in großer Zahl im Bundestag und in den Landtagen vertreten sind und die über eine Wiedereinstellungsgarantie nach Beendigung ihres Mandats verfügen, zwar nicht ausgleichen, aber doch mindern. Eine solche Lösung würde die erstgenannte Personengruppe auch gegenüber jenen abhängig Beschäftigten gerechter behandeln, die nach Artikel 48 Absatz 2 Satz 2 GG Kündigungsschutz genießen und nach Beendigung ihres Mandates ihre Arbeit im alten Unternehmen wieder aufnehmen können. Sie würde auch dem entsprechen, was der Arbeitsrechtler Götz Sadtler zu Recht feststellt: "Gerade in einem Staat, dem eine freiheitliche, demokratische Verfassung zugrunde liegt, ist die Eingliederung von politisch tätigen Bürgern in das Arbeitsleben von Bedeutung."(32)

Altersversorgung

Ein Mitglied des Deutschen Bundestages erhält nach seinem Ausscheiden aus dem Parlament eine Altersentschädigung, wenn es dem Bundestag acht Jahre angehört und das 65. Lebensjahr vollendet hat. Mit jedem weiteren Jahr der Mitgliedschaft (jedoch nur bis zum 18. Jahr) entsteht der Anspruch auf Altersentschädigung ein Lebensjahr früher. Die Altersentschädigung bemißt sich nach der monatlichen Abgeordneten-Entschädigung, wobei der Steigerungssatz für jedes Jahr bis zum 23. Jahr der Mitgliedschaft drei Prozent der Abgeordneten- Entschädigung beträgt.(33)

Ein ehemaliger Abgeordneter erhält so nach zwölfjähriger Mitgliedschaft im Bundestag ab Vollendung des 61. Lebensjahres 36 Prozent der Mandats-Entschädigung als Altersversorgung beziehungsweise nach 23jähriger Mitgliedschaft mit vollendetem 55. Lebensjahr 69 Prozent der Diäten. Andere Bezüge aus öffentlichen Kassen werden dabei angerechnet.(34)

Im April 1999 wurde im Berliner Abgeordnetenhaus zwar eine Reform der Altersversorgung der Mandatsträger beschlossen, welche die derzeit üppigen Pensionen absenkt.(35) Dadurch aber, daß die Neuregelung der Altersversorgung erst ab der 15. Wahlperiode in Kraft getreten ist, können wiedergewählte Abgeordnete weitere Versorgungsansprüche aufbauen und nach 20jähriger Parlamentszugehörigkeit bei ihrem Ausscheiden aus dem Abgeordnetenhaus mit einer "Sofortrente" von 75 Prozent der dann gültigen Diäten rechnen. Nach zwölfjähriger Parlamentszugehörigkeit kommen derartige Abgeordnete ab dem 55. Lebensjahr in den Genuß einer Pension von 75 Prozent der Mandats-Entschädigung.(36)

In Bayern und in Thüringen steigt die ohnehin schon überzogene Altersversorgung der Abgeordneten überproportional, weil die in diesen Ländern eingeführte Indexklausel(37) nicht nur die Entschädigung selbst automatisch erhöht, sondern auch alle anderen an sie geknüpften Leistungen. Während sich die Altersversorgung bei Abgeordneten auf das Bruttoeinkommen bezieht, sind die Renten der Sozialversicherung dagegen nur auf das (neben der Lohnsteuer auch um die Versicherungsbeiträge geminderte) Nettoeinkommen bezogen. Die Indexierung führt so zu einer ständigen Erhöhung der Überversorgung und erweist sich damit als ein komfortabler Selbstbedienungsmechanismus der Parlamentarier aus öffentlichen Mitteln. Während Politiker etablierter Parteien so für dicke Abgeordneten- Pensionen aus der Staatskasse sorgen, rufen sie gleichzeitig die Bürger auf, privat Vorsorge für ihr Alter zu treffen.

