Rechtsextremisten im Internet - eine wichtige, aber oberflächliche Studie

Wenn Nazis online marschieren

Rainer Fromm/Barbara Kernbach: Rechtsextremismus im Internet. Olzog-Verlag München 2001, 288 Seiten, 29 DM

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[Leicht gekürzt und verändert zuerst in: "Neues Deutschland" vom 8. Februar 2001]

Rainer Fromm/Barbara Kernbach: Rechtsextremismus im Internet. Olzog-Verlag München 2001, 288 Seiten, 29 DM.

"Werkstatt Neues Deutschland" heißt eine Internetseite des inzwischen zur NPD gewechselten RAF-Terroristen Horst Mahler, den gerade, wegen Forderungen wie denen nach standrechtlichen Erschießungen oder nach Verbot jüdischer Organisationen, die Vereinigung der Berliner Strafverteidiger aus ihren Reihen ausgeschlossen hat (ND vom 22. Januar). Ebenfalls im Internet präsent: Der "Kampfbund Deutscher Sozialisten" ("Die Mehrheit unserer Mitglieder ist... der Meinung, dass die DDR das bessere Deutschland war") geleitet vom früheren stellvertretenden Vorsitzenden der KPD/Ost, Michael Koth, zusammen mit dem früheren Stellvertreter des verstorbenen Neonaziführers Michael Kühnen.

"Internet als Propagandawaffe", das ist die Vision des USA-Neonazis Gary Lauck, Chef der NSDAP/Aufbauorganisation. Wie einst Faschisten avantgardistisch sich der neuen Medien Radio und Film bedienten, so verwenden sie heute das Internet.
Das setzt die Zugangsschwellen herab, weil man nun nicht mehr zu bestimmten Zeiten in verrauchte Versammlungsräume gehen muss, sondern jederzeit zuhause Chat-Rooms aufsuchen kann - umgekehrt verewigten sich Nazis sogar auf der PDS-Antifa-Internetseite. Nach Rechtsverständnis des baden-württembergischen Verfassungsschutzchefs gehen Rechte dabei raffiniert vor: "Deutsche Seiten aus Deutschland enthalten fast nichts Strafbares"; deutsche, die in den USA ins Netz gestellt werden, hingegen rund 50 Prozent und rein US-amerikanische Angebote etwa 80 Prozent Strafbares.

Auf einer internationalen Tagung im letzten Jahr in Berlin machte der Direktor des amerikanischen Bundeskriminalamts FBI deutlich, dass vieles, was in Deutschland verboten ist, in den USA von der Meinungsfreiheit geschützt wird.
Mit Zustimmung eines anwesenden Holocaustüberlebenden: "Was mir in Deutschland auffällt, ist der Mangel an Vertrauen in das eigene Volk." Der grenzüberschreitende Datenverkehr verunmöglicht Kontrollen. Das "Jugendschutznet.de", die deutsche Zentralstelle für den Jugendschutz in Mediendiensten und quasi heimlicher Mitautor dieses Buchs, hat einschlägige Websites gesichtet: Mitte 2000 gab es 500 Internetseiten deutscher Rechtsextremisten (nach ND vom 8. Dezember bereits 800) - bei weit über drei Millionen deutscher Internetseiten, diesen Vergleichmaßstab nennen die Autoren leider nicht. Die Verfasser haben im Fernsehen zum Thema einen Film publiziert, und es ist inzwischen Mediengesetz, dass dann sogleich auch das Buch zum Film erscheint. Autor Fromm ist bekannt durch Fernsehbeiträge über rechte Ideologen und Gewalttäter, insbesondere in "Kennzeichen D" sowie "Frontal" und auch im neuen "ZDF.reporter".

Mit dem seit wenigen Tagen nun vorliegenden Buch soll Einblick in die Flut des rechtsextremen Internetangebots gegeben werden, jedoch wird nicht untersucht, ob die genannten Zahlen über die Zunahme rechter Seiten parallel zum rapiden Wachstum des Mediums Internet in Deutschland verlaufen oder gar hinter diesem zurückbleiben, was die Erscheinung nicht weniger hässlich macht. "Eine Datenhalde ohne großen analytischen Tiefgang", nennt der Politologieprofessor Claus Leggewie zwar das Buch in der "Zeit", aber es hat immerhin das Verdienst, Schlaglichter zu werfen: auf deutsche und internationale Seiten, auf die Musiksubkultur, Geschichtsverfälscher und Computerspiele. Trotz bedauerlicher Lücken, wie die, dass u.a. die wichtige Internetseite "Nationale Anarchie" unerwähnt bleibt, die manchen an Dimitrow-Faschismusdefinitionen klebenden Antifaschisten verwirren wird. Andererseits wird derjenige, der überall nur die Verschwörung der aggressivsten Teile des Großkapitals wittert, auf jener rechten Homepage pfündig, die direkt zum Herunterladen auf die eigene Festplatte Henry Fords (Mach)Werk anbietet "The International Jew". Dass in der Rubrik "Internationale Seiten" nur Websites anglo-amerikanischer Herkunft genannt werden, ist unverständlich. Aus Italien und dem spanischen Sprachraum kommen wichtige Seiten; und "links" (Verbindungen) zur NPD findet man auch auf der, auch in Englisch angebotenen Seite der antisemitischen russischen Faschisten "Pamjat", mit denen man sogar in Deutsch per E-Mail korrespondieren kann. Das Verschweigen rechter (bei Nennung sonstiger!) Internetadressen ist kindisch.

So ist es auch ein Manko, dass die beste Übersicht über Rechte und Antifaschisten im Internet "www.burks.de", die Homepage des TAZ-Journalisten Burkhard Schröders (ND-Interview vom 2./3. Dezember), im Adressenhang unerwähnt bleibt. Zu umfangreich ist hingegen das Kapitel über den englischen, "revisionistischen" Historiker David Irving, das dann kaum dessen Internetaktivitäten behandelt. Seltsam ist, dass die Autoren mitunter, ohne Ironie und Anführungszeichen, statt vom Internet vom "Weltnetz" schreiben - dies entspricht dem Nazijargon, in dem es auch nur "Heimatseiten" statt Homepages gibt. Liest man die Ausführungen über das MP3-Musikdateienformat, das missverständlich, umständlich aufgrund eines Buchzitats vorgestellt wird (im ganzen Buch bleibt das die Branche in Aufruhr versetzende Musiktauschprogramm "Napster" unerwähnt!), weiter die impertinente Verwendung des Begriffs "nic" statt des Netzjargons "nick name", so ahnt man, dass Autoren und Lektoren nicht gerade Internet-Freaks sind... Der Eindruck verfestigt sich, dass die Autoren mit ihren Kenntnissen der rechten Szene, und zwar jenseits des Internets, das ihnen von Anderen gelieferte Raster rechter Internetverbindungen mit Material ohne Internetbezug füllen.

Immerhin werden Schutzmechanismen gegen die Ausbreitung des Rechtsextremismus diskutiert und Initiativen, die das Internet selbst kreativ im Kampf gegen rechts nutzen, vorgestellt. Diesen Teil hätte man sich im Verhältnis zu der oberflächlichen Momentaufnahme der Internetauftritte der Rechten, deren Aktualität bei Erscheinen des Buchs schon verblasst, ausführlicher gewünscht.
Idiotisch sind als Gegenstrategien Filterprogramme, die entsprechend einer "bad word list" Beiträge aussondern. So passierte es dem Rezensenten während der "Sebnitz"-Diskussion, dass sein Beitrag von einem Antifa-Computerprogramm abgelehnt wurde, weil er von "doofen Hitler-Grölern" geschrieben hatte, und das Wort "Hitler" auf dem Index stand. Zu den merkwürdigsten Erscheinungen im deutschen Antifanetz zählen wohl die Berliner Seite "www.saufengegenrechts.de" und die Naziaussteigerseite "www.nazis.de", auf der es heißt: "Redet mit Nazis, wo ihr sie trefft!"