Wozu Mütter und Väter?

Judith Butler, Antigones Verlangen. Verwandtschaft zwischen Leben und Tod. Neuordnung der Verwandtschaftsverhältnisse, Verwerfung des Feminismus

In diesem Kommentar zu AntigoneÂ’s Claim von Judith Butler geht es mir um eine bewusst breit gehaltene, freie Lektüre ihres Textes - einfach, weil dieses kurze Buch (drei im Rahmen der ...

... renommierten Wellek-Vorlesungsreihe an der Universität von Kalifornien, Irvine gehaltene Vorlesungen) auf die Notwendigkeit verweist, sich wieder auf Dauer feministisch mit der Rolle von Familie und Verwandtschaft in der gegenwärtigen politischen Kultur auseinanderzusetzen (Butler 2000). Butler schreibt, der Feminismus habe in gewisser Weise aufgehört, den Neokonservatismus der gegenwärtigen Familienpolitik zu bekämpfen. Die nachträgliche Selbstkritik an der Politik der sexuellen Freizügigkeit der 1960er Jahre (d.h. an der Nicht-Monogamie), die sogar den Feminismus ergriffen hat, hatte zur Folge, dass eine Rückkehr zu äußerst sittsamen Partnerschaften gerechtfertigt wurde. Butler hat dabei die USA im Blick, aber ähnliche Tendenzen gibt es auch anderswo.2 Charakteristisch für die heutige Zeit ist, dass Regierungen die traditionellen Familien-Werte ausdrücklich befürworten (dazu passt auch George Bushs Unterstützung für Gruppierungen, die Jugendlichen in den USA sexuelle Enthaltsamkeit predigen). Im selben Augenblick vollzieht sich etwas, das wie eine Liberalisierung aussieht und in den vielen unterschiedlichen Familienformen zu Tage tritt, zu denen schwule und lesbische Haushalte, Patchwork-Familien, Wahlfamilien und einfach Zweck-Familien aller Arten gehören. Doch beiden Entwicklungen gegenüber herrscht ›feministische Zurückhaltung‹, ein Unwillen, sich wieder in Scharmützel verwickeln zu lassen, indem - wie früher üblich - der Fortbestand der Familie zum Problem gemacht wird (Bagguley, zit. in Walby 2002). Ich lese Butlers Antigone als Anstoß zu der Erkenntnis, dass genau diese Widersprüchlichkeit neue Normverhältnisse, neue Felder von Verbot und Zwang hervorbringt. Es geht um einen doppelten Widerspruch, den Antigone uns zu begreifen hilft: Die gleichzeitige Existenz neoliberaler und liberaler Werte der Familie und der Sexualität - und die Tatsache, dass der Feminismus etwas ist, das geschmäht oder (wie ich meine) ›geradezu gehasst‹ wird, das zugleich aber als politische Kraft wirkt, die in den Gramscischen Alltagsverstand eingegangen ist und die heutzutage ›ernst genommen wird‹ (McRobbie 1999).3 Über Butler hinausgehend möchte ich darlegen, dass einige höchst charakteristische Spannungen, die mit diesem doppelten Widerspruch zusammenhängen, im Feld der Populärkultur ausgebeutet werden. Wie passt nun dazu Antigone? Oder besser, wie kann die Gestalt einer jungen Frau aus einem griechischen Drama solche Überlegungen hervorrufen? Genau genommen zeigt ihre Behandlung in den Vorlesungen eine Kontinuität in Butlers Arbeit an, denn damit verfolgt Butler ein schon in Gender Trouble umrissenes (vgl. Butler 1990, Kap. 2) und seitdem verschiedentlich wieder aufgenommenes Projekt - dem Ödipus-Komplex seine unbestrittene Autorität zu nehmen, weil dieser die sozialen (und scheinbar universellen) Mechanismen patriarchaler Heterosexualität und Fortpflanzung in Gang setzt. Antigone ist ein wesentlicher Bestandteil des Ödipus-Szenarios, doch ihre Rolle darin kann umbesetzt werden, ihre Geschichte kann genutzt werden, um einen alternativen Ausgangspunkt von Autorität zu erarbeiten. Sie eröffnet die Möglichkeit, sich eine andere Form der Verwandtschaftsorganisation vorzustellen, aber dazu muss der Staat angegriffen werden, der doch feministische Interessen scheinbar so bereitwillig aufnimmt. Butler stellt Antigone - eine junge Frau, die sich in ihrer Herausforderung dem Staat gegenüber anscheinend männlich verhält - an die Schwelle zur sozialen Organisation, an den Punkt, wo offenbar die Gesetze aufgestellt werden, nach denen ein ›kulturell intelligibles‹ Leben geführt wird. Damit setzt Butler das politische Projekt der Destabilisierung angeblich unumstößlicher ›Grundlagen‹ der sozialen und psychischen Ordnung fort. Wie aber kommen wir vom antiken Drama zu den heutigen Dramen (oder Fernsehserien und -komödien) des Familienlebens? Butlers Weg führt, was angesichts ihrer früheren Arbeiten nicht erstaunt, im Wesentlichen über Hegel und Lacan und bezieht feministische Philosophinnen wie Irigaray mit ein, die sich ebenfalls mit Antigone beschäftigt haben. Kurz gefasst besteht Antigone, Kind einer inzestuösen Beziehung und damit Symbol für das Unvorstellbare, nicht Intelligible in der Kultur, gegen den Befehl ihres Onkels darauf, ihren Bruder zu beerdigen. Durch ihren Widerstand (der auch die Autorität des Patriarchats entmannt) wird der Eindruck, sie sei eine Frau, in Frage gestellt. Diese Destabilisierung der Grundlagen von Geschlecht und Verwandtschaftssystem wird wiederum durch ihre maßlose Liebe zum Bruder gestört, die schließlich zu ihrem Tod (bzw. ihrer Selbstvernichtung) führt. Sie wählt den Tod, statt sich den Normen zu beugen, die sie retten und ihr wieder eine Identität hätten geben können, d.h. der Heirat und der Mutterschaft. Butler erinnert uns, dass Hegel Antigone als Wegbereiterin von Staat und Patriarchat sieht, die Matriarchat und Verwandtschaft ersetzen und verdrängen, während für Lacan ihr notwendiges Scheitern auf die Etablierung der symbolischen Ordnung verweist, die wiederum einige streng regulierte Formen der Verwandtschaftsorganisation zur ›Voraussetzung kultureller Intelligibilität‹ macht. Antigones Paradox besteht nun darin, dass sie sowohl die völlige Entstellung der Verwandtschaftsbeziehungen als auch die Verwandtschaft selbst verkörpert. Sie trägt in sich das, was vom Symbolischen ausgetrieben wird, wenn es die Regeln durchsetzt, die zwischen Eltern und ihren Kindern gelten sollen. Antigones Widerstand entstammt dem Aufbäumen ihrer Liebe für den Bruder und ihrem Beharren darauf, dass er angemessen beerdigt werde. Die bange Beteuerung unzähliger Autoren, Antigones Liebe zum Bruder habe nichts Inzestuöses an sich, verrät deren eigene Furcht gerade durch die ängstliche Wiederholung der Norm ›nein, es ist kein Inzest‹. Das Entsetzliche, das undenkbar ist und abgewiesen wird, beruht darauf, dass es so nahe liegt, so einfach möglich ist. Auf der Grundlage von Lévi-StraussÂ’ Berichten über Inzesttabu, Exogamie und Frauentausch meint Lacan, die symbolische Ordnung sei der Horizont von Sprache und Verwandtschaft, der das Erreichen von Kultur erlaubt und zum Leben notwendig ist. Die symbolische Ordnung steht über den konkreten oder besonderen Konstellationen der Familie; ihr Universalismus beruht darauf, dass Kulturen, wie sehr sie sich auch voneinander unterscheiden, weitgehend den Forderungen dieser Gesetze gehorchen. Verwandtschaft und Sprache sind ›zu grundlegenden Strukturen des Intelligiblen erhoben‹ und für die Lacanianer ›sind Sprache und Verwandtschaft sozial nicht veränderbare Institutionen - zumindest keine einfach veränderbaren‹ (Butler 2000, 15). Wenn nun das Symbolische Zwänge setzt, aber nicht zur Rechenschaft gezogen werden kann, ist es dann nicht eine gott-gleiche (oder in Butlers Worten: theologische) Angelegenheit? Was, wenn die symbolische Ordnung also nichts anderes ist als ein Ausgangspunkt der Rechtsprechung zu Gunsten von Fortpflanzung und Heterosexualität, die das Grauen vor dem Inzest hervorbringen kann, um Angst und Schrecken in ein viel weiteres Handlungsfeld zu säen und so ihre Subjekte zu warnen, wenn sie sie also bändigt, indem sie sie auf die Gefahren anderer Verfehlungen hinweist? Diese Vorstellung von einer allmählichen Verbreitung ist für die Argumentation von zentraler Bedeutung. Die Wucht der regulativen Dynamik kommt zu Stande, indem Furcht und Entsetzen heraufbeschworen werden, um einen Bereich des Rechts in neue Richtungen auszudehnen. Wenn die symbolische Ordnung die Fehler, aber auch Unterschiede und Veränderungen der Verwandtschaftsstruktur tolerieren kann, wird sie diese Veränderungen immer steuern und, was die Familie angeht, auf der Notwendigkeit beharren, eine Mutter und einen Vater zu haben. Für Butler wirft das die Frage nach jenen anderen auf, deren elterliche Liebe zu einem Kind im Mutter-Vater-Regime keine Anerkennung findet und folglich ›weder Sichtbarkeit noch Dauer‹ hat. Warum zum Beispiel müssen homosexuelle Familien mit zwei Müttern oder zwei Vätern durch den Staat beschämt werden und so tun, als ob da eine Mutter und ein Vater seien? Wozu ist gerade diese Form des Zusammenlebens nötig? Macht die Vorstellung von zwei Müttern oder zwei Vätern, mit der sich im täglichen Leben vermutlich umgehen lässt und die in der heutigen Populärkultur für Komik sorgt, Halt vor dem Gesetz?4 Und was könnte diejenigen, die sich dieser Norm nicht beugen wollen, wohl mehr abschrecken als die Aussicht, damit das Leben des Kindes zu gefährden? Mit Hilfe der Figur Antigone kann Butler sich den Kummer vorstellen, der die düsteren Gestalten befallen muss, die in ›unerlaubten‹ und ungehörigen Verwandtschaftsrollen leben. Aus diesen Gründen greift Butler die Psychoanalyse an und stellt deren ›strukturalistische Voraussetzungen‹ in Frage - d.h. ihre normativen Annahmen, die, obwohl sie schon Juliet Mitchell vor vielen Jahren störten, immer noch unangetastet sind (Mitchell 1984). Sie geißelt die Lacanianer für die autoritäre Verteidigung des Symbolischen, es stehe über der Gesellschaftskritik, - insbesondere, weil sie als Warnung vor denen wirkt, die ›utopische Versuche‹ wagen. Ebenso wie in Bodies That Matter, wo sie die Position der ›phallischen Lesbe‹ einnahm und Lacans symbolische Ordnung angriff (Butler 1993), entthront Butler das Symbolische, indem sie es darauf beschränkt, dass es nur einer unter vielen Horizonten sozialer Normen ist, ›eine Form der Verdinglichung mit negativen Folgen für das Leben der Geschlechter‹. Die Unantastbarkeit des Symbolischen als Grundlage sozialer und kultureller Ordnung zu behaupten, wie es die Psychoanalyse ohne Bedenken tut, heißt einen ›theologischen‹ Kern zu schützen. Dass Butler (wie schon in früheren Arbeiten) daran geht, die Türen der symbolischen Ordnung aufzubrechen (die sie mit Antigones Grabmauern vergleicht), belegt ihr politisches Engagement für die Veränderung der Geschlechterverhältnisse - was in diesem Fall heißt, die Notwendigkeit von Müttern und Vätern in Frage zu stellen. Bekanntlich folgt ihr gegenwärtiges Unterfangen einer Gesamtlogik, denn nachdem sie in Gender Trouble gezeigt hat, wie das Geschlecht hervorgebracht und zu Gunsten der heterosexuellen Reproduktion ständig wiederholt wird (Butler 1990), damit es zur Grundlage der Anerkennung als menschliches Wesen wird (d.h. ›als Mädchen‹), untersucht Butler jetzt die ständige Wiederherstellung der Verwandtschaftsideale angesichts von Angriffen auf die Gesellschaft wie dem, den die Figur Antigone beabsichtigt. Obwohl sie sich der schwierigen Probleme bewusst ist, die entstehen, wenn der Griff des Ödipus gelockert und seine Macht über unser Leben durch die flüssigere, unsichere von Antigone ersetzt wird, hat Butlers Beharrlichkeit etwas von Antigones trotziger Haltung. Sie wird die Psychoanalyse nicht zu Gunsten einer rein feministischen Familiensoziologie aufgeben, denn dann müsste darauf verzichtet werden, das Begehren und sein unbändiges Wachstum zu begreifen, das Unbewusste, Furcht, Trauma, Träume, Leidenschaften, Zwangshandlungen usw. ›Butlers Arbeit verlangt ein psychoanalytisches Konzept der gesellschaftlichen Produktion des Subjekts‹ (Campbell 2001). Die Psychoanalyse gestattet auch, die ganze Spannbreite psychischer Widerstände gegen die Veränderung zu untersuchen, was für politische Verständigung notwendig ist. Antigone steht an der Schnittstelle zwischen Psychischem und Sozialem und durch sie entwirft Butler eine veränderte oder verbesserte (sagen wir schwächere) symbolische Ordnung. Ein ›poststrukturalistisches Verwandtschaftssystem‹ dieser Art würde eine größere Vielfalt ›sozial lebbarer‹ Arrangements erlauben, die weniger Gängelei der Kinder durch die Eltern mit sich bringen. Keineswegs sagt Butler, ›geben wir unsere Vorbehalte gegen den Inzest auf‹, sie zeigt vielmehr, wie der Horror vor einer Beschäftigung mit dieser grundlegenden Kritik zu der Weigerung führt, den wachsenden und ungeordneten Beziehungen von Liebe und Zugehörigkeit gegenüberzutreten, die jenseits der vom Staat garantierten Bereiche liegen (vgl. auch Bell 1997). Wegen ihrer inzestuösen Abkunft ist Antigone das Unvorstellbare in der Kultur, überall ruft das Niedrige ihrer Stellung Schauder hervor, aber sie wehrt sich gegen diese Stellung, indem sie sich dem Staat widersetzt und menschliche Bindungen verteidigt, die zu bestätigen sie eigentlich nicht wagen darf. Butler will, dass wir in Antigone eine Person sehen, die das Unrepräsentierbare repräsentiert - unterschiedliche Körper, denen in der Körperpolitik der Status ganzer Menschen versagt wird und die daher die Prinzipien verwirren und erschüttern, auf denen die heutige Gesellschaft beruht. Sie wird als eine ›nicht ganz‹ feministische Gestalt, als eine ›fast queere Heldin‹ verstanden. Ich verstehe Butler dabei so, dass Antigone die neuen, subtileren Ausschlüsse vom Status ›ganzer Mensch‹ an die Oberfläche bringt, die durch veränderte Geschlechternormen in der post-feministischen Welt hervorgerufen werden. Die Feministin ist immer ›alt‹, sogar ›hässlich‹, sie ist das, was jüngere Frauen nicht sein können, wenn sie in der weiten Welt als jemand gelten wollen.5 Die Feministin legt eine Haltung nahe, die vermieden wird, einen Feminismus, der aber merkwürdigerweise selbst in der Zurückweisung auch anerkannt wird. Wir können fragen, worin die politische Bedeutung dieses Geisterdaseins der Feministin besteht, deren Gegenwart erlaubt ist, weil sie zugleich geschmäht wird. Zudem ist Butlers Antigone eine Figur, für die die Normen der Familienbeziehungen umgestürzt sind, sie hängt zu sehr an ihrem Bruder und sie weist die Möglichkeit regulärer Zugehörigkeiten zurück, die junge Frauen haben. Aber können wir nicht fragen, ob da nicht etwas Aktuelles ist in dieser schattenhaften Existenz, ob nicht diese ungehörigen Bindungen und Eigentümlichkeiten (oder Einmaligkeiten) just heutzutage auch im Unbewussten der ganzen gegenwärtigen Populärkultur ausgebeutet werden? Um das genauer darzulegen, ist ein Schritt von der feministischen Theorie zu den Cultural Studies nötig, von Antigone zu Bridget Jones.6

Von Antigone zu Bridget Jones

Der in Butlers Antigone bearbeitete doppelte Widerspruch gibt reichlich Gelegenheit, sich mit Themen zu beschäftigen, die für den Feminismus entscheidend sind. Da ich darauf im Rahmen dieses kurzen Textes nicht gründlich genug eingehen kann, werde ich statt dessen behaupten, dass wir aus dem niedrigen Status, auf den der Feminismus verbannt wurde (eher aus seinem Rückzug in einen unmodernen heruntergekommenen Urlaubsort) - und aus seinem Dasein als etwas, das bei jungen Frauen große Angst und Furcht auslöst, Angst davor, sie könnten als ›Feministin‹ missverstanden und deshalb ihrer anerkannten und wertvollen sexuellen Identität beraubt werden - dass wir daraus einen Rest Hoffnung schöpfen können gegen die Widersprüchlichkeit, Heftigkeit und ständige Wiederholung der Zurückweisungen. Gleichwohl, gerade der Erfolg der Neuen Rechten hat den Feminismus zum Gegenstand der Verachtung gemacht und das erklärt, glaube ich, den Anflug von Traurigkeit, der sich durch Butlers Antigone zieht. In diesem Sinn meine ich, dass Antigone uns die Möglichkeit gibt, die Sorge über das heutige Verwandtschaftssystem, die von Feminismus und politischer Auseinandersetzung beeinflusst ist, jetzt aber auch ohne sie auskommen muss, sozial und kulturell zu analysieren. Obwohl Soziales und Kulturelles zwangsläufig zusammenhängen, werde ich sie zu Gunsten der Kürze durch schrittweises Vorgehen trennen und zuerst für das heutige Familienleben, dann für die Populärkultur darlegen, wie einige dieser Spannungen sich dort manifestieren. Butler schreibt, dass zusammen mit den Wahlfamilien auch neue, umfassende Formen von Zwang, Kontrolle und Überwachung entstehen. Im Zuge dessen verweist sie auch auf ungehörige Beziehungen (zum Beispiel Zuneigungen zwischen nicht verwandten Stiefgeschwistern), die den Erwachsenen Sorgen machen.7 Allerdings können wir annehmen, dass sich ein Klima entwickelt hat, in dem die Grenzen enger werden, die innerhalb des Feldes von Zuneigung, Gefühl und Bindung die rechtmäßigen und anständigen Beziehungen markieren. Unbefugten, die offiziell mit der Obhut oder dem Wohlergehen junger Menschen nichts zu tun haben, wird offen unterstellt, von ihnen gehe Gefahr aus, zumindest aber scheinen sie verdächtig zu sein oder fragwürdige Motive zu haben. Während also weithin akzeptiert wird, wenn es zu Hause einen neuen Stiefvater gibt, stößt das Auftauchen eines liebevollen Erwachsenen in Gestalt eines begeisterten Lehrers, eines übereifrigen Sozialarbeiters oder Betreuers oder einfach eines erwachsenen Freundes heutzutage auf heftige Missbilligung.8 Grob gesagt, kann heute niemand mehr eine Miss Jean Brodie sein.9 Folglich werden die, deren Beziehungen zu Kindern oder Jugendlichen, wie Butler sagt, von ungewisser Dauer oder ohne die Wärme und Ungezwungenheit bleiben, die nur noch Verwandtschaftsverhältnisse gewähren dürfen, in die Kälte verbannt, in Angst vor dem Gesetz versetzt und jeder Möglichkeit beraubt, im Leben und Heranwachsen der Jüngeren eine Rolle zu spielen oder etwas von Bedeutung darin einbringen zu können. Das ist weit entfernt von der radikalen sexuellen Politik der Familie in den 70er Jahren, als es den Aufbau von Kommunen und die Aufteilung der Kinderbetreuung gab und Erwachsene ermuntert wurden, sich mit Kindern zu beschäftigen, zu denen sie keine verwandtschaftliche Beziehung hatten, für die sie aber Verpflichtungen im Rahmen gemeinsamer häuslicher Verantwortung übernahmen.10 Der Horror, den heute schon das Wort ›Kommune‹ hervorruft (obwohl es auch eine Quelle freundlichen Humors sein kann, wie der schwedische Film Zusammen von Lukas Moodyson (2000) zeigt), ist bezeichnend für das Ende der Erprobung neuer Verhältnisse im Zusammenleben und signalisiert in vieler Hinsicht eine Ausbreitung des familialen Konservatismus, eine Verarmung des Gemeinwesens, eine Abwendung von der Möglichkeit, Kinder gemeinsam aufzuziehen, und er zeigt eine neue Form sozialer Ausschlüsse an, ein Mittel, Ausgestoßene zu schaffen und die Gestrandeten, Labilen, Einzelgänger, Einsamen und Kinderlosen weiter zu isolieren. Der Verächtlichmachung des Ungehörigen entspricht der Druck auf homosexuelle Familien, sich musterhaft zu benehmen. In solchen Familien ist es nicht ganz einfach, die üblichen Verwandtschaftsverhältnisse - einschließlich vernarrter Großeltern, liebender Tanten und freundlicher Onkel - zu leben. Wenn Menschen, insbesondere junge Menschen, in der westlichen Welt heute ihre Verwandtschaftsbeziehungen unter dem doppelten Widerspruch - zwischen liberaler Wahlfreiheit und neoliberalen Familien-Werten, zwischen feministischem Alltagsverstand und Verdrängung des Feminismus - leben müssen, wie machen sie das? Beziehungskomödien im Bereich der populären Unterhaltung zeigen diese Ängste in endlosen Variationen. Ich will nun abschließend zeigen, dass Antigone uns direkt zu Bridget Jones (dem Film und dem Buch) sowie zu den us-amerikanischen Fernsehserien Friends, Ally McBeal und Sex in the City führt. Als ich vor vielen Jahren über die populäre Mädchenzeitschrift Jackie schrieb, fand ich heraus, dass die in diesem Magazin vorgestellte Teenagerin Woche für Woche auf der Suche nach einem Jungen war (McRobbie 2000). Sie gab keine Ruhe, ehe sie nicht einen ›Typen‹ gefunden hatte und einen Ring am Finger trug, und auch dann musste sie noch aufpassen, dass er keine Andere hübscher als sie fand. Solche Geschichten wurden von feministischer Seite heftig kritisiert, weil in ihnen die vor-feministische Weiblichkeit auf den Punkt kam, die hoffnungslose, unablässige Suche nach dem Richtigen. Auf diese Weise ein Mädchen zu sein, war, wie viele von uns meinten, eine verletzende, unterwürfige und einfach unerträgliche