Das Gebot der Angemessenheit gilt für alle Teile der Entschädigung, die ein Abgeordneter erhält, also auch für das Übergangsgeld und für die Altersversorgung. Eine Altersversorgung für Abgeordnete ist verfassungsrechtlich zwar nicht geboten, gilt jedoch gleichwohl grundsätzlich als zulässig. Das BVerfG hat daher lediglich eine "begrenzte Altersversorgung"(38) konzediert und mehrfach klargestellt, daß den Abgeordneten und ihren Familien nur "während der Dauer ihrer Zugehörigkeit zum Parlament"(39) eine ausreichende Existenzgrundlage und eine ihrem Amt angemessene Lebensführung gesichert werden muß.

Angesichts der Tatsache, daß die Renten der allgemeinen Sozialversicherung aufgrund der sich verändernden Altersstruktur der Bevölkerung immer schwieriger zu finanzieren sind, von der rotgrünen Regierungskoalition eine Absenkung des Rentenniveaus auf 67 Prozent (nach 45 Arbeitsjahren) beschlossen wurde, insbesondere von Politikern der FDP und der CDU/CSU immer aufs neue eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit gefordert wird und das Rentenalter für Frauen schrittweise auf 65 Jahre angehoben wird, scheint derzeit eine Zurückführung der Altersversorgung für Parlamentarier auf Normalmaß geboten. Im Lichte der finanziellen Schwierigkeiten, in welchen sich gegenwärtig die öffentlichen Haushalte befinden, besitzt diese Forderung sogar größte Dringlichkeit. Von verschiedenen, mit dieser Materie befaßten Kommissionen sind daher in jüngster Zeit konkrete Vorschläge dazu unterbreitet worden.

- Die Kommission der Landtagsdirektoren hat vorgeschlagen, die Anwartschaftszeiten so zu strecken, daß der Abgeordnete erst mit einem vollen Arbeitsleben Anspruch auf volle Altersversorgung erwirbt, und daher angeregt, zu diesem Zweck den Sockel zu beseitigen und den jährlichen Steigerungssatz auf unter zwei Prozent zu senken.

- Die Diätenkommission von Baden-Württemberg empfiehlt, die Altersversorgung mit einem linearen Steigerungssatz von zwei Prozent pro Mandatsjahr wachsen zu lassen (ohne Sockel, Höchstsatz von 60 Prozent der Entschädigung nach 30 Mandatsjahren, Beginn der Zahlung nicht früher als bei der gesetzlichen Rentenversicherung beziehungsweise der Beamtenversorgung).

- Die Diätenkommission von Rheinland-Pfalz hat den Vorschlag unterbreitet, die Altersversorgung der Abgeordneten mit einem linearen Steigerungssatz von zwei Prozent der Entschädigung pro Jahr zu bemessen (ebenfalls ohne Sockel, Höchstsatz von 75 Prozent nach 37,5 Mandatsjahren, Beginn mit dem vollendeten 60. Lebensjahr).(40)

- Auch der Jurist Martin Grundmann plädiert dafür, die Versorgungsbezüge der Abgeordneten zu linearisieren und hält eine Steigerungsrate von 2,5 Prozent für angemessen. Wenn die Altersentschädigung der Abgeordneten als lückenschließende Teilversorgung verstanden werde, bedürfe es weder der Erfüllung einer Mindestmandatszeit noch eines Versorgungssockels. Lediglich aus Praktikabilitätsgründen will Grundmann an einer Mindestmandatszeit von einem Jahr festhalten.(41)

Insgesamt sollte bei der Altersversorgung die Höchstversorgung auf mindestens 67 Prozent abgesenkt werden, wie dies die Neuregelung für die Renten aus der Sozialversicherung vorsieht. Der Beginn der Rentenzahlungen sollte auf das normale Pensions- und Rentenalter (das heißt auf 65 Jahre) verlagert werden. Die jährlichen Steigerungssätze sollten - ohne Sockel - linear gestaltet und auf zwei Prozent der Grundentschädigung pro Jahr vermindert werden, so daß die Anwartschaftszeiten gestreckt werden. Es liegt in der Logik des Vorschlags, daß damit eine Mindestmandatszeit entfallen kann. Auf diese Art und Weise wird auch das Entstehen einer Lücke im Gesamtverlauf der Altersversicherung vermieden.

