Zwischen Verkörperung und Entkörperung

Entwicklungen in der Biomedizin und feministische Theorie

Sigrid Graumann und Ingrid Schneider zur feministischen Debatte über Reproduktionstechniken

Eine Begründung der gesellschaftlichen Ungleichbehandlung von Frauen und Männern mit biologischen Unterschieden zwischen den Geschlechtern und die Naturalisierung der Geschlechterdifferenz haben Feministinnen in Theorie und Praxis erfolgreich zurückgewiesen. Die Frauenbewegung wehrte sich in vielfältigen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen gegen die Reduktion von Geschlechterhierarchien auf die Frage der Gebärfähigkeit. Die neuen Reproduktionstechnologien und vorgeburtlichen Diagnose-Möglichkeiten konfrontieren uns allerdings in besonderer und neuartiger Weise mit biologischen Geschlechterdifferenzen: Frauen und Männer sind auf Grund der Unterschiedlichkeit ihres prokreativen Potenzials den Verfahren in anderer Art sozial ausgesetzt. Darum waren und sind Fortpflanzungsmedizin und vorgeburtliche Diagnostik wichtige, kontrovers diskutierte Themen in feministischen Diskursen. Wie verkörpern sich die neuen Reproduktions- und humangenetischen Technologien, welche Subjekte werden mit ihnen hervorgebracht? Tragen diese Techniken zur Entkörperung von Frauen, zum Verstärken oder Auflösen von Geschlechterkategorien, zum Aufwerten oder Negieren weiblicher Agency bei?

Etablierung der Gen- und Reprotechniken

In den 1970er Jahren begann - noch vor der Novellierung des §218 StGB - die Etablierung der Pränