Kapitalistische Naturaneignung und der Kampf ums Saatgut

Die Landwirtschaft ist ein Bereich, der bis Anfang des 20. Jh. von der "kapitalistischen Umarmung", im Sinne einer umfangreichen Ökonomisierung, verschont blieb.

Grund dafür war die Schwierigkeit, die kleinbäuerliche Landwirtschaft so umzuformen, dass sich ein Mehrwert abschöpfen ließ, der größere Kapitalinvestitionen rechtfertigte. Dies änderte sich erst durch den Einsatz von Maschinen, die es ermöglichten, große Flächen in relativ kurzer Zeit zu bebauen, durch die Verwendung von industriellen Pestiziden und Düngemitteln, sowie durch die Privatisierung der Pflanzenzüchtung.

Fordistische Naturaneignung

Als Fordismus wird in der Regulationstheorie analytisch eine Phase des Kapitalismus im 20. Jahrhundert gefasst, die u.a. durch Massenproduktion (Fließbandfertigung) und Massenkonsum gekennzeichnet ist. Bestimmende Merkmale des Fordismus sind weiterhin die Erschließung und der Zugang zu billigen, fossilen wie biologischen Rohstoffen, sowie die besonders nach dem 2. Weltkrieg fortschreitende Kapitalisierung bis dahin noch nicht unmittelbar monetär verwerteter gesellschaftlicher Bereiche. Dieser Prozess wird auch als "innere Landnahme", in Analogie zu der "äußeren Landnahme" des Kolonialismus, bezeichnet und eröffnet, wie diese, neuartige Expansionschancen für das Kapital.

Im Agrarbereich kann als derartige innere Landnahme die Privatisierung der Zuchtarbeit angesehen werden. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die Züchtung, die vormals die LandwirtInnen selbst betrieben, vermehrt von privaten Unternehmen übernommen. Die Arbeit der Pflanzenzüchtung bestand meist darin, die bereits gezüchteten Pflanzensorten zu optimieren. Die zentrale symbolische Bedeutung, die im Fordismus innerhalb der industriellen Produktion dem Automobil zukam, nahm im Agrarbereich der Mais ein. Zwischen 1935 und 1955 kam es zu einer Verdopplung der Erträge, zwischen 1955 und 1985 sogar zu einer Versechsfachung. Diese Steigerung der Erträge wurde durch die Hybridzüchtung und die gleichzeitige Industrialisierung der Landwirtschaft ermöglicht.

Die Zuchtbranche durchlief im 20. Jh. eine dynamische Entwicklung. Viele mittelständische Zuchtbetriebe verschwanden und an ihre Stelle traten transnationale Saatgutkonzerne wie Monsanto, Dupont und Bayer Crop Sience mit gigantischen Umsätzen (Dupont: ca. zwei Milliarden US-Dollar im Jahr 2002). Doch die Agrarkonzerne hatten ein "Problem". Denn Saatgut ist nicht nur ein Produkt, das von den LandwirtInnen zur Aussaat immer wieder eingekauft werden muss, sondern auch gleichzeitig vermehrungsfähiges Material, also Produktionsmittel. Es kann wieder als Grundlage für die darauf folgende Aussaat dienen, indem ein Teil der Ernte zurückbehalten und aufgearbeitet wird - der sogenannte Nachbau. Da in einem Jahr, in dem Nachbau betrieben wird, kein Saatgut gekauft wird, gehen den ZüchterInnen viele potentielle KäuferInnen durch die Lappen. Um die Kontrolle über das Saatgut zu erhalten und Abhängigkeiten herzustellen, entwickelte die Zuchtbranche verschiedene Strategien. Hieran waren die Regierungen der kapitalistischen Länder maßgeblich beteiligt (durch internationale Verträge und Organisationen, finanzielle Unterstützung, militärische Interventionen, Entwicklungshilfe etc.).

