Urbane Einsamkeiten

Queer Cinema

Ob Coming Out oder der Alltag von Lesben - in jüngeren asiatischen Filmen dreht sich vieles um die Verschiebung von Identität(en). ...

"New queer cinema" aus Asien ... Das "new queer cinema" aus Japan und China eröffnet in Bildern mit fast unerträglicher Langsamkeit und erdrückender Schwere eine neue Sicht auf homosexuelle Beziehungsstrukturen. Lesbenpaare auf der Leinwand, das allein bietet längst keine neue Perspektive mehr. Begrifflichkeiten wie "schwul" oder "lesbisch" werden zunehmend von einer neuen ersetzt: "queer". Der Begriff hat den Vorteil der Öffnung. Die "Szene" wird hierbei mit ihren in Vergessenheit geratenen Grenzziehungen konfrontiert, die nicht nur das Heterosexuelle ausschließen. Ende der 80er Jahre findet diese inhaltliche Auseinandersetzung Eingang in eine explizit filmische und es entsteht das "new queer cinema". Hierbei stehen nicht mehr nur "queere" oder "schräge" Inhalte im Vordergrund, sondern vor allem eine neue Filmästhetik, die enge Bildgrenzen aufsprengen will. Besonderen Wert legt die neue Generation der FilmemacherInnen auf eine visuelle Auseinandersetzung mit Rollenklischees und eine ästhetisierte Filmsprache. In den Vordergrund rücken sich im Wandel befindende Identitäten, deshalb lösen sich vereinfachende Kategorisierungen von sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität mehr und mehr auf. Das Banale wird zum zentralen Thema, das Schicksalhafte im Alltäglichen zu filmischen Bildern verarbeitet. Nicht nur in Europa und Amerika geht der Trend hin zur Auflösung der Kategorie Identität, auch in Asien beschäftigen sich immer mehr Filme mit der Frage: wie sieht das "ganz normale Leben" von Lesben und Schwulen aus? Was geschieht jenseits von Coming Out und Problemen beim Entdecken oder Ausleben der eigenen sexuellen Orientierung? In den Mittelpunkt rücken zudem die ganz normalen Darstellungen des Alltags - wie in The Mars Canon von der Japanerin Kazama Shiori. Bei ihr geht es um die Distanz zwischen Menschen und ihren Mut, trotzdem fragile, anfechtbare Beziehungen einzugehen. Im chinesischen modernen Film hingegen werden diese Sujets zum ersten Mal verhandelt und Coming Out und Identitätsfindung bekommen großen filmischen Raum. Geradezu klaustrophobisch geht es in Hezi von Echo Y. Windy zu. Die atmosphärisch dichte Dokumentation zeigt ein Lesbenpaar, das von der Außenwelt völlig isoliert lebt. Der Spielfilm Fish and Elephant von Li Yu rückt die Besonderheiten einer lesbischen Beziehung in der großstädtischen Einsamkeit ins Zentrum. Beide Filme dokumentieren jedoch - so unterschiedlich sie auch sein mögen - die allmähliche Öffnung Chinas gegenüber Lebensweisen jenseits der heterosexuellen Norm.

