Kehrt der Fordismus zurück?

Globale Produktionsnetze und Industriearbeit in der "New Economy

Das Schlagwort der New Economy hat sich in den letzten Jahren zu einer Art Universalmetapher zur Kennzeichnung neuer Formen von Produktion und Arbeit entwickelt. Eng damit assoziiert ist ...

... der fast allgegenwärtige Begriff des Netzwerks. In der neueren ökonomie- und arbeitstheoretischen Diskussion ist damit das inzwischen weit vorangeschrittene Aufbrechen des vertikal integrierten Großunternehmens der Epoche des Fordismus angesprochen und die Etablierung eines auf weitläufigen, oft globalen Kooperationsbeziehungen unterschiedlicher unternehmerischer Akteure basierenden Produktions- und Unternehmenstyps, der sich im letzten Jahrzehnt zu einem wichtigen Leitbild industrieller Modernisierung entwickelt hat. Die Netzwerkmetapher assoziiert rasche und andauernde technologische Innovation, hochgradige Flexibilität durch dezentrale Organisationsstrukturen und unternehmensübergreifende Kooperation sowie wettbewerbsorientierte Arbeitsformen, die in besonderem Maße auf Vertrauen und Selbstmotivation der Lohnabhängigen beruhen. Die dunklen Seiten der post-fordistischen "Netzwerkgesellschaft" (Castells 1996) sind allerdings auch kaum zu übersehen: hierzu gehören nicht nur die von kritischen Beobachtern immer wieder konstatierte Unsicherheit des Arbeitsplatzes und die notorischen Tendenzen zu Überarbeit und Selbstausbeutung. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich auch, daß die Produktionsnetze des High-Tech-Kapitalismus auf der großflächigen Ausbeutung von Niedriglohnarbeit in neuen und auch in traditionellen Industrieländern beruhen. Die jüngsten Konjunktureinbrüche in den High-Tech-Industrien haben deutlich gemacht, daß die netzwerkbasierte Produktion in besonderer Weise für kapitalistische Krisenprozesse anfällig ist. In diesem Aufsatz soll versucht werden, einige der offenen Widersprüche neuerer Theorien industrieller Netzwerke mit Blick auf das Thema "Paradoxien kapitalistischer Modernisierung" zu diskutieren. Es geht um die bei einer genaueren empirischen Analyse erscheinenden Widersprüche zwischen den strategischen Kalkülen und Vorgaben neuer Produktionsmodelle bzw. ihrer Institutionalisierungsformen einerseits und ihren realen, von ökonomischen Brüchen und sozialen Konflikten und Kämpfen geprägten Dynamiken andererseits. Zu verfolgen ist, wie bestimmte historische Konstellationen sozio-ökonomischer Widersprüche und Konflikte durch die Implementation bestimmter Normen und Leitbilder erst geschaffen werden. Solche Konstellationen sind nicht durch die Evolutionslogik des Marktes aufzulösen, die Regulierung ihrer sozialen und wirtschaftlichen Konsequenzen bedarf vielmehr umfassender politischer Eingriffe in die unterliegenden ökonomischen Prozeßlogiken und Machtkonstellationen. Gegenstand des Aufsatzes ist jene Branche, die gemeinhin als Basis und fortgeschrittenste Manifestation des post-fordistischen "Netzwerkkapitalismus" gilt, nämlich der informationstechnische (IT-) Industriesektor. Er bezieht sich auf in den letzten Jahren am Institut für Sozialforschung entstandene Forschungsarbeiten zur Entwicklung der industrieller Arbeit im IT-Sektor, die einen dezidiert industriesoziologischen Blick auf die Verhältnisse in den Produktionsbetrieben entwickeln. Die Überlegungen sollen zunächst in die Zusammenhänge der breiteren polit-ökonomischen und industriesoziologischen Diskussion zum Thema industrielle Modernisierung eingeordnet werden, wobei der Begriff der "netzwerkbasierten Massenproduktion" zu erläutern ist. Daran anknüpfend werden anhand laufender Forschungsarbeiten einige der widersprüchlichen Entwicklungsprozesse und konstellationen in transnationalen Produktionsnetzen vorgestellt. Abschließend sollen einige daraus resultierende theoretische und politische Implikationen skizziert werden.

Von der Krise des Fordismus zur "Netzwerkgesellschaft"

Seit dem Manifestwerden der Krise des Fordismus in den 1970er Jahren hat die politökonomische und industriesoziologische Diskussion eine sich beschleunigende Abfolge verschiedener Paradigmen post-fordistischer Modernisierung von Produktion und Arbeit erlebt, die nicht nur wegen ihrer Namensverwandtschaften an die Modellkonjunkturen der Automobilindustrie erinnert. Vor dem Hintergrund des Niederganges der Leitökonomie des Fordismus - der USA - konzentrierte sich der wissenschaftliche und politische Diskurs zunächst auf die Vorzüge der sozialstaatlich regulierten Unternehmensstrukturen westdeutscher bzw. nordeuropäischer Prägung (vom damaligen Kanzler Schmidt in die Wahlkampfparole "Modell Deutschland" gefaßt; dazu immer noch lesenswert: Esser 1990). In den 1980er Jahren avancierte das japanische Produktionssystem des Toyotismus zum globalen Leitbild der Modernisierungsdiskussion. Das japanische Modell bildete die Folie für jene massive Umwälzung in Unternehmensorganisation und Rationalisierungsmodellen, die weltweit unter dem Schlagwort "schlanke Produktion" (lean production; Womack et al. 1980) und den damit verbundenen Konzepten des "virtuellen Unternehmens" (Davidow/Malone 1992) bekannt geworden sind. Einen dritten Schub in der publizistisch-wissenschaftlichen Modellkonjunktur markierte schließlich das Stichwort von der New Economy, das seine Leitbilder aus den prominenten Standorten der High-Tech-Industrie im Westen der USA bezieht und zugleich das Wiedererstarken der industriellen Konkurrenzfähigkeit der USA gegenüber dem verkrusteten "rheinischen Kapitalismus" und der in den 1990er Jahren von dauernder Stagnation geplagten Ökonomie Japans evoziert. Für das der New Economy unterliegende Produktionsmodell hat sich in der einschlägigen Diskussion der Begriff des Wintelismus (Borrus/Zysman 1997) eingebürgert, der sich auf die Markennamen der beiden Führungsunternehmen der IT-Branche Microsoft (Windows) und Intel bezieht. Mit dem Erfolg dieses Produktionsmodells ist ein abermaliger