Medien - Macht - Konzentration:

Zur Entstehung medialer Waren

"Haben Sie das gestern abend auch im Fernsehen gesehen ?" Oder: "Hast‘e gestern in der Zeitung gelesen?"
So oder ähnlich fängt zumeist ein klassisches Gespräch politisch Interessierter und engagierter Personen über Medien an. Wenn wir Medien thematisieren, diskutieren wir über Inhalte, die in den Medien stehen - zumeist in Form politischer Empörung, hektischer Aufgeregtheit oder auch wohlwollender Zustimmung.
Sicherlich, es gibt auch Verweise auf die Notwendigkeit, in den Medien Werbung zu verkaufen, das diesbezügliche Stichwort Kommerzialisierung der Medien ist im Alltag recht geläufig.
Wie die Medieninhalte allerdings zustande kommen, d.h. unter welchen Bedingungen Medien produziert werden, ist hingegen in der BRD seit der Anti-Springer-Kampagne Ende der sechziger Jahre selten Gegenstand breiterer politischer, gesellschaftlicher Debatten.
Diese medienökonomische Abstinenz gilt sogar für internationale Foren, die u.a. das Thema Medien explizit auf ihrer Agenda gesetzt hatten, wie etwa der Weltinformationsgipfels der UNO - World Summit on the Information Society (WSIS)- der im Dezember 2003 in Genf stattgefunden hat und dessen zweiter Teil 2005 in Tunis folgen wird.
Wer, was, wie und unter welchen Bedingungen Inhalte produzieren kann und darf, ist allerdings ein wichtiger Schlüssel für das Verständnis von Medien, präziser: der Entstehung ihrer Inhalte und damit schließlich auch der Problematik ihres Nutzens als politische Ressource.

Die Hyperkommerzialisierung, die heute für die Medienlandschaft mit ihren global herrschaftlich verschärften Bedingungen auf den weltweiten Märkten konstatiert werden kann, zeigt eine deutliche Binnenverschiebung innerhalb des doppelten Charakters der Ware Medien: Der Gebrauchswert der Ware Medien wird deutlich zugunsten des Tauschwertes der Medien verschoben. Was sich nicht in den Profit einbinden läßt, fällt heraus oder wird marginalisiert. Dazu können auch kritische Inhalte zählen, die punktuell durchaus in den Medien Platz finden, aber nicht die Struktur herrschaftsförmiger oder auch schlicht belangloser Inhalte in den Medien verändern.

Als Ansprüche an die Medien werden als viele normative Einzelfunktionen genannt, die sich alle unter einen der drei Oberbegriffe Information, Kritik und Kontrolle fassen lassen. Darüber hinaus wird als eine weitere Medienfunktion die Notwendigkeit genannt, Einzelinformationen zu reduzieren. Gerade die stetig anwachsende Informationsfülle, der sich JournalistInnen gegenüber sehen - Stichwort: Internet -, macht überdeutlich, das Informationen zur Publikation ausgewählt werden müssen.
In der Diskussion um Funktionsbestimmungen von Medien werden ökonomische Bedingungen der Medienproduktion marginalisiert oder sogar ausgeblendet. Dadurch kann auch die Frage nach der Umsetzbarkeit der genannten normativen Ansprüche an die Medien nicht oder nur sehr bedingt ausgelotet werden.
Da Medien integralen Bestandteil und Ausdruck von Gesellschaft, von unterschiedlichen Herrschaftsverhältnissen sind, außerdem ein aktives Element im sozialen Prozeß, und Medien nicht nur informieren, sondern je nach Rezeption und entsprechender Rezeptionsressourcen der MediennutzerInnen auch Bewußtsein formieren, läßt sich deren inhaltliche Struktur ausdrücklich nicht allein auf ökonomische Faktoren zurückführen.

Nachrichtenentscheidungen

Bevor ich mich mit den ökonomischen Faktoren zuwende, zunächst ein Blick hinter die Kulissen der Nachrichtenproduktion: Die Auswahl von Nachrichten, insbesondere aus dem Pool von Agenturmeldungen und Berichten sowie anderen, den Redaktionen täglich in einer schier unübersichtlichen Fülle zugehenden Informationen und solchen, die durch Recherche generiert werden, gehört zentral zum Handwerkszeug von JournalistInnen. Nachrichtenauswahl ist zentraler Teil journalistischen Lernens und beruflicher Sozialisation. Damit ist auch die Ausbildung von bestimmten, journalistischen Wahrnehmungskorridoren verbunden, die durch eine spezifische Eigenlogik der Medien - präziser: der Redaktionen, der Medienschaffenden geprägt sind.
Zum Verständnis ein einfaches, abstraktes Beispiel: Wenn politisch engagierte Personen mit einem Problem an eine Redaktion herantreten, mit der Bitte, das Thema öffentlich zu machen, wird unter Umständen gesagt, das es sich dabei um ein Thema handelt, das weder neu, noch selten ist. Die eigene Perspektive ist aber vielleicht gerade davon bestimmt, die Alltäglichkeit bis hin zur Serialität eben dieser Problematik deutlich zu machen. Die etablierte mediale Perspektive ist einer solchen Sichtweise gegenüber aber oft strukturell verschlossen. Die mediale Frage lautet demgegenüber: Was ist neu, was ist anders, was macht gerade diese Nachricht - auch gegenüber anderen - berichtenswert. Besonders für politisch Engagierte ist dies meist und durchaus verständlich eine recht frustrierende Erfahrung.
Was steckt dahinter? Wesentlich sind die Kritieren, die dazu führen, ein Thema als interessantes, berichtenswertes Thema zu sehen, schließlich zur Publikation vorzuschlagen und redaktionell durchzusetzen versuchen. In der wissenschaftlichen Debatte wird dieser gesamte Komplex der sogenannten Auswahl von Nachrichten unter den Stichworten Nachrichtenwert, Nachrichtenfaktoren bzw. Nachrichtenwertfaktoren diskutiert.
Zunächst einmal sind die Medienschaffenden bei der Informationsgenerierung und bei der Informationsbearbeitung - abhängig von ihren Ressourcen, also: Ausbildung, Ausstattung, Personal, Zeit etc. (vgl. Gerhards 1995, 155).
Wichtig ist es, sich dabei auch zu vergegenwärtigen, welchen Status JournalistInnen jeweils haben, da dies etwas darüber aussagen kann, welche Möglichkeiten bestehen, ein Thema redaktionell durchzusetzen und wie hoch die Motivation ist, ein ‘heißes Eisen‘ anzufassen oder auch schlichter ein nicht marktgängiges Thema anzubieten und damit eine Ablehnung zu riskieren - was bedeutet, viel Arbeitszeit ohne Honorar investiert zu haben. Gerade die freien und sog. festen freien JournalistInnen, die im Zeitungsjournalismus arbeiten, stehen unter immensem Existenzdruck.

Als zentrale Nachrichtenwertfaktoren werden z.B. die folgenden sechs unterschieden (vgl. Gerhards 1995, 157; Hall 1989, 129; Leidinger 2003, 51-53):
1. Status der Akteure als Nachrichtenwertfaktor - hierbei sind insbesondere Elite-Nationen im Blick oder auch anderes relevante Nationen bzw. es wird nach deren institutionellem Einfluß und beteiligten Elitenpersonen gefragt
2. Relevanz als Nachrichtenwertfaktor macht sich fest an der Nähe eines Ereignisses, am Ethnozentrismus - das meint eine Orientierung entlang geographischer und herrschaftlicher Relationalität im internationalen Staatengefüge; desweiteren wird überlegt, welche Tragweite ein Ereignis hat, wer wie betroffen ist etc.
3. zielt Dynamik als Nachrichtenwertfaktor auf Stichworte wie Überraschung; Ungewißheit bzw. Vorhersehbarkeit; die Sensation zählt, d.h. es geht gerade nicht um sog. banale Kontinuität; zudem wird die Frequenz des Vorkommens abgefragt
4. Konsonanz zielt auf Stereotypie von Darstellungen; Thematisierung; Kontinuität, die als Macht der Wiederholung wirkt
5. beim Nachrichtenwertfaktor Valenz spielt Aggression und Gewalt eine Rolle oder zumindest eine Kontroverse oder Wertverletzungen sowie Fragen von Erfolg
6. Human Interest als Nachrichtenwertfaktor wird verstanden als Personalisierung von Ereignissen oder auch als ‘Namen sind Nachrichten‘ sowie als Emotionalisierung von Geschehnissen