Heimlichkeit und privates Glück

Der Dokumentarfilm My Camera Doesn´t Lie berichtet über chinesische Underground-Filmemacher, die ersten, die sich offen kritisch über das gegenwärtige System äußern. Und er stellt zum ersten Mal die homosexuelle Filmszene des Landes vor: Welchen Problemen begegnen sie bei ihrer Arbeit angesichts des rigiden Zensursystems? Was denken sie über den Wandel Chinas in den 90er Jahren und die künftigen Möglichkeiten? Bereits in Deutschland war die Filmemacherin Solveig Klassen fasziniert von den Arbeiten der jungen chinesischen FilmemacherInnen der so genannten sechsten Generation: "Sie werden offiziell ignoriert, denn sie arbeiten ohne Drehgenehmigung. Ihre Filme sind deshalb in China automatisch verboten. Nur im Untergrund sind sie zu sehen, in kleinen Clubs, Filmkneipen, auf illegalen Minifestivals. Immer bedroht von der Beschlagnahme." Während in den Großstädten die unabhängige Filmszene geradezu boomt, machen die Zensurbehörden den Filmschaffenden jedoch weiterhin das Leben schwer und zwingen sie oft in die Illegalität. Solveig Klassen stellt in ihrer Dokumentation unter anderem den mit Laien gedrehten Film der Regisseurin Li Yu Fish and Elephant exemplarisch für das chinesische Underground-Kino vor. Sie unterstreicht, dass FilmemacherInnen wie Li Yu "Spielfilme auf eine fast schon schmerzhaft dokumentarische Art" drehen. Deren Spielfilm-Debüt ist gleichzeitig der erste chinesische Langfilm über die Liebe zwischen zwei Frauen. Ihre erste Begegnung verläuft derart alltäglich, dass man die Beiden zunächst kaum als Hauptdarstellerinnen wahrnimmt. Xiao Qun arbeitet als Elefantenpflegerin im Tiergarten, Xiao Ling als Verkäuferin in einem Kleidergeschäft. Fast selbstverständlich wird aus dieser Begegnung eine lesbische Beziehung. In ruhigen Einstellungen vollzieht sich die vorsichtige Annäherung der Frauen, nimmt die Heimlichkeit der Beziehung parallel zum drängenden Wunsch der Mutter von Xiao Qun, ihre 30jährige Tochter endlich zu verheiraten, immer stärkeren Raum ein. Fish and Elephant wirft einen differenzierten Blick auf eine Gesellschaft, in der vieles nicht gesehen wird, weil es nicht gesehen werden darf. Die Stimmen, die Geräusche, der Lärm von der Straße bilden dabei eine Art Gegenwelt, die - wie auch die Beziehung der beiden Frauen - ihr eigenes Tempo hat. Li Yu setzt sich auf sehr unpathetische und nuancierte Weise mit dem Thema Heimlichkeit auseinander. Die Frage nach den eigenen Identitäten dringt in allen Einstellungen in das Private ein - somit bricht die Filmemacherin ein chinesisches Tabu. Die Brüche sind immer wieder spürbar, wenn die Suche der beiden Frauen nach einem gemeinsamen Glücklichsein am Unverständnis der Gesellschaft wie eine Mauer abprallt. Die 1973 in Beijing geborene Regisseurin will deshalb in ihrem Film "den Schmerz und die Hilflosigkeit einer Frau darstellen. In ihren Augen ist die Gesellschaft wie eine Mauer. Ihre Hoffnungen und Wünsche liegen jenseits dieser Mauer. Der stille Widerstand, den sie leistet, führt zu immer neuem Druck und Schmerz."

Grenzen des Alltags

Auch der chinesische Dokumentarfilm Hezi handelt von einer labilen Beziehung, von Selbstisolierung und urbaner Einsamkeit. Im Mittelpunkt stehen eine Malerin und eine Sängerin, die als Paar in einer exklusiven Zwei-Personen-Welt leben. "Was mich an dem Film am meisten reizte, war die Möglichkeit, die Lebensweisen anderer Menschen als Zeugin und Chronistin nachzuvollziehen", beschreibt die Regisseurin Echo Y. Windy. "Einzig der Prozess der Aufzeichnung macht ihr Leben transparent". Nur wenn sich ihre Protagonistinnen unbeobachtet fühlen, können sie ganz unbefangen und offen über ihre Kindheit, Familie, ihren sexuellen Missbrauch und erste Erfahrungen mit Männern reden. In unspektakulären Alltagsszenen und langen Einstellungen finden sie schlussendlich auch zu ihrem körperlichen Begehren. Hezi ist einer der ersten chinesischen Filme überhaupt, in dem Homosexualität thematisiert wird. Er erregte großes Aufsehen, nicht nur, weil er den lesbischen Alltag in den Vordergrund stellt, sondern auch dadurch, dass strukturelle Einsamkeit und Selbstisolierung in Liebesbeziehungen schonungslos dargelegt werden. Einen gänzlich unterschiedlichen Blickwinkel nimmt die japanische Filmemacherin Kamaza Shiori in The Mars Canon ein. Bei ihr hat das Private schon längst wieder das Öffentliche durchdrungen und wird zum zentralen Aspekt des Alltags. Kinuko, die Hauptdarstellerin des Films, ist nicht glücklich, jedenfalls nicht so, wie man das im Kino erwarten könnte - und sie wird auch nicht glücklich werden, als Einmal-in-der-Woche-Geliebte eines wenig aufregenden Familienvaters. Weder Verzweiflung noch Glück sind eine Option für Kinuko. Aber da ist noch ihre Geliebte Hijiri, die als Einzige in der merkwürdig paralysierten menage à trois aktiv wird, die einen Plan hat und ihr Begehren ausdrückt. Mit subtilem Realismus zeichnet The Mars Canon die labilen Beziehungsverhältnisse und Lebensentwürfe urbaner Existenzen nach, die sich jenseits verbindlicher Traditionen und sozialen Bindungen bewähren müssen. Kazama Shiori lässt ihren Figuren viel Zeit, schenkt ihnen Einstellung um Einstellung, ohne dass viel dabei passiert. Allein leichte Verschiebungen der Nuancen und minimale Annährerungen lassen die BetrachterInnen eine allmähliche Veränderung ahnen. Es wird nicht mehr als das Nötigste geredet. Schnell ist man hingerissen von der scheinbaren Absichtslosigkeit der Inszenierung, die sich unversehens doch immer wieder zu überaus prägnanten Tableaus verdichtet: eine lange Anfangseinstellung in der Natur, Kohei und Kinuko beim Tischtennisspiel auf einem verunglückten gemeinsamen Urlaubsausflug; eine Annäherung von Kinuko und Hijiri über eine Balkontrennwand hinweg.