Um "unangemessene" Vorteile der Abgeordneten gegenüber der Mehrheit der bundesdeutschen Bevölkerung aufzuheben, hat die PDS-Bundestagsgruppe bereits 1997 in einem Antrag verlangt, für Abgeordnete des Deutschen Bundestages "unverzüglich, das heißt noch für das Jahr 1997, eine gesetzliche Rentenversicherung nach dem Vorbild der gesetzlichen Rentenversicherung für Angestellte einzurichten".(42)

Doppel-Alimentierung

Obwohl das Prinzip der Gewaltenteilung gebietet, daß Ministerpräsidenten beziehungsweise Bundeskanzler und Minister nicht gleichzeitig Abgeordnete der Legislative sein dürfen, die ja die Exekutive zu kontrollieren hat, sind in der Bundesrepublik Deutschland nur in Hamburg und in Bremen Senatorenamt und Bürgerschaftsmandat inkompatibel, womit eine Doppel-Alimentierung von vornherein ausgeschlossen ist. In Niedersachsen und im Saarland werden an Regierungsmitglieder, die gleichzeitig ein Abgeordnetenmandat innehaben, keine Diäten gezahlt. In allen übrigen Ländern erhalten Regierungsmitglieder mit Abgeordnetenmandat zwischen 25 und 70 Prozent der Mandats-Entschädigung eines "einfachen" Abgeordneten zusätzlich zu ihren Bezügen als Ministerpräsident oder Minister. Im Bund beträgt diese Marge 60 Prozent. Dazu kommen jeweils anteilige steuerfreie Abgeordneten-Kostenpauschalen.

Im Ergebnis erhalten so die Bundesminister Otto Schily, Rudolf Scharping oder Joschka Fischer mit Abgeordnetenmandat 265 597 EUR (519 463 DM), die Bundesminister Hans Eichel, Walter Riester oder Werner Müller jeweils ohne Abgeordnetenmandat "nur" 166 092 EUR (324 847 DM) im Jahr. In Bayern kommt Ministerpräsident Edmund Stoiber neben seinem Amtssalär von 193 538 EUR (378 527 DM) auf ein "Schatteneinkommen" von 106 267 EUR (207 840 DM) im Jahr. Und in Baden-Württemberg bezieht Ministerpräsident Erwin Teufel zu seinem Bruttoeinkommen aus dem Amt von 179 603 EUR (351 272 DM) noch 87 891 EUR (171 900 DM) aus seinem Abgeordnetenmandat im Landtag.(43)

Verfassungsrechtlich wird die Möglichkeit für fragwürdig gehalten, Doppelbezüge aus öffentlichen Kassen zu beziehen.(44) Jürgen Grünert, Richter am Amtsgericht Völklingen, konstatiert: "Bei Vereinbarkeit von Amt und Mandat ist eine ›Mehrfach-Alimentation‹ verfassungsrechtlich nicht geboten."(45) Das BVerfG hat dazu in seinem Diäten-Urteil von 1975 generell festgestellt: "Bei der Neuregelung (der Diäten - J. W.) wird zu beachten sein, daß nun in einer Person zwei Bezüge aus öffentlichen Kassen mit Alimentationscharakter zusammentreffen können: die Abgeordnetenentschädigung und beispielsweise das Gehalt eines Hochschullehrers, eines Parlamentarischen Staatssekretärs, eines Ministers. Die Alimentationsverpflichtung der öffentlichen Hand geht in einem solchen Fall nicht notwendig auf eine doppelte Aufbringung des angemessenen Lebensunterhalts. Es fehlt jedenfalls an jedem sachlich zureichenden Grund, diesen Fall anders als entsprechend den gegenwärtig im Beamtenrecht geregelten Grundsätzen zu behandeln und den Abgeordneten zu privilegieren (vgl. BVerfGE 32, 157 {166}). Das wäre unvereinbar mit dem Gleichheitssatz."(46)