Aus feministischer Perspektive wird die Debatte um die Nachrichten(wert)faktoren aus mehrfacher Hinsicht kritisiert und gezeigt, wie z.B. frauenpolitische Berichterstattung durch das strukturelle Raster fällt und darüber hinaus, wie Androzentrismus die Inhalte bestimmt usw. (vgl. Leidinger 2003, 53-57). Im Zentrum der feministischen Grundsatzkritik der Nachrichtenwertdiskussion steht der wissenschaftliche Ansatzpunkt: Die Kritik muß bereits vor der journalistischen Praxis anhand der Nachrichtenwertfaktoren angesetzt werden. D.h. die Ausführungen zu den Nachrichtenfaktoren, können zwar die Prozeduren journalistischer "Routinen" beschreiben, aber die Anwendung der Nachrichtenfaktoren selbst kann mit diesem Ansatz nicht als "Folge von komplexen Entscheidungsprozessen" begriffen werden. Um sich dessen auch forschungslogisch klarer zu werden, wird vorgeschlagen, präziser von "Nachrichtenentscheidungen" zu sprechen (Huhnke 1996, 48; 58-60). Denn mit diesem Terminus läßt sich der Ursachenkomplex beleuchten, konkreter: der Handlungsaspekt und das Ergebnis stärker betonen und auch begrifflich auf die professionell-journalistische und organisatorische Praxis als gewachsene Struktur der Nachrichtenproduktion verweisen. Der Vorstellung, es handele sich bei den Nachrichtenwertfaktoren um ein quasi naturhaftes Regelsystem, wie sie in Teilen der Nachrichtenwerttheorie vertreten wird, kann so der Boden entzogen werden. Denn die Herstellung von Nachrichten basiert auf Entscheidungen, denen "wiederum jeweils zu bestimmende soziale Standpunkte, herrschende Stereotype sowie eben auch darauf aufbauend journalistische Konventionen zugrunde liegen." (Huhnke 1996, 60) Herrschaftsverhältnisse und die jeweilige soziale Verortung der MedienarbeiterInnen sind der journalistischen Anwendung der Nachrichtenwertfaktoren demnach vorgängig.
Mit der simplen Frage nach den Nachrichtenwertfaktoren wird der Nachrichtenproduktionsprozeß auf die Selektion aus dem vorhandenen news pool verengt und die teilweise vorgelagerte Themengenerierung spielt beispielsweise keinerlei Rolle. D.h. in der feministischen Diskussion wird bereits auf den Schritt vor der Auswahl aufmerksam gemacht. Dies trifft besonders auf die journalistische Eigenrecherche zu, also die Generierung von Themen jenseits der bloßen Nachrecherche etwa zur Aufbereitung von Agenturmeldungen.
Zusammengefaßt bedeutet dies, präziser von selektierender Wahrnehmung, selektierender Auswahl und Bearbeitung sowie selektierender Veröffentlichung zu sprechen, die die Prozesse der Nachrichtenentscheidungen ausmachen und die in ihren komplexen herrschaftlichen Kontext gestellt werden müssen.
Die journalistische Arbeitspraxis zeigt übrigens, dass die Orientierung an den Nachrichtenwertfaktoren bei Journalistinnen und Journalisten weitgehend gleich ist, was sich letztlich auf die berufliche Sozialisation zurückführen läßt, innerhalb derer Frauen wie Männer diese medialen Produktionsmodi lernen, zu denen ganz zentral die Nachrichtenentscheidungen gehören (vgl. Klaus 1998, 54). Diese vorHERRschenden Entscheidungsprozeduren und deren Auswirkungen auf mediale Inhalte sind ein nicht unwesentlicher Teil der strukturellen Macht der Medien - und zwar jenseits deren Politischer Ökonomie. Die zunehmende Konzentration im Medienbereich verstärkt dieses Machtpotential der Medien und zwar nicht zuletzt durch die mit Konzentration verbundene Zunahme an gesellschaftlichem Einfluss einzelner Medienkonzerne (vgl. Trappel u.a. 2002).

Konzentrationsbewegungen und potentielle Auswirkungen

Konzentrationsbewegungen im Medienbereich sind Folge der Kapitalisierung der Medienindustrie und verursachen ihrerseits wiederum in einem sich steigernden Prozess Konzentration. Diese Konzentrationsbewegungen stellen ein zentrales Strukturprinzip der Medienwirtschaft dar.
Dabei sind für den Medienbereich insbesondere vier Konzentrationsrichtungen relevant: die horizontale, vertikale, multimediale sowie die multisektorale, also branchenfremde Konzentration.
Gemeinsam sind diesen vier Konzentrationsrichtungen die - logische - unternehmerische Zielsetzung des Profiterhalts bzw. der Profitmaximierung.
Ein Beispiel ist hierfür im Kontext multimedialer Konzentrationsbewegungen, auch cross-ownership genannt, die gegenseitige redaktionelle Werbung verschiedener Medienarten: das cross-promotion als Form medialer Selbstberichterstattung, das zudem auf unternehmerische Imagepflege zielt.
Die Zulieferung von Programmen als speziellem Teilproblem vertikaler Konzentration (vor-/nachgelagerte Bereiche) birgt die Problematik der Homogenisierung von Medieninhalten; sofern PR-Beiträge von Agenturen in einzelnen Medienprodukten übernommen werden, geht dies bis hin zur Pervertierung der Idee von Journalismus.

Über Konzentrationsbewegungen wird in verschiedener Hinsicht versucht, eine marktkontrollierende Stellung zu entwickeln oder zu halten. Unter Umständen ermöglicht Konzentration, Marktzutrittsbarrieren zu errichten. Dabei wirkt vor allem das Prinzip der Marktmacht durch Größe eines Konzerns. Preis- und Qualitätskonkurrenz wird vermieden, was als Stabilisierung im "Medien-Oligopol-Kapitalismus" (Prokop 2002, 195) begriffen werden kann. Denn der Medienbereich ist weniger durch Monopol- als durch Oligopolsituationen gekennzeichnet.
Mit dem Begriff des Oligopols wird eine Marktform bezeichnet, innerhalb derer nur wenige ein bestimmtes Produkt anbieten - wie etwa auf dem überregionalen Abo-Zeitungsmarkt. Monopole finden sich hingegen auf den Lokal- und Regionalmärkten in Landkreisen und in kreisfreien Städten: hier wird von sog. Ein-Zeitungskreisen ohne jegliche Konkurrenz gesprochen. In über der Hälfte der bundesdeutschen Stadt- und Landkreise, so Angaben des Bundeskartellamts, erscheint heute nur noch eine Zeitung. Solche regionalen bzw. lokalen Zeitungsmonopole sind ein Zeichen für eine weitgehend abgeschlossene horizontale Zeitungskonzentration.
Durch horizontale Konzentration steigt die Zahl abhängiger Medien. Ökonomische Unabhängigkeit ist allerdings keineswegs eine hinreichende Bedingung für unterschiedliche mediale Waren. Andersherum formuliert: Auch Waren, die unter ein- und demselben Konzerndach produziert werden, also abhängig sind, könnten durchaus unterschiedlich sein.
Relevant für die Klärung der Frage nach der sog. Vielfältigkeit im Kontext horizontaler und auch multimedialer Konzentration ist die corporate identity oder auch verlegerische Leitlinie eines Konzerns, die beispielsweise auf verschiedene Zeitungen, die unter einem Konzerndach produziert werden, ausgeweitet werden kann. Interventionen mit Blick auf die verlegerische Leitlinie bewirkt eine Homogenisierung innerhalb der Medien und zusammenbetrachtet auch der gesamten Medienlandschaft, verstanden als der Gesamtheit der Medienprodukte.
Wenn es gelingt, Konkurrenten vom Markt zu vertreiben, führt dies - abstrakt formuliert - ebenfalls zu einer Homogenisierung der Medienlandschaft. Wesentlich relevanter als Marktverdrängung ist für den Medienbereich in der Bundesrepublik allerdings die schlichte Tatsache, das der Markt bereits hermetisch abgeriegelt ist: Dabei handelt es sich um eine Art prohibitive Homogenisierung der Medienlandschaft, weil das Potential ggf. heterogener Medienerzeugnisse im Vorfeld verhindert wird.

