Grundprobleme der Erneuerung der PDS

Die PDS steckt in einer schweren Krise. Viele Stimmen in der Partei raten zu einer gründlichen Selbstkritik und einem Prozess der Neuerfindung oder Wiederbegründung.Für einige Strömungen der PDS,.

... die mindestens in den letzten Jahren nicht ohne Einfluss in Sachen Parteifunktionen und politische Mandate waren, gibt eine zugespitzte Erklärung für das wahlpolitische Desaster. "Der entscheidende Grund für die PDS-Wahlniederlage liegt in der Politik der Anbiederung an ›Rot-Grün‹...Die PDS (verlor) eindeutig überall dort am meisten, wo sie für die neoliberale Spar- und Privatisierungspolitik zu recht als mitverantwortlich verstanden wird." (jw 27.9./10). Es lässt sich nicht bestreiten, dass in der politischen Auseinandersetzung mit der Sozialdemokratie Fehler gemacht worden sind; gleichwohl ist der politische Absturz nicht allein aus diesem Aspekt heraus zu erklären.

Brie, Chrapa und Klein schlagen demgegenüber eine differenziertere Behandlungsweise vor. In dieser Positionsbestimmung finden sich eine Reihe von weiterführenden Kritikpunkten oder Reformvorschlägen:

# Es existierte kein gemeinsames strategisches Konzept in der PDS-Führung; daher wurden unterschiedliche Linien sichtbar, Fehler bei der personalpolitischen Konzeption, der Wahl- und Kommunikationstrategie waren die Folge. Die PDS ist nicht im wirksamen Gespräch mit sozialen Bewegungen, Verbänden usw..

# Eine Parteireform wurde nicht angestrebt, die innerparteiliche Situation wurde nicht als Führungsaufgabe gesehen; teilweise wurde die Verlagerung der Kompetenzen von den Vorständen zu den Parlamentsfraktion massiv befördert.

# Eine schnelle Westausdehnung gelang nicht, obwohl schrittweise wichtige Gruppen und Landesverbände entstanden. Neue westliche Mitglieder wurden nicht in den inneren Führungskreis integriert. Es gelang nicht, wichtige Mitglieder bzw. stärkere Gruppen aus den Grünen bzw. den linken Kreisen der SPD oder aus parteipolitisch nicht gebundenen Linken in den Gewerkschaften und den modernen Bewegungen zu gewinnen. Die Barriere zu den kritischen westdeutschen Intellektuellen wurde nie überwunden.

Die Wahlerfolge bis 1999 verdeckten die Erosionserscheinungen; wie sehr die Wahlniederlage hausgemacht ist, zeigt der Umstand, dass die PDS vor allem an den Bereich der Nichtwähler verloren hat.

Schlussfolgerung: Es kann zu einem irreversiblen Zerfallsprozess der PDS kommen, wenn keine umfassende Erneuerung angestrebt und durchgesetzt wird. Denn die politisch-soziale Isolation ist z.T. hausgemacht und kann zu einer völligen Bedeutungslosigkeit in den Medien und dem Kommunikationsalltag führen.

Der politische Absturz der PDS ist hausgemacht und hat viel mit den Schwierigkeiten zu tun, sich gegenüber den grünen Hauptthemen - Ökologie, Friedenspolitik - und einer Sozialdemokratie abzusetzen, die sich aus der Mitte der Gesellschaft in Richtung der unteren sozialen Schichten, Sozialverbänden und Gewerkschaften bewegt hat. Mitglieder der PDS und ein Großteil ihrer Wähler erwarten, um den früheren Parteivorsitzenden Bisky zu zitieren, "dass wir strategisch klar orientiert sind auf eine linkssozialistische Politik und nicht auf eine Versatz-SPD oder eine Versatz-DKP." Eine solche Orientierung wäre kein Beitrag, um aus der Krise herauszufinden.

Aber was sind die wesentlichen Merkmale einer linkssozialistischen Politik zu Beginn des 21. Jahrhunderts? Bekanntlich gibt es über diesen Archimedischen Punkt einer Linken jenseits von Grünen und europäischer Sozialdemokratie keinen Konsens. Die Mitglieder und Sympathisanten der PDS teilen dieses folgenreiche Defizit aber mit dem Großteil der linkssozialistischen Parteien in Europa. Es lohnt sich einen kurzen Blick über den Tellerand der Berliner Republik werfen, bevor wir auf die hausgemachten Fehler zurückkommen.

