Jenseits von EMMA. Oder: Wie werden das Wissen und die Diskussionen des Feminismus

Nur die Lektüre der feministischen Auseinandersetzungen, wie nun angeregt durch das Historisch-kritische Wörterbuch des Feminismus, könnte verhindern, dass Forschung nicht allein zur EMMA gemacht w

Sobald Begriffe lexikalisch erfasst und theorierecycelt sind, haben sie ihr vitales Leben schon meist hinter sich. Ja, auch Begriffe leben, besonders die, die für und in politischen Realauseinandersetzungen gewonnen worden sind, wie meiner: z. B. Geschlechterdemokratie. (1)

Die Lexikalisierung macht die Stichwortgeberinnen zugleich stolz, wie auch etwas traurig zurückzublicken. Mich zumindest, die ich 1991 aus lauter Not, aus dem feministischen Zirkelschluß in der Antigewaltdebatte - raus in die Gesellschaft! wollte, um der real existierenden Demokratie die Geschlechterfrage zur politischen Arbeitsaufgabe zu machen. Wie sich die Gesellschaft der Gewaltproblematik durch kleinliche Ausstattung von Frauenhäusern entledigen wollte, war nicht mehr hinnehmbar. Doch was aus der Debatte zur Geschlechterdemokratie geworden ist, ist ein Begriffssalat, dessen Ingredienzen immer neu nach Geschmack und auch ganz ohne Geschmack aufbereitet werden. Lexikalisch gibt zwar ein Begriffssalat was her, aber ich hoffe denn doch, dass die Lesenden an mehr als nur an Begriffen interessiert sind. Denn: Hinter den Begriffen verstecken sich die Geschichten zur Geschichte.

So gewöhnlich und mitunter beliebig heute die Geschlechterdemokratie präsentiert wird, so ungewöhnlich, ja fragwürdig war dieses Wortungeheuer damals, als ich im Auftrag der österreichischen Frauenministerin Johanna Dohnal in den USA nach innovativen Projekten gegen häusliche Gewalt recherchierte. Um den historisch-kritischen Interessierten des Feminismus einen Eindruck zu vermitteln, wie mit Begriffen Politik gemacht werden kann, ist es in meinem Versuch, die politische Debatte über Gewalt feministisch zu ändern, hilfreich daran zu erinnern, wie so was geht. Schon als "feministische Männerforscherin ", wie ich mich damals erstmalig selbst nannte, wollte ich den Blick auf die frauenforschenden Männer richten, die sich nur selten zum Objekt ihrer Defizitforschung machten. Das Defizitäre war die Frau, der geschlechtsspezifisch durch Förderprogramme geholfen werden sollte, wenn man schon mal großzügig sein wollte. In der dominant psychoanalytisch ausgerichteten Forensik (Gerichtspsychologie) wurde das Opfer (Victimologie) pro-re-aggressiv dafür bestraft, den Täter zu sehr gereizt zu haben. Mutter war an allem schuld. Dabei sollte sie nur gut genug sein.

In den Jahren 1991-1993 fand in Wien und in Gesamtösterreich eine landesweite zweijährige Antigewaltkampagne statt, die einen Paradigmenwechsel in der Antigewaltdebatte herbeiführen sollte und das auch erreichte. Johanna Dohnal dachte bereits antizipativ an die UN-Konferenz, die im Jahre 1993 mit ihrer politischen Deklaration: "Frauenrechte sind Menschenrechte" Geschichte machen sollte.

Bitte lächeln Sie beim Lesen nicht über mich, wenn Ihnen das so passé erscheint. Uns war es ebenso peinlich, wie wahrscheinlich schon der ersten Frauenbewegung ihr Kampf um das Wahlrecht.

Wir wollten das Recht der Frauen auf Unversehrtheit sichern. Nicht mehr die Opfer der Gewalt sollten fliehen, sondern die Gewalttätigen sollten zur Verantwortung gezogen werden und das Konzept der Geschlechterdemokratie zwangsintegrierte alle Exekutiv- und Legislativorgane (Gesetz und Polizei) in den Vorgang des Wandels. Das dauerte Jahre, wie sich viele Mitstreiterinnen und Mitstreiter erinnern und wie es in tausenderlei Publikationen dokumentiert ist.

Die erste Publikation, die die Geschlechterdemokratie titelte, war die 2bändige Dokumentation des Österreichischen Bundeskanzleramtes (!) im Auftrag von Johanna Dohnal: "TEST the WEST - GESCHLECHTERDEMOKRATIE und GEWALT" (2)

