Keine Monopole im illegalen Markt

Die Fehldeutung des Drogenhandels

in (01.05.2003)

Niemand weiß, was organisierte Kriminalität eigentlich genau ist. Wenn nach konkreten Manifestationen in einem Land wie der Bundesrepublik gefragt wird, wird auf Phänomene wie den Drogenhandel...

Niemand weiß, was organisierte Kriminalität eigentlich genau ist. Wenn nach konkreten Manifestationen in einem Land wie der Bundesrepublik gefragt wird, wird vorrangig auf Phänomene wie den Drogenhandel und den Handel mit anderen illegalen Gütern und Dienstleitungen verwiesen. Aus den dazu gehörigen Fallzahlen wird abgeleitet, dass die Gefahr aufgrund organisierter Kriminalität hoch sei. Diese Gefahr wiederum wird zur Untermauerung der Forderung angeführt, dass der Staat diese Kriminalitätsform mit allen Mitteln bekämpfen und deswegen neue weit reichende Maßnahmen der Strafverfolgung einführen müsse.
Allerdings stellt sich die Frage, was genau an organisierter Kriminalität so gefährlich ist. Ein besonderes Gefährdungspotential kann ohne weiteres mafiosen Strukturen unterstellt werden, die durch den Aufbau einer Parallelgesellschaft demokratische Errungenschaften unterwandern. Solche mafiosen Strukturen sind gemeinhin das, was im öffentlichen Diskurs als organisierte Kriminalität verstanden wird. Darüber, ob die im Drogenhandel oder anderen illegalen Märkten tätigen Gruppierungen tatsächlich solche Strukturen bilden, sagen die Fallzahlen von Drogen- oder anderen illegalen Marktdelikten nichts aus. Um ein realistisches Bild der tatsächlichen Gefährdung zu erhalten, muss vielmehr der illegale Markt an sich genauer betrachtet werden.

Nach dem vom Bundeskriminalamt (BKA) jährlich erstellten "Lagebild Organisierte Kriminalität" wurden im Jahr 2001 787 Ermittlungsverfahren geführt, die Fälle der so genannten organisierten Kriminalität betrafen.1 Die Definition organisierter Kriminalität, die das BKA diesem Lagebild zugrunde legt, lautet:
"Organisierte Kriminalität ist die von Gewinn- oder Machtstreben bestimmte planmäßige Begehung von Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung sind, wenn mehr als zwei Beteiligte auf längere oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig
a) unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen,
b) unter Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel oder [Hervorhebung Verf.]
c) unter Einflussnahme auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft zusammenwirken."2
Diese Definition ist so weit, dass daraus keine Rückschlüsse auf das tatsächliche Gefährdungspotential zu ziehen sind, das darunter zu subsumierende Fälle mit sich bringen. Sie trifft sowohl auf hierarchisch und mit klarer vertikaler Aufgaben- und Machtverteilung ausgestattete Syndikate als auch auf kleinste Jugendbanden zu, die mehr zufällig gemeinsam Tankstellen ausrauben. Eine spezifische Gefahr der Fälle, die im so genannten Lagebild als Fälle der organisierten Kriminalität hervorgehoben und damit implizit als besonders schwerwiegend präsentiert werden, ergibt sich also nicht ohne weiteres aus einer Eingrenzung durch die Definition. Dadurch, dass eine spezifische Gefahr der Fälle des Lagebilds nicht klar bewiesen ist, bleibt dann ebenfalls unklar, ob der Hinweis darauf im Zuge grundsätzlicher Reformen des Strafprozessrechts begründet ist. Dasselbe gilt für die Frage, ob der in der Praxis zu beobachtende besonders hohe Ermittlungsaufwand in diesen Fällen gerechtfertigt ist.

