Lohnraub lohnt sich nicht

Wie weiter nach der Intervention in Sachen Berliner Rathauspassage

Im Jahr 2002 hatten Arbeiter ohne die notwendigen Papiere in mehreren Gruppen auf einer Großbaustelle im Berliner Zentrum Abrissarbeiten durchgeführt. ...

... Der sich daraus ergebende Lohnbetrugskrimi um die Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) wurde von der detektivischen Allianz aus elexir-a, der Flüchtlingsinitiative Brandenburg und den beteiligten Arbeitern bis heute noch nicht gänzlich aufgelöst, gleichwohl besteht Anlass genug für ein politisches Resümee. Nach zwei Kundgebungen, diversen Briefwechseln und einigen Unterredungen erhielten ein Teil der Arbeiter im Laufe eines halben Jahres ihren Lohn. Von den insgesamt etwa vierzig Arbeitern, die von einem halben Dutzend (Sub)-Subunternehmern um ungefähr 43.300 Euro Lohn geprellt wurden, streitet allerdings eine letzte Gruppe nach wie vor um die einbehaltenen 18.000 Euro. Insgesamt kann aber festgestellt werden, dass durch eine Kombination von Recherchearbeit und öffentlicher Skandalisierung das Einfordern des Lohnes abseits von Arbeitsgerichten außerordentlich erfolgreich verlief.

Erfahrung von Widerstand und Selbstorganisierung

Auch nach dem bevorstehenden Abschluss der politischen Initiative um die Baustelle Rathauspassagen wird ein konkretes Ziel unserer Arbeit sein, Selbstorganisierung der prekär Arbeitenden ohne Arbeitserlaubnis und deutschen Pass zu unterstützen. Die rassistische Strukturierung der Arbeitswelt, die sich in hierarchischen Gesetzen, der Segmentierung des Arbeitsmarktes oder im Arbeitsalltag manifestiert, zeigt für uns in dieser Hinsicht Handlungsbedarf an, ebenso wie die vorherrschende Konzentration der Gewerkschaften auf regulär Beschäftigte. Migration und Arbeit in Verbindung gebracht mit zunehmend prekären Arbeitsverhältnissen (also flexibilisiert, ohne feste Arbeitszeiten und -verträge, ohne sozialvertragliche Anbindung, mit geringem Arbeitslohn und -standards etc.) markieren dabei Berührungspunkte zwischen mehrheitsdeutscher und migrantischer Arbeitskraft. Zwar trifft es erstere auf Grund ihrer Zugangsrechte, der Anerkennung ihrer Qualifikationen und Sprachkenntnisse meist in abgeschwächter Form, doch nicht nur im Zuge der Hartz-Gesetze weiten sich prekäre Arbeitserfahrungen auch zunehmend auf bisher regelhaft Beschäftigte aus. Bei unserem Vorhaben greifen wir auf die Erfahrung zurück, dass bisher eher unsichtbar belassene Formen der Gegenwehr von Menschen ohne ausreichende Papiere vorhanden sind. Man muss deshalb genauer hinsehen. Migrantische und irreguläre Arbeit findet den Weg in die Medien häufig ausschließlich unter dem Blickwinkel der Kriminalität oder, in liberalerer Perspektive, als Leidensgeschichte. In der Berichterstattung zum Lohnbetrugsfall bei der Berliner Rathauspassage ging die Eigenwehr der Arbeitenden dem gemäß weitestgehend unter. Aber wir können mittlerweile auch eine andere Geschichte erzählen, die nicht nur das Bild des hilflosen Flüchtlings ohne Kommunikationsmöglichkeiten, Papiere und Rechte bestätigt. Die erste erfolgreiche Etappe der Lohnforderungen meisterten Teile der geprellten Arbeiter alleine: Sie beschlagnahmten ihr Arbeitsgerät und drohten es auf ihre Weise zu entsorgen, wenn nicht der zustehende Lohn ausgezahlt werde. Einzelne Subunternehmer wurden bei persönlichen Treffen trotz ihrer "Kumpelhaftigkeit" unter Zugzwang gesetzt, bis diese verschreckt die Polizei riefen. Bei der Sichtbarmachung des Lohnbetrugsfalls war voraussehbar, dass der öffentliche Diskurs um die Brandmarkung von "Schwarzarbeit" kreisen würde. Deshalb wurde die Tatsache der Arbeit ohne Erlaubnis und Vertrag unsererseits nicht kaschiert. Statt dessen versuchten wir, die Verbindung von rassistischem Arbeits- und Aufenthaltsrecht in den Vordergrund zu stellen, um so die Fixierung auf "Schwarzarbeit" zu brechen. Denn erst die fein ausdifferenzierten, staatlich erteilten Erlaubnisse zum hier Leben und Arbeiten - oder deren Verweigerung, wie bei schätzungsweise über eineinhalb Millionen Menschen hier zu Lande - ermöglichen die Überausbeutung. Und sie führen zu dem, was im staatlichen und gewerkschaftlichen Munde "Sozialdumping" heißt.

Überausbeutung auf rassistischer Grundlage

Der daraus entstehende Interessenkonflikt zwischen noch regulär Beschäftigten und "schwarz" Arbeitenden kann aber nicht pauschal als ideologisch oder rassistisch diffamiert werden. Dafür gestaltet er sich im Bausektor, der Landwirtschaft, der Gastronomie oder im Hotelwesen zu real. In diesem Widerspruch bewegten wir uns auch, als wir nur die Auszahlung der von den Arbeitern mit den Unternehmern per Handschlag besiegelten Löhne von 6,25 Euro einforderten. Hätten wir auf Tariflöhne gepocht, wäre die Erfolgsaussicht noch fraglicher geworden. Denn Grundlage der in letzter Konsequenz auch für den Arbeitgeber riskanteren undokumentierten Beschäftigung ist eben der Niedrigstlohn. Überwinden lässt sich dieser Konflikt nur, wenn das Profitieren auf Seiten des Kapitals und die politisch-rechtlichen Voraussetzungen dafür ins Visier geraten. Andernfalls drohen die trotz ihres prekären und überausbeuterischen Charakters (über)-lebenswichtigen Strukturen für Menschen ohne ausreichende Papiere höchstens gefährdet zu werden. Das Interesse der organisierten ArbeiterInnenvertretungen an dem Lohnbetrugsfall war bisher gering. In der Regel wird auch von den Gewerkschaften die Durchführung von Razzien als Lösungsstrategie präsentiert. Da unser Anliegen aber keine ausschöpfende materielle und informationelle Einzelfallunterstützung ist, halten wir es für lohnenswert, an interessierte Gewerkschaftskreise heranzutreten. Bestenfalls springt dann eine multilinguale Rechtsberatung, die Bereitstellung von Kapazitäten zur Selbstorganisierung migrantischer und irregulär Beschäftigter und eine Einladung zur Mitgliedschaft für Papierlose heraus. Möglicherweise lässt die gewerkschaftliche Repräsentationskrise, die sich im kontinuierlichen Mitgliederschwund ausdrückt, die dafür notwendige Änderung ihrer Prämissen zu. aus: ak - analyse + kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 482 / 19.03.2004