Seitdem hat das Gendern viele Wenden und Maskeraden erlebt. Die liebste ist mir die popkulturelle Aufweichung von Geschlechterrollen, sprich zeitmodern Performances, weil die duale Zwangsheterosexualität noch nie den Feministinnen erhaltenswert erschien - auch wenn es immer wieder postfeministisch behauptet wird. (3) Nicht was über die Feministinnen in den Zeitungen und Magazinen geschrieben wurde, sollte den Interessierten reichen. Nur die Lektüre der feministischen Auseinandersetzungen, wie nun angeregt durch das Historisch-kritische Wörterbuch des Feminismus, könnte verhindern, dass Sie bei Ihrer Forschung nicht allein zur EMMA gemacht werden. EMMA, die Zeitschrift, deren Herausgeberin und Chefredakteurin Alice Schwarzer zwar fast zur alleinigen Medienfeministin erklärt wurde, war nicht allzu sehr an einer feministischen Diskussion mit anderen Feministinnen interessiert. Das "empowerte" sie zum Star und machte ihre einsame Position in Deutschland wohl singulär, aber nivellierte dafür die Inhalte auf ein unzureichendes EMMA-Format und ignorierte alle Debatten, die EMMA nicht ins Bild passten, wie z. B. auch die feministischen Schwierigkeiten mit der Geschlechterdemokratie. Der Feminismus degenerierte zum Starschnitt, wie in der Pubertätszeitschrift Bravo praktiziert, auf einen EMMA-Club-Stil, der immerzu Alice Schwarzer und ihre bekannten Freundinnen coverte. Dem interessanteren Feminismus war auf jeden Fall von Geberseite damit nicht gedient, als Alice Schwarzer auch noch zusätzlich zur Chefin des Archivturms der Frauenbewegung in Köln ernannt wurde. Selbst in den celibrity-süchtigen USA war der Feminismus trotz und mit Hilfe von Gloria Steinem (MS-Gründerin) bewegungsgerechter und sicherlich auch dadurch politisch erfolgreicher. Warum wir es zuließen, dass sich der Feminismus hierzulande zu einer One woman show entwickelte, mit der die anfangs unverschämten Massenmedien sehr bald einen schamlosen Frieden schlossen, lag genau an der autoritären Medienregie in Talkshows, Inhalte hinter (mitspielenden!) Personen verschwinden zu lassen. Es sollte den Interessierten eine Lehre sein, wie Anerkennung und Solidarität mit einer Kämpferin für den Feminismus schleichend das Gegenseitigkeitsprinzip auf Unterstützung außer Kraft setzte. Alice Schwarzer allein in den Spiegeln wurde zur feministisch unterhaltsamen Schau, aber dementsprechend überfordert wurde sie schließlich ein Medienprodukt, das Feminismus schlicht mit Berühmtheit verwechselte. Journalistinnen und Journalisten, die nicht recherchierten, machten es sich dann aber oft zu einfach mit der Abwehr eines auf Alice Schwarzer reduzierten Feminismus in Deutschland. Es gibt viele Gründe, Alice Schwarzer für ihre Verdienste zu feiern, aber es stimmt eben nicht, dass der Feminismus zur EMMA gemacht werden darf.

Wenn den Feministinnen ihr Scheitern gerade von denen vorgeworfen wird, die sie nicht nur nie unterstützt, sondern sogar bekämpft haben, bedarf es der offensiven - geschlechterdemokratischen Zurückweisung.

Beispiel: Noch immer, wie im März 2003 vom Statistischen Bundesamt verkündet, verdienen die Frauen 30 Prozent weniger als Männer. Trotz besserer Ausbildung der Frauen seit bereits zwei Generationen bleibt die Frau ein 2/3 Mensch, wenn man den Kapitalismus nicht unterschätzt. Dieser Status hat dramatische Folgen, wie z. B. eine spezifische Altersarmut bei Frauen, was aber traditionell und modern noch keine Gerechtigkeitsdebatte ausgelöst hat. Dennoch entwickelte sich etwas im Stillen als Serie, was die kapitalistische Gesellschaft sonderbarerweise erstaunt: Karrieredruck > Verzicht > Kinderlosigkeit.

Die Zukunft sieht alt aus, wenn nicht entschieden und grundsätzlich die Kinderfrage geschlechterdemokratisch beantwortet werden wird. Zusätzlich könnte es politisch spannend werden, wie ernst es der Gesellschaft mit dem Kinderwunsch derjenigen ist, die als Homosexuelle gesellschaftlichen Familienanschluß suchen.

Auch das ist ein Aufruf an die Geschlechterdemokratie gegen Stereotypen.

Ob Gendermainstreaming in die herrschenden Karriereverhältnisse oder Gleichstellung mit den Vorstellungen der Herrschenden diese befördert, wird von denen entschieden werden, die bei diesen Konzepten schon jetzt massenhaft außen vor bleiben. Allerdings nur, wenn sie sich nicht als Verliererinnen bescheiden, sondern geschlechterdemokratisch konkret, wie bei der Antigewaltdebatte, die Situation analysieren und politische Regulierungen per Gender- und Sozialbudget zur Ausgleichsgerechtigkeit durchsetzen.

Eine Gesellschaft, die modern oder fundamentalistisch all diejenigen bestraft, die nicht modern, fit oder schön und immer jung genug sind, ist eine Verlustgesellschaft, die ihre Deformationen noch nicht wahr haben will. Nur im Kontext zur Realität entfaltet das Konzept der Geschlechterdemokratie mehr Inhalt als begriffliche Distinktion. Was z. Z. als Modernisierung propagiert wird, ist nichts anderes als die antidemokratische Vormoderne, die sich liberal gibt. Die Modernisierung der Moderne steht auch geschlechterdemokratisch noch aus. (4)

Jenseits von EMMA, hier in diesem Wörterbuch des Feminismus haben Sie die Chance, Namen und Ideen zu erfahren, um weiterzuforschen, wie viele der Frauenbewegung sich engagierten für Emanzipation, Geschlechtervertrag und Gleichstellung, um die Geschichte der Dekonstruktion der Geschlechterfrage voranzutreiben. Dass all die Distinktionen noch nicht die harte Statistik (siehe 2/3 Realtität) verändert haben, ist allerdings immer noch eine Pein.

Dagegen hilft nur feministische Aktionsforschung!

Halina Bendkowski - Jg. 1949, studierte Soziologie, Politologie und Philosophie; Journalistin und Publizistin; Agentin für Feminismus & Geschlechterdemokratie.

(1) Schlagt nach im Historisch-kritischen Wörterbuch des Feminismus: Historisch-kritisches Wörterbuch des Feminismus. Herausgegeben im Auftrag des Instituts für kritische Theorie von Frigga Haug, 2 Bände, Hamburg 2003.

(2) "Geschlechterdemokratie ist wie ›gender mainstreaming‹ und ›Geschlechtervertrag‹ keine theoretische Kategorie, sonderen eine der politischen Losungen, die in den 1990er Jahren eine Verschiebung in der Politik gegen Frauenunterordnung markieren." Ebenda, S. 436.

(3) "Die für aktuelle Politik hegemonierelevanten Begriffe Geschlecht und Demokratie werden zum Losungswort einer Strategie verknüpft, eine Politik zur ›Gleichstellung der Geschlechter‹ in alle Politikbereiche und Organisationsstrukturen einzuschreiben. Damit hat sich der von Halina Bendkowski 1994 geprägte Term, der Verhältnisse der Frauenunterordnung als undemokratisch skandalieren und patriarchale Strukturen aufzeigen wollte, verschoben." Ebenda.

(4) "Wesentlicher Bezugsrahmen von G ist die Anpassung von Unternehmensorganisationen und -kulturen, von staatlichen Verwaltungen und Institutionen an die Bedingungen neoliberaler Globalisierung und die entsprechende ›Professionalisierung‹ politischer Organisationen, auch NGOs." Ebenda, S. 438.

in: UTOPIE kreativ, H. 158 (Dezember 2003), S. 1144-1146

aus dem Inhalt

VorSatz Essay JÖRG ROESLER "Wie hältst Du es mit der Region?" Linke Regionalparteien im westlichen Europa - Erfahrungen für die PDS? Gesellschaft - Analyse & Alternativen GRETCHEN BINUS Monopolistisches Eigentum. Aktuelle Trends IRENE GALLINGE Insolvenzen in neuen Dimensionen Mitbestimmung und Haushalt UBIRATÁN DE SOUZA Die Partizipative Haushaltsführung im Bundesstaat Rio Grande do Sul (Brasilien) FRANCISCO DE OLIVEIRA São Paulo als "Lackmustest" der Partizipativen Haushaltsführung KLAUS-RAINER RUPP Beteiligungshaushalt als linke Alternative zur "Bürgerkommune" Grenzen der Privatisierung MARIO CANDEIAS "Das eine tun, das andere nicht lassen". Öffentliche Güter und soziale Rechte Standorte HALINA BENDKOWSKI Jenseits von EMMA. Oder: Wie werden das Wissen und die Diskussionen des Feminismus erinnert und befördert? THOMAS MÖBIUS Facetten der Politik des "Neuen Menschen" in Sowjetrußland Bücher & Zeitschriften Detlef Nakath: Deutsch-deutsche Grundlagen. Zur Geschichte der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der DDR und der Bundesrepublik in den Jahren von 1969 bis 1982 (STEFAN BOLLINGER) Alexandra Kollontai: Mein Leben in der Diplomatie. Aufzeichnungen aus den Jahren 1922 bis 1945 (HELLA HERTZFELDT) Ernst Zeno Ichenhäuser: Wenn möglich - ehrlich. Lebensbericht von einem, der auszog, Revolution zu machen (MARIO KESSLER) Franz J. Hinkelammert, Henry M. Mora: Coordinacion social del trabajo, mercado y reproducción de la vida humana (VICTORIA KENDLER) Günter Manz: Aufstieg und Fall des Landes DDR - Erinnerungen & Ansichten (ANJA LAABS) Arne Heise: Dreiste Elite - Zur Politischen Ökonomie der Modernisierung (FABIO DE MASI) Erich Mühsam: Unpolitische Erinnerungen. Peter A. Kropotkin: Memoiren eines Revolutionärs, Band I und II Neue Übersetzung aus dem Englischen (JÖRN SCHÜTRUMPF)