Und weiter: "Außerdem wird bei der Neuregelung zu überlegen sein, ob nicht im Hinblick auf die dargestellte Verfassungsrechtslage auch die Regelung über das Übergangsgeld und über die Altersrente geändert oder ergänzt werden muß (letzteres beispielsweise, wenn zwei Altersversorgungen aus der öffentlichen Kasse zusammentreffen) und ob Übergangsregelungen (beispielsweise zur Angleichung des Rechtsstandes ausgeschiedener Abgeordneter an den neuen Rechtsstand) oder Vorbehalte zugunsten eines erworbenen Rechtsstandes ausgeschiedener Abgeordneter nötig sind."(47)

In der Literatur ist in diesem Zusammenhang mit Recht die Frage aufgeworfen worden, weshalb ein Minister neben seinen Ministerbezügen noch ein weiteres der Alimentation dienendes Einkommen (wie das des Abgeordneten) beziehen müsse, wenn die Ministerbezüge ohnehin dazu bestimmt sind, die Alimentation des Ministers und seiner Familie voll und angemessen zu gewährleisten.(48) Meines Erachtens gibt es in der Tat keinen inneren Grund für eine solche Verfahrensweise, und zwar weder in der Form, daß beide Voll-Alimentationen nebeneinander bezogen werden noch in der Form, daß eine Alimentation (zum Beispiel die Ministerbezüge) voll und die andere (zum Beispiel die Abgeordnetenbezüge) teilweise (über ein Anrechnungsverfahren) zugestanden wird.

Martin Grundmann und Hans Herbert von Arnim haben darauf hingewiesen, daß das BVerfG zwischen der Frage, ob die öffentliche Hand zu einer doppelten Aufbringung des angemessenen Lebensunterhalts verpflichtet sei, was grundsätzlich verneint wird, und der Frage, inwieweit es zulässig ist, daß der Abgeordnete neben Bezügen aus öffentlichen Kassen mit Alimentationscharakter weitere derartige Bezüge aus öffentlichen Kassen erhält, sehr wohl unterscheidet. Bezüglich der zweiten Frage hebt das Gericht auf den Vergleich mit den gegenwärtig im Beamtenrecht geregelten Grundsätzen ab und unterstreicht, daß eine Besserstellung des Abgeordneten mit dem Gleichheitssatz unvereinbar sei, weil es an jedem sachlichen Grund dafür fehle. Nach den gegenwärtig im Beamtenrecht geregelten Grundsätzen gilt, daß beim Zusammentreffen von Dienstbezügen aus mehreren Hauptämtern grundsätzlich nur die Besoldung aus dem Amt mit den höheren Dienstbezügen gewährt wird (§ 5 BBesG). Nur als Ausnahme kann zusätzlich ein Teil des Einkommens, und zwar maximal ein Drittel, aus dem geringer besoldeten Amt zusätzlich gezahlt werden.(49)

Willi Geiger hat darauf hingewiesen, daß dann, wenn die Existenzsicherung der Grund für die Leistung aus der öffentlichen Kasse ist, die öffentliche Kasse nicht voll doppelt leisten soll.(50)

Das BVerfG hat in seiner Entscheidung von 1987 zwar einerseits die Statusunterschiede von Beamten und Abgeordneten betont, andererseits aber unterstrichen, daß dann, wenn der Bundesgesetzgeber die Abgeordneten-Entschädigung und -Versorgung nach dem Prinzip der Voll-Alimentation bemessen habe, "es wenig folgerichtig " sei, "bei einem Zusammentreffen von Abgeordnetenentschädigung und -versorgung mit Bezügen aus anderen öffentlichen Kassen von deren Anrechnung abzusehen"(51). Das BVerfG hat damit auch für Abgeordnete die im Beamtenversorgungsgesetz vorgesehene Anrechnung nahegelegt. Abgeordnete würden ansonsten gegenüber anderen Berufsgruppen ungerechtfertigt privilegiert werden, wenn Einkommen und Versorgungsbezüge aus öffentlichen Kassen, die ebenso wie die Abgeordneten-Entschädigung Alimentationscharakter besitzen, nicht angerechnet würden.

