Hier spricht der Deutsche Soldatensender

Wir senden täglich um 6.15 Uhr, 12.30 Uhr, 18 Uhr, 20.15 Uhr und 22.30 auf Mittelwelle 935 KHz. Viele Ostdeutsche der mittleren Generation werden sich noch gut an diese Anmoderation des in Burg ...

... bei Magdeburg stationierten und für - oder besser gegen - die Bundeswehr bestimmten Senders erinnern. Während sich bei den bewaffneten Klassenfeinden in den Kasernen von Wolfsburg, Gifhorn oder Munster-Lager die Begeisterung für die Frequenz in Grenzen hielt, war diese bei der DDR-Jugend nahezu unbegrenzt hoch. Hier erfreute sich der Sender vor allem wegen der Rock- und Popmusik großer Beliebtheit. Unterbrochen nur von dem schaurig-schönen und in der DDR gleichfalls nicht gespielten Lied Ich hattÂ’ einen Kameraden - immer dann, wenn ein Starfighter vom Typ F-104 abgestürzt und dessen Pilot ums Leben gekommen war. Mehr als einhundertundzehn Mal war dies der tragische Fall.

"Soldatensender" - das war keine Erfindung der DDR. Schon im Zweiten Weltkrieg hatte sich der Rundfunk als ein zweckdienliches Instrument zur Ermunterung der eigenen Truppen wie auch für die Information beziehungsweise Desinformation der anderen Seite erwiesen. Zu besonderer Berühmtheit brachte es der Soldatensender Calais unter der Leitung von Hugh Carleton Greene. Deutsche Emigranten wie Günther Cwojdrak, Karl-Georg Egel, Karl-Eduard von Schnitzler oder Erich Fried übten sich dort unter Anleitung von BBC-Journalisten und Armeepsychologen im massenwirksamen Medium in Frontunterhaltung und Feindaufklärung. Als besonders wirkungsvoll erwies sich das Abspielen des Songs Lili Marleen - dann lagen die Landser still und träumten von ihren Liebsten und vom Frieden, der so weit weg war.

Seit 1993 betreibt auch die Bundeswehr einen eigenen Truppenbetreuungssender für die deutschen Soldaten im Ausland. Radio Andernach heißt der neue Soldatensender. Die Ursendung kam aus Somalia, später kam der Kosovo als neues Sendegebiet hinzu, und seit kurzem sendet auch ein Studio Kabul. Die Frequenz dürfte hiesige Leser kaum interessieren. Aber was passiert dort? "Wir machen ein Programm von Soldaten für Soldaten", erklärte ein radiomachender Unteroffizier einer ARD-Hörfunkkollegin in einem Telefoninterview. Und: "Wir haben eine Morning-Show."

Wer bei diesen Worten Assoziationen zu dem vom - populären Film-G.I.-DJ Robin Williams lautstark herausgebrüllten - "Good morning, Vietnam!" herstellt, sollte vorsichtig sein: Kabul ist nicht Saigon, es liegt auch gar nicht in Vietnam, und zudem geht es in Afghanistan um die Verteidigung der Menschenrechte und der Freiheit der gesamten zivilisierten Welt. Der Vietcong ist noch unsichtbarer als im Mekong-Dschungel und heißt hier "Al Quaida" oder "Taliban". Er trägt den Terror in die Welt, die Bundeswehr und ihre Verbündeten hingegen den Frieden ins bergige Land.

Im Großraum Kabul, so hieß es kurz vor Weihnachten im Deutschen Bundestag, sei dies sogar schon zum Teil gelungen. Leider umfaßt dieser Großraum nur einen kleinen Teil des großen Landes. Wohl deshalb sendet Radio Andernach bisher nur im Gebiet des Großraums und vornehmlich für deutsche Soldaten, die "ein Recht auf einen eigenen Rundfunk " haben, wie der Radio-Unteroffizier meint. Am Heiligabend kamen zwei Militärseelsorger auf Sendung und sprachen den Uniformierten fern der Heimat Trost und Segen zu.

Überdies dienen die Sendungen auch dem Kennenlernen der Soldaten untereinander. So sei es für die Wachhabenden doch interessant zu erfahren, was die Soldaten in der Küche so treiben und für diese wiederum, was die Streife so alles erlebe. "Alles" - das wäre natürlich ein bißchen zu viel des Guten im Feindesland. Denn "Feind hört mit" hieß es schließlich zu Zeiten des Soldatensenders Calais.

Wie wäre es, wenn Wolfgang Petry für die Truppe in Kabul Lili Marleen aufnähme? Käme bestimmt gut an. Die Aufnahme sollte dreisprachig produziert werden, denn außer für die eigenen Kameraden sendet Radio Andernach auch in zwei afghanischen Dialekten, die im Großraum Kabul gesprochen werden. Täglich bringe die Streife, so der Radio-Unteroffizier, lobende Kritiken von afghanischen Hörern mit in die Ortsunterkunft des Bundes.

Der Unteroffizier war zum Zeitpunkt des Interviews erst eine Woche vor Ort. Seine ersten Eindrücke vom Land? Es sei alles ganz anders. Kabul liege sehr hoch, die Soldaten interessierten sich besonders für das Wetter, und wenn man in Kabul aus dem Flughafengebäude käme, stünde nirgends ein Taxi.

Ähnlich schlechte Bedingungen könnten auch in der irakischen Wüste herrschen. Aber der Sondersold des Bundes wirdÂ’s - vielleicht - vergessen lassen.

in: Des Blättchens 6. Jahrgang (VI) Berlin, 20. Januar 2003, Heft 2, S. 5-7