Subjekt-Position. In den 80er Jahren verschwanden solche Bilder fast völlig. Aber das änderte sich mit Beginn der selbstbewusst ›politisch unkorrekten‹ post-feministischen Populärkultur. Plötzlich, wie aus Erleichterung, dass der ganze böse Feminismus weg war, gibt es aus Gemeinheit wieder dieselben Geschichten; sie enthalten aber eine Ironie, die darauf hinweist, dass ›der Feminismus zur Kenntnis genommen wird‹. Angst, nicht zu heiraten, Angst, sitzen zu bleiben, Angst, eine alte Jungfer zu werden, Angst vor der biologischen Uhr, dass es zu spät werden könnte für Kinder, vor allem die schreckliche Angst davor, eine allein stehende Frau zu sein, treibt all diese Frauen zu ihrer gar nicht mehr geheim gehaltenen Suche nach einem Mann. Von Sex in the City bis Ally McBeal und am deutlichsten bei Bridget Jones führt der Feminismus ein geisterhaftes, verstecktes und fast verhasstes Dasein. Manchmal führen sie sogar ähnliche Diskussionen über Sexualpraktiken wie Feministinnen (Sex in the City), es können ihnen Frauenfreundschaften sogar wichtiger sein als unzuverlässige Liebhaber, auch Lesben dürfen sie erwähnen und sogar ein paar lesbische Freundinnen haben. Sie können, man glaubt es kaum, sich sogar dem Gedanken der Frauensolidarität nähern - niemals aber dürfen sie zugeben, dass sie ihr sexuelles und emotionales Leben führen, ohne zu wissen, was sexuelle Politik ist. Das vor allem zeichnet diese popkulturellen Erzählungen aus, sie dürfen den Feminismus nicht wieder beleben, sie müssen ohne ihn auskommen. Trotzdem entstehen neue Verwandtschaftsformen, die der jetzt in die Geschichte verbannte Feminismus möglich macht, zum Beispiel wird in Friends Rachel schwanger von ihrem früheren Liebhaber Ross. Sie entscheidet sich, das Kind zu bekommen, aber die Beziehung nicht wieder aufzunehmen. Am Anfang der Schwangerschaft fühlt sie sich ständig ›geil‹, geht zu Verabredungen und denkt über das moralische Problem nach, mit jemandem ins Bett zu gehen und von einem Anderen ein Kind im Leib zu tragen. Das ist ein post-feministisches Dilemma in einer Kultur, in der Frauen unabhängig sind und Entscheidungen treffen und in der es keine Schande ist, eine allein stehende Mutter zu sein. Und parallel zu dieser Handlung läuft auch noch die Beziehung von Monica und Chandler, deren Liebesgeschichte, Verlobung, Polterabend und traditionelle Hochzeit in Weiß über eine Zeit von mehreren Monaten für Komik sorgt (Chandlers transsexuellen Vater, der zur Hochzeit im Kleid kommt, eingeschlossen). Einer der (aus dem Buch übernommenen) running gags im Film Bridget Jones ist, dass sie jedes Mal, wenn sie ihr Auge auf einen passenden Mann wirft, von Hochzeitsglocken, weißem Kleid und Brautjungfern träumt. Der Witz liegt in der Art und Weise, wie sie klar macht, dass sie das eigentlich falsch findet, wie sie aber davon ›trotz des Feminismus‹ träumt. Das Publikum lacht mit ihr, weil es ebenfalls weiß, dass Mädchen oder Frauen heutzutage nicht so sein dürfen. Feminismus ist hier der Zensor, eine Gedankenpolizei, die den Mädchen den Spaß verbietet, vom Vergnügen vor-feministischer Weiblichkeit zu träumen (sie stellt sich auch vor, wie sie als Ehefrau und Mutter auf dem Land lebt und glücklich ihren Mann und die Kinder versorgt etc.). Der Film beginnt damit, dass Bridget sich im Schlafanzug mit der Aussicht beschäftigt, schon wieder ohne einen Mann über Weihnachten nach Hause zu fahren, dazu läuft All By Myself (gesungen von Jamie McNeal). Der Witz lebt davon, dass es in der Tat trostlos, peinlich, ja geradezu eine Schande ist, anderen gegenüber zugeben zu müssen, dass man keinen Partner hat. Der Humor und die Intelligenz, die Anspielungen auf Jane Austens berühmten Roman Pride and Prejudice, die Selbstironie der Figur Bridget Jones machen den Film zu einem exemplarischen post-feministischen Text. Sein enormer Erfolg an den Kinokassen, seine sofortige Popularität in schwulen und lesbischen Kreisen11 sowie die soziale Gruppe, die er präsentiert - selbstsichere junge Frauen, die die Qual der Wahl haben und