Über den Komplex der ungerechtfertigten zusätzlichen Belastung der öffentlichen Kassen hinaus ist auch aus funktionellen Erwägungen eine zusätzliche Voll- oder Teil-Alimentierung aus dem Abgeordnetenstatus zur Alimentierung als Ministerpräsident oder Minister abzulehnen. Der saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU) erklärte, als er noch Oppositionsabgeordneter war: "Tatsache ist, wer in diesem Lande Minister ist, nimmt Verpflichtungen als Abgeordneter nicht mehr wahr, hat keinen Aufwand als Abgeordneter mehr, und deshalb ist es auch nicht sinnvoll, daß er dafür noch etwas zusätzliches bezieht."(52)

Der Staatsrechtler und ehemalige Hamburger Senator Ingo von Münch nennt es zu Recht eine "Verhöhnung der Gewaltenteilung", wenn ein Minister zugleich ein Abgeordneten-Mandat innehat, und schreibt: "Wie jemand neben einem Regierungsamt noch ausreichend Zeit finden kann, um zusätzlich ein Abgeordnetenmandat tatsächlich wahrzunehmen, ist mir schleierhaft. Dies muss um so mehr für Bundesminister gelten, die zugleich Bundestagsabgeordnete sind. Nach dem Diätenurteil des BVerfG verlangt das zur ›Hauptbeschäftigung‹ gewordene Mandat ‚den ›ganzen Menschen‹ [...]. Kein Gesäß ist so breit, dass jemand gleichzeitig auf der Regierungsbank und auf einem Abgeordnetenstuhl sitzen kann."(53)

Vor diesem Hintergrund bleibt die Tatsache, daß beispielsweise einem bayerischen Minister zu seinen Ministerbezügen noch die Hälfte der Abgeordneten-Entschädigung gezahlt wird(54), zumindest fragwürdig und in der Sache selbst nicht gerechtfertigt. Wenn im Bund und in den Bundesländern - wie bereits in Hamburg und in Bremen - eine Inkompatibilität von Ministerpräsidentenamt und Ministeramt einerseits und Abgeordnetenmandat andererseits festgelegt würde, wäre das hier soeben abgehandelte Problem des Zusammentreffens von Ministerpräsidenten- beziehungsweise Minister-Bezügen und Abgeordneten-Entschädigung gegenstandslos.

Jochen Weichold - Jg. 1948; Dr. sc. phil., Politikwissenschaftler, Bereichsleiter in der Rosa- Luxemburg-Stiftung. Letzte Veröffentlichung in UTOPIE kreativ: "Abschied von Visionen", Heft 140 (Juni 2002) S. 491-499.

(1) Vgl. Jochen Weichold: "Der Abgeordnete und die Diäten. Zum verfassungsrechtlichen Problem der ›angemessenen‹, die ›Unabhängigkeit‹ des Abgeordneten sichernden Entschädigung ". In: UTOPIE kreativ, Heft 125 (März/2001) S. 232-241.

(2) Nachdem das Bundesverfassungsgericht die im Thüringer Abgeordnetengesetz festgeschriebenen Diätenzuschläge für stellvertretende Fraktionsvorsitzende, Parlamentarische Geschäftsführer und Ausschußvorsitzende, die zwischen 40 und 70 Prozent der Mandatsentschädigung lagen, als verfassungswidrig gerügt hatte, beschloß die CDU-Fraktion mit ihrer absoluten Mehrheit im Landtag des Freistaates eine Novelle des Abgeordnetengesetzes, in der für Parlamentarische Geschäftsführer und Ausschußvorsitzende eine monatliche "Aufwandsentschädigung " von 665 EUR (1 300 DM) festgeschrieben wurde. Die Landtagsfraktionen von SPD und PDS reichten daraufhin beim Landesverfassungsgericht in Weimar Klage gegen die Änderung des Abgeordnetengesetzes ein.

(3) Vgl. § 6 Abs. 2 AbgG LSA (in der Fassung vor der Änderung des Gesetzes vom 20. November 2001).

(4) Nach der Änderung des Abgeordnetengesetzes von Sachsen-Anhalt Ende November 2001 erhalten in der jetzigen, vierten Wahlperiode des Landtages nur noch der Präsident beziehungsweise die Präsidentin, die Vizepräsidenten, die Ausschußvorsitzenden und (nach Zustimmung des Ältestenrates) die Vorsitzenden der Unterausschüsse des Landtages einen Funktionszuschlag (Vgl. § 6 Abs. 2 und § 8 Abs. 4 AbgG LSA in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. Juli 1994, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 20. November 2001). Parallel zur Änderung des Abgeordnetengesetzes wurden aber durch eine Änderung des Fraktionsgesetzes die finanziellen Zuwendungen an die Fraktionen mit der Intention erhöht, die nach dem geänderten Abgeordnetengesetz weggefallenen Funktionszuschläge für Fraktionsvorsitzende und ihre Stellvertreter, für die Parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen und für die Vorsitzenden der Fraktionsarbeitskreise nunmehr aus dem Topf der Fraktionsgelder zu zahlen.

(5) Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, 40. Band, Tübingen 1976, S. 296 (S. 318). Im folgenden zitiert: BVerfGE 40, 296 (S. 318).

(6) Ebenda.

(7) Ebenda.

(8) Vgl. Annette Fischer: Abgeordnetendiäten und staatliche Fraktionsfinanzierung in den fünf neuen Bundesländern, Frankfurt am Main 1995, S. 244.

(9) Vgl. Klaus Schlaich/ Hermann Josef Schreiner: Die Entschädigung der Abgeordneten, in: Neue Juristische Wochenschrift, München und Frankfurt am Main 1979, Nr. 14, S. 680.

(10) Vgl. Wolfgang Czepluch: Abgeordnetenstatus und politische Partei. Zu den Voraussetzungen und Folgen der Professionalisierung des Abgeordnetenmandates, Frankfurt am Main 1991, S. 130/131; Joachim Linck: Zur Zulässigkeit parlamentarischer Funktionszulagen, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, Opladen 1976, Nr. 1, S. 54-60.

(11) BVerfGE 40, 296 (S. 340).

(12) Vgl. Höhere Diäten für Funktionsträger der Hamburger Bürgerschaft (Wiedergabe der Diäten- Entscheidung des Hbg- VerfG), in: Neue Juristische Wochenschrift, München und Frankfurt am Main 1998, Nr. 15, S. 1054 und 1056.

(13) Vgl. BVerfGE 102, 224 (S. 225).

(14) Vgl. BVerfGE 102, 224 (S. 224).

(15) Ebenda.

(16) Zit. in: Der Spiegel, Hamburg 2000, Nr. 30, S. 19. - Ähnlich wie Wieland auch andere. Vgl. Wolfgang von Eichborn: Zur angemessenen Bezahlung parlamentarischer Führungspositionen. Anmerkungen zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juli 2000, in: Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, Baden-Baden 2001, Nr. 1, S. 59; Johannes Hellermann: Von einfachen Abgeordneten und besonderen Funktionsträgern im Parlament. Bemerkungen zum zweiten Diätenurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juli 2000 - 2 BvH 3/91, in: Zeitschrift für Gesetzgebung, Heidelberg 2001, Nr. 2, S. 188.