Dunkle Gegenwelten

In seiner Bedeutung im öffentlichen Diskurs impliziert der Begriff "organisierte Kriminalität" eine besondere Art der Verbindung zwischen Kriminellen. Er verweist auf medial vermittelte Bilder von dunklen Gegenwelten der Illegalität. Damit gemeint sind die Mafia oder auch Kartelle bzw. Syndikate, wie andere Ausdrücke für dasselbe Phänomen lauten. Darunter werden allgemein Gruppierungen großen Ausmaßes verstanden, die hierarchisch strukturiert und nach außen abgeschottet, eigenen Regeln entsprechend sowohl in der illegalen wie der legalen Ökonomie aktiv sind und insgesamt eine Art Gegenmacht zum Staat bilden. Die Vorstellung von solchen kriminellen Verbindungen ist in der Tat erschreckend und könnte durchaus Verständnis für besonderes Engagement von gesetzgebenden Organen und Strafverfolgungsbehörden wecken. Ob diese kriminellen Verbindungen real zu beobachten sind, kann jedoch, wie gesagt, aus den Angaben des Lagebilds aufgrund der weiten Definition nur schwerlich abgeleitet werden.
Einen anderen Ansatz, um das Ausmaß der tatsächlichen Gefahr dessen festzustellen, was unter organisierter Kriminalität verstanden wird, bietet die Untersuchung der Kriminalitätsfelder, auf denen deren Engagement verortet wird. Die Verfahren, die als solche der organisierten Kriminalität eingeschätzt wurden, betrafen laut BKA im Berichtsjahr 2001 zu über einem Drittel das Kriminalitätsfeld des Rauschgifthandels und -schmuggels.3 Diese enge Verknüpfung von organisierter Kriminalität und Drogenhandel findet sich nicht nur bei der deutschen Polizei, sondern weltweit.4 Generell lässt sich festhalten, dass heute ein wichtiges Element des Verständnisses organisierter Kriminalität deren Betätigung im Rahmen illegaler Märkte ist.

Künstliche Schöpfung

Unter dem Begriff des illegalen Marktes sind Handelsplätze zu verstehen, auf denen verbotene oder besonderen Reglementierungen unterliegende Güter und Dienstleistungen angeboten und ausgetauscht werden. Solche Güter und Dienstleistungen sind neben Drogen, die das zahlenmäßig bedeutendste einschlägige Produkt darstellen, Menschen, Waffen, gestohlene oder gefälschte Waren, das Ermöglichen von illegaler Einwanderung, die Investition illegal erwirtschafteter Gelder, Prostitution oder Glücksspiel.
Illegale Märkte sind künstliche Schöpfungen, da ihr Ursprung in seit dem 19. Jahrhundert von Staaten oder Staatenbünden eingeführten Unterscheidungen zwischen besonderen Beschränkungen unterliegendem und freiem Handel liegt.5 Die Begründungen für derartige Beschränkungen sind dabei nicht unbedingt als rational zu bezeichnen, sondern eher moralischer oder machtpolitischer Art.6 Die ersten Bereiche, in denen solche Beschränkungen eingeführt wurden, waren der Sklaven- und der Drogenhandel. Dass damit existierende Handelsströme von einem Augenblick zum nächsten von der legalen in die illegale Ökonomie verlagert wurden, hatte zur Folge, dass die Abläufe, Produktionsstätten und Vertriebswege weitgehend gleich blieben und sich der Handel insofern insgesamt nicht grundlegend vom legalen unterschied. Dasselbe ist für die Phase der Alkohol-Prohibition in den USA in den zwanziger Jahren nachgewiesen, in der sich die weiterhin produzierenden industriellen Brennereien zwar andere Vertriebsverbindungen suchten, grundsätzlich aber die gewohnten Bahnen nicht verlassen haben;7 insbesondere kam es dabei nicht zu Monopolbildungen. Vielmehr hatten auch kleine Familienunternehmen, die in der Küche Schnaps brannten, Anteil am Marktgeschehen.
In der Anfangszeit der Verbote bestimmter Waren zeichneten sich die diese Verbote umgehenden Märkte also durch ihre relative Nähe zu den legalen Wirtschaftszusammenhängen aus. Wenn man nicht sowieso jeden kapitalistischen Markt als kriminell und gefährlich bezeichnet, so lässt sich aus der Entstehungsgeschichte der illegalen Märkte nicht ableiten, wieso die damit verbundene Kriminalitätsform "organisierte Kriminalität" eine spezifische Bedrohung bedeutet, die mit allen erdenklichen Mitteln bekämpft werden muss.

