SPD-Linke, was nun?

Zum Standort der sozialistischen Linken in der SPD

140 Jahre nach ihrer Gründung steht die Sozialdemokratie an einem Scheideweg.

140 Jahre nach ihrer Gründung steht die Sozialdemokratie an einem Scheideweg: Schafft sie es, ihre soziale und demokratische Tradition, die materielle und gesellschaftliche Beteiligung derer, die nichts als ihre Arbeitskraft haben, den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts den Veränderungen entsprechend einzubringen, oder wird sie einen Weg beschreiten, der diese Tradition aufgibt?

I. Die Fahne verbrannt?

Die aktuelle Regierungspolitik von SPD und (!) Bündnis 90/Die Grünen stimmt wenig optimistisch, denn die materielle Beteiligung an der Reichtumsproduktion unserer Epoche gerät mit der Agenda 2010 oder auch der aktuellen Gesundheitsreform nicht nur ins Hintertreffen, sondern wird zum "Negativ-Ziel" erklärt, weil in einem ausgebauten sozialen Sicherungssystem geradezu ein Hindernis für die Wirksamkeit rot-grüner (Wirtschafts-)Politik gesehen wird.
Und nicht nur dass die Mehrheit der Arbeiterklasse nicht mehr überwiegend auf die Sozialdemokratie orientiert (so das frühere Diktum nach Wolfgang Abendroth), sondern die Sozialdemokratie selbst orientiert im eigenen Verständnis nicht mehr überwiegend auf die Arbeiterklasse (unabhängig davon, dass die überwiegende Mehrheit klassentheoretisch der, wenn auch modernisierten, Arbeiterklasse zugehörig ist), sondern sie rückt mit ihrer Politik der "Neuen Mitte" ihren Fokus gerade auf diejenigen, von denen sie glaubt, dass sich ihr Verständnis von politischem Handeln von den Anforderungen der "Arbeiterklasse" enthoben habe.
Die Regierung Schröder perfektioniert zudem die Auslagerung der Debatte über politische Grundlinien von einer Expertenkommission in die nächste, um anschließend mit einem Basta das Entscheidungs-Primat des Kanzlers und Parteivorsitzenden einzufordern. Diese Politikform diskreditiert nicht nur die innerparteiliche Diskussionskultur, sondern stellt auch neue Anforderungen an eine oppositionelle Politikentwicklung, die sich selbst deutlich näher in sozialdemokratischer Traditionen sieht als diejenigen, die im Namen der SPD dann Politik exekutieren bzw. öffentlich wahrnehmbar kommunizieren können. Doch was nutzt es, "Wahrheit und Moral" auf seiner Seite zu haben, wenn diese weder politikwirksam, noch öffentlich als ernsthafte Alternative wahrgenommen wird?
Steine aus dem Glashaus?
Während Bündnis 90/Die Grünen als realpolitischer Koalitionspartner die Agenda 2010-Politik und manch anderes mitmacht, wenn nicht sogar übertrifft, verstolpert die PDS Vorlage um Vorlage der Regierungparteien und ergeht sich in permanenter Nabelschau (vgl. hierzu die Beiträge im Schwerpunkt von Hoff zur PDS und Lingemann zu Bündnis 90/Die Grünen).
