Die neue PDS - pluralistischer Sozialismus

Die PDS hat auf ihrem Parteitag in Gera das drohende Chaos vermieden. Das ist nicht wenig angesichts der Ausgangsbedingungen. ...

... Die Wahlniederlage - die PDS zieht lediglich mit zwei Direktmandaten in den Reichstag ein - hatte die seit langem aufgestauten Widersprüche in der Partei schlagartig freigesetzt. Die von der Parteivorsitzenden Gabi Zimmer zunächst angestrebte Lösung, mit einem breit angelegten innerparteilichen Bündnis eine Erneuerung der Parteiprogrammatik und der Parteiorganisation anzustreben, wurde durch Ansprüche einer so genannten Reformer-Strömung offen konterkariert, die vor allem in den Landesverbänden Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt deutlichen Rückhalt hat.
Aus dem engeren Führungskreis - u.a. von Bundesgeschäftsführer Bartsch und der stellvertretenden Vorsitzenden Pau - waren Gegenkandidaturen zum Parteivorsitz angemeldet und mit Zimmers unzureichenden Führungsqualitäten begründet worden. Die Vorsitzende war zugleich mit der Absicht gescheitert, dem Parteitag einen Leitantrag des Parteivorstandes zu präsentieren.

Die Gruppe um Gabi Zimmer, hinter der die Landesverbände Sachsen und Thüringen sowie große Teile der Parteitagsdelegierten aus den westdeutschen Bundesländern standen, plädiert für eine Neubestimmung des "sozialistischen Profils" und eine stärkere Ausrichtung auf gesellschaftliche Konflikte und Protestpotenziale. Was das heißt, wird vor allem an der Abgrenzung zur Sozialdemokratie deutlich, die sich längst den Globalisierungszwängen und dem Neoliberalismus unterworfen habe. Folglich wird das Ergebnis der Bundestagswahl als Rechtstrend interpretiert, der von der zweiten rot-grünen Regierung künftig noch verschärft würde. Die Weigerung, den US-Ansprüchen in Sachen Irak-Konflikt zu folgen, und die Betonung von "sozialer Gerechtigkeit" seien bloße Wahlrhetorik. Die zentrale Botschaft der Parteivorsitzenden fand eine deutliche Mehrheit der Parteitagsdelegierten: "In Opposition zum Neoliberalismus, zu den herrschenden Verhältnissen zu sein und gleichzeitig Reformalternativen zu entwickeln, sie in Politik umzusetzen", sei die einzig adäquate Strategie.

Die Machtansprüche der "Reformer", ihr bisweilen arrogantes und wenig solidarisches Agieren, hatte den Nährboden für die Mehrheit der Zimmer-Gruppe geliefert. Die "Reformer", die im Vorfeld des Parteitages siegessicher eine Richtungsentscheidung eingefordert hatten, sahen sich je nach Abstimmungsmaterie auf ein Drittel bis ein Viertel der Delegiertenstimmen reduziert. Auf dem Parteitag wurden sie des Opportunismus verdächtigt, wodurch das sozialistische Profil der PDS in der Öffentlichkeit weiter verwischt würde. Hiervon profitierte die Zimmer-Gruppe, die mehr durch die Ablehnung der "Reformer" und wachsende Skepsis über die Koalitionspolitik der PDS in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin zusammengehalten wird, denn durch programmatische und strategische Gemeinsamkeiten.

Programmatische Differenzen und unterschiedliche politische Strategien wurden auf dem PDS-Parteitag in Gera zwar immer wieder beschworen, eine inhaltliche Auseinandersetzung oder gar ein Dialog kam jedoch nicht zustande. Eine auch nur ungefähre Vorstellung von dem, was "flexibler Kapitalismus" heute heißt, mit den Tendenzen zum Umbau des Lohnarbeitsverhältnisses, der Arbeitsmärkte und der Systeme sozialer Sicherung, eingebettet in fragile internationale Konkurrenzverhältnisse und die hegemoniale Machtstrukturen des US-Kapitalismus, wurde in den stundenlangen Debatten nicht angeboten. Stattdessen wurde die Negation der Politik der Sozialdemokratie beschworen. Doch das allein ist bei weitem noch kein Qualitätsausweis des Linkssozialismus, auch wenn es das politisch-moralische Gewissen vieler "Sozialisten" beruhigen mag, besser als die ordinäre Sozialdemokratie zu sein.

Die Parteivorsitzende Zimmer hat auf dem Parteitag ein holzschnittartiges Gesellschaftsbild präsentiert. Man kann ihren Kernsatz - "die Sozialdemokraten haben nicht herausgefunden, was dem Neoliberalismus ernsthaft entgegenzusetzen ist. Sie haben noch nicht einmal danach gesucht" - wohlwollend so interpretieren, dass auch die PDS noch keine konkreten Antworten hat, aber eben auf der Suche ist. Bringt man den Optimismus zu dieser Interpretation auf, könnte man sagen, dass Gabi Zimmer jetzt eine zweite Chance hat, diesen Such- und Lernprozess zusammen mit einem neuen Vorstandsteam zu organisieren.

Für viel Entrüstung sorgte auf dem Parteitag die ausgesprochene Befürchtung des PDS-Bürgermeisters Harzer, der sich in den Debatten manchmal in die finsteren Zeiten der "Sozialfaschismus-Theorie" zurückversetzt fühlte. Die vordergründige politische Abschreibung der Sozialdemokratie nach Rechts oder als bloß weichgespülte Variante des Neoliberalismus ist allerdings Teil des Problems der PDS und kein Lösungsansatz. Die PDS muss eine eigene Konzeption zur Bändigung und Überwindung des flexiblen Kapitalismus entwickeln.

Die rot-grüne Regierung wird angesichts der schwierigen ökonomischen und gesellschaftlichen Verhältnisse weit hinter den Erwartungen ihrer WählerInnen zurück bleiben. Somit existiert für eine linkssozialistische Partei die strategische Herausforderung, die rot-grüne Politik von links unter Druck zu setzen. Je konkreter dies mit gesellschaftlichen Alternativen unterstrichen wird, und je stärker die Verbindung zwischen dieser Politik und dem Ziel einer umfassenden Gesellschaftsreform herausgestellt wird, desto größer wird die gesellschaftliche Akzeptanz einer linkssozialistischen Partei ausfallen. Sollte das Team um die alte und neue Vorsitzende dieser Ausgabe ausweichen, werden sich Wahlniederlagen und innerparteiliche Polarisierung nur als Zwischenetappe auf dem Weg zu einer sozialistischen Sekte erweisen.