Bruch in den paradigmatischen Leitbildern der Modernisierung angesagt, der in seinen qualitativen Dimensionen noch wesentlich weiter zu gehen scheint als einstmals der Umbau der fordistischen Massenproduktion nach den Vorgaben des Toyotismus. Die Wintelismus-These, die inzwischen auch in Deutschland ausführlich rezipiert worden ist (vgl. Drüke 1997; Jürgens et al. 2000; Lüthje 2001; Berger et al. 2002), geht von der zentralen Feststellung aus, daß Fertigung nicht länger eine Kernkompetenz erfolgreicher Industrieunternehmen ist. Die Kontrolle über die Schlüsselmärkte der High-Tech-Industrie üben vielmehr solche Unternehmen aus, die sich auf Entwicklung und Vermarktung marktdefinierender Schlüsseltechnologien konzentrieren und dabei auf Kapital und Know-how bindende Produktionsstätten im klassischen Sinne weitgehend oder ganz verzichten. Diesem Leitbild folgend ist die Mehrheit der Führungsunternehmen der New Economy heute mehr oder weniger "fabriklos" - selbst wenn sie nach außen als Fertigungsunternehmen auftreten (wie z.B. der Weltmarktführer bei Internet-Rechnern, Cisco, der PC-Händler und -Endmonteur Dell oder der durchaus der Tradition eines Fertigungsunternehmen entstammende Hewlett-Packard-Konzern). Der eigentliche Bruch mit dem fordistischen und auch dem toyotistischen Modell besteht dabei in den Strategien der Marktbeherrschung. Die traditionellen Formen der Kontrolle von Märkten, Technologiezyklen und Produktionspotentialen, die in der fordistischen Computer- und Elektronikindustrie durch herstellereigene Systemstandards, die weitreichende Integration von Anwendungsprogrammen und -systemen in diese Architekturen und eine hochentwickelte Massenfertigung in vertikal integrierten Großkonzernen erreicht wurden, sind in der IT-Branche der neunziger Jahre von einer weitgehenden Entkopplung der einzelnen Segmente der "Produktionskette" abgelöst worden. Die globalen Brachenführer des Wintelismus konzentrieren sich auf eine mit hohem Investititionsaufwand betriebene Kontrolle der Schlüsselkomponenten der Architekturen dezentralisierter IT-Systeme, und zwar durch die Schaffung sog. "offener", aber häufig mit rigiden monopolistischen Praktiken durchgesetzter Systemstandards. Damit einher geht eine weitreichende Abkehr von den "montageorientierten" Strategien der Marktkontrolle der großen Massenhersteller: an die Stelle der Eigenfertigung tritt immer mehr das global sourcing bei allen Komponenten. Die "Zulieferanten" von Systemteilen wie Festplatten, Motherboards, Computermäusen, Modems oder Bildschirmen sind allerdings keineswegs nur subalterne "Teilezulieferer", sondern bilden eigenständige Branchen mit ausgedehnten cross-national-production networks, insbesondere in den High-Tech-Standorten Ostasiens wie z.B. Südkorea, Taiwan, Singapur oder Malaysia (Borrus et al. 2000). Vor dem Hintergrund dieser und vergleichbarer Entwicklungen in anderen Industriebranchen hat sich in den Sozialwissenschaften inzwischen auf breiter Front die These durchgesetzt, daß moderne Industrieproduktion immer mehr in "Netzwerken" organisiert ist. Dieses Konzept findet fast allgemeine Verwendung zur Kennzeichnung neuerer Formen vertikal desintegrierter Produktion. Es stützt sich stark auf das von Piore und Sabel (1984) eingeführte Theorem der "flexiblen Spezialisierung" und beansprucht in Gestalt des von Manuel Castells (1996) formulierten Begriffs der network society umfassenden sozialwissenschaftlichen Theoriestatus. Mit dem Aufschwung dieser neuen Orthodoxie, auf deren verschiedene Unterströmungen und Schulen ich hier nicht eingehen kann, sind auch neue Epizentren der industriellen Entwicklung in den Vordergrund des Interesses getreten. Die Modellunternehmen des Netzwerkkapitalismus sind nicht mehr in den alten Metropolen des Fordismus oder Toyotismus beheimatet, sondern typischerweise im Westen der USA, etwa im High-Tech-Zentrum Silicon Valley (Saxenian 1994) oder in den Leichtindustriedistrikten von Metropolen wie Los Angeles oder San Diego/Tijuana. Ihnen zur Seite stehen die heutigen Drehscheiben der vernetzten Massenproduktion in Südostasien, vor allem die Stadtstaaten Singapur und Hongkong sowie Taiwan, die besonders von den neueren Theoriekonzepten des asiatischen Kapitalismus und der Asian business networks analysiert werden (Orru et al. 1997; Yeung 1998; kritisch Arrighi/Silver 1999). Den unterschiedlichen Theorien industrieller Produktionsnetze unterliegt eine Art theoretisch-ideologischer Generalkonsens, dessen disziplinübergreifende Elemente sich in etwa wie folgt zusammenfassen lassen (vgl. Castells 1996): 1. Anknüpfend an Schumpeter (und im Gegensatz zu früheren Stagnationstheorien marxistischer oder keynesianischer Provenienz) wird die Aussage gemacht, der Kapitalismus sei prinzipiell innovativ, heute ausgedrückt vor allem im "technologischen Paradigma" der vernetzten Datentechnik des Internet-Zeitalters. 2. Kapitalistische Produktion organisiert sich in "Netzen" spezialisierter, miteinander kooperierender Firmen; vertikale Desintegration und Spezialisierung werden zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil auf immer schnellebigeren Märkten. 3. Die Akteure des technischen Wandels sind nicht einzelne große Unternehmen, sondern technological communities, also Netzwerke von innovativen Firmen und Technikern, zumeist in regionalen Agglomerationen, aber auch in weltweiten Verbünden (Saxenian 1994). 4. Der Trend zur verstärkten Arbeitsteilung impliziert eine Tendenz zu kooperativen, vertrauensbasierten Beziehungen innerhalb dieser Netze, eine Aussage, die sowohl bezüglich der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und technological communities als auch bezüglich des Verhältnisses von Arbeit und Kapital gemacht wird. Zur entscheidenden Frage in der internationalen Standortkonkurrenz wird dabei, wie Lernprozesse effektiv und unter Einschluß aller relevanten lokalen Akteure in Unternehmen und Regionen organisiert werden.