Neben den bislang genannten Konzentrationsfolgen wie den Marktzutrittschranken, der Marktkontrolle und der in/direkten Homogenisierung der Medienlandschaft lassen sich zwei weitere Kernfolgen von Konzentrationsprozessen im Medienbereich herausarbeiten: erstens der Bereich der Mehrfachverwertung von medialen Inhalten und weitergehend als eine spezielle Form davon, die Mehrfachverarbeitung von Inhalten. Beide führen sie im Ergebnis zu einer Homogenisierung von Medieninhalten; zweitens der Komplex der SelbstZensur als potentielle Auswirkungsmöglichkeit, nicht nur, aber besonders im Kontext der multisektoralen Konzentration im Medienbereich.

Mehrfachverwertung und Mehrfachverarbeitung

Die mehrfache Verwertung von Beiträgen bietet sich nicht nur bei horizontaler, sondern speziell bei multimedialer Konzentration an. Dabei werden Beiträge ganz einfach in mehreren hauseigenen Medien veröffentlicht. Dieses Prinzip der Mehrfachverwertung kann dabei eine besondere Form annehmen, nämlich die einer Mehrfachverarbeitung medialen outputs. D.h. Beiträge werden nicht nur quantitativ mehrfach verwertet, sondern auch qualitativ mehrfach für verschiedene Medien verarbeitet. Während diese Mehrfachverarbeitung für den Konzern Kostensenkung und Effizienzerhöhung ermöglicht, zieht sie für JournalistInnen Mehrarbeit nach sich. Diese Mehrarbeit geht der Recherche oder dem Schreiben verloren, was zwangsläufig zu einer oberflächlicheren Analyse führt. Themen, die mit großem Aufwand zu recherchieren sind oder ebenfalls arbeitsintensive journalistische Genres wie die Reportage fallen aus dem Repertoire.

Das Problem Mehrfachverwertung und auch der Mehrfachverarbeitung zeigt, dass der "schöne Schein unendlicher Vielfalt" des Medienangebots (Barber 1996, 127) durchaus trügerisch ist. Zwar zeichnet sich beispielsweise der Zeitschriftenbereich durch eine beeindruckende Fülle von Titeln aus, und es kann in einem engen Sinne von einer immensen Vervielfältigung des Angebots gesprochen werden. Aber nicht zuletzt die problematisierte Strategie der Mehrfachverwertung legt dabei sehr nahe, weitgehende Übereinstimmungen in Themenauswahl und Aufbereitung zu vermuten. Dies pervertiert den Topos der Vielfalt der Medien: Vielzahl und Vielfalt sind nämlich keineswegs identisch.
Die Mehrfachverwertung/Mehrfachverarbeitung wird im Kontext eines journalistischen status quo praktiziert, ist also eine mehrfache Publikation von eher mainstream-orientierten Beiträgen. Im Ergebnis läßt sich dies so pointieren: Marktgängige Inhalte werden potentiell verstärkt eingeblendet, während kritische Inhalte potentiell verstärkt ausgeblendet bleiben. Der Gesellschaft werden so u.U. zentrale Informationen vorenthalten, Herrschaftsverhältnisse werden journalistisch fortgeschrieben. Die "Macht der Wiederholung" (Faludi 1993, 128) durch mehrfache Verwendung und andere journalistische Arbeitspraxen, die zu einer Gleichförmigkeit der Inhalte führen, dürfte zur Zementierung herrschaftlicher Bilder und Stereotype beitragen. Das mediale Angebot kann so herrschaftsförmig verengt und vereinheitlicht werden.
Alle hier angeführten potentiell homogenisierenden Auswirkungen auf die Medieninhalte bzw. die Medienlandschaft sind gerade in vielen Gebieten mit regionalen und/oder lokalen Monopolstellungen - zumeist Zeitungen -, besonders prekär. Denn bei thematischen Auslassungen, Verzerrungen etc. kann kein anderes Blatt eine korrektive Funktion einnehmen. Im Falle multimedialer Konzentration kommt es darüber hinaus zu Doppelmonopolstellungen von Print- und Rundfunkbereich, etwaige publizistische Korrektive durch verschiedene Medien entfallen dort ersatzlos.

