Wann sind die fetten Jahre endlich vorbei?

Oder: Wie Spaß haben im Kino Linken zum Problem wird

Was soll man von einem Film halten, der den Anspruch erhebt, irgendwie irgendwas mit antikapitalistischer Politik zu tun zu haben, und der in FAZ und Spiegel hoch gelobt, im Freitag aber gleich ...

... von zwei AutorInnen ganzseitig verrissen wird? Nicht viel, vermutlich. "Die fetten Jahre sind vorbei" von Hans Weingartner, in Cannes gefeiert, (nur) eine "warmherzige Komödie" (Spiegel), in der man sich ganz wunderbar "zuhause fühlt" (FAZ)? Die Geschichte ist schnell erzählt: Drei recht junge und ideologisch recht haltlose BerlinerInnen brechen in Luxus-Villen ein und räumen die Möbel um. Die Stereoanlage in den Kühlschrank, das Sofa in den Pool, die Meißner Figürchen in den Backofen. Sie hinterlassen eine Drohung. Eben: "Die fetten Jahre sind vorbei" oder "Sie haben zu viel Geld. Die Erziehungsberechtigten". Profis sind sie nicht, weder was das Politische angeht, noch in der Aktion. Es passiert deshalb, was unvermeidlich ist: Eines Tages kommt einer der Hausbesitzer zu früh aus dem Urlaub zurück. Man stolpert erst hektisch übereinander und dann wird der Top-Manager nach Tirol in eine Berghütte entführt, wo die drei mit ihm einige Zeit verbringen, bevor sie ihn wieder laufen lassen. Am Ende... nein, lassen wir das. Was genau gefällt der FAZ jetzt daran so gut? Nun, genau genommen der "nicht mehr ganz so jugendliche Übermut" der Akteure, der "stellt die Ordnung auf den Kopf, aber macht nichts kaputt" - was wiederum genau das ist, was die junge Schriftstellerin Juli Zeh und der emeritierte Politologe Ekkehart Krippendorf im Freitag dem Film zum Vorwurf machen. "Sixties light", schreibt Zeh. "Papiertiger", sekundiert Krippendorf.

und Sofas schwimmen lassen ...

Richtig ist: Es ist ein Stimmungs- und nicht ein Aufklärungs- oder Agitationsfilm. Doch ist diese Stimmung, von der er handelt, im Kino und ganz nebenbei auch in der Linken immerhin selten genug: dass Revolte, sei sie klein oder groß, ehrenvoll oder lächerlich, spektakulär oder niedlich, am Ende nicht regelmäßig dahin führt, dass die Revoltierenden das Revoltieren - ihr Revoltieren, so lächerlich, niedlich, unspektakulär oder klein es auch gewesen sein mag - bleiben lassen. Sondern dass sie, weil's irgendwie (ja, genau, irgendwie) gut war, dabei bleiben. "Good bye Lenin" etwa, in der Machart ein vergleichbarer Film, dieser Abgesang auf das untergegangene DDR-System (und ebenfalls mit dem zu Recht hoch gelobten Daniel Brühl in einer Hauptrolle), ließ als Fazit kaum einen anderen Schluss zu als diesen: dass mensch froh sein kann, wenn er/sie seit jeher nicht nur im Lenindenkmäler-freien Westen, sondern am besten gleich ganz ohne Politik die eigenen Tage verbringt. Diesen Schluss zu ziehen, genau das erlauben "Die fetten Jahre ..." nicht. Und das, obwohl sich der Film zwischendrin über sein eigenes Ende nicht wirklich sicher zu sein scheint: Kommen schließlich nicht doch Kapitalist und postmoderne Haschrebellen einander als Menschen näher, lernen voneinander und gehen, reifer geworden, auseinander und in ihre nunmehr befriedeten Parallelwelten zurück? Das hätte so ausgehen können, und damit hätte sich dann auch jede weitere Diskussion über den Film erübrigt. Doch die anpolitisierte Rebellion, deren eines großes Ziel ist - nur ist, könnte man sagen, aber auch: immerhin ist, heutzutage - "wild und frei zu leben", endet am Ende nicht. Die Stimmung dieses Stimmungsfilms erscheint im Rückblick nicht als unvermeidliche Passage dreier Unabgeschlossener auf dem Weg zum bürgerlichen Subjekt, sondern als unabgeschlossenes Projekt.

... geduldig dicke Bretter bohren ...

Dass diese Art Kinoerzählung ungewöhnlich ist, bezeugt der folgende Kommentar eines Zuschauers im Netz: "Warum", so schreibt ForumsteilnehmerIn kava wütend, "entlässt uns der Film nicht mit einer Kompromisslösung??? Warum muss dieser Film im Kissoff doch wieder diese Gegensätze unterstreichen, warum macht er aus dem sich dem guten Konsens annähernden ,Bösewicht-Bonzen` wieder einen negativen Charakter??? Wird uns etwa erklärt, dass ein Kompromiss gar nicht zu finden ist???" Und, vollends erbost: "Der Film entlässt uns wieder frisch aufs neue polarisiert, soll uns gar noch antreiben in unserem Denken, diese krassen Handlungen hätten Nutzen, der sich auf das ganze Umfeld auswirken könnte. Schwachsinn." Sich diesen Schwachsinn anzugucken, macht jedoch wirklich Spaß. Was wiederum einen Film mit politischem, gar linkem Anspruch natürlich per se unter Verdacht stellt, der revolutionären Sache, (von der man zugleich weiß, dass sie eh verloren hat), Schaden durch Verharmlosung zuzufügen. Substanz statt Laune fordern deshalb Zeh und Krippendorf ein und sind sich darin einig mit vielen Kommentaren aus dem privaten (linken) Umfeld. Der Film offeriert, so Zeh, "keine Vorschläge für das innerdeutsche oder gar globale menschliche Miteinander". Das ist schlimm. Und so unnötig. Denn: Schließlich gibt es Vorbilder, auf die der Film hätte zurück greifen können: Die "Tausende junger Idealisten", die sich laut Krippendorf in "konkreten Dritte-Welt- und Umweltprojekten mit der revolutionären Geduld des langsames Bohrens dicker Bretter" engagieren. Unabhängig davon, dass man mit dieser Art Substanz einen Kinoabend sicherlich freudlos machen kann - wer guckt schon gerne Andern einhundertundsechsundzwanzig Minuten beim Bretterbohren zu? - entgeht den beiden KritikerInnen in ihrem Beharren auf Systematik, Tiefgang und Perspektive, dass der Film nicht nur hinter den Politisierungsgrad real existierender Bewegungen in Gegenwart und Vergangenheit zurückfällt (das tut er ganz zweifelsfrei), sondern zugleich auch auf etwas hinweist. Auf die Notwendigkeit der Thematisierung einer einfachen Frage nämlich. Eine Frage, auf die der Film freilich keine Antwort liefert, die er aber im Unterschied auch zu vielen linken Einlassungen gegen Sozialabbau und Prekarisierung wenigstens als Frage in den Raum stellt: Wie die Villen- und Poolbesitzer angreifen? Wie in die Zonen der Reichen einbrechen? Wie dort Angst und Unsicherheit verbreiten, wo die Angst und Unsicherheit der Anderen täglich reproduziert wird? Traurig ist es weniger, dass der Film auf diese Fragen keine überzeugenden Antworten liefert. Traurig ist vielmehr, dass er am Ende nicht den Weg zu einem Ort weisen kann, wo solche Antworten zu finden wären. Was wiederum nicht das Versäumnis Weingartners ist. Seit wann findet Rebellion im Kino statt?

... oder "Bösewicht-Bonzen" bashen?

Möglicherweise hat die Begeisterung von FAZ und Spiegel ja auch noch einen ganz anderen Grund. Je besser man den Film als anrührende Postpubertierenden-Story nieder schreibt, umso leichter lässt sich vielleicht eine bestimmte Beunruhigung übertönen, die bei der einen oder dem anderen FAZ-LeserIn im Kinosessel doch vielleicht angelandet sein mag, in Form einer leisen Stimme im Hinterkopf; einer Stimme, die unregelmäßig wiederkehrend, kaum vernehmbar, doch mit unverkennbar drohendem Unterton flüsternd fragt: "Schon gehört? Die fetten Jahre sind vorbei ..." Okay, nicht sehr wahrscheinlich. Aber schön wär's doch. efa Deutschland/Österreich 2004, Regie: Hans Weingartner, Buch: Hans Weingartner, Katharina Held. Darsteller: Daniel Brühl, Stipe Erceg, Julia Jentsch, Burghart Klaußner. 126 Minuten, Start: 25. November 2004 aus: ak - analyse + kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis/Nr. 490/17.12.2004