Zu Beginn der 1950er und verstärkt in den 1960er und 1970er Jahren wurde in vielen Regionen der Welt die "Grüne Revolution" durchgesetzt. Diese kann als globale Strategie angesehen werden, immer weitere Landstriche weltweit in das kapitalistische System einzubinden und die Möglichkeit der "Roten Revolution" dort zu unterbinden. Der Begriff der "Grünen Revolution" beschreibt eine umfassende, staatlich geplante Modernisierung der Landwirtschaft, die auf biologischen technischen und chemischen Neuentwicklungen basierte. Wichtig war hierbei das sogenannte Hybridsaatgut. Hybridsaat hat für die LandwirtInnen zur Folge, dass diese, bei optimalem Input von Wasser, Dünger und Pestiziden, bei der ersten Ernte einen 15-30% höheren Ertrag erzielen können. Gleichzeitig müssen sie jedes Jahr wieder neues Saatgut kaufen, da sich bei Hybridsaatgut wegen stark verminderter Ernteerträge die Wiederaussaat kaum lohnt. Mit der Einführung von Hybridsorten verstärkte sich demnach die Abhängigkeit der LandwirtInnen von den ZüchterInnen.

Diese Neuentwicklungen führten zu umfassenden gesellschaftlichen und landwirtschaftlichen Umstrukturierungen. Tausende von regionalen Pflanzensorten wurden von wenigen Hochleistungssorten verdrängt. Gab es in Indien vor der "Grünen Revolution" ca. 50.000 Reissorten, wurden 20 Jahre später auf dem größten Teil des Kontinents nur noch etwa 40 Sorten angebaut - eine umfassende genetische Uniformierung. Zugleich verschuldeten sich immer mehr LandwirtInnen, um sich das Hochleistungssaatgut mit den entsprechenden Pestiziden und Düngern leisten zu können. Der Umstieg auf Hybridsorten und die damit einhergehende Verschuldung war für viele LandwirtInnen ein irreversibler Prozess: Die Rückkehr zu den ursprünglichen Sorten war nicht mehr möglich, da diese entweder nicht aufbewahrt worden waren oder nicht den entsprechenden Mehrertrag erbrachten, um die angehäuften Schulden abzutragen. Am Ende mussten viele LandwirtInnen ihr Land verkaufen und als SaisonarbeiterInnen auf den Feldern von Großgrundbesitzern arbeiten (die häufig vormals ihre eigenen gewesen waren). Dieser Prozess verlief allerdings nicht gradlinig, sondern war gekennzeichnet von zum Teil heftigen Kämpfen und Auseinandersetzungen. Die "Grüne Revolution" war zum einen eine Strategie zur Erhöhung der Nahrungsmittelproduktion mit zum Teil katastrophalen Folgen für die Umwelt (Verlust biologischer Vielfalt, Bodenerosion etc.). Zum anderen wurden die LandwirtInnen, die Hybridsorten anbauten, von ihrem Produktionsmittel getrennt, was eine Zerstörung der tradierten gesellschaftlichen Naturverhältnisse, im Sinne gesellschaftlich spezifischer Formen von symbolischen wie materiellen Naturbeziehungen, zur Folge hatte. Im Laufe der Zeit monopolisierte sich die Kontrolle über die Produktionsmittel in den Händen von Saatgutkonzernen. Mit der Privatisierung der Saatgutproduktion und "der Grünen Revolution wird also ein bedeutender Schritt in der Durchsetzung einer kapitalistisch organisierten Landwirtschaft (Â…) gemacht" .