Marktstrukturell vermittelte SelbstZensur

SelbstZensur ist ein komplexer, fatalerweise zudem selbst (journalistisch) tabuisierter Bereich potentieller Auswirkungen (nicht nur) von Medienkonzentration: Speziell vor dem Hintergrund branchenfremder Verflechtungen werden un/erwünschte Inhalte vorenthalten oder auch gezielt lanciert.
In durchgeführten, angedrohten oder befürchteten zensorischen Eingriffen in Medieninhalte sind selbstzensorische Praktiken von JournalistInnen bereits eingelassen: Dies fasse ich mit dem Begriff der SelbstZensur. Das großgeschriebene Z betont, das es sich um ein untrennbares Verhältnis von potentiellen oder realen Zensurdrohungen handelt. Diese gehen mit selbstzensorischen Praktiken Hand in Hand und zwar um den gleichsam möglichen zensorischen Akten bzw. Befürchtungen hinsichtlich des Arbeitsverhältnisses vorzubeugen. Beim Selbstzensurmechanismus, ob es nun bewußter vorauseilender Gehorsam oder unbewußte Scheren im Kopf sind, werden die Grenzen des gegebenenfalls sogar Möglichen nicht ausgetestet oder gar zu verschieben versucht.
Konkreter: In der Regel wird psychisch auf Angst - also vor einem möglichen zensorischen Akt oder auch schlicht der Ablehnung durch eine Redaktion - vergleichsweise schlicht reagiert: mittels eines Angstmechanismus‘ vollzieht sich eine "Übersetzung von Machtverhältnissen in primär psychisch zu verarbeitende Ohnmacht" (Horn 1979, 180). Der konkreten oder imaginären Gefahr wird "antizipatorisch" aus dem Weg gegangen und diese unter Umständen sogar "realitätsunangemessen abgefälscht" (ibid.) - etwa bei der Einschätzung ‘sonst verliere ich meinen Arbeitsplatz‘. Hierbei treffe ich keineswegs Aussagen über ein quantitatives Ausmaß, sondern skizziere die Problematik, wie ein - z.B. konzentrationsbedingter - Machtkonflikt privatisiert werden kann und sich damit öffentlicher Kritik und Kontrolle entzieht, da er sich scheinbar nur noch im Individuum Journalistin/Journalist selbst abspielt.
Die sich hier anschließende Frage ist die nach denjenigen JournalistInnen, die sich diesem Druck bewußt entgegen stellen. Zweifellos: Es gibt in einzelnen Redaktionen und auf dem Markt der Freien, Journalistinnen und Journalisten, die persönlich mutig genug sind und lieber ihren Job riskieren, als sich Vorschriften darüber machen zu lassen, ob oder wie sie über wichtige, womöglich skandalöse Geschehnisse z.B. in einem Konzern berichten. Vor dem Hintergrund des beruflichen Selbstverständnisses von JournalistInnen scheint aber äußerste Skepsis angebracht, ob dieser Personenkreis etwa im bundesdeutschen Journalismus - der hierbei gerne gegenüber dem US-amerikanischen positiv hervorgehoben wird, immer noch besonders groß ist. Während in älteren Untersuchungen deutsche Journalistinnen und Journalisten als eifrige "Missionare" bezeichnet werden, kommen neuere repräsentative Studien zu einem anderen Ergebnis: Das Gros versteht sich lediglich als neutrale "Vermittler" von Information, was mit einem wenig aktiven Verständnis von Recherche einhergeht - gegenläufig dazu ist der Enthüllungsjournalismus zu nennen (vgl. z.B. Kepplinger 1979; Weischenberg/Löffelholz/Scholl 1993; Schönbach/Stürzebächer/Schneider 1994; Altmeppen/Löffelholz 1998).
Ein unumstrittenes Selbstverständnis wie das des lediglich informierenden Journalismus, läßt sich selbstredend deutlich einfacher in redaktionell-journalistisches Handeln umsetzen als der Anspruch ein Kritiker oder eine Kontrolleurin zu sein. Im angenommenen Fall X eines Interessenskonflikts um ein heikles Thema oder Detail im Kontext multisektoraler Verflechtung liegt es nahe zu vermuten, dass JournalistInnen mit einem nicht ausgewiesen kritischen beruflichen Selbstverständnis den beschriebenen Angstmechanismus eher typisch mit Anpassung, sprich Selbstzensur lösen, als widerständig und dass sie diese Praktiken sogar nach dem Prinzip der "Entthematisierung" der Angst (vgl. Horn 1979) mit Verweis auf die Nachrichtenwertfaktoren verschleiern. Die gesamte Problematik steht im Kontext eines immer enger werdenden journalistischen Marktes, weshalb ich dies als marktstrukturell vermittelte SelbstZensur bezeichne.