Sanduhr

Der heutige Drogenmarkt unterscheidet sich von dem des 19. Jahrhunderts grundsätzlich hinsichtlich der gehandelten Substanzen, die im Laufe der Zeit immer mehr synthetisiert wurden.8 Die Ergänzung der traditionellen Stoffe Opium und Coca um daraus gewonnene halbsynthetische Stoffe wie Heroin und Kokain sowie um vollsynthetische Stoffe wie Barbiturate, Amphetamine oder als Entwicklung der achtziger Jahre Ecstasy ging damit einher, dass sich Produktionsweisen, Handelsrouten und Verteilungskreisläufe diversifizierten.
Diese Veränderungen hatten jedoch gerade nicht zur Folge, dass der Drogenhandel nunmehr Monopolcharakter oder überhaupt einen klaren Aufbau aufweist. Es gibt keinen vertikal hierarchisch strukturierten, pyramidenförmigen illegalen Handelsweg, in dem eine Gruppierung - sei es eine "Mafia" oder ein "Verbrechenssyndikat" - von Anbau bis Straßenverkauf alles kontrolliert.9 Im Gegenteil spricht man von der so genannten Sanduhr, bei der an den beiden Enden des Handelswegs auf der einen Seite eine Vielzahl von Produktionsstätten und auf der anderen Seite eine Vielzahl von Einzelverkaufsstellen steht, die durch eine geringere Zahl von Vermittlungsposten verbunden sind. Organisiert sind diese Zusammenhänge nur in dem Sinne, dass es auf den jeweiligen Ebenen eines gewissen Maßes an Planung und Absprache bedarf, um die Geschäfte abzuwickeln. Konkret muss im Einzelfall "organisiert" werden, wann zu welchem Preis welche Menge durch welche Botenperson an welchen Ort verbracht wird. Es gibt gerade keine dauerhaften Abläufe und festen Strukturen, denen gemäß zum immer gleichen Zeitpunkt dieselben Personen Waren austauschen, oder eine über allen Handelsverbindungen stehende Macht, die den gesamten Warenaustausch kontrolliert. Im Ergebnis heißt das: organisiert ist die Durchführung eines einzelnen Geschäfts und eben nicht der Markt an sich.10
Dabei unterscheidet sich der illegale Markt des Drogenhandels wiederum nicht von legalen Märkten, in denen ebenso "organisiert" werden muss, wie Waren importiert oder verkauft werden. Der Drogenmarkt insgesamt bildet also nicht die "mafiose Gegenwelt" zur legalen Ökonomie.

Überall Netzwerke

Auch die einzelnen Ebenen des Marktes unterstehen keineswegs einer bestimmten Kontrollinstanz, haben keine klare Struktur und sind nicht nach abstrakten Regelungen bestimmt. Weder die Produktion, noch Groß- oder Kleinhandel werden von mafiosen oder syndikatsähnlichen Gruppierungen dominiert.
Am ehesten leuchtet das auf der Ebene des Kleinhandels, bei den so genannten Dealern, ein. Zwar gibt es auch dort Vereinbarungen zwischen Einzelnen und rudimentäre Arbeitsteilung, jedoch gehen diese Organisationsformen auf unverbindliche Netzwerke von Bekannten- und Freundeskreisen zurück und bilden keine bürokratischen und zentralisierten oder auch nur einigermaßen festen Zusammenschlüsse.11
Der öffentlichen Vorstellung würde entsprechen, dass jedenfalls auf der mittleren Ebene des Groß- beziehungsweise Zwischenhandels finanzstarke und machtvolle Gruppierungen wirken würden. Im Gegenteil stellt sich jedoch die Situation auf dieser nächsten Stufe des Drogenmarkts als ebenso offen und variabel wie die Verbindungen im Kleinhandel dar.12 Die Verteilungsebene machen Netzwerke voneinander unabhängiger Figuren (trader and broker)13 aus und nicht hierarchisch strukturierte, komplexe eigenständige Gebilde.
Selbst in Italien, wo der Mafia als kulturell begründeter sozialer Struktur eine machtvolle Position gegenüber dem Staat zugeschrieben wird,14 ist ihr Einfluss auf den Drogenmarkt, der in Italien genauso wie in anderen Ländern offenem und ungeordnetem Wettbewerb unterliegt, nachweislich gering.15
Schließlich scheinen auf der Ebene der Produktion die Voraussetzungen dafür gegeben zu sein, dass starr gegliederte Gruppierungen Kontrolle darüber ausüben können, da die Produktionsstätten der großen Drogenmärkte relativ kleine geographische Räume betreffen - Heroin kommt fast ausschließlich aus Afghanistan und Myanmar und Kokain vorrangig aus Kolumbien, Peru und Bolivien. Dem entspricht es, dass die so genannten kolumbianischen Kartelle als besonders gefährliche Form organisierter Kriminalität in der öffentlichen Vorstellung verankert sind. Allerdings zeichnen sich selbst dort die Verbindungen zwischen den Anbauenden und den weiter Vermittelnden nicht durch Abhängigkeit, Starrheit und formalisierte Rechtsbeziehungen aus, sondern beruhen auf verwandtschaftlichen und freundschaftlichen Bindungen, deren entscheidendes Strukturelement eher Kooperation als Hierarchie ist.16