die Vergnügungen der Großstadt genießen, die aber nicht den richtigen Mann finden können und von einem Leben auf dem Land träumen -, machen Bridget Jones zur Vertreterin des heutigen Weiblichkeitskonzepts. Nur die hartherzige, die allzu gewissenhafte, die ernste, humorlose - kurz: die in die Jahre gekommene - ›Feministin‹ kann dagegen protestieren, kann auf das weiße Englisch-Sein von Bridget Jones verweisen, auf die Stimme, die der Film dem Traditionalismus gibt, auf seine zwar ironische Huldigung an die Ehe und auf die stillschweigende Voraussetzung, dass die traditionelle Familienstruktur alle Ängste und Sorgen beseitigt, die allein stehende junge Frauen haben. Von daher war die Gestalt der Bridget Jones im Fortsetzungsroman (auf dem das Buch fußt) wohl die Antwort einer jungen Journalistin (Helen Fielding) an ihre feministischen Vorgängerinnen. Sie scheint als Gegenposition zum Feminismus geschrieben worden zu sein, Bridget ist eher konfus als allzu schlau, sie interessiert sich mehr für Kalorien als für Politik, ihr Beruf bedeutet ihr nicht alles und sie sehnt sich nach der Sicherheit eines gut situierten Ehemanns. Der Feminismus hat seine Schuldigkeit getan und verschiedene neue Möglichkeiten eröffnet, von daher ist ein kleines Dankeschön angebracht, aber jetzt ist er überflüssig, seine Zeit ist vorbei. Butlers Antigone erlaubt uns, dieses Schattendasein zu begreifen: Damit dem Feminismus Rechnung getragen wird, muss es aussehen, als ob er gestorben ist. Aus dem Englischen von Nancy Wagenknecht Literatur Bell, Vikki, Interrogating Incest, London 1997 Butler, Judith, Gender Trouble. Feminism and the Subversion of Identity, New York 1990 dies., Bodies That Matter. On the Discursive Limits of ›Sex‹, New York 1993 dies., AntigoneÂ’s Claim. Kinship Between Life and Death, New York 2000 Campbell, Kirsten, "The plague of the subject: psychoanalysis and Judith ButlerÂ’s Psychic Life of Power", in: International Journal of Sexuality and Gender Studies, 6. Jg., 2001, H. 1/2, 642-51 McRobbie, Angela, "Feminism vs. the TV Blonde", Inaugural Lecture Goldsmiths College University of London, London 1999 dies., Feminism and Youth Culture, Basingstoke 2000 Mitchell, Juliet, Psychoanalysis and Feminism, Harmondsworth 1984 Walby, Sylvia, "Feminism in a Global Era", in: Economy and Society, 31. Jg., 2002, H. 4, 533-57 Walter, Natasha, The New Feminism, London 1996 1 Butler, Judith, Antigones Verlangen. Verwandtschaft zwischen Leben und Tod, aus dem Am. von Reiner Ansén, Suhrkamp, Frankfurt/M 2001 (155 S., kart., 9 Ä) 2 Die amtierende New Labour-Regierung versorgt alle Neuvermählten mit einem Handbuch Wie man leben soll. 3 In Form allgemein geteilter Ansichten findet sich der Feminismus quer durch das politische Spektrum. Für New Labour in Großbritannien gehört er zwar nicht zum politischen Vokabular (vgl. Walby 2002), beeinflusst aber viele Bereiche der Politik. Selbst ›Frau‹ ist in jüngster Zeit durch den Begriff der ›work-life balance‹ abgelöst worden. Die Regierung von George W. Bush rechtfertigt ihre kriegerische Aggression mit dem Verweis auf die Beschränkung der Rechte der Frauen in moslemischen Staaten; in beiden Fällen liegt dem die Vorstellung zu Grunde, dass Gleichbehandlung von Frauen und Männern zum Anspruch auf Zivilisation und Modernität gehört. Außerhalb der Politik und innerhalb des Kulturellen nimmt der feministische Gemeinverstand verschiedene Formen an; er prägt das Frauenprogramm im BBC Radio 3 und BBC Radio 4, für deren Hörerinnen der Feminismus auf Grund ihres Alters und ihres sozialen Hintergrundes wichtig bleibt. 4 In einer Episode des Friends broadcast in the UK (Kanal 4) im September 2002 spielt Phoebe die ›Zweitmutter‹ des Kindes, für das Ross Samen spendete, um seiner Ex-Frau und ihrer Freundin zu ermöglichen, ein Kind zu haben. Phoebe nutzt dies als Einstieg, als sie den Popstar Sting kennen lernen will, dessen Kind in die gleiche Schule geht wie ihr Junge. Die Geschichte stützt sich darauf, dass die Lehrerin sie für die ›Zweitmutter‹ hält und der Witz der Episode ergibt sich aus Phoebes ungeschickten Bemühungen, ihren Status als Lesbe durch einen Flirt mit der Lehrerin zu beweisen. 