Schauen wir uns den Kontext multisektoraler Konzentration, durch die in besonderem Maße selbstZensorische Akte auftreten können, genauer an: Die Medienindustrie steht durch die verstärkt auftretende branchenfremde Verflechtung im Kontext anderer finanzieller Privatinteressen, die Intransparenzen und neuartige Abhängigkeiten schaffen. Darin liegt ein Risikopotential, das die Unabhängigkeit der Medien potentiell aushöhlt und/oder untergräbt und damit die Glaubwürdigkeit journalistischen Arbeitens ernsthaft in Frage stellt. Hierbei wird ein beträchtlicher Grad an Vermachtung und Verkapitalisierung der Öffentlichkeiten deutlich!
Im Kontext multisektoraler Konzentration möchte ich noch einen weitere relevanten Bereich, durch den im Kontext der Globalisierung der Medien (vgl. Leidinger 2003) negative Konsequenzen für die Medieninhalte zu erwarten sind, aufzeigen.

Medienkonzerne an der Börse und shareholder-value

Der Gang von Medienkonzernen an die Börse ist als eine Form der "Kapitalisierung" der Medienindustrie zu verstehen (Knoche 2001, 180). Im Zuge aktueller Entwicklungen im Globalisierungsprozeß gewinnt die Börsennotierung zur Beschaffung von Akquisitionskapital auch in Europa mehr an Bedeutung.
Die Problematik zunehmender tendenzieller Instabilität im Medienbereich ist u.a. auf zwei miteinander kombinierbare Spekulationsvarianten auf den Aktienmärkten zurückzuführen: erstens auf verschiedene Formen multisektoraler Verflechtungen im Kontext börsennotierter Unternehmen wie z.B. dem Mischkonzern General Electric und zweitens auf anonymes Kapital/sog. Investmentgesellschaften als spezifische Form multisektoraler Konzentration. Aktienspekulation ist ein Sonderfall des Aktienbesitzes, d.h. nicht alle AktienbesitzerInnen spekulieren im folgenden beschriebenen Sinn. Außerdem ist die Börsennotierung von Medienunternehmen selbstredend unabhängig von multisektoraler Konzentration - dort wird sie aufgrund der komplexen Konzernarchitektur allerdings wahrscheinlicher als im klassischen Medienbereich.
Sofern sich branchenfremdes Kapital mit dem Ziel der Medienproduktion engagiert, wird shareholder value zum Maßstab des Unternehmenserfolges (vgl. Hautsch 1999, 27). Dies bedeutet, die Wertsteigerung der Aktien wird zu einem entscheidenden Kriterium für die Geschäftspolitik und der Börsenwert prägt die Entscheidungen der Medienunternehmen.
Wie läßt sich die shareholder value-Orientierung im Medienbereich konkreter denken? Für Medienkonzerne sind bezogen auf den Aktienkurs - ähnlich wie in anderen Branchen und Bereichen auch - insbesondere zwei Stichworte zentral: Kostensenkung und Technologie.
Zur Kostensenkung zählt in verschiedenster Hinsicht auch die Personalpolitik etwa durch Besetzung von Schlüsselpositionen sowie Personalentlassungen - häufig im Kontext von Fusionen. Entwicklung, Einführung, Transfer oder Anwendung von Technologien gelten als weitere Aspekte, die für das Verhalten am Aktienmarkt entscheidend sein können. Negative Folgen, die sich auf Technologien beziehen, sind insbesondere dann zu erwarten, wenn die finanziellen Mittel eines Medienkonzerns für technische Innovationen bzw. deren Transfers umgelagert werden, die sich beispielsweise in erster Linie auf die Übertragungs- und Bildqualität auswirken wie etwa bei der Digitalisierung, nicht aber auf den journalistischen output im engeren inhaltlichen Sinne. Sofern JournalistInnen zugunsten von Technikinvestitionen Ressourcen entzogen werden, sind auch hier potentiell negative Auswirkungen auf die Medieninhalte zu erwarten.
Personalabbau in einem Medienunternehmen kann sich ebenfalls negativ auf die journalistische Qualität auswirken, sofern die personellen Ressourcen zum Beispiel für bestimmte Themenfelder aber auch in der laufenden Berichterstattung knapper werden und dies die Berichterstattung (z.B. Recherchemöglichkeiten) einschränkt.
Da der Verfall von Aktienkursen dazu führen kann, dass ein Konzern zum billigen Übernahmekandidaten wird, besteht für ‘unabhängige‘ Unternehmen ein Zwang, immer im Trend liegen zu müssen, was in der Konsequenz zu einer Vereinheitlichung von Unternehmenskulturen führt, da sich alle am sog. Marktführer orientieren; Produktinnovationen und Technologie stehen dabei im Vordergrund. Für den Medienbereich ist besonders problematisch, dass homogenisierend eher Imitate gefördert werden, während sich erst langfristig auszahlende Investitionen wie etwa neue Programm- oder Zeitschriftenformate kurzfristig negativ auf die Unternehmensbilanzen auswirken, was wiederum Rückwirkungen auf den Börsenwert hat.
Shareholder value orientierte Überlegungen greifen außerdem speziell bei Konzentrationsbewegungen börsennotierter Unternehmen: zum einen hinsichtlich etwaiger Ankündigungen, eine Nachrichtenagentur aufzukaufen, da hierdurch erhebliche Einsparungen (bspw. sog. Tickerkosten) zu erwarten sind, oder zum anderen durch die Ankündigung oder auch Umsetzung einer multimedialen Fusion, in deren Folge verstärkt journalistische Mehrfachverwertung oder sogar Mehrfachverarbeitung praktiziert werden kann.
Alle hier angeführten potentiellen, negativen Folgen für den medialen output durch Spekulation auch im Medienbereich lassen sich begrifflich als Anti-journalistischer shareholder value pointieren.
Journalistische Standards bleiben ebenso auf der Strecke wie arbeitsrechtliche, soziale und ggf. auch ökologische Mindeststandards.