Netzwerkbasierte Massenproduktion

Die harmonistischen Implikationen dieses "neo-schumpeterianischen Konsenses" werden nur von vergleichsweise wenigen Theorieansätzen in Frage gestellt. Hierzu gehören zum Beispiel in der deutschen Industriesoziologie entstandene Konzepte "systemischer Rationalisierung", die nach den Ungleichheiten von Produktions- und Beschäftigungsbedingungen bei der "Arbeit an der Kette" in den modernen Zulieferpyramiden fragen (Sauer/Döhl 1994). Im angelsächsischen Raum sind dies häretisch argumentierende Industrieökonomen wie der verstorbene Bennett Harrison (1994), Vertreter der vor allem in Berkeley und Los Angeles angesiedelten kritischen US-Industriegeographie (Storper/Walker 1989) sowie die Protagonisten des von Hopkins und Wallerstein (1986) stammenden Konzepts transnationaler Produktions- und Warenketten (Gereffi/Korzeniewicz 1994). Jenseits zum Teil erheblicher theoretischer Unterschiede ist diesen Ansätzen gemeinsam, daß sie auch nach der Bedeutung der Industriearbeit und neuer Formen der materiellen Produktion im Kontext der vernetzten Produktion fragen - eine Problemdimension, die in den meisten sozialwissenschaftlichen Netzwerktheorien inzwischen fast völlig verlorenzugehen scheint (eklatant: Negri/Hardt 2000). Die Frage der industriellen Arbeit erscheint in vielerlei Hinsicht als Gretchenfrage zum Verständnis neuerer netzwerkförmiger Produktionsmodelle. Dies gilt zunächst bezüglich der bereits erwähnten Tatsache, daß auch die Produktionsnetze der New Economy auf der Ausbeutung von oft sehr niedrig bezahlter Lohnarbeit beruhen, und zwar insbesondere auch im Bereich der "materiellen Arbeit". Dies gilt aber auch in strategischer Hinsicht, also bezüglich der Analyse der Entwicklungskonstellationen und Dynamiken dieser Produktionsformen. Anknüpfend an die Wintelismus-These stellt sich die unmittelbare Frage, wohin denn die Produktion geht, wenn das Erfolgsgeheimnis modernen Unternehmertums in der Parole besteht "to get rid of manufacturing" (Sturgeon 1997), und welche neuen Kooperationsformen, welche Macht- und Kontrollkonflikte zwischen den beteiligten Unternehmen und Regionen entstehen - insbesondere angesichts der Tatsache, daß der Abfluß von strategischem Know-how in der Produktion und zunehmend auch in der Produktentwicklung leicht zur Abhängigkeit eines Markenunternehmens von seinen Fertigungsdienstleistern und Designlieferanten führen kann. Diese Frage läßt sich zunächst mit dem Hinweis auf das rasche Wachstum neuer Modelle des outsourcing beantworten - also der Verlagerung der Produktion auf Auftragsfertiger und Zulieferanten. Dabei ist festzustellen, daß mit dem raschen Vordringen "fabrikloser" Führungsunternehmen in der IT-Branche während des letzten Jahrzehnts ein völlig neuer Typus der Auftragsfertigung entstanden ist, der im englischen Fachjargon mit dem Begriff Contract Manufacturing bezeichnet wird. Gemeint ist damit eine neue Generation von Firmen, die im großen Stil Computer, Telekommunikationsgerät und eine Vielzahl anderer informationselektronischer Geräte im Auftrag bekannter Markenfirmen herstellen. Die Firmennamen dieser no-name-Fertiger sind kaum bekannt, sie tauchen auch nicht - wie etwa das Logo des Intel Konzerns - "inside" der betreffenden Produkte auf. Wie die Leitsektoren der post-fordistischen IT-Industrie ist auch das großbetriebliche Contract Manufacturing eine globale Branche, die den großen Markenfirmen umfassende Fertigungsdienstleistungen (inklusive Produkt- und Prozeßdesign, Logistik und Reparatur, Altgeräterecycling) aus einer Hand anbietet. Das globale one-stop shopping in der Produktion basiert auf weltweiten Netzen von Produktionsbetrieben, Entwicklungs- und Logistikzentren, die die Kontraktfertiger in den Industrie- und Niedriglohnländern der "Triade" vorhalten. Ein großer Teil der Betriebe wird dabei von bekannten Elektronikfirmen wie Siemens, IBM oder Philips übernommen, die sich ebenfalls der "fabriklosen" Fertigung zuwenden. Das besondere Kennzeichen der Kontraktferigung ist die starke Standardisierung von Fertigungsabläufen und systemen im weltweiten Maßstab, allerdings unter Ausnutzung der unterschiedlichen sozialen und politischen Bedingungen in den Standortländern, einschließlich der unterschiedlichen Systeme der Arbeitsbeziehungen. Dabei überwiegt die Tendenz zu niedrig entlohnter und hochgradig flexibilisierter Arbeit, in den Industrieländern zumeist erreicht über den massiven Einsatz von Zeitarbeit (ausführlich: Lüthje et al. 2002). In theoretischer Hinsicht läßt sich die Kontraktfertigung als eine Form netzwerkbasierter Massenproduktion charakterisieren (ebd.). Ein näherer Blick zeigt allerdings, daß die Implementation eines solchen Produktionsmodells zu neuen und oft sehr komplexen Widersprüchen geführt hat, die auf der Ebene der strategischen Handlungskalküle der Akteure, ihrer Institutionalisierungsformen und der resultierenden Entwicklungsdynamik der Industriestrukturen eigentümliche, oftmals paradoxe Konsequenzen zeitigen. Diese Konsequenzen treten allerdings nur dann in Erscheinung, wenn man eine dezidiert auf den sektoralen und gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang bezogene Perspektive entwickelt und dabei die unterliegenden Dynamiken konjunktureller und struktureller Krisen in den Blick nimmt. Es kommt also darauf an, die verschiedenen Ebenen der Technologieentwicklung, der Innovations- und Marktbeherrschungsstrategien, der Organisation von Unternehmen und ihrer Kooperationsbeziehungen sowie die Formen von Arbeitsorganisation und politik aufeinander zu beziehen, und - durchaus im Sinne der Marxschen Kritik der Politischen Ökonomie - zu fragen, welche Formationen gesellschaftlicher