Wer im Glashaus sitzt, sollte nur dann mit Steinen schmeißen, wenn dies Erfolg verspricht, aus dem Glashaus ausbrechen zu können. Die Kräfte, die Mitte der 1990er Jahre den crossover-Prozess der Linken initiierten, konnten ihre Positionen in den jeweiligen Parteien kaum ausbauen. Ihre programmatischen Impulse wurden zwar zur Kenntnis genommen, ihre Vertretung in Mandaten und Funktionen ist jedoch in allen drei Parteien geringer geworden
Wenn drei Schwache sich stützen, wird daraus nicht zwingend eine starke Konstellation, zumal dann nicht, wenn sie Gefahr laufen, in den vorherrschenden Kräfteverhältnissen zermalmt zu werden. Denn selbst wenn sich alle "gutwilligen" Linken, SozialistInnen, MarxistInnen, etc. zusammen tun wollten, um eine (!) neue Partei zu gründen, so wären nicht nur die Fragen der programmatischen und strategischen Kohärenz sowie der materiellen und personellen Ressourcne zu klären, sondern vor allem ob es in einem Umfeld stattfindet, das in dieser Gründung eine Artikulationsmöglichkeit eigener Forderungen und Positionen sieht. Gesellschaftliche Bewegung und auf den Parlamentarismus bezogene Parteigründung müssen einander ergänzen und befördern, damit ein solches Unterfangen erfolgreich sein kann.
Wir sehen nicht, dass gegenwärtig eine derartige gesellschaftliche Konstellation besteht, selbst wenn eine programmatische und personelle Zuspitzung gelänge. Weder gibt es aus den traditionellen sozialen Bewegungen, noch aus den neuen Bewegungen wie attac das Bedürfnis, sich zumindest so weit auf eine parteiliche Organisationsform einzulassen, wie es Ende der 1970er Jahre bei den Bewegungen und Initiativen war, aus denen heraus seinerzeit die Grünen gegründet wurden.
Mit anderen Worten: die Position der sozialistischen Linken, die zur Zeit in der Sozialdemokratie organisiert ist, würde sich nicht in einer anderer Partei, die zudem inhaltlich und strategisch anders akzentuiert wäre, verbessern, geschweige denn, dass die Gründung einer neuen Partei von Erfolg gekrönt wäre.
Wer gegenwärtig mit dem Gerede einer vermeintlich notwendigen Parteigründung von links umhergeht, trägt zur weiteren Marginalisierung der sozialistischen Linken innerhalb wie außerhalb der SPD bei, statt diese zu stärken. Derlei Unterfangen vermag bestenfalls persönliche Zynismen oder Eitelkeiten zu befriedigen, nutzt aber nur der Verengung des politischen Diskurses in den bisherigen Parteien.
Gibt es das "strukturelle Dilemma" der SPD-Linken?
Zuweilen wird die Frage aufgeworfen, ob es nicht ein strukturelles Dilemma gibt, das darin bestehe, dass die Linke in der SPD aufgrund der vorherrschenden Bedingungen letztlich eher zur Integration bzw, Befriedung kritischen Potenzials beiträgt, statt es für eine andere Politik zu bündeln. Diese Frage greift das Phänomen z. B. in der Parlamentarischen Linken der SPD-Bundestagsfraktion oder auch auf dem SPD-Sonderparteitag auf, dass nach anfänglich heftiger Kritik schließlich doch breite Mehrheiten für die vorher kritisierte Politik hergestellt wird.
Skizzieren wir deshalb kurz die zwei Extrempunkte in den Verhaltensmustern der Linken innerhalb der Sozialdemokratie:

§ Wenn wir es nicht machen, machen es die anderen - und das wird noch schlimmer....

Das ist das Verhalten derjenigen, die man als Regierungslinke bezeichnen kann. Ihre Motivation, die Regierung selbst da zu unterstützen und auch bei "Reformvorhaben" mitzuwirken, die anerkannt unsozialdemokratisch sind, speist sich aus der Vorstellung, dass die Linke durch Mittun Schlimmeres (nämlich Merz, Westerwelle & Co.) verhindern müsse, einen Gestaltungsauftrag in Zeiten der Globalisierung habe, weil es mit der Umverteilung nicht so weitergehen könne, wie früher.
Diese Position findet sich ausgeprägt bei vielen MandatsträgerInnen innerhalb der Partei, die sich oft auch ganz individuell in der Zwickmühle sehen, Entscheidungen mitzutragen, die sie eigentlich kritisch beurteilen.

§ "Wir sind die Aufrechten und kämpfen bis zum letzten Genossen..."

Dieses Muster der Verteidigungshaltung findet sich nicht nur bei "alten Linken", sondern auch bei den "alten SPD-Rechten", die wenig mit antikapitalistischer Analyse gemein hatten, aber durch die Kraft des faktischen Abbruchs "ihres Reformprojektes", nämlich dem Aufbau eines auf Verteilung orientierten Sozialstaats, auf der Seite der Linken wieder finden. VertreterInnen dieser Position zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht nur unverdrossen auf die Überlebensfähigkeit und -notwendigkeit traditioneller sozialstaatlicher Strukturen hinweisen, sondern deren innerparteiliche Strategie sich weitgehend darin erschöpft, die inhaltliche Verlotterung und Neoliberalisierung in der SPD zu entlarven. Erhofft/erwartet wird eine Katharsis ggf. in der Opposition, an dessen Ende die geläuterte Linke steht.
In der allgemeinen Medienlandschaft werden die einen als "linke Modernisierer" und die anderen als "Traditionalisten" bezeichnet. Für beide Muster gilt sicher der Vorwurf, dass sie den strukturellen Zwängen der Anpassung Vorschub leisten. Die erstgenannten deshalb, weil ihre individuellen Zustimmungsbegründungen derart überhand nehmen, dass die darunter liegenden ursprünglichen Ziele mehr und mehr verdeckt werden. Die Integration kritischen Potenzials wird damit letztlich zum erklärten Ziel eigenen Handelns, weil alles andere die Legitimation des eigenen, zustimmenden Handelns in Frage stellen würde.
Das zweite Verhaltensmuster kapselt das kritische Potenzial ab, weil es innerhalb der Partei nur begrenzt "anschlussfähig" ist - denn wer will sich schon ständig beschimpfen oder als "neoliberal" entlarven lassen (gerade dann, wenn die Vorwürfe eine gewisse Berechtigung haben)? Kritisches Potenzial verpufft hier also wirkungslos, noch schlimmer, es trägt selbst zur eigenen Ausgrenzung bei.
Dass die Realität nicht so schlicht ist, wie hier dargestellt wurde, wissen alle, die sich in ihrem Handeln immer wieder prüfen und dabei sowohl das erste, wie das zweite Verhaltensmuster in sich spüren.
Wer beiden extremen Verhaltensmustern entgehen will und sich entschieden hat, dass es weiterhin eine Möglichkeit des eigenen Handelns innerhalb der real existierenden Sozialdemokratie gibt, der muss neben der erforderlichen hartnäckigen Kritik an den bestehenden Verhältnissen auch nachweisen, dass er/sie Alternativen auf der Höhe der Zeit zu entwickeln in der Lage ist und den Willen hat, durch hartnäckiges Agieren den gesellschaftlichen Handlungskorridor in Richtung radikalreformerischer Politik wieder auszuweiten. Und dazu gehört neben der inhaltlichen Fundierung ein größeres Maß an Organisation (zu Vernetzung wie Herstellung von Verbindlichkeit und Zuverlässigkeit), Kommunikation (zur Vergewisserung, zur Ermutigung, zur gemeinsamen Revision und Neuformulierung), individuelle und kollektive Leidenschaft, sowie auch die erforderlichen "Machtmittel" wie Funktionen und Mandate.
Die Antwort der Linken kann also weder darin liegen, nun noch energischer an ein verloren gegangenes "Klassenbewusstsein" zu appellieren oder die Massen von ihrem "ausgebeuteten Dasein" zu überzeugen, ganz zu schweigen davon, sich allein als Hüterin sozialdemokratischer Grundwerte aufzuspielen. Sie muss zeitgemäße Antworten auf veränderte Bedingungen geben, die geeignet sind, die Bedingungen zu verändern, statt sich den Bedingungen anzupassen.

II. Warum es weiterhin notwendig ist, in der SPD mitzuarbeiten

In 25 Jahren spw-Geschichte war die Orientierung auf die Sozialdemokratie ein beständiger Pfeiler. Im gleichen Maße haben wir aber Wert darauf gelegt, dies nicht apodiktisch fest zu legen, sondern uns immer wieder der Handlungsmöglichkeiten in ihr zu versichern. Gleichzeitig haben wir unsere Aufgabe darin gesehen, die eigenen organisationspolitischen Begrenzungen zu überschreiten und uns mit denjenigen in eine Diskussion zu begeben, die in anderen Parteien und Organisationen für vergleichbare Ziele stritten, um uns in einem produktiven Streit über Ziele und Chancen radikalreformerischer Politik zu verständigen.