disorganized crime

Weder der Drogenmarkt insgesamt noch seine einzelnen Ebenen sind also in dem Sinne "organisiert", dass eine bestimmte Macht nach formellen Regeln die Kontrolle ausübt. Vielmehr ist der Marktzugang offen, die MarktteilnehmerInnen agieren autonom über verbindende Netzwerke, der Markt selbst ist fragmentarisch und instabil sowie in seinen Abläufen veränderlich und flexibel. Dieses Bild erstaunt zwar, wenn man es in Zusammenhang mit der Verbindung des Drogenhandels zur so genannten organisierten Kriminalität sieht, ist es doch der diesbezüglichen öffentlichen Vorstellung fundamental entgegengesetzt, die mit dem Begriff der organisierten Kriminalität eine Gegenmacht zum Staat mit nach außen abgeschotteter und starrer innerer Struktur verbindet. Es lässt sich aber ohne weiteres mit dem Charakter des illegalen Marktes erklären. Zunächst gründet sich der Drogenmarkt wie jeder Markt im Kapitalismus auf die Gewinnerzielung, er funktioniert insofern generell nicht nach mysteriösen Logiken, sondern zweckrational.17 Es geht um die Abwägung des Risikos gegen das Gewinnpotential einer bestimmten Handelsoption.
Aus dieser Ausrichtung an der Risikoabschätzung, die für sich genommen genauso in der legalen Ökonomie zu beobachten ist, ergeben sich aufgrund der besonderen Umstände, die illegale Transaktionen mit sich bringen, auch die oben genannten Eigentümlichkeiten des Drogenhandels, die Offenheit, Instabilität und Flexibilität der Netzwerkstruktur. Sie leiten sich daraus ab, dass der illegale Markt besondere Risiken birgt, die in die rationale Logik des Marktes miteinbezogen werden müssen. Die besonderen Risiken sind prinzipiell darauf zurückzuführen, dass es aufgrund der Illegalität des Handels keinen formalen Apparat gibt, der die Einhaltung von Handelsabsprachen garantiert. In den illegalen Märkten können diejenigen, die sich um die Gegenleistung betrogen sehen, nicht vor Gericht ziehen, wie es bei legalen Geschäften möglich ist, sondern müssen auf die Anwendung von Gewalt zurückgreifen. Darüber hinaus ist ein illegales Geschäft auch immer davon bedroht, dass die Strafverfolgungsbehörden die Waren sicherstellen und so seine Durchführung verhindern.
Beide Punkte bedeuten ein spezifisches Risiko, dem illegale Geschäfte ausgesetzt sind und das sich nur dann verringern lässt, wenn entweder der Wert des Geschäfts nicht so hoch ist, dass bei einem Fehlschlag große Verluste drohen, oder die einzelnen Beteiligten einander vertrauen und deswegen von den Strafverfolgungsbehörden unbehelligt in klandestinen Netzwerken den illegalen Austausch vollziehen können. Somit erklärt sich, weshalb der Drogenmarkt nicht in seiner Gesamtheit vertikal "durchorganisiert" beziehungsweise von einer Organisation kontrolliert werden kann, sondern über eine Vielzahl kleiner, überschaubarer und veränderbarer Verknüpfungen läuft.

Welche Gefahr?