Produktion, welche Machtkonstellationen und welche Manifestationen des Gegensatzes von Lohnarbeit und Kapital "hinter dem Rücken der Akteure" entstehen. Dazu wollen wir im folgenden einige Thesen formulieren: 1. Die New Economy ist eine manufacturing economy. Das wintelistische Produktionsmodell ist geprägt von einer zunehmenden Trennung von Produktinnovation einerseits und Fertigung andererseits. Dies hat allerdings nicht dazu geführt, daß der Fertigungssektor zum quantitativ schrumpfenden und technisch-organisatorisch stagnierenden Anhängsel der Produktion verkommen wäre. So läßt sich etwa feststellen, daß gerade die für die New Economy archetypischen High-Tech-Regionen in den USA in den 1990er Jahren auch das stärkste Wachstum an Fertigungsarbeitsplätzen aufweisen. Die Metropole des modernen "Netzwerkkapitalismus", das kalifornische Silicon Valley, verfügt nach wie vor über die größte Konzentration von Fertigungsarbeitsplätzen in der US-Elektronikbranche überhaupt - auch wenn diese zum großen Teil aus Niedriglohnjobs bestehen. Zugleich findet sich hier eine einmalige Konzentration von fortgeschrittenem Produktions-Know-how, etwa in den Chipentwicklungsfabriken von Konzernen wie Intel und AMD oder bei den Geräte- und Anlagenbauern für die Chipfertigung, also dem "Maschinenbau des Informationszeitalters". Kaum bekannt ist, daß die drei weltgrößten Auftragsfertiger, die Unternehmen Flextronics, Solectron und Sanmina-SCI, ihre Zentralen mitsamt vieler strategischer Produktionsbetriebe ebenfalls in Silicon Valley haben (Lüthje 2001). Solche Feststellungen laufen der allgemeinen Auffassung zuwider, die IT-Produktion basiere überwiegend auf Wissens- und Dienstleistungsarbeit. Diese Vorstellung kann wohl als eine in den Strukturen des wintelistischen Produktionsmodells verankerte ideologische Fixierung charakterisiert werden, die in der zunehmenden Entkoppelung von Innovation und Produktion begründet ist. Dies widerspiegelt zugleich eine auf die industriellen Metropolen beschränkte Beobachterperspektive, denn das stärkste Wachstum der Kontraktfertigung findet in offshore-Standorten in Asien, Lateinamerika und Osteuropa statt. Die ungebrochene Fixierung der industriellen Akteure - insbesondere der Finanzmärkte - auf das Leitbild des wintelistischen Technologieunternehmens verleiht der Entgrenzung von Produktinnovation und Fertigung eine sich selbst bestätigende Eigendynamik, die gerade in der aktuellen Rezession entscheidend beschleunigt worden ist. Die sektorale Arbeitsteilung - oder allgemein gesprochen: die Vergesellschaftung von Produktion - erreicht damit eine bisher ungekannte Komplexität, hochentwickelte industrielle Arbeitsprozesse verschwinden aber zunehmend in globalen Netzen der "Tarnkappenproduktion" (Los Angeles Times). 2. Vertikale Spezialisierung erzeugt globale Konsolidierung. Der vertikalen Spezialisierung - also der strategischen Konzentration der Unternehmen auf einzelne technologische Schlüsselprodukte - wird gemeinhin der Effekt einer Intensivierung des Wettbewerbs durch Dezentralisierung der Unternehmens- und Branchenstrukturen zugeschrieben. Der Aufstieg von hochspezialisierten Unternehmen wie Microsoft, Intel oder Cisco zu dominanten Akteuren der High-Tech-Industrien und die Verteilung der Produktinnovation auf eine Vielzahl kleiner und mittlerer Firmen hat in der Tat die traditionelle Kontrolle der IT-Märkte durch vertikal integrierte de facto-Monopole wie IBM, Digital Equipment oder Siemens nachhaltig untergraben. Allerdings hat dies in keiner Weise zu einer generellen De-Monopolisierung der Wettbewerbsstrukturen geführt. Vielmehr ist die frühere, auf die Vormachtstellung in einzelnen nationalen Märkte aufbauende Dominanz fordistischer Großunternehmen durch den Aufbau globaler de facto-Monopole bei bestimmten Komponenten und Softwaresystemen abgelöst worden. Die heutigen Führungsunternehmen der IT-Branche produzieren standardisierte "Weltprodukte" und haben zugleich eine globale Definitionsmacht für die zentralen Technologienormen. Während die Struktur der Märkte zunehmend fragmentiert wird, wird die Marktkontrolle weltweit zentralisiert (Ernst/OÂ’Connor 1992).Die Globalisierung der Produktmärkte folgt insofern der Logik der vertikalen Spezialisierung, als die Entwicklung der marktbeherrschenden Technologienormen Investitionen von früher ungekannter Höhe erfordert, die sich in jeweils immer kürzen Produktzyklen verwerten müssen. Das wichtigste Instrument zur Schaffung und Beherrschung solcher globaler Massenmärkte ist die Definition technologischer Standards mit relativ offenen Schnittstellen, die einer größtmöglichen Zahl von nachgeordneten System- und Zubehöranbietern die rasche Entwicklung neuer Anwendungen ermöglichen. Im Fachjargon hat sich für diese Art technischer Standards die Bezeichnung open-but-owned durchgesetzt (Borrus/Zysman 1997) - eine durchaus treffende Bezeichnung für das problematische Verhältnis von gesellschaftlicher Produktivkraftentwicklung und privater Kontrolle über die Techologieentwicklung im modernen "Netzwerkkapitalismus". 