(17) Vgl. http://www. bundestag.de/ .

(18) Vgl. AbgG RhPf, § 6 Abs. 2.

(19) Vgl. LAbgG, § 7 Abs. 2; Abgeordnetenhaus von Berlin, Drucksache 14/1510, S. 3.

(20) Vgl. AbgG NW, § 6 Abs. 2.

(21) Vgl. Peter Schindler: Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages 1949 bis 1982, Bonn 1983, S. 984; http://www.bundestag.de/ .

(22) Vgl. BVerfGE 40, 296 (S. 318 und 328).

(23) Vgl. Hans Herbert von Arnim: Macht macht erfinderisch. Der Diätenfall: ein politisches Lehrstück, Zürich 1988, S. 39/40.

(24) Willi Geiger: Der Abgeordnete und sein Beruf, in: Politik als Beruf? Das Abgeordnetenbild im historischen Wandel. Protokoll eines Seminars der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen, Bonn 1979, S. 114. - Mit Vehemenz dagegen: Rudolf Hanauer: Der Abgeordnete und seine Bezüge - Fragen zu einer Antwort von Willi Geiger, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, Opladen 1979, Nr. 1, S. 118.

(25) So auch Kissel. Vgl.: Otto Rudolph Kissel: Vom gerechten Lohn des Bundestagsabgeordneten, in: Festschrift für Albrecht Zeuner zum siebzigsten Geburtstag, hrsg. von Karl August Bettermann, Manfred Löwisch, Hansjörg Otto, Karsten Schmidt, Tübingen 1994, S. 89.

(26) Vgl. Hans Herbert von Arnim: Die Partei, der Abgeordnete und das Geld. Parteienfinanzierung in Deutschland, München 1996, S. 244/245.

(27) Vgl. Willi Geiger: Der Abgeordnete und sein Beruf, a. a. O., S. 119; Hans Herbert von Arnim: Die Partei, der Abgeordnete und das Geld, a.a.O., S. 245.

(28) Otto Rudolph Kissel: Vom gerechten Lohn des Bundestagsabgeordneten, a. a. O., S. 88.

(29) Vgl. Annette Fischer: Abgeordnetendiäten und staatliche Fraktionsfinanzierung in den fünf neuen Bundesländern, a. a. O., S. 86.

(30) Vgl. AbgG LSA, besonders § 16.

(31) Vgl. Annette Fischer: Abgeordnetendiäten und staatliche Fraktionsfinanzierung in den fünf neuen Bundesländern, a. a. O., S. 87.

(32) Götz Sadtler: Die Bedeutung des Art. 48 GG und des Art. 160 Weimarer Verfassung für das Arbeitsrecht, Köln, Berlin, Bonn, München 1968, S. 23.

(33) Vgl. Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages (Abgeordnetengesetz - AbgG), § 19 und § 20.

(34) Vgl. http://www. bundestag.de/ .

(35) Vgl. Abgeordnetenhaus von Berlin: Vierzehntes Gesetz zur Änderung des Landesabgeordnetengesetzes (Drucksache 13/3569), S. 2/3; Abgeordnetenhaus von Berlin: Plenarprotokoll 13/62, S. 4524. - Ein mit der 15. Wahlperiode ins Parlament eingetretener Abgeordneter erhält nach 20 Mandatsjahren (also schon nach der Hälfte des normalen Arbeitslebens) mit dem 57. Lebensjahr "nur noch" 65 Prozent seiner Diäten. Vgl. LAbgG, §§ 11 und 12 und Anlage zu den §§ 11 und 12.

(36) Vgl. die Kritik des PDSAbgeordneten M. Nelken an der Novelle: Michail Nelken: Parteikonsens bei Pfründesicherung, in: Neues Deutschland, Berlin, 12. 05. 1999.