5 Die feministische Womens Hour auf Radio BBC4 brachte am 23.09.02 ein Feature über den Erfolg der schwarzen britischen Sängerin Ms. Dynamite, die den angesehenen Mercury-Preis gewonnen hatte. Die Interviewerin konfrontierte eine Gruppe von jungen Frauen aus Nord-London, die dieselbe Schule wie Ms. Dynamite besuchen, damit, dass der von ihnen bewunderte Popstar eine Feministin ist. Ihre Texte vermeiden die sonst in den Musikrichtungen HipHop und R‘n‘B üblichen Frauen-Stereotypen - sie stellt klar, dass sie keine Lust dazu hat, sich auf der Bühne auszuziehen und dass sie keine Angst davor hat, die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern zu thematisieren. Die Interviewerin fragte die jungen Frauen, ob sie diese Ansichten teilten und ob sie ebenfalls Feministinnen seien. Diese erstarrten vor Schreck, als sie das Wort ›Feminismus‹ hörten - sie sagten, dass sie Ms. Dynamite und ihre Musik lieben, aber dass sie sich niemals als Feministinnen bezeichnen würden. Bei Feminismus müssten sie an alte und hässliche Frauen denken - ›wie Germaine Greer‹ (vgl. auch Walter 1996). 6 Bridget Jones‘ Diary hieß seit 1996 eine wöchentliche Kolumne in der britischen Tageszeitung Independent, die von der Journalistin Helen Fielding geschrieben wurde. Sie war so erfolgreich, dass sie als Buch herausgebracht und dann 2001 als "Kassenknüller" verfilmt wurde. 7 Butler erwähnt bei den unerwünschten Zuneigungen, diese seien keineswegs selten. In meinem Freundeskreis zum Beispiel ging der 19jährige Stiefsohn eines Mannes, der die Mutter dieses Jungen nach jahrelanger Beziehung wegen einer jüngeren Frau verlassen hatte, mit dem Bruder (25 Jahre) dieser Frau ins Bett. Die Frau fand diese Übertretung der Verwandtschaftsprinzipien so unerträglich, dass sie den Mann verließ, das gemeinsame Baby mitnahm und ihm mit einer Anzeige wegen sexuellen Missbrauchs drohte. 8 Oft berichten Sozialarbeiter davon, dass ihre Betreuungsfunktion durch die öffentliche Ausschlachtung des Missbrauchs ernsthaft eingeschränkt ist. Folgen waren, dass professionelle Hilfeleistungen für gefährdete Jugendliche und sogar Übernachtungsangebote und Hausbereitschaftsdienste für private Gespräche, die sich in der Vergangenheit als sehr effektiv erwiesen hatten, nicht mehr länger angeboten wurden oder sogar verboten sind. 9 Von zutiefst antifeministischen, geradezu frauenfeindlichen Standpunkten aus beschreiben einige bekannte Schriftsteller in der Literatur (Philip Roth in The Human Stain und The Dying Animal, J.M. Coetzee in Disgrace und Jonathan Franzen in The Corrections), wie sehr intime, starke, zwanglose und ungebührliche Beziehungen zwischen Lehrkräften und ihren Studierenden heutzutage tabuisiert werden. Die berechtigte Skandalisierung des sexuellen Missbrauchs hat somit ein Klima von Angst und Verdächtigung erzeugt, das seinerseits den Raum menschlichen Miteinanders einengt. 10 Ende der 70er Jahre besuchte ich FreundInnen in Deutschland, die in verschiedenen WGs lebten. Diese waren im Rahmen des entschiedenen Widerstands gegen die elterlichen Praxen der älteren faschistischen Generation entstanden. Jede besondere Bindung der Kinder an ihre biologischen Eltern wurde unterbunden. Alle Erwachsenen waren für deren Versorgung, Geborgenheit, Zärtlichkeit und für die alltäglichen Hausarbeiten zuständig. Solche Wohngemeinschaften waren damals unter linken oder feministisch orientierten Menschen keineswegs etwas Außerordentliches oder Exotisches. 11 In einem Beitrag im Observer Magazine vom Sonntag, 21. April 2002, S. 35 beschreibt ein junger Mann namens Saul Hazan die schwule Hochzeitszeremonie wie folgt: ›Ich fühlte mich während der Zeremonie wirklich einen Augenblick lang wie eine Bridget Jones und dachte ‚O mein Gott, jetzt habe ich endlich den Richtigen!‹ . Ganz wie in der vor-feministischen Tradition einigte sich das Paar auf einen gemeinsamen Nachnamen. Aus: Das Argument 252