Generationengerechtigkeit als Kampfbegriff

Wohl kein politischer Begiff hat derzeit eine solche Konjunktur wie "Generationengerechtigkeit". Dabei klang das doch vor fünf Jahren noch ganz anders: ...

... Diesorglose"GenerationGolf"desFlori-an Illies verdiente sich am Neuen Markt eine goldene Nase, so dass der Soziologe Heinz Bude in kleinen Berliner Hinterhöfen bereits lauter geniale Bill Gates-Nachfolger am Werke und in Jost Stollmann die Vorhut einer neuen politischpotenten "Generation Berlin" sah, die auf der Hinterbühne derPolitik schon mit den Hufen scharrte. Einen Crash der New Economy später ist Stollmann längst vergessen, hat die "Generation Golf" viel Geld an der Börse verloren und FlorianIlliesbetiteltseinFolgebuch"Ge-neration Golf II" mit einem weinerlichen "Alles ist vorbei". Aus "Was kostet die Welt!" wurde "Wer soll das bezahlen?" und prompt ist aus der emphatischen Generationsmetapher von Golf und Berlin die Jammervokabel der "Generatio-nengerechtigkeit"geschlüpft. Allerdings stammt der Begriff ursprünglich keineswegs aus der Sozialstaatsdebatte. Vielmehr ist er konnotiert mit dem grünen Diskurs der 80er Jahre. Getreu dem paradoxen Slogan "Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt" sollten die Interessen künftiger Generationen Eingang finden in die tagespolitische Güterabwägung. Generationengerechtigkeit wurde verstanden als ressourcenschonendes Korrektiv der Bedürfnisse aller gegenwärtig Lebenden und war eng verknüpft mit dem grünen Wert der "Nachhaltigkeit". Dieser Begriff unterliegt allerdings schon seit Jahren einem Prozess der Umdeutung.1 Ursprünglich reinökologischer Leitbegriff findet Nachhaltigkeit als Catch-All-Label und wahre Wunderwaffe heute rhetorische Anwendung auf sämtliche politische Sachgebiete. Wirkliche Umsetzung widerfährt dem Begriff jedoch vor allem auf dem Gebiet der Fiskalpolitik - bei der Legitimation von Haushaltskürzung und -konsolidierung. Dem gleichen Bedeutungswandel unterliegt derzeit der Begriff Generationengerechtigkeit. Fiskalpolitisch verengt gerät er zu einem Schlagwort in der Rentendebatte. Im Zuge dieser einseitigen Indienstnahme werden die Ansprüche der noch nicht oder schon arbeitenden Jungen gegen die der nicht mehr arbeitenden Alten in Stellung gebracht. Die Schweizer "Weltwoche" brachte diesen Vorgang jüngst in einer Umfrage auf den Punkt: "Werden heutige Rentner auf Kosten der Erwerbstätigen zu sehr geschont?"2 Symptomatisch für diese Zeitgeistverschiebungen ist ein Vorstoß von schwarz-gelb-grünen Jungabgeordneten, die das neue Schlagwort jetzt in einem Memorandum operationalisieren und eine "Generationenverträglichkeitsprüfung" verlangen.3 Ausgehend von der demographischen Projektion, wonach im Jahre 2040 drei Erwerbstätige nicht länger nur für einen, sondern für zwei Rentner werden aufkommen müssen, fordern sie: "Wir brauchen eine Neudefinition von Gerechtigkeit", eben Generationengerechtigkeit: "Hohe Lohnnebenkosten und Steuern, welche für soziale Sicherungssysteme und insbesondere für die Alterssicherung aufgewendet werden, hindern die Bervölkerung im erwerbsfähigen Alter, vor allem die jüngere Generation, an der Teilhabe am Arbeitsmarkt." Die Aussage ist klar: Die Alten von heute zerstören unsere Arbeitsplätze und verfrühstücken damit unser Klein-Häuschen von morgen. Der behauptete Konflikt der Generationen suggeriert, es täte sich eine Kluft auf zwischen einer solventen Rentnergeneration und einer darbenden Nachwuchskohorte. Dass davon nicht die Rede sein kann, beweist bereits ein kurzer Blick auf die Rentenstatistik. So lag die Standardrente im Jahr 2001 zwar bei 1043 Euro im Monat - jedoch nur als Modellgröße bei Annahme von 45 Versicherungsjahren und einem durchschnittlich hohen Verdienst. Faktisch fällt die Mehrzahl der Renten weit niedriger aus. So waren im Jahr 2000 immerhin 24,6 Versicherungsjahre bei Durchschnittsverdienst erforderlich, um eine Netto-Rente von 612 Euro zu erreichen, was dem durchschnittlichen Niveau der Sozialhilfe eines Alleinstehenden entspricht. 4 Auch wenn heute Altersarmut nicht mehr wie noch in den 80er Jahren ein gravierendes Problem darstellt, von überzogenen oder gar konjunkturschädigenden Rentenansprüchen kann gar keine Rede sein. Im Gegenteil: Wenn nicht die Rentner mit ihren relativ konstanten Ausgaben zur Binnenkonjunktur beitrügen, sähe es um die wirtschaftliche Lage in Deutschland noch bedenklicher aus. Davon ist bei den Jungabgeordneten natürlich nichts zu hören. Indem ein Ausbeutungsverhältnis auf Kosten der Jugend suggeriert wird, werden andere Solidaritätsdimensionen systematisch ausgespart: Wie aber verhält es sich mit den Vorleistungen der heutigen Alten? Diese haben ihren Beitrag im Generationenvertrag zur Ausbildung der Jungen schließlich bereits erbracht. Wie sah sich jüngst der Bundespräsident veranlasst festzustellen: Bei der Rente handelt es sich um "kein Gnadenbrot", sondern um den "Dank für erbrachte Lebensleistung".

Generationsdarwinismus

Wenn also die Generalverdächtigung der Alten erwiesenermaßen falsch ist, welche Funktion erfüllt das neue Wunderwort? Das angepriesene Allheilmittel der Generationengerechtigkeit zielt vor allem auf eins, auf Abbau sozialstaatlicher Leistungen: "Die Sozialpolitik darf sich deshalb nicht vorrangig an den Wünschen der Bezieher von Sozialleistungen orientieren, sondern muss zunächst die Frage beantworten, welcher Umfang an Sozialleistungen finanzierbar ist, ohne die wirtschaftlichen Grundlagen des Sozialstaates zu gefährden." Offensichtlich wird mit dem Generationsschlagwort jene Komponente von Solidarität ins Visier genommen, die sich zwischen Erwerbstätigen und Erwerbslosen abspielt, ganz gleich ob alt oder jung. Jede Form zusätzlicher Verschuldung zu Lasten der Leistungserbringer wird hier präventiv rhetorisch delegitimiert. Mit dem Schlagwort von der sozialschädlichen Staatsverschuldung wird jedoch die Tatsache kaschiert, dass dem staatlichen Schuldenberg auch ein Berg an Vermögen und Ansprüchen gegenübersteht - der in absehbarer Zeit an Teile der jüngeren Generation fällt. Wer jedoch die daraus resultierenden Verteilungsfragen in einen Generationenkonflikt umdeutet, verdeckt die eigentlichen Gerechtigkeitsfragen. Insbesondere die PISA-Studie hat aber eines sehr deutlich gemacht: Die wahren Gerechtigkeitsprobleme spielen sich nicht zwischen, sondern innerhalb der Generationen ab, nicht zwischen alt und jung, sondern zwischen arm und reich. Intra- nicht intergenerationell geht die Schere auf - mit zunehmender Tendenz. Im Zuge der Auflösung der nivellierten Mittelstandsgesellschaft der Bonner Republik und zunehmender Differenzierung erleben wir neue Exklusionsvorgänge innerhalb der kommenden Generationen. Auf der einen Seite stehen Erben erheblichen Reichtums - auf der anderen Seite eine wachsende Zahl von bereits im Kindesalter Marginalisierten. Abstammung und Herkunft erlangen zunehmend Bedeutung bei der Verteilung der Chancen. Kurzum, gerade in der Gerechtigkeitsdebatte erweist sich die Kategorie der vermeintlich einheitlichen Generation als reines Konstrukt. Die eigentliche