Krise des Fordismus und postfordistische Suchprozesse

Trotz dieser umfangreichen Umstrukturierungen war Mitte der 1970er Jahre ca. 80% des Saatguts in den südlichen Ländern noch nicht kommerzialisiert. In den sogenannten 3. Welt- Ländern stammten häufig noch 98% Prozent der Ernte aus Nachbau, in den Industrieländern 50-70%. Es mussten also weitere Strategien zur Kontrolle des Saatguts gefunden werden. Dieser Prozess war eingebettet in einen konflikthaften "gesellschaftlichen Suchprozess ", der als Ganzes die Krise des Fordismus markiert. Diese Krise wurde Ende der 1960er Jahre u.a. durch einen Rückgang des wirtschaftlichen Wachstums eingeleitet. Im Verlauf der dadurch ausgelösten kapitalistischen Restrukturierung kam und kommt es weiterhin zur Herausbildung neuer Akkumulations- und Regulationsweisen, die mit den Begriffen der "postfordistischen Regulation" und z.T. auch der "neoliberalen Globalisierung" gefasst werden können. Diese historischen Entwicklungen sind allerdings nicht determiniert, sondern durch konflikthaftes, häufig auch widersprüchliches Handeln sozialer AkteurInnen gekennzeichnet.

Zur Überwindung der Krise wurden verschiedene politisch-ökonomische Strategien entwickelt, im Agrarsektor z.B. die Einführung der Gentechnologie. Es erfolgte ein neuer Schub der "Durchkapitalisierung" durch Einbezug ökonomisch bisher noch nicht inwertgesetzter Bereiche in den Kapitalverwertungsprozess. Ebenso wie im Fordismus beruht das Wachstum im Postfordismus u.a. auf einer weltweiten Ausbeutung von fossilen wie pflanzengenetischen Ressourcen. Allerdings bekommen die genetischen Ressourcen, insbesondere durch die Möglichkeiten, die sich durch die neuen Biotechnologien eröffnen, einen neuen Stellenwert. Teile von ihr, wie die genetische Information, die lange als nicht verwertbar galt, transformieren sich zu neuen strategischen Ressourcen. "No longer is nature defined and treated as an external, exploitable domain. Through a new process of capitalization (Â…) previously ›uncapitalized‹ aspects of nature and society become internal to capital." Es können somit zwei "Umgangsweisen" mit Natur unterschieden werden. Zum einen die fordistische, die die Natur als externe, materielle Ressource in Form klassischer Rohstoffe wie Öl, Erzen, Kohle ausbeutet. Zum anderen die postfordistische Umgangsweise, die auf einer neuen, "nachhaltigen" Ausbeutung der Natur aufbaut. Ermöglicht durch neue Entwicklungen in den Bio- und Informationstechnologien werden Ressourcen, wie Gensequenzen, "entdeckt", die vormals nicht zur Verfügung standen. Durch die Gentechnik wird praktisch das gesamte genetische Material aller Lebensformen als Ressource zugänglich.

Nicht nur die genetische Information gewinnt an Bedeutung, sondern auch das traditionelle Wissen z.B. um Heilpflanzen. Diese beiden Formen von immateriellen Ressourcen eröffnen KapitalbesitzerInnen neue Anlage- und Verwertungsbereiche. Zur Absicherung dieser angeeigneten Ressourcen spielen Patente eine zentrale Rolle. Neben der Ausbeutung und Aneignung von materiellen Ressourcen werden so die Ausbeutung und Aneignung von immateriellen Ressourcen immer bedeutender. Diese beiden Formen der Akkumulation können durchaus koexistieren, doch meistens leitet die erste Form irgendwann die zweite Form ein, nämlich dann, wenn die rohe Aneignung von Natur zu sozialen Gegenbewegungen führt. In dem Umfang, wie die zweite Form kulturelle Hegemonie mit sich bringt, wird sie Dominanz über die erste Form und auch über Zielsetzungen und Verständnis sozialer Bewegungen erlangen. So führte die massive Umweltzerstörung zu heftigen sozialen Protesten. Bestimmte Forderungen dieser AkteurInnen wurden partiell integriert (z.B. im Nachhaltigkeitsdiskurs), womit sich Teile der Bewegung zufrieden gaben. Anderen Forderungen, wie denen nach Rechten an Land oder nach Nicht-Privatisierung von Natur, wurde entweder nicht entsprochen oder sie wurden ideologisch überformt. Die Biodiversitätskonvention der UN von 1993 steht paradigmatisch für diese postfordistische Regulation, da sie die Forderung nach Schutz der Biodiversität ernst nimmt, gleichzeitig aber die Ideologie massiv vorantreibt, dass Natur nur geschützt werden kann, wenn private Eigentumsrechte an ihr vergeben werden.

