Deutsche Telekom:

"Und heute haben wir reinen Tisch gemacht!"

In diesem Herbst hat die Deutsche Telekom einen Rekordverlust von 24,5 Milliarden Euro gemacht. ...

... "Das ist eine gewaltige Zahl", gab der bisherige Telekom-Chef Helmut Sihler zu, "aber wir haben gesagt, um in die Zukunft zu gehen, müssen wir reinen Tisch machen. Und heute haben wir reinen Tisch gemacht."
Stimmt das? Tatsächlich sind dem neuen Chef Kai-Uwe Ricke unpopuläre Entscheidungen abgenommen worden. Das betrifft einen Stellenabbau von 50.000 Arbeitsplätzen. Das gilt für die angekündigte Erhöhung der Grundgebühren. Und es gilt für die Entscheidung, keine Dividenden auszuschütten. Dem gelobten Schuldenabbau soll kein Opfer zuviel sein. Vor allem aber ist der neuen Führung des Telefonriesen die Bereinigung seiner internationalen Abenteuer abgenommen worden. Allein für den amerikanischen Mobilfunkanbieter Voicestream hat die in Bonn ansässige Aktiengesellschaft eine Wertberichtigung von 18 Millarden Euro vorgenommen. Mit anderen Worten: Die Globalisierung hat sich als kostspielig, schlecht gemacht und illusionär erwiesen.

Dabei wartet die Deutsche Telekom nicht allein mit "schockierenden Zahlen" auf. Mit Verlusten, Verschuldung und drückenden Kapazitäten hat die gesamte Industrie zu kämpfen. Und für einen geschichtlichen Vergleich mit der gegenwärtigen Schieflage des Banken- und Versicherungswesens müsste schon auf die Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre zurückgegriffen werden. Dennoch sieht es ausgesprochen katastrophal in der Kommunikationsindustrie aus. Lateinamerikanische Verluste machen der spanischen Telefongesellschaft Telefonica zu schaffen, France Télécom ringt um Handlungsfähigkeit, British Telecom gräbt sich in seine britische Märkte ein. Und die niederländische KPN hat im ersten Halbjahr 2002 mehr Verlust als Umsatz gemacht. So ist die gesamte Industrie mit "Wertberichtigungen" befasst, wodurch das Kapital schrumpft. Können dabei die Erträge gehalten werden, würde das geschrumpfte Kapital ertragreicher sein. Ohne verbesserte Profitrate ist an einen Aufschwung nicht zu denken. Dagegen stehen aber weitere Ertragseinbrüche auf der Tagesordnung.

So ist der Revolutionierung der Kommunikation ein ausgesprochener Katzenjammer gefolgt. Dieser Umschlag geht auf das Konto der Finanzmärkte, deren Spekulation in eine Kapitalvernichtung umgeschlagen ist. Auf die Übertreibung ist sozusagen eine "Untertreibung" gefolgt. Die Verschuldung hat die Ökonomie an den Abgrund einer Deflation geführt. Nun hat die gesamte Wirtschaft es nicht nur mit den Folgen der späten 1990er zu tun. Sie steckt auch in Entscheidungsprozessen über Investitionen, zu denen sie sich nicht durchringen kann. Dafür steht die personalpolitische Hängepartie der Deutschen Telekom. Mit Ron Sommer war sich der Konzern darüber im klaren, dass nicht alles auf einmal zu schaffen war. Allerdings hatte man gedacht, mit Hilfe des auf den internationalen Finanzmärkten mobilisierten Kapitals eine geordnete Umstrukturierung der Beschäftigung mit Revolutionierung der Technik und Expansion verbinden zu können. Dafür hatte Sommer das Personal hinter sich zu scharen gewusst. Wie will sich Sommers Ziehsohn Ricke diese Unterstützung auch gegen die kurzfristigen Erwartungen der Shareholder erhalten, wenn er über keinen kreditpolitischen Spielraum mehr verfügt?

Die Deutsche Telekom glaubt, diese Frage mit ihrer "Vier Säulen Strategie" beantwortet zu haben. Danach soll die Effektivierung des Festnetzgeschäftes die Mittel für drei Zwecke freisetzen, nämlich für die Entwicklung der neuen Zweige, für den Schuldenabbau und die beschäftigungspolitische Restrukturierung. Das alles auch noch bei für die Investitionstätigkeit angezogener Bremse! "Eine konsequent gemanagte Deutsche Telekom ist eine Cash-Maschine", sagte Ricke. Frei übersetzt: Für diese "Cash Maschine" muss das Festnetz-Geschäft wie eine Zitrone ausgepresst werden. Das hat immense Konsequenzen für den betrieblichen Alltag. Damit wird die Kundenanspache "Was kann ich für Sie tun?" auch nicht mehr so leicht über die Lippen gehen können. Der Haken besteht nur darin, dass dieses spartenmäßige Schwergewicht stagniert. Dieser Sparte mutet die Deutsche Telekom jetzt auch noch eine Gebührenerhöhung zu. Nach der überschätzten Globalisierung nun die Unterschätzung der deutschen Binnenmarktschwäche? Für die Entwertung ihres amerikanischen Kapitals waren die rheinischen Buchhalter von einem 40% geringeren Datenumsatz pro Kunde ausgegangen. Für ihre europäischen Erwartungen hatten sie sich um 20% korrigiert. Sollte diese Erwartungskorrektur nicht genügen, steht die nächste Bereinigung ins Haus.