3. Netze sind hierarchisch. Die in diesem Kontext sich entwickelnden Produktionsnetzwerke sind von einem starken technologischen und ökonomischen Machtgefälle zwischen den verschiedenen Akteuren gekennzeichnet. Anders als in den Zeiten des Fordismus und in den Zulieferpyramiden des Toyotismus basiert die Kontrollmacht der fokalen Unternehmen nicht mehr auf der Verfügung über strategisch zentrales Fertigungswissen, sondern auf der Fähigkeit zur raschen Entwicklung marktdefinierender Produkte und Technologienormen und deren permanenter Erneuerung. Der Prozeß der "Fragmentierung und Zentralisierung" (Ernst/OÂ’Connor 1992) der Branchenstrukturen erscheint in dieser Perspektive auch als eine dauernde Erzeugung ungleicher intrasektoraler Verwertungsbedingungen und Profitratenhierarchien, die sich jeweils um bestimmte Technologie- und Verwertungsnormen einzelner Subsegmente des IT-Sektors gruppieren. Die permanente Zerstörung und Neuschaffung von Markteintrittsbarrieren, die auf "netzwerkförmigen" Interaktionen etwa bei Technologieentwicklung, Patentrechten oder Zulieferbeziehungen basieren, bilden auch in dieser Hinsicht die Essenz des Wettbewerbes im heutigen IT-Sektor. Profitratenhierarchien bestehen nicht zuletzt zwischen Forschungs- und Fertigungsunternehmen. Während F&E-starke Chip-Hersteller wie Intel dauerhaft hohe Gewinnmargen realisieren können, sind die der reinen Systemverkäufer - etwa der PC-Hersteller - gering und unterliegen starken zyklischen Schwankungen. Am unteren Ende stehen die Unternehmen der Kontraktfertigung, die nur über die Herstellung sehr großer Produktvolumen überhaupt in der Lage sind, einen Betriebsgewinn zu erzielen. Konjunkturbedingte Überkapazitäten werden von den Auftraggebern ebenfalls auf die Kontraktfertiger "verschoben". 4. Netze sind global. Netzwerkförmigen Produktionssystemen wird gemeinhin eine starke Affinität zur regionalen Agglomeration zugeschrieben, wofür exemplarisch solche kleinbetrieblich strukturierten Industriedistrikte wie die italienische Emiglia Romana oder das kalifornische Silicon Valley in seinen Gründerjahren stehen (Saxenian 1994). Dem widerspricht allerdings abermals die Empirie. So waren die Kernunternehmen im Silicon Valley wie Intel, National Semiconductor oder Fairchild bereits in den 1970er Jahren Vorreiter bei der Entwicklung neuer Formen der internationalen Arbeitsteilung, vor allem bei der Auslagerung der Chipmontage nach Südostasien (Henderson 1989). Für das wintelistische Produktionsmodell der 1990er Jahre läßt sich feststellen, daß global production networks zu dessen konstitutiven Elementen zählen. Die empirische Literatur zu diesem Thema verweist darauf, daß gerade die für netzwerkförmige Produktion charakteristischen unternehmensübergreifenden Kooperationsbeziehungen sich immer stärker im transnationalen Raum organisieren. Dies gilt nicht nur für die Kontraktfertigung, sondern gerade auch für viele Bereiche von Design und Entwicklung bei Software, Chips und Bauelementen (Borrus et al. 2000). Solche weiträumigen Kooperationsnetze mit starker, zumeist indirekt (über Patentrechte, Know-how-Transfer, Auswahl von Zulieferen u.ä.) ausgeübter Kontrolle eines technologisch führenden Unternehmens lassen sich analytisch mit dem treffenden Begriff global flagship network (Ernst 2002) bezeichnen. Die fortschreitende Internationalisierung des Innovationsgeschehens innerhalb dieser Netze stellt das insbesondere von neo-schumpeterianischen Theoretikern vertretene Credo der zentralen Bedeutung nationalstaatlicher Institutionen für die Entwicklungspfade technologischer Innovation (Dosi 1982) in Frage; es offenbart zugleich eine theoretische Leerstelle des Theorems der "flexiblen Spezialisierung" - nämlich das weitgehende Fehlen von Analysen der globalen Aspekte industrieller Netzwerkbildung (Harrison 1994). 5. Vertikale Spezialisierung bei den "Flaggschiffen" erzeugt vertikale Re-Integration in der Produktion. Mit der Globalisierung der Netzwerkbeziehungen in engem Zusammenhang steht die Tatsache, daß die Massenproduktion informationstechnischer Erzeugnisse immer stärker in vertikal integrierten Großbetrieben und Unternehmensverbünden rekonzentriert wird. Strategischer Ort dieser Neuzusammenfassung der Produktionspotentiale sind heute im wesentlichen die großen Niedrigkostenstandorte der IT-Fertigung, namentlich Mexiko, Malaysia, China, Ungarn und andere Länder in Mittel-Osteuropa. Die laufenden empirischen Forschungen zeigen, daß in diesen Regionen auf höchstem technologischen und organisatorischen Niveau operierende Industrieparks entstehen, die zum Teil mehrere zehntausend Beschäftigte umfassen. Die Krone gebührt wohl dem aus Taiwan stammenden Kontraktfertiger Foxconn, der im chinesischen Shenzhen eine an fordistische Massenfertigungsstätten in Detroit oder Wolfsburg erinnernde Industriestadt mit 60.000 Beschäftigten unterhält, welche sämtliche Zulieferproduktionen von Blech, Plastik und Kabeln bis zum technologisch hochanspruchsvollen Baugruppendesign unter einem Dach beherbergt. Produziert wird für alle bekannten Markenhersteller der IT-Industrie, die wiederum in höchsten Tönen die kostenmäßigen und organisatorischen Vorteile der vertikalen Integration loben. Die Wiederentdeckung des Fordschen Produktionsmodells durch die big player des Wintelismus erscheint bezüglich der strategisch-normativen Vorgaben neuzeitlicher Netzwerkkonzepte paradox: die Re-Integration der Produktionspotentiale "an der Basis" der Produktionsketten entsteht offenbar aus der spezifischen Eigenlogik von vertikaler Spezialisierung und Globalisierung "an der Spitze", also seitens der technologiedefinierenden Markenfirmen (Lüthje 2002). 6. Netzwerkbasierte Massenproduktion führt zu einem globalen Wiederaufleben des Taylorismus. Auf der betrieblichen Ebene zieht das unverhoffte Wiedererstehen fordistischer Produktionsformen eine massive Renaissance des Taylorismus nach sich. Der shop-floor in den neuen Massenproduktionsbetrieben der IT-Kontraktfertigung ist technologisch zwar hochmodern - Betriebe in Niedriglohnländern bewegen sich in der Regel auf gleichem technologischen Niveau wie die in Industrieländern. Die Arbeitsorganisation entspricht trotz anderslautender Bekenntnisse aber weitgehend dem Fordschen Fließbandprinzip, und zwar auch dort, wo die traditionelle Handarbeit in der Elektronikmontage durch hochautomatisierte kapitalintesive Produktionssysteme abgelöst worden ist. Von den in den Industrieländern heute geläufigen, von den Gewerkschaften teilweise zäh erkämpften Ansätzen zur Humanisierung der Arbeit in der Elektronikmontage - wie Job-Rotation, Aufgabenerweiterung oder Gruppenarbeit - ist in den modernen Massenfertigungsstätten in den Niedrigkostenstandorten nicht viel zu sehen. Zwar ist die Arbeitsumwelt zumeist hochmodern und im Vergleich zu vielen älteren und kleineren Betrieben der Submontage geradezu privilegiert, die Arbeitsabläufe und die Tätigkeiten der zumeist weiblichen Beschäftigten sind aber extrem segmentiert. Die Belegschaften bestehen zum großen Teil aus jungen Frauen, zumeist Industriearbeiterinnen der ersten Generation, die aus ländlichen Gebieten zuwandern oder einpendeln und häufig einen ethnisch, rechtlich oder geschlechtlich diskriminierten Status haben. Ein solches Muster läßt sich für die einschlägigen Standorte in Lateinamerika und Asien fast durchgängig feststellen, es findet sich aber auch in den High-Tech-Zentren im Westen und Süden der USA, wo die Belegschaften überwiegend aus lateinamerikanischen oder asiatischen ImmigrantInnen bestehen (Lüthje et al. 2002; Sproll 2003).Trotz der starken Tendenz zur Standardisierung weisen Arbeitsorganisation und Arbeitspolitik im globalen Maßstab erhebliche Differenzierungen auf. Diese ergeben sich zunächst aus den in den jeweiligen Ländern herrschenden Systemen industrieller Beziehungen, insbesondere hinsichtlich der Rolle von Gewerkschaften, aber auch aus den unterschiedlichen Kulturen und Traditionen industrieller Arbeit, die die Kontraktfertiger gezielt zu nutzen versuchen. Besonders deutlich ist dies in den inzwischen relativ zahlreichen Betrieben in europäischen Hochlohnländern wie (West-) Deutschland oder Schweden, wo insgesamt die in der Metall- und Elektroindustrie vorherrschenden, zumeist tarifvertraglich abgesicherten Lohn- und Beschäftigungsstandards sowie oftmals kooperative Arbeitsbeziehungen im Betrieb vorherrschen. Angesichts des überragenden quantitativen Gewichts der Niedrigkostenfertigung lässt sich allerdings die über die Globalisierung der Produktionsnetze transportierte Ausdehnung (neo-)tayloristischer Arbeitsformen als beherrschende Tendenz ausmachen. Die übergroße Mehrheit der Beschäftigten arbeitet nicht unter den vertrauensbasierten, kooperativen Arbeitsverhältnissen, die mit dem Begriff "Netzwerk" verbunden wird; die Einbeziehung großer Zahlen von ethnisch, geschlechtlich oder sozial diskriminierten "neuen" Arbeiterschichten erinnert auf vielfältige Weise an die mit der Durchsetzung des Taylorismus in den kapitalistischen Industrieländern erlebten Proletarisierungsprozesse. 7. Dennoch oder gerade deshalb: Netzwerkbasierte Massenproduktion begünstigt die industrielle Entwicklung strategischer Standorte der "Peripherie". Trotz dieser Verhältnisse hat die rasche Relokalisierung der IT-Produktion im Kontext globaler Kontraktfertigungsnetze bedeutende industrielle Entwicklungseffekte für die betreffenden Regionen und Länder der früheren "Peripherie". Aus Sicht der meisten Theorien der internationalen Arbeitsteilung muß es paradox erscheinen, daß die Dynamik der vertikalen Desintegration an der Spitze der Produktionsketten die Entstehung moderner und hochgradig integrierter Industriekomplexe an low cost-Standorten in unverhofftem Maße begünstigt. Dabei werden auch zunehmend relativ hochwertige Produktionsprozesse, namentlich die Einführung neuer Produkte, in die Großbetriebe und Industrieparks in den newly industrializing countries verlagert. Insbesondere in Malaysia und China verfügen die Kontraktfertiger über hochentwickelte Kapazitäten auf diesem Gebiet, gerade die jüngste Rezession hat die Verlagerung qualitativ hochwertiger Prozesse und Produkte in starkem Maße vorangetrieben. Dies geschieht in der Regel auf Verlangen der großen Markenfirmen, obwohl innerhalb dieser Unternehmen durchaus zum Teil massive Vorbehalte bezüglich des damit verbundenen Abflusses von strategischem Know-how, der Komplizierung der Produktionsabäufe und der mangelnden Kontrolle über geographisch weit entfernte Produktionsstätten bestehen. Die entstehenden Veränderungen in der internationalen Arbeitsteilung gehen inzwischen weit über eine komplementäre Arbeitsteilung zwischen Hoch- und Niedriglohnregionen auf Basis komparativer Kostenvorteile hinaus. Die "Billigstandorte" machen selbst einen Prozeß sehr rascher technologischer Innovation durch, zumeist in der Fertigung, zunehmend aber auch im Bereich von Produktentwicklung und Design (Ernst 2003). Antriebskraft ist nicht zuletzt die Ausnutzung relativ gut ausgebildeter, aber im internationalen Vergleich niedrig bezahlter Ingenieursarbeitskraft, die die Verlagerung arbeitsintensiver Routinetätigkeiten in der Entwicklung von Software, Chips und Bauelementen ökonomisch attraktiv macht. Die klassischen Fertigungsstandorte in Asien - Taiwan, Singapur, zunehmend auch Malaysia und China - folgen dabei dem Beispiel Indiens und seiner Softwarefabriken (vgl. auch Heft 3/2003 dieser Zeitschrift). Diese Länder können sich aber auf das vorhandene Know-how im Fertigungsbereich und der Komponentenzulieferung stützen, die Herausbildung recht stark differenzierter Industriestrukturen ist im Gegensatz zu Indien hier bereits Realität. Aus der Sicht der Industrieländer läßt sich feststellen, daß die im Namen der internationalen Wettbewerbsfähigkeit betriebene Konzentration von Investitionen und Technologieentwicklung auf Schlüsselbereiche der New Economy inzwischen auch zum beschleunigten Export jener "wissensbasierten" Produktionssegmente und Jobs führt, die laut Theorie die sicheren sein sollen.