Die potentiellen Auswirkungen von Medienkonzentration als Folgenabschätzung, die ich problematisiert habe, skizzieren gewissermaßen einen worst case dessen, was passieren kann, aber eben nicht muß (vgl. Leidinger 2003, 128-137). Gegenüber der stark auf die (fraglos wichtigen) str/eng ökonomischen Aspekte der Medienkonzentration und deren Beschreibung fokussierte deutschsprachige Medienforschung, zentriere ich die gesellschaftlichen Folgen der Konzentrationsbewegungen durch ihre potentiellen Auswirkungen bei der Konstituierung von Öffentlichkeit.
Wir sollten also nicht mehr nur fragen: "Haben sie das gestern auch im Fernsehen gesehen?" Oder: "Hast‘e gestern in der Zeitung gelesen?", sondern darüber hinaus auch eine Vorstellung davon entwickeln, wem die jeweiligen Medien gehören und wer darin unter welchen Bedingungen Inhalte produziert.
Denn die entfesselte Medienwirtschaft zeigt eine Medien-Macht-Konzentration erschreckenden Ausmaßes. Dieser ökonomischen und politischen Machtkonzentration steht in der Bundesrepublik derzeit eine wenig ausgeprägte Kritikkultur gegenüber. Wenn sich eine politisierte, kritische gesellschaftliche Diskussion über Medienkonzentrationsprozesse wiederbeleben ließe, wäre zwar noch nicht alles gewonnen, aber eben auch noch nicht alles verloren. Und: Die Parole muß ja - in verschiedener Hinsicht - nicht zwingend wieder: "Enteignet Springer!" lauten.

Dr. Christiane Leidinger ist Politologin und Autorin des Buches "Medien - Herrschaft - Globalisierung" (Münster 2003)

Der Beitrag ist erschienen in spw 138, Juli/August 2004