(37) Die Höhe der Mandats- Entschädigung verändert sich jährlich nach Maßgabe der allgemeinen Einkommensentwicklung in Bayern bzw. Thüringen, koppelt also das Wachstum der Diäten an dasjenige der Brutto- Bezüge von abhängig Beschäftigten.

(38) BVerfGE 32, 157 (S. 165).

(39) BVerfGE 40, 296 (S. 315).

(40) Vgl. Hans Herbert von Arnim: Die Partei, der Abgeordnete und das Geld, a. a. O., S. 258/259.

(41) Vgl. Martin Grundmann: Zur Altersentschädigung für Abgeordnete, in: Die Öffentliche Verwaltung, Stuttgart 1994, Nr. 8, S. 332/333.

(42) Antrag der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann und der Gruppe der PDS: Neuregelung der Rechtsstellung der Abgeordneten (Drucksache 13/7691), S. 2.

(43) Vgl. Hans Herbert von Arnim: Politik macht Geld. Das Schwarzgeld der Politiker - weißgewaschen, München 2001, S. 240/241, 246/247 und 250/251.

(44) Vgl. BVerfGE 40, 296 (S. 329/330); BVerfGE 76, 256 II (S. 343).

(45) Jürgen Grünert: Amt, Mandat und "Mehrfach-Alimentation ", in: Verwaltungsrundschau. Zeitschrift für Verwaltung in Praxis und Wissenschaft, Köln 1992, Nr. 12, S. 417.

(46) BVerfGE 40, 296 (S. 329/330).

(47) BVerfGE 40, 296 (S. 330). - Dagegen vertritt Walter Seuffert in seinem Sondervotum zum Diäten- Urteil die Auffassung, bei einer Anrechnung von Abgeordneten-Entschädigung und anderen Bezügen aus öffentlichen Kassen entsprechend den im Beamtenrecht geregelten Grundsätzen würde "damit Unvergleichbares in einen Topf geworfen". Es würde dem Gebot der gleichen Entschädigung für alle Abgeordneten und Artikel 3 Absatz 1 GG widersprechen, Bezüge aus öffentlichen Kassen, die nicht der Abgeordneten- Entschädigung selbst zuzurechnen seien, (wie auch Bezüge aus anderen Kassen) mit der Entschädigung zu verrechnen. Vgl. BVerfGE 40, 296 (S. 341/342). - Ähnlich wie Seuffert Henkel: Vgl. Joachim Henkel: Amt und Mandat. Die Rechtsstellung der in den Deutschen Bundestag gewählten Angehörigen des öffentlichen Dienstes, Berlin und New York 1977, S. 59-63.

(48) Vgl. Hans Herbert von Arnim: Macht macht erfinderisch, a. a. O., S. 77. - Horst Dietrich hält hingegen eine Teilanrechnung mit dem Diäten-Urteil und offenbar auch in der Sache für vereinbar. Vgl. Horst Dietrich: Beamte als Abgeordnete und das Diäten- Urteil des Bundesverfassungsgerichts, in: Zeitschrift für Beamtenrecht, München, Düsseldorf 1976, Nr. 4, S. 104.

(49) Vgl. Martin Grundmann: Zur Altersentschädigung für Abgeordnete, a. a. O., S. 332; Hans Herbert von Arnim: Macht macht erfinderisch, a. a. O., S. 77/78.

(50) Willi Geiger in der Diskussion. In: Politik als Beruf? a. a. O., S. 142.

(51) BVerfGE 76, 256 II (S. 343).

(52) Zitiert in: Hans Herbert von Arnim: Politik macht Geld, a. a. O., S. 32.

(53) Ingo von Münch: Minister und Abgeordneter in einer Person. Die andauernde Verhöhnung der Gewaltenteilung, in: Neue Juristische Wochenschrift, München und Frankfurt am Main 1998, Nr. 1/2, S. 35.

(54) Vgl. Bayerisches Abgeordnetengesetz, Artikel 6 Abs. 6.

in: UTOPIE kreativ, H. 143 (September 2002), S. 804-814