Die Anwendung der Gentechnik eröffnete der Life Sciences Industrie neue Möglichkeiten. Zum einen können auf gentechnisch-modifizierte (GM)-Organismen Patente angemeldet und erteilt werden. Das führt z.B. in den USA und in Kanada bereits dazu, dass LandwirtInnen einen Anbauvertrag unterschreiben müssen, um GM-Saatgut von z.B. Monsanto anbauen zu können. Dieser verpflichtet die LandwirtInnen dazu, das Saatgut nur für eine Erntesaison zu verwenden. Nachbau wird so rechtlich unterbunden. Darüber hinaus werden die LandwirtInnen verpflichtet, das Pestizid von Monsanto zu verwenden.

Zum zweiten bietet die Gentechnik neue technische Möglichkeiten, den Nachbau zu verhindern. So wurde in den letzten Jahren die "Terminator- Technologie" entwickelt, mit der steriles Saatgut hergestellt werden kann. Während bei Hybridsaatgut wenigstens theoretisch die Wiederaussaat möglich ist, können die "suicide seeds" nicht ein weiteres Mal ausgesät werden, LandwirtInnen sind daher zum erneuten Saatgutkauf gezwungen.

Zum dritten breiten sich GM-Organismen ganz von alleine aus. Ein "genialer" Schachzug, da durch "natürliche" Auskreuzungsprozesse bislang nicht gentechnisch veränderte Pflanzen "assimiliert" werden. Ende 2001 wurde z.B. eine Kontamination von Maisfeldern in verschiedenen Regionen von Mexiko festgestellt, obwohl die Einfuhr und der Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen in Mexiko verboten sind. Von Bedeutung ist hierbei weiterhin, dass die GM-Sequenzen, die sich in die mexikanischen Varietäten eingekreuzt haben, patentiert sind. Nach bisheriger Rechtssprechung in Kanada und in den USA bedeutet das, dass die Pflanzen den Unternehmen gehören, die die gentechnischen Modifikationen vorgenommen haben, in diesem Fall Monsanto und Syngenta. In den USA und in Kanada führt Monsanto gegen mehrere hundert LandwirtInnen, auf deren Feldern GMSaat des Unternehmens gefunden wurde, Prozesse.

Im Postfordismus geht es u.a. um die immer noch nicht erreichte, vollständige Abschaffung der Rechte der LandwirtInnen an ihrem Produktionsmittel, dem Saatgut. Ob diese Phase kapitalistischer Naturaneignung erfolgreich sein wird, hängt wieder einmal von der Stärke sozialer Gegenbewegungen ab. So konnte bisher verhindert werden, dass Terminator- Saatgut verkauft wird. Auch wird die Gentechnik immer noch von vielen Menschen abgelehnt. Es ist immer wieder erstaunlich, dass häufig die marginalisiertesten Teile der Gesellschaften in der Lage sind, eine Gegenmacht aufzubauen, die die mächtigen Akteure zu Kompromissen oder gar zur Kursänderung zwingt. Die Unterstützung und Stärkung dieser Akteure kann und muss Aufgabe einer internationalistischen Linken sein.

(1) Görg, C.: Die Regulation der biologischen Vielfalt und die Krise gesellschaftlicher Naturverhältnisse, in: Flitner u.a.: Konfliktfeld Natur, 1998, S. 52.

(2) Escobar, A.: Constructing Nature. Elements for a Poststructural Political Ecology. in: Peet /Watts: Liberation Ecology, 1996, S. 47.

Mehr Infos: www.biopiraterie.de