Die Wahlen in Italien, Portugal, Frankreich oder Schweden haben ein ähnliches Bild gebracht. Die beiden großen politischen Lager - das Bürger- und Kleinbürgertum einerseits und der Großteil der Lohnabhängigen aller Kategorien andererseits - sind - von der Wahlbeteiligung abgesehen - nahezu gleichgewichtig und in den letzten Jahrzehnten hat es keine erdrutschartigen Verschiebung gegeben. Kleinere Verschiebungen im politischen Kräfteverhältnis haben in Europa entweder Mitte-Links oder - wie in den letzten Jahren - eine Rückkehr der politischen Rechten an die Macht gebracht. Massive politische Veränderungen gibt es allerdings innerhalb der Blöcke. Im bürgerlichen Spektrum gewinnen rechtspopulistische Strömungen und Positionen an Bedeutung. Auf der linken Seite hat die Sozialdemokratie in den zurückliegenden Jahren in Europa deutlich an Gewicht eingebüßt. In den letzten Wahlen hat dann aber vor allem die Linke der politischen Linken - RC, PCF, schwedische Venstre und die PDS - massiv verloren. Die europäische Sozialdemokratie erklärt die Serie der Niederlagen für die Linksregierungen mit der "gemeinsamen Unfähigkeit der politischen Linken, eine angemessene Antwort auf die Ängste und Unsicherheiten zu geben, die sich in den letzten Jahren in unseren nationalen Gesellschaften ausgebreitet haben." (Amato/D`Alema) Diese Zukunftsängste haben mit dem Übergang zu einem flexiblen Kapitalismus zu tun. Die europäische Rechte, und vor allem die teilweise überraschende Resonanz von rechtspopulistischen Parteien wie des Front Nationale, der Liste Pim Fortuyn oder der Schill-Partei, sind darauf zurück zuführen, dass diese Rechtsparteien zwar auch keine wirkliche Antwort auf die Zukunftsängste und Unsicherheiten parat haben, aber die Illusion einer schnellen Verarztung anbieten.

Die europäische Sozialdemokratie hat keine tragfähige Konzeption zur Bekämpfung der Zukunftsängste und räumt dies auch offen ein. Die Aufforderung der italienischen Linksdemokraten an die europäische Sozialdemokratie lautet daher: "Es ist notwendig, dass die europäische Sozialdemokratie schnell ihre Grenzen für nicht sozialistische Reformbewegungen öffnet. Damit sie einen Prozess einleitet, der überzeugte Gesprächspartner in den anderen politischen Familien Europas finden ...wird." Die europäische Sozialdemokratie ist unsicher und verfolgt eine widersprüchliche Politik - aber deshalb kann sie nicht nach rechts abgeschrieben werden.

Für hochproblematisch, wenn nicht gefährlich, halte ich daher den Vorschlag, die PDS solle sich aus der Krise mit einer inhaltslosen Absetzung von der Sozialdemokratie herausarbeiten. Die blosse Negation der Konzeptionen der europäischen Sozialdemokratie ist kein Qualitätsausweis des Linkssozialismus. Brie u.a. gehen davon aus, dass die Sozialdemokratie soziale Stabilität herstellen möchte, aber ihr Projekt sich auf die aufstiegsfähigen Teile der Mittelschichten stützt und insoweit die unteren sozialen Gruppen der Gesellschaft erhöhtem Druck und sozialer Polarisierung aussetzen muss. "Die Grundtendenz der Entwicklung ist bei aller Widersprüchlichkeit die eines wachsenden Druckes auf die Erwerbstätigen und Arbeitslosen, der Privatisierung sozialer Risiken, der Erosion der Demokratie und eines wachsenden Gewichts militärischer Gewalt und Gewaltandrohung in den internationalen Beziehungen." An dieser Stelle wäre eine Verständigung über zentrale gesellschaftliche Entwicklungstrends der hochentwickelten kapitalistische Länder notwendig:

# die Ursachen der Akkumulationsschwäche des Kapitals,

# die verschärfte Konkurrenz,

# den Rückbau des Sozialstaates und

# den Übergang zu einer allgemeinen Unsicherheit im Lohnarbeitsverhältnis.

In Kurzform sei hier behauptet: Wir haben es mit einer längerfristigen Destabilisierung der Lohnarbeitsgesellschaft zu tun, die wie eine Druckwelle vom Zentrum ausgehend die ganze Gesellschaft erfasst, mit unterschiedlichen Auswirkungen auf den verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen. Wenn man sich um das Verständnis dieses Prozesses - im Kern der Umbau des Produktions- und Sozialmodells - nicht kümmert, dann werden Änderungen und politische Reaktionen umstandslos dem Neoliberalismus zu geschrieben. Es kann zwar aus meiner Sicht nicht von einer Überwindung der Krise des Fordismus und der chronischen Überakkumulation die Rede sein, allerdings zeichnen sich die Umrisse oder Bausteine eines nachfolgenden Produktionsmodells ab. Wenn man unterstellt, dass die Herausbildung eines solchen Akkumulations- und Regulationsregimes des flexiblen Kapitalismus mit einem neuen sozialen Gesichts von der europäischen Sozialdemokratie und den Mitte-Links-Regierungen angestrebt wird, dann kann der neue Modus der Integration der Lohnabhängigen keineswegs nur auf Zwangsverhältnissen basieren. Wer aber zwischen der Politikkonzeption des bürgerlichen Blocks und dem von Rot-Grün nur mehr unterschiedliche Grautöne oder mehr oder minder starke Rechtstendenzen entdeckt, der muss auch künftig an der gesellschaftlichen Wirklichkeit und dem Alltagsbewusstsein scheitern.

Der harte Streitpunkt der gesellschaftlichen Auseinandersetzung ist damit markiert: Während die neokonservative oder neoliberale Gesellschaftspolitik auf Lohnzurückhaltung, sozialen Druck durch prekäre Beschäftigungsverhältnisse und einen Rückbau sozialer Transfers und Dienstleistungen zielt, wird in dem Gesellschaftsprojekt von Rot-Grün eine solche Konzeption als letztlich undemokratisch, uneffektiv und neue Anpassungszwänge der Wirtschaft produzierend abgelehnt. Angestrebt wird ein "neuer Gesellschaftsvertrag", der auf einer Kombination von Innovation und sozialer Gerechtigkeit basiert.

Unstrittig ist: "Die eindeutige Beantwortung der Frage nach der Einschätzung der Politik der SPD ist deshalb von Bedeutung, weil sich daraus die strategische Positionierung der PDS im hohen Maße ergibt." Es gibt etliche Parteien oder sozialistische Gruppierungen, die die SPD-Politik als neoliberal und rechts angreifen. Die radikale Abgrenzung gegenüber den politischen Projekten der Sozialdemokratie garantiert in Westdeutschland einen Stimmanteil von deutlich unter 2%. Auch die PDS hat bei den letzten Wahlen Stimmenverloren und der Anteil von 1,1% in den alten Bundesländern würde keineswegs sprunghaft in die Höhe schnellen, wenn die SPD-Politik entschiedener angegriffen wird.

Die PDS muss - wie die anderen linkssozialistischen Parteien in Europa - eine eigene Konzeption zur Gestaltung und Überwindung des flexiblen Kapitalismus entwickeln. Die vordergründige politische Abschreibung der europäischen Sozialdemokratie nach Rechts ist Teil unseres Problems und nicht eine Lösungsansatz.

Für die PDS stellt sich die Aufgabe: Wie kann von den Inhalten, der Programmatik und dem Politikstil (Kultur) diese vielfach sektiererische Kritik vermieden und zugleich ein linkssozialistisches Projekt populär gemacht werden? Der Ratschlag, die starken rechten Züge der Politik der SPD anzugreifen, wäre dann nachvollziehbar, wenn er mit einer Einschätzung der sozio-ökonomischen Entwicklung und den gegenwärtigen Projekten von Rot-Grün verbunden wäre.

Man kann gute Gründe geltend machen, dass die europäische Sozialdemokratie auch künftig keinen wirklichen Durchbruch bei der Zurückdrängung sozialer Unsicherheit und der Ausweitung gesellschaftlicher Teilhabe erzielen wird. Eine fundierte Kritik an den politischen Konzeptionen der Sozialdemokratie ist freilich nicht auf die Formel von starken Rechtstendenzen zur reduzieren.

Eine demokratische Umgestaltung des Kapitalismus wird nur dann den nötigen Rückhalt bei der Bevölkerung finden, wenn die Politik der Ausweitung sozialer Unsicherheit zur Erhöhung der Leistungsabforderung bei den eigentumlosen sozialen Schichten beendet wird. Es geht mithin um die Entwicklung einer gemischten Ökonomie auf grundlage erweiterter Rechte und Sicherheit der Lohnarbeit. Eine moderne "mixed economy" ist nicht nur charakterisiert durch pluralistische Eigentumsformen (kapitalistische, genossenschaftliche, gemeinnützige und öffentliche Unternehmen), sondern in der Tat durch Rahmenplanung und Investitionslenkung. Allerdings ist der Aktionsradius eines solchen Regulierungs- und Steuerungssystems die europäische Wirtschafts- und Währungsunion. Ohne eine Demokratisierung und Weiterentwicklung von internationalen Kontroll- und Steuerungssystemen (Währung, Kredite, Entwicklung etc.) ist allerdings eine solche längerfristige Perspektive unrealistisch.