Diskussion müsste deshalb um die Frage kreisen, wie sich kommende Generationen ihren Generationenvertrag vorstellen. Dabei müssen sich zunehmend mobile Junge die Frage gefallen lassen, wie es um ihre eigene Solidarität jetzt und in der Zukunft bestellt sein wird. Die allseits geschätzte Individualisierung fördert auch eine Tendenz zum Ausbruch aus den Solidarsystemen. Die Mobilität der neuen Eliten stellt zudem die bisher nationalstaatlich organisierte Solidarität radikal in Frage. Welche Verpflichtung empfinden die reichen Angehörigen dieser Generation gegenüber ihren ärmeren Generationsgenossen und gegenüber dem Rest der Gesellschaft? Wer also heute von Gerechtigkeit zwischen den Generationen spricht, aber von der wachsenden Ungleichheit innerhalb der Generationen schweigt, setzt sich dem Verdacht aus, dass er dies aus gutem Grunde tut: Nämlich zur Verteidigung gegenwärtiger und zukünftiger Besitzstände. "Wer heute soziale Gerechtigkeit nur an der Höhe staatlicher Transfers misst, der beschränkt damit die Teilhabegerechtigkeit unserer Kinder und Enkel", klingt wie Hohn aus dem Munde gut situierter, mit hinreichend symbolischem wie Beziehungskapital ausgestatteter Jungakademiker, die mit der stetig sinkenden Höhe staatlicher Transfers eben nicht täglich zu kämpfen haben. Hier kommt eine erstaunliche Anspruchshaltung derer zum Ausdruck, die anderen Anspruchsdenken vorwerfen. Ein derart instrumentalisierter Begriff der Generationengerechtigkeit und seine lautstarke Propagierung ist deshalb weniger Krisenlösung als -symptom: Er leistet dem strukturkonservativen Anspruchsdenken Vorschub, weil gerade nicht die gesellschaftliche Verpflichtung und Solidarität der Starken in der Gesellschaft in den Vordergrund gerückt wird. Im Gegenteil: Letztlich bemächtigt sich mit dem parteiübergreifenden "Memorandum" eine gesellschaftliche Elite innerhalb der jungen Generation des Generationenbegriffs, um, derart legitimiert, im Namen der Kommenden und der Zukunft eigene Interessen geltend zu machen.

Gerechtigkeit von links?

Die jungen SPD-Abgeordneten waren deshalb gut beraten, ihre Unterschrift unter das Papier zu verweigern. Das Konzept verdient weder den Namen so-zial-liberal, geschweige denn links. Kein Zufall dürfte es dagegen gewesen sein, dass sich hier eine schwarz-gelb-grüne Allianz abzeichnet. Die Empfänglichkeit der bürgerlichen Grünen für Staatsverschlankung im Namen von Generationengerechtigkeit und Nachhaltigkeit korrespondiert mit einer gewissen Unempfindlichkeit für soziale Belange. Kein Wunder auch, dass es sich bei den sonstigen Unterstützern ausschließlich um Wirtschaftsverbände handelt (Bundesverband Junger Unternehmer, Junioren des Handwerks, Wirtschaftsjunioren Deutschlands), unterstützt von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Peinlich nur, dass es bei der Ablehnung der Sozialdemokraten nicht um inhaltliche Differenzen, sondern lediglich um persönliche Animositäten gegenüber den Initiatoren ging.5 Dabei ist die zunehmende neoliberale Hegemonie im Gerechtigkeitsdiskurs6 eine Herausforderung gerade für die SPD. Wenn auch im jüngsten Gerechtigkeitspapier7 von SPD-Gene-ralsekretär Olaf Scholz die einstige nebulöse "Neue Mitte" einer sympathischer klingenden "solidarischen Mitte" gewichen ist, kann von einem konsistenten sozialdemokratischen Konzept bisher nicht die Rede sein. Im Gegenteil: Wenn es im SPD-Papier heißt, "unter dem Gesichtspunkt der Teilhabe und der Chancen ist selbst schlecht bezahlte und unbequeme Erwerbsarbeit besser als transfergestützte