Eine kundenfreundliche Agentur

"Meine Agentur für Arbeit", "meine Grundstücke", "meine Mitarbeiter", "meine Kunden", "mein Haus" - all das liest man in einem Brief, den ein Angestellter ...

... der Bundesagentur für Arbeit namens Groß zwei Erwerbslosen in Oberhausen geschickt hat. Die beiden hatten Mitte September auf dem Vorplatz der "Agentur" Einladungen zur Montagsdemonstration verteilt. Groß verkündete ihnen in dem Brief, daß sie ein Jahr lang kein Gebäude und kein Grundstück der "Agentur" betreten dürfen. Hausverbot.

Ist mit dem Wandel vom Amt zur "Agentur" in den Köpfen der Angestellten die Privatisierung bereits vollzogen? Zeigt sich so der mit Hartz IV verheißene "persönliche Kundenservice"?

Michael Schwering, laut Visitenkarte "Geschäftsführer operativ" der "Agentur" in Oberhausen, den ich danach befrage, bezeichnet den Vorplatz als "befriedetes Gelände", auf dem keine öffentliche Meinungsbildung zu geschehen habe. Er sei berechtigt, sein Hausrecht polizeilich durchzusetzen.

Und so heißt es in dem Brief an die beiden Erwerbslosen: "Ein Betreten der Dienstgebäude der Agentur für Arbeit Oberhausen und meiner Grundstücke ist Ihnen strikt untersagt. Sollten erneut Störungen der oben beschriebenen Art oder andere Belästigungen von Ihnen ausgehen oder Sie gegen das Hausverbot verstoßen, werde ich unverzüglich Strafanzeige gegen Sie erstatten. Für die Abwicklung notwendiger dienstlicher Angelegenheiten wie z.B. Arbeitsberatung werde ich im Einzelfall vorher eine Zugangsregelung festlegen und Ihnen mitteilen." Der von der Presse um Erläuterung gebetene "Geschäftsführer operativ" sieht darin sogar einen Vorteil für die beiden, sozusagen eine "de-luxe-Behandlung": Sie bekämen jetzt nach telefonischer Anmeldung sofort einen Termin, während andere lange warten müßten.

Sollten demnach vielleicht alle politisch aktiven Erwerbslosen jetzt Flugblätter vor der AA verteilen, um gleichfalls diese Sonderbehandlung zu bekommen? Diejenigen, die sich engagieren, würden dadurch Zeit gewinnenÂ…

Auf den Flugblättern stand, was von der "Agenda 2010" zu erwarten ist: "Leistungskürzungen unter Sozialhilfeniveau / Lohndumping durch neue Zumutbarkeitsregeln / Leistungskürzungen im Gesundheitssystem / Reale Rentenkürzungen / Aus Familien werden ›Bedarfsgemeinschaften‹ / Vertreibung aus dem gewohnten Wohnumfeld - Hartz IV muß weg! Stopp der Umverteilung von unten nach oben! Können wir etwas ändern? Wenn wir Montagabend auf dem Sofa sitzen bleiben, nichts!" Darunter waren Ort und Zeit der nächsten Montagsdemonstration angegeben.

Bei den Oberhausener Montagsdemonstrationen wird eingehend über die gesetzlichen Änderungen informiert - aber auch über die verschärften Arbeitsbedingungen derer, die noch Arbeit haben, die Arbeitsmarktstruktur, die Verschiebung von immer mehr Arbeit in den Niedriglohnsektor, die Investitionen der Stadtverwaltung, die sterbende Altstadt, die Verschlechterung des Konsumangebots, die Entstehung dubioser Jobvermittlungsagenturen.

Der Zugang von Erwerbslosen zu Informationen und öffentlicher Meinungsbildung ist beschränkt. Viele können sich zum Beispiel keine Tageszeitung mehr leisten. Und jetzt möchte die auf "Kundenfreundlichkeit" bedachte "Agentur" sie auch noch davor schützen, mit Flugblättern und Einladungen "belästigt" zu werden. Oder geht es vielleicht eher darum, díe Verantwortlichen für die "Agenda 2010" vor öffentlicher Meinungsbildung und namentlich vor Demonstrationen zu schützen?

Die Maßregelung der beiden Erwerbslosen - die niemanden gedrängt haben, ein Flugblatt anzunehmen - läuft darauf hinaus, ihresgleichen immer tiefer in Isolation und Resignation zu ducken. Um so notwendiger ist es, weiterzudemonstrieren - auch gegen solche Dreistigkeiten von Ämtern, pardon, "Agenturen".

aus Ossietzky 21/2004