Gebrochene Identitäten

So wie Kazana Shiori die Motivation ihres Filmemachens beschreibt, genauso ist auch der Film: "Ich verspüre den Drang, Filme zu machen. (...) Ich weiß nicht, wie man die Fesseln des Hasses zerreißen kann. Aber ich möchte noch die kleinste Liebesempfindung würdigen - auch wenn das am Ende nichts bringt." Denn nachdem die lesbische Beziehung scheinbar gelungen ist, bricht die heterosexuelle Liebe krass in die Träume der Protagonistin ein, die zwischen den unterschiedlichen sexuellen Welten hin und hergerissen bleibt. The Mars Canon ist beides: unerträgliche Langsamkeit und Trägheit, aber auch Aufbruch, Verzweiflung, Rütteln, Schreien. Shiori hat in ihrem Film der Alltäglichkeit und der ständigen Wiederkehr von Identitätssuche in zwei Stunden breiten Raum gegeben. Mars Canon soll - wörtlich genommen - den Zwiespalt zwischen den Themen Liebe, Sexualität und Kampf, für die der Planet Mars steht, und dem Kanon-Gesang mit vielen asynchronen Stimmen versinnbildlichen. Mit einer außergewöhnlichen Selbstverständlichkeit wird die lesbische Identität als Lebensentwurf dargestellt, auch wenn es über lange Strecken des Filmes scheinbar "nur" um die Darstellung der klassischen Affäre einer Frau mit einem verheirateten Mann geht. Damit liegt es im Trend asiatischer Filme aus der Zeit der Jahrtausendwende, sich dem Thema Homosexualität offen und vorurteilsfrei zu widmen. Doch nirgendwo ist ein Happy End in Sichtweite, denn in Filmen wie Fish and Elephant oder Hezi bleiben Melancholie und erdrückende Leere oft das Hauptmerkmal homosexueller Beziehungsstrukturen.

Anmerkung:

Die Filme Fish and Elephant und The Mars Canon liefen auf den diesjährigen Freiburger Lesbenfilmtagen, Hezi wurde im letzten Jahr gezeigt. Info: www.freiburger-lesbenfilmtage.de

Filme:

- Fish and Elephant (Jin nian xia tian), Li Yu, China 2001 - Hezi (The Box), Echo Y. Windy, China 2002 - My Camera DoesnÂ’t Lie, Solveig Klassen / Katharina Schneider-Roos, China/Deutschland/Österreich 2003 - The Mars Canon (Kasei no Kanon), Kazama Shiori, Japan 2001 Rosaly Magg ist Mitarbeiterin im iz3w. aus: iz3w 271