Nichtar-beit"8, ist dies primär auf Legitimation der Agenda 2010 und ihrer Pflicht zur Arbeit gerichtet. Diese steht jedoch in eklatantem Widerspruch zum wenige Seiten vorher formulierten Anspruch, wonach "gerecht ist, was die Menschen in die Lage versetzt, ihr Leben so zu gestalten, wie sie es gerne gestalten möchten".9 Wie aber wären die eklatanten Defizite der derzeitigen Gerechtigkeitskonzepte zu füllen? Wie sähe er also aus, der neue Generationenvertrag? Zunächst wäre das Konkurrenzverhältnis von Generationengerechtigkeit zu anderen Gerechtigkeitsbegriffen zu klären. Die Kategorie der Generationszugehörigkeit liegt offensichtlich quer zu den Gerechtigkeitskriterien Bedürfnis, Bedürftigkeit und Leistung und kann schon deshalb kein hinreichendes Kriterium für Gerechtigkeit sein. Man muss nicht mit Norberto Bobbio die alte Gleichung "links gleich Gleichheit" aufmachen, um die Substanz der neuen Metaphern Teilhabe- oder Zugangsgerechtigkeit zu hinterfragen. Dass derartige Schrumpfbegriffe von Gerechtigkeit derzeit florieren, verwundert allerdings wenig angesichts der Tatsache, dass auch in der SPD von Chancengleichheit immer seltener die Rede ist. Wenn aber im derzeit herrschenden Diskurs sogar das einstige CDU-Konzept der Chancengerechtigkeit statt -gleichheit zum bloßen Recht auf Teilhabe und Zugang verkümmert, einhergehend mit der Pflicht zur Annahme fast jeglicher Tätigkeit, dann wird der einstige Anspruch auf gleiche Bildung und gleiches Entgelt leichtfertig aufgegeben - getreu dem bereits allzu gängigen CDU-Slogan10: Sozial ist, was Arbeit schafft. Ein derart verstandenes Konzept der Generationengerechtigkeit suggeriert, dass durch die bloße Versorgung aller mit Arbeit andere, anspruchsvollere Gerechtigkeitskriterien obsolet werden, vor allem die Verteilungsgerechtigkeit. Trotz der "Wende zum Weniger" wird jedoch die Frage der Verteilungsgerechtigkeit keineswegs überflüssig. Im Gegenteil: Das Problem wird radikalisiert. Wenn früher die permanente Umverteilung aus dem Zugewinn möglich war, bei der nach RawlsÂ’schen Kriterien auch der Schwächste von den Zuwächsen der Besser-Verdienenden profitieren konnte, geht es heute ans Eingemachte, nämlich darum, die vorhandenen Besitz- und Eigentumsstrukturen wirklich sozialpflichtig zu nutzen. Schon die Diskussion um die Vermögenssteuer hat bewiesen, dass sich heute folgende Frage stellt: Lassen sich Ressourcen der Gut- und Bessersituierten aus Gerechtigkeitserwägungen überhaupt noch für das Gemeinwesen aktivieren oder ist die Möglichkeit der Umverteilung in einer globalisierten Wirtschaft zunehmend ausgeschlosssen? Dann aber müsste über den Generationenvertrag auf europäischer Ebene neu nachgedacht werden. 1 Vgl. Micha Brumlik, Freiheit, Gleichheit, Nachhaltigkeit. Zur Kritik eines neuen Grundwerts, in: "Blätter", 12/1999, S.1460 - 1466. 2 "Weltwoche", 22/2003. 3 "Deutschland 2020". Für mehr Generationengerechtigkeit: Reformen nicht auf morgen oder übermorgen verschieben, www.chancenfueralle.de. 4 Gerhard Bäcker und Angelika Koch, Die Jungen als Verlierer? Alterssicherung und Genera tionengerechtigkeit, in: "WSI Mitteilungen", 2/2003, S.111-117. 5 "Frankfurter Rundschau", 22.7.2003, S.4. 6 Vgl. auch den Beitrag von Stephan Lessenich in diesem Heft. 7 Gerechtigkeit und Solidarische Mitte im 21. Jahrhundert, www.spd.de/servlet/PB/show/1028093/Thesen-Gerechtigkeit-Olaf-Scholz-2003-16-07.pdf. 8 Ebd., S. 4. 9 Ebd., S. 1. 10 Für Wachstum - Sozial ist, was Arbeit schafft, Gemeinsamer Beschluss des Präsidiums von CDU und CSU vom 4.5.2003.