Kehrt der Fordismus zurück?

Zusammengefaßt scheinen die obigen Beobachtungen darauf zu verweisen, daß sich unter dem Deckmantel des Netzwerkparadigmas eine massive Neuzusammensetzung von Produktionsstrukturen und Belegschaften in den Niedrigkostenstandorten der IT-Industrie vollzieht, die sich als eine zumindest verdeckte Renaissance fordistisch-tayloristischer Produktionsstrukturen interpretieren läßt. Kehrt also der Fordismus in einer solchen globalisierten Gestalt als dominantes Paradigma kapitalistischer Restrukturierung zurück, und ist die von den Theoretikern der flexiblen Spezialisierung und der industriellen Netzwerke unterstellte Auflösung der vertikal integrierten Produktionsketten der fordistischen Massenproduktion möglicherweise Illusion? Eine solche Sichtweise wäre sicherlich zu einfach. Zunächst stehen die geschilderten Tendenzen einer vertikalen Re-Integration genauso wie die Re-Taylorisierung der Produktionsarbeit unter dem Vorzeichen eines in der Tat weitgehend vollzogenen Bruchs mit fordistischen Modellen von Produktion und Unternehmensorganisation auf seiten der marken- und technologieführenden Unternehmen. Hinter die beschleunigte Auflösung des vertikal integrierten Großunternehmens des Fordismus gibt es wohl kein Zurück; die Neustrukturierung fortgeschrittener Kernbranchen der kapitalistischen Industrieproduktion vollzieht sich gleichwohl in signifikant anderen Bahnen als von den meisten Theorien kapitalistischer Modernisierung unterstellt. Gegen die Rückkehr des Fordismus zum dominanten Akkumulations- und Regulationsmodus spricht aber vor allem das Fehlen jener politisch-institutionellen Rahmenbedingungen, welche in den entwickelten kapitalistischen Industrieländern der Nachkriegsära eine relativ gleichläufige Entfaltung industrieller Massenproduktion und standardisierten Massenkonsums ermöglichten. Keines der angesprochenen Niedrigkostenländer verfügt heute über Lohneinkommen, die eine relativ stabile Entwicklung des Lebensstandards breiter Schichten der Lohnabhängigen hin zum Niveau der USA, Westeuropas und auch Japans auch nur denkbar erscheinen ließen. Die zum zehnjährigen Jubiläum des nordamerikanischen NAFTA-Abkommens gezogenen Bilanzen zur ökonomischen Entwicklung Mexikos (vgl. Business Week v. 22.12.2003) verweisen hierauf ebenso wie die Tatsache, daß auch im derzeitigen Wirtschaftswunderland Nr. 1, China, allenfalls zehn Prozent der Bevölkerung an einem den OECD-Ländern vergleichbaren Konsumniveau teilhaben - vom weitgehenden Fehlen wohlfahrtsstaatlicher Absicherungen ganz zu schweigen. Die industrielle Entwicklung dieser Länder ist wohl eher mit einer Perspektive zu beschreiben, für die Alain Lipietz (1987) den Begriff des unvollständigen oder "schmutzigen" Fordismus geprägt hat - seinerzeit bezogen auf die industriellen latecomer in Europa und Lateinamerika (namentlich Spanien und Brasilien). Die in diesem Modell angelegten Disparitäten zwischen sich relativ rasch entwickelnden, weltmarktorientierten Industrien und einer verarmten, zumeist agrarisch strukturierten "inneren" Peripherie, die vor allem als Lieferant industrieller Arbeitskräfte dient, sind in den großen newly industrializing economies wie China oder Mexiko heute noch sehr viel stärker ausgeprägt. Nur jene relativ kleinen Ökonomien, die wie Südkorea, Taiwan oder der Stadtstaat Singapur in die Rolle regionaler Drehscheiben globaler Produktionsnetze hineingewachsen sind, haben diese Disparitäten zumindest teilweise überwinden können. Im Falle der an den transnationalen Produktionsnetzen der IT-Industrie beteiligten Ökonomien des ehemaligen Realsozialismus - insbesondere Chinas - haben wir es zudem mit gesellschaftlichen Transformationsdynamiken zu tun, deren soziale Konfliktpotentiale der Attraktivität dieser Länder als High-Tech Standorte unter Umständen sehr schnell Abbruch tun könnten. Unter dem Strich bleibt dennoch, daß die beschleunigte Restrukturierung der kapitalistischen Produktion unter dem Vorzeichen netzwerkbasierter Massenproduktion dafür sorgt, daß die Spielräume dieser Länder für eine begrenzte Teilnahme am globalen Modernisierungsgeschehen größer geworden sind. Ein entscheidender Punkt zum Verständnis der ökonomischen und sozialen Dynamik netzwerkbasierter Formen der Massenproduktion scheint darin zu bestehen, daß stabile Produktions- und Tauschnormen (Aglietta 1979) im Sinne eines global dominanten und institutionalisierten politökonomischen Entwicklungsmodells in der Epoche des "Post-Fordismus" bis auf weiteres nicht zu erkennen sind. Da eine längerfristig stabile Evolutionslogik des Marktes und der gesamtökonomischen Reproduktionsstrukturen fehlt, können die Strukturwidersprüche neuer Produktionsmodelle nur in Formen gelöst werden, die einzelunternehmerisch und volkswirtschaftlich häufig dysfunktional erscheinen. In jedem Fall scheint aber ein solcher Blick auf die sogenannte New Economy die Aktualität "klassischer", auf den Arbeitsprozeß und die gesellschaftliche Arbeitsteilung bezogener industriesoziologischer Perspektiven zu bestätigen. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die Niedrigkostenstandorte, in denen die tayloristische Subsumtion industrieller Arbeit sozusagen im Schnelldurchlauf erfolgt. In vertikal desintegrierten Produktionssystemen finden sich heute ähnliche Tendenzen einer Polarisierung von Arbeit und Qualifikationsstrukturen, wie sie ausführlich von der taylorismuskritischen Industriesoziologie der 1960er und 1970er Jahre analysiert wurden (programmatisch: Braverman 1975). Allerdings vollziehen sich diese Polarisierungstendenzen heute weniger innerhalb des einzelnen Betriebs als vielmehr "entlang der Kette" der vernetzten Massenproduktion, also vor allem zwischen den Arbeitsverhältnissen in den technologieführenden Leitunternehmen und dem Fertigungssektor. Obwohl die vernetzte Produktion den eindimensionalen Charakter der fordistischen Subsumtionslogik aufgebrochen zu haben scheint, haben wir es im Falle der IT-Fertigung keineswegs mit einem "Ende der Arbeitsteilung" (Kern/Schumann 1984) oder gar einer "Reprofessionalisierung" der Arbeit auf handwerklicher Grundlage im Sinne des Theorems der flexiblen Spezialisierung zu tun (Piore/Sabel 1984). Vielmehr sind die Rationalisierungsstrategien durch eine weitreichende räumliche und organisatorische Entkopplung von Arbeitsprozessen mit unterschiedlichen Qualifikationserfordernissen innerhalb der Unternehmen und im unternehmensübergreifenden Maßstab gekennzeichnet. Politisch bedeutet dies, daß der traditionelle trade-off zwischen den Anforderungen technologisch hochwertiger Qualitätsproduktion einerseits und modernen Produktionskonzepten, Arbeitsbedingungen und Qualifikationspolitiken andererseits (zuletzt Schumann 2003) immer brüchiger wird. In den metropolitanen Produktionsbetrieben der Elektronikindustrie ist der Widerspruch zwischen dem von Belegschaftsvertretungen und Gewerkschaften artikulierten Interesse an "guter Arbeit" und den Verwertungsimperativen des Kapitals kaum noch auf der Basis eines Interessenausgleichs zum Zweck gemeinsamer Anstrengungen für das technologische und qualifikatorische upgrading der Belegschaften zu regulieren. Betriebsbezogene Verhandlungskompromisse zur Wiedergewinnung von Produktionsarbeitsplätzen - wie zuletzt etwa das vieldiskutierte 5.000 x 5.000-Modell beim deutschen Volkswagen-Konzern - sind in der vertikal desintegrierten IT-Industrie kaum noch vorstellbar. Drastisch deutlich wurde dies wiederum mit dem neuerlichen Einbruch bei den manufacturing jobs in der europäischen und nordamerikanischen IT-Industrie im Gefolge der jüngsten Rezession, vor allem aber mit dem nunmehr massiv vorangetriebenen Outsourcing von qualifizierten Ingenieursjobs, wie sie in Deutschland derzeit vor allem der Siemens-Konzern und seine Chip-Tochter Infineon vorexerzieren (Müller 2003). Aus der Sicht der industriellen Entwicklungsländer ist die massenhafte Wiedererstehung des Taylorismus in den Produktionsbetrieben noch kaum als Problem wahrgenommen worden. Zu groß scheint unter den Vorzeichen der globalen Standortkonkurrenz und der internen sozialen Veränderungen der Druck für die Schaffung neuer weltmarktorientierter Industriejobs. Ein wesentlicher Grund hierfür ist allerdings auch, daß die zumeist weiblichen Belegschaften von gewerkschaftlicher Organisierung weitgehend ausgeschlossen sind, häufig auch aufgrund repressiver Arbeitsgesetze und der Unterdrückung von Gewerkschaften (besonders ausgeprägt in dieser Beziehung: Malaysia). Offenbart sich hier eine deutliche Affinität der Standortstrategien der Führungsunternehmen der New Economy zu "gewerkschaftsfreien", durch autoritär-staatliche Herrschaft abgesicherten Arbeitsbeziehungen, so ist die tayloristische Segmentierung der Arbeit in den fortgeschrittensten Produktionsbetrieben auch als ein massives Hemmnis für die längerfristige industrielle und soziale Entwicklung der betreffenden Ökonomien zu betrachten. Zumindest in Asien ist sich eine Minderheit politischer Entscheidungsträger dessen bewußt, daß die low-skill- und low-wage-Politik in den modernen Großbetrieben der IT-Produktion auch eine zunehmende Vergeudung der von den betreffenden Ländern aufgebrachten Ressourcen für die schulische, universitäre und berufliche Qualifizierung der Arbeitskräfte darstellt. Zu den Ansatzpunkten einer politischen Regulierung der angesprochenen globalen Restrukturierungsprozesse haben wir an anderer Stelle einige Überlegungen entwickelt (vgl. Lüthje/Sproll 2002). Hier soll der Hinweis genügen, daß es dabei neben der "Wiederaufforstung" gewerkschaftlicher Organisationsstrukturen vor allem um eine international ausgerichtet Regulierung der "Schnittstellen" globaler Produktionsnetze zwischen Markenherstellern und Auftragnehmern bzw. zwischen Industrie- und Entwicklungsländern gehen muß. Dies geht über die bekannten Diskussionen zum Thema global labor standards insofern hinaus, als radikale Einschnitte in die unternehmerische Verfügungsgewalt, insbesondere auch bei der Entwicklung der marktdefinierenden Technologien, erforderlich scheinen (vgl. auch Esser et al. 1997). Die Widersprüche des informational capitalism verweisen jedenfalls in vielfältiger Weise auf dessen fundamentale Demokratiedefizite und die Notwendigkeit seiner politischen Regulierung.

Literatur

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