Den Drogenhandel an sich zeichnet aus, dass die dort tätigen Personenverbindungen eher desorganisiert als organisiert sind. Gleichzeitig gibt es sehr genaue Erkenntnisse über Produktionsstätten, Handelswege und Verkaufsstellen.18 Der Drogenmarkt kann also weder deswegen als spezifische Gefahr eingeschätzt werden, weil die dort handelnden Gruppierungen eine besondere hierarchisch strukturierte, abgeschottete und kontrollierende Macht repräsentieren, noch weil die tatsächliche Ausformung des Marktes im Dunklen liegt. Im Gegenteil ist das Bild des Drogenmarktes nicht nur in Bezug auf die äußeren Umstände, also den Weg von der Produktion bis zum Verkauf, sondern auch in Bezug auf die inneren Verhältnisse relativ klar erforscht. Die tatsächliche offene und fragmentarische Struktur der Personenverbindungen, die an die besonderen Risiken des illegalen Marktes angepasst ist, steht dabei in krassem Gegensatz zu der allgemein verbreiteten Vorstellung von organisierter Kriminalität als "Mafia". Somit läuft eine auf die besondere Gefahr der "organisierten Kriminalität" im herkömmlichen Sinne gestützte Begründung gesetzlicher wie praktischer Maßnahmen fehl, wenn sie die Realisation der Gefahr im kriminellen Geschehen des Drogenhandels verortet. Denn der Drogenmarkt kann weder in seiner äußeren Form noch in seiner inneren Beschaffenheit mit der spezifischen Gefahr einer mafiosen Gegenwelt in Zusammenhang gebracht werden.
Es bleibt indes die Frage, ob seine tatsächliche Struktur nicht gleichwohl ein eigenes Gefahrenpotential in sich birgt. Aus der Tatsache, dass die Personenverbindungen offen und flexibel sind, könnte zwar abgeleitet werden, dass sie besonders anpassungsfähig und deswegen gegen Strafverfolgungsbemühungen gefeit seien. Das jedoch ist nicht das Argument, das zur Begründung der besonderen Maßnahmen zur Bekämpfung der spezifischen Gefahr der organisierten Kriminalität angeführt wird. Vielmehr knüpft diese Begründung an die Vorstellung einer abgeschotteten, undurchlässigen Gegenwelt an, die mit vormals den Geheimdiensten vorbehaltenen heimlichen und täuschenden Maßnahmen (wie Verdeckten Ermittlungen oder akustischen Überwachungsmethoden) unterlaufen werden muss.
Zudem finden die genauen Kenntnisse über Aufbau und Abläufe des Drogenmarkts faktisch bereits in effektiven Gegenmaßnahmen Umsetzung. Von den circa 925 t Kokain, die jährlich produziert werden, werden 360 t, also annähernd 40% abgefangen.19 Grundsätzlichere Ansätze zur Verringerung der Produktion auf internationaler Ebene werden dagegen nicht konsistent verfolgt.20
Ein eigenes Gefahrenpotential des Drogenmarktes, das von der allgemeinen Vorstellung von organisierter Kriminalität entkoppelt ist, kann also weder als Begründungshintergrund für die mit dem Verweis auf organisierte Kriminalität eingeführten Maßnahmen dienen, noch kann behauptet werden, dass diese denkbare Gefahr außer Kontrolle zu geraten droht, ohne dass Gegenstrategien existieren.

Zahlenlogik

Insgesamt erscheint nach genauer Betrachtung des Phänomens "Drogenhandel" unklar, wieso eben diese Art der kriminellen Betätigung so eng mit dem Begriff "organisierte Kriminalität" und dem ihr zugeschriebenen spezifischen Gefahrenpotential verknüpft wird. Zur Erklärung dessen kann das Spannungsverhältnis zwischen der Tatorientierung der heutigen westeuropäischen Strafrechtssysteme einerseits und der Vorstellung von organisierter Kriminalität als der Kriminalität bestimmter Personenverbindungen andererseits herangezogen werden.
Der Erfolg eines Strafverfahrens ist in den heutigen westeuropäischen Strafrechtssystemen mit der Aburteilung von Straftaten verbunden. Das Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden gegen organisierte Kriminalität hingegen fokussiert auf bestimmte Personenverbindungen, die der organisierten Kriminalität zugeordnet werden - der Erfolg dieses Vorgehens kann also nicht unmittelbar nach strafrechtlichen, also tatorientierten Kategorien gemessen werden. In diesem Spannungsfeld stellen die marktförmigen Delikte eine Übergangsmöglichkeit dar. Die Existenz eines Marktes für illegale Drogen bietet den Strafverfolgungsbehörden einen beständigen Anknüpfungspunkt für Ermittlungen gegen bestimmte Personengruppierungen, bringt aber parallel mit relativ großer Wahrscheinlichkeit auch strafrechtlich zählbare Erfolge im Sinne von Verurteilungen und Sicherstellungen von Drogen und Drogengeldern mit sich. Die Doppelbedeutung des Bereichs "Drogen" als Marktstruktur einerseits und Handlungsfeld andererseits verknüpft insofern die abstrakte Zielrichtung der modernen polizeilichen Ermittlungen gegen Kriminelle und die traditionelle Ausrichtung des Strafrechts auf Straftaten.
Insofern stellt die Verknüpfung von Drogenhandel mit organisierter Kriminalität ein effektives Mittel dar, gleichzeitig das polizeiliche Vorgehen gegen organisierte Kriminalität und die diesbezüglichen gesetzgeberischen Maßnahmen als notwendig wie als erfolgreich zu präsentieren, indem auf die gleichmäßig hohen Fallzahlen, die aus der Kontinuität der Nachfrage im Drogenmarkt resultieren, rekurriert wird. Die Fehldeutung des Drogenmarkts als monopolistischer Struktur, in der kriminelle Organisationen tätig seien, die eine spezifische Gefahr für das Gemeinwesen darstellten, dient insofern dazu, kriminalpolitische Wünsche nach Veränderung zu untermauern.

Anna Luczak promoviert am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg zum Thema "organisierte Kriminalität".

Anmerkungen

1 BKA, Lagebild Organisierte Kriminalität 2001 Bundesrepublik Deutschland - Kurzfassung -. 2002, 4.
2 Gemeinsame Richtlinie der Justizminister/-senatoren und der Innenminister/-senatoren der Länder über die Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaft und Polizei bei der Verfolgung der Organisierten Kriminalität, veröffentlicht in: Kleinknecht / Meyer-Goßner (2001), RiStBV Anlage E, Punkt 2.1.
3 BKA 2002, 10, 15.
4 Siehe nur: National Criminal Intelligence Service (NCIS), UK Threat Assessment 2002, 2002, 6; Fijnaut, Cyrille / Bovenkerk, Frank / Bruinsma, Gerben / Van de Bunt, Henk, Organized Crime in the Netherlands, 1998, 60 ff.
5 Arlacchi 1989, 225 f.
6 siehe zum Heroinverbot in diesem Heft: Löhr, Tillmann, Was bleibt? Heroin freigeben., in: Forum Recht (FoR) 2003, 40 f.
7 Lampe 1999, 230 ff.
8 United Nations Office for Drug Control and Crime Prevention 2001, 13.
9 Besozzi 2001, 61.
10 Naylor 1995, 42.
11 z. B. (für den Verkauf im Südwesten der USA): Adler 1985, 145.
12 Ruggiero / South 1995, 98.
13 z. B. (für die Vertriebstruktur in England): Pearson / Hobbs 2001, vi.
14 Vgl. (zur Mafia allg.): Hess, Henner, Mafia. Ursprung, Macht und Mythos, Taschenbuchausgabe 1993.
15 Becchi 1996, 125 f.
16 Ambos 1993, 38.
17 Arlacchi 1989, 229.
18 Vgl. United Nations Office for Drug Control and Crime Prevention 2001.
19 ebenda, 127.
20 siehe in diesem Heft: Zechmeister, David, Der Drogenkrieg, in: FoR 2003, 48 f.

Literatur:
Adler, Patricia, Wheeling and Dealing. An Ethnography of an Upper-Level Drug Dealing and Smuggling Community, 1985.
Ambos, Kai, Die Drogenkontrolle und ihre Probleme in Kolumbien, Perú und Bolivien, 1993.
Arlacchi, Pino, Mafiose Ethik und der Geist des Kapitalismus, 1989.
Becchi, Ada, Italy: "Mafia-dominated Drug Market"?, in: Dorn, Nicholas / Jepsen, Jørgen / Savona, Ernesto (Hrsg.): European Drug Policies and Enforcement, 1996, 119-130.
Besozzi, Claudio, Illegal, legal - egal? Zu Entstehung, Struktur und Auswirkungen illegaler Märkte, 2001.
Lampe, Klaus von, Organized Crime. Begriff und Theorie organisierter Kriminalität in den USA, 1999.
Naylor, Robert T., From Cold War to Crime War: The Search for a New "National Security" Threat, in: Transnational Organized Crime, Vol. 1, No. 4 1995, 37-56.
Pearson, Geoffrey / Hobbs, Dick, Middle market drug distribution, 2001.
Ruggiero, Vincenzo / South, Nigel, Eurodrugs. Drug use, markets and trafficking in Europe, 1995.
United Nations Office for Drug Control and Crime Prevention, ODCCP Studies on Drugs and Crime: Global Illicit Drug Trends 2001.