Modisch geworden ist ja - nicht nur in Teilen der Medien, sondern ebenfalls in Wissenschaft, Kultur und Politik - ein Verständnis von gesellschaftlicher Entwicklung, in der man selbst entweder als unbeteiligter Beobachter und Berichterstatter wohlfeile, vermeintliche objektive Empfehlungen abgibt oder glaubt, unterschiedliche Positionen nur moderieren zu müssen, ohne dabei selbst handelnde Person zu sein. Ebenfalls verbreitet ist die Vorstellung, dass das beherzte Durchgreifen des Machers die Probleme löse und Parteien lediglich die Aufgabe haben, diesen Machern zu folgen und für seine Durchschlagskraft zu werben.

Beide Vorstellungen sind gleichermaßen naiv.
Kräfteverhältnisse, Interessen und politisches Handeln
Die Linke, die sich immer wieder analysierend ihres gesellschaftlichen Umfelds, der Umbrüche und sich ihrer Verankerung in den veränderten Bedingungen vergewissert, also nicht voluntaristisch von den Ereignissen getrieben mal dieser und mal jener Erscheinung nachhechelt, dürfte deshalb von der aktuellen Entwicklung der Sozialdemokratie aus mehreren Gründen nicht wirklich überrascht sein:

§ Mit der Akzeptanz der parlamentarischen Demokratie als entscheidendes Feld der politischen Auseinandersetzung war immer auch verbunden, dass die dort agierenden Parteien innerhalb eines bestimmten, gesellschaftlichen Kodex agieren müssen, wenn sie nicht als sektiererisch aus dem parlamentarischen Rahmen ausgegrenzt werden sollen;

§ Dieser gesellschaftliche Kodex ist ein umstrittener und damit veränderbar, aber eben entsprechend der vorhandenen Kräfteverhältnisse, der gesellschaftlich wirksamen, mit Macht ausgestatteten Interessen.

§ Vor diesem Hintergrund agiert auch die Sozialdemokratie als "Volkspartei" immer als eine Partei, die auf die gesellschaftliche Mehrheit (also das, was sich unter den Bedingungen der Machtverteilung als mehrheitlich konsensfähig hinsichtlich z. B. der individuell wirksamen Lebensweisen und Interpretationsmuster gesellschaftlich konstruieren lässt) hin orientiert.

§ Das heißt: in dem Maße, wie sich z. B. ein "klassisches" Konfrontationsverhältnis zwischen Arbeit und Kapital nicht mehr gesellschaftlich mehrheitsfähig artikulieren lässt (unabhängig davon, dass es weiterhin wirksam ist), wird auch die Sozialdemokratie von diesem Interpretationsmuster absehen und sich anderen gesellschaftlichen Deutungen und Politikmustern zuwenden.
Wir haben diesen Prozess mehrfach in spw-Schwerpunkten sowie aktuellen Beiträgen beschrieben.

Dies festzuhalten bedeutet weder, die vorgefundenen Verhältnisse klaglos als gesetzt und unveränderbar zu akzeptieren, geschweige denn dies zu begrüßen, sondern sagt etwas über die vorhandene Wirklichkeit aus, die von den gesellschaftlichen Kräften (wenn auch z. T. hinter ihrem Rücken) erzeugt wurde. Insofern sprechen die Verhältnisse natürlich auch von Erfolg und Misserfolg der politischen Linken, also auch davon, wo wir als handelnde Akteure gescheitert oder unter unseren Möglichkeiten geblieben sind.

Ob und in wie weit SozialistInnen heute noch ihr Betätigungsfeld in der Sozialdemokratie haben, hängt deshalb nicht allein davon ab, auf was "die Arbeiterklasse" im Wahlakt oder qua Beitritt "orientiert", sondern von der Einschätzung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen insgesamt.

Deshalb organisiert sich die sozialistische Linke nicht nur in der SPD, sondern auch in anderen Organisationen und Bewegungen, nicht zuletzt auch in den Gewerkschaften.
Die Vorstellung, dass die sozialistische Linke die Politik der SPD dominiere, war zumindest nach 1945 illusionär. Sicher konnte sie punktuell programmatische Impulse geben und hat zumindest innerparteilich eine gewisse Machtfunktion ausüben können. Über die lange Frist gesehen war die Linke innerhalb der SPD nominell aber immer eine Minderheitengruppierung.

Politisch prägend wurde sie dann, wenn es ihr gelang, in dialogischer Auseinandersetzung zwischen außerparlamentarischer Bewegung und Partei eine Brücke zu bilden zwischen dem "Zentrum" der Parteiführung einerseits und den gesellschaftlichen Kräften andererseits, die auf eine Veränderung der bestehenden Verhältnisse drängten.
Die Aufgabe für die Linke in der SPD bleibt deshalb vor allem darin zu sehen, innerhalb der Sozialdemokratie den gesellschaftlichen Diskurs mit dem Widerständigen aufrecht zu erhalten. Und kluge ZeitgenossInnen in der Sozialdemokratie wissen auch um den Wert und die Notwendigkeit dieser Brückenfunktion.

Die Positionsbestimmung beruhte nun also zum ersten auf dem Ausschluss der Organisationsmöglichkeit in einer anderen oder neuen Partei sowie zum zweiten auf der grundsätzlichen Akzeptanz einer Brückenfunktion zwischen widerständiger sozialer Bewegung einerseits und Sozialdemokratie andererseits,. Diese Entscheidung ist natürlich eine, die auf Grundlage der aktuellen Kräfteverhältnisse zu überprüfen ist. Wie heißt es noch so schön im Godesberger Programm: "Der Sozialismus ist eine ständige Aufgabe".

III. Mehr aus den vorhandenen Möglichkeiten machen!

Ein Arbeitsprogramm für die SPD-Linke

Die Linke in der SPD sollte sich auf ein Arbeitsprogramm verständigen, das unterschiedliche zeitliche und inhaltliche Dimensionen umfasst:

1. Programmatisch muss der Diskurs um die Entwicklung eines Gegenmodells zur neoliberalen Globalisierung voran getrieben werden. Ein Politikmodell, das dazu geeignet ist, ist das der Nachhaltigkeit. Wie das neoliberale Modell im Weltmaßstab alle gesellschaftlichen Bereiche zu durchdringen sucht und dem Konkurrenzprinzip des Marktes und dem Prinzip der Kapitalverwertung unterwerfen will, geht es im Modell nachhaltiger Entwicklung darum, alle gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen am Prinzip der Nachhaltigkeit zu messen. In diesem Kontext muss eine Klärung wesentlicher Fragen erfolgen:

Þ Wie kann der ur-sozialdemokratische Begriff der Solidarität zeitgemäß buchstabiert werden? Gemeint ist hier nicht nur die Dimension angesichts der Veränderung in den Lebensweisen der Menschen, der demografischen Entwicklung, sondern auch die emanzipatorische zwischen den Geschlechtern.

Þ Wie kann gesellschaftliche Handlungsfähigkeit sowohl finanziell als auch demokratisch sichergestellt werden? Dazu gehören neben den Feldern der Staatsfinanzen und des Steuerwesens auch die der Finanzierung des Sozialversicherungssystems und der Reproduktion der natürlichen Lebensgrundlagen, schließlich auch nach den unterschiedlichen Ebenen inner- und zwischenstaatlichen sowie staatlichen Handelns überhaupt.

Þ Wie kann eine globale Politik etabliert werden, die gegen die ökonomischen und sicherheitspolitischen Interessen der Großmächte die Entwicklungsperspektiven der Einen Welt durchsetzt? Dazu gehören sowohl die Fragen nach den Veränderungsanforderungen an die internationale Entwicklungspolitik, die Neudefinition von Sicherheitsinteressen und der Sicherung der ökologischen Lebensgrundlagen und des Klimas sowie die Rolle internationaler Organisationen.

Þ Und schließlich: Welche Wachstumsfelder können in einem Modell Nachhaltiger Entwicklung die produktive Basis für eine entwickelte Gesellschaft darstellen? Wo sind staatliche Investionen, Lenkungen und Subventionen erforderlich, nützlich oder schädlich? Wie können die Potenziale an Bildung und Arbeitskraft sowie Natur entwickelt und gesellschaftlich sinnvoll wirksam werden?
Es wird weitgehend bei uns liegen, über die Gliederungen und Parteigremien oder Arbeitsgemeinschaften, in den wir vertreten sind, diese Debatte einzufordern und zu organisieren.

2. Mittelfristig, d. h. bis zur Vorbereitungsphase auf den Bundestagswahlkampf müssen wir organisatorisch DL21 in den Stand versetzen, den innerparteilich Einfluss zu erhöhen.

Es kommt nun für uns darauf an, einerseits das Bündnis mit der Mitte dort zu suchen, wo inhaltliche Kompromisse möglich sind (wie z. B. bei der Bürgerversicherung und der Erbschaftssteuer), andererseits aber auch erkennbare Alternativen zum herrschend Mainstream öffentlich deutlich zu machen.

Wir müssen mehr aus unseren bereits vorhandenen Möglichkeiten machen und die vorhandenen linken Strukturen stärken. Wir haben bereits lose verbundene Regionalstrukturen von DL21 in Mecklenburg-Vorpommern, in Schleswig-Holstein, Bremen, Hessen, Bayern und bald auch in NRW. Darüber hinaus gibt es noch eine Reihe linker Gruppen und Zirkel, die sich zumeist regional oder lokal engagieren, aber ohne landespolitische und bundespolitische Rückkoppelung sind.

Wir rufen deshalb nicht nur zum Eintritt in DL21 auf, sondern wollen auch den schrittweisen Aufbau regionaler Strukturen unterstützen. Als inhaltliche Plattform sollte das Internet-Angebot sowie die Zeitschrift spw stärker genutzt werden als in der Vergangenheit;

3. Wir müssen mit Blick auf den fälligen Generationswechsel bei den kommenden Bundes- und Landtagswahlen sowie den SPD-Vorständen einen Personal-Pool aufbauen.

Voraussetzung hierfür ist nicht nur der gezielte Aufbau von Nachwuchskräften z. B. unter bewusster Nutzung innerparteilicher oder parteinaher Angebote, sondern natürlich auch (s. o.) eine verbesserte Vernetzung der vorhandenen Strukturen. Zu überlegen wäre auch, ob nicht wie schon einmal vor 30 Jahren die Phase der kandidatInnenaufstellung für den Bundestag stärker politisiert und durch entsprechendes Material unterstützt werden könnte.

Bei den Neuwahlen zum SPD-Parteivorstand wird es sicher nicht zu einer breit angelegten personellen Erneuerung kommen. Was die Wahlen zu den Stellvertretern, dem PV angeht, stehen die Zeichen mehr auf Kontinuität, denn auf Wechsel. Das ist problematisch, ohne dass die Leistung einzelner Akteure gemindert werden soll. Die SPD muss endlich lernen, dass der Aufbau von neuen Spitzenleuten Jahre in Anspruch nimmt. Wir werden uns dafür einsetzen, dass sich hier eine Allianz der Vernunft - über alle Strömungen - zusammenfindet, die eine schrittweise auch personelle Erneuerung des Parteivorstands sicher stellt.
Die Zeit zwischen den Parteitagen nutzen - oder "Wichtig ist aufÂ’m Platz"

Kurzfristig geht es darum, bereits zum ordentlichen SPD-Bundesparteitag Handlungsfähigkeit unter Beweis zu stellen.

Das grundsätzliche o.k. der Partei für die Grundlinien der Agenda 2010 auf dem Sonderparteitag der SPD am 1. Juni, wird in seinen Folgen erst in den nächsten Wochen und Monaten konkret. Dennoch wird die verstimmte Partei, wird die Partielinke nicht genügend Gewicht auf die Waagschale bringen, um die Unzulänglichkeiten der Reform noch zu bessern. Das ist natürlich darin begründet, dass die Große Konsensrunde aller Parteien dazu führt, dass nicht jede Stimme des Regierungslagers zählt.

Das liegt aber nicht zuletzt daran, dass die Linke ihr Pulver auf dem letzten Parteitag und im Vorfeld dieses Parteitages verschossen hat. Wir haben derzeit keine glaubwürdige "Drohkulisse". Die Partei ist nicht aufgebracht und umstürzlerisch. Sie ist resigniert oder akzeptiert die Vorgaben der Spitze.

Die Teile der SPD-Linken, die den Agenda-Prozess an Instrumente gekoppelt hatten wie das Mitgliederbegehren oder die Drohung mit Neinstimmen im Bundestag, kann nicht erneut in dieser Weise agieren. Beides konnte nicht oder wird nicht gehalten werden können. Und so sind wir derzeit alle nur nach vorne hin handlungsfähig. Wir können gestalten, wo es um die Ausformulierung von Perspektiven für die nächsten Jahre geht. Die Arbeiten am Perspektivantrag zum nächsten Parteitag im November laufen auf Hochtouren. Die Linke organisiert sich hier bereits intensiv. Wir werden einen eigenen Antrag zum Themenkomplex "Innovations- und Strukturpolitik" formulieren und damit in die Debatte um die Wiederbelebung eines ein mittelfristigen rot-grün Reformprojekts wieder zu beleben.

Die Tagung am 06. September in Frankfurt, die der SPD-Bezirk Hessen-Süd organisiert, soll dafür einen wichtigen Beitrag liefern.

Und schließlich wird vom 26.-28. September die Herbsttagung von DL21 (mit Vereinsversammlung am Freitagabend) in Berlin stattfinden. Hier wollen wir die bis dahin formulierten Beiträge für den November-Parteitag bündeln und unsere Strategie absprechen. Es lohnt sich also, dort dabei zu sein.

Literatur

Susi Möbbeck, Svenja Schulze, Thomas Westphal, Thesen zur Lage der SPD und zur Strategie sozialistischer Parteilinker in der SPD, in: spw 75, S. 34-37, Dortmund 1994
Andrea Nahles, Gerhard Schröder und der Herrscher der Molosser: Pyrrhus, in: spw 130, S. 6-8, Dortmund 2003
Horst Peter, Mehr Demokratie wagen und/oder den Standort sichern?, in: Klönne/Spoo/Butenschön (Hrsg.), der lange Abschied vom Sozialismus, Eine Jahrhundertbilanz der SPD, Hamburg 1999
ders., Politik und Nachhaltigkeit, in: Ulla Burchardt/Reinhold Rünker, Nachhaltigkeit als Reformprinzip, Dortmund 2002, S. 9-23
Reinhold Rünker, Sozialdemokratie im Übergang, in: spw 99, S. 17/18, Dortmund 1998
ders., Die Transformation des Politischen?, in: spw 110, S. 42-45, Dortmund 1999
ders., Alltägliche Lebensführung und Politik, in: spw 129, S. 39-41, Dortmund 2003

Reinhold Rünker, Mitglied der spw-Redaktion, arbeitet und lebt als Organisationsberater in Leichlingen
Andrea Nahles, spw-Herausgeberin, Vorsitzende Forum DL21 e. V., lebt und arbeitet in Berlin und Ahrweiler
Horst Peter, spw-Herausgeber, Vorsitzender des Vereins zur Förderung von Demokratie und Völkerverständigung, lebt in Kassel

Dieser Artikel ist erschinen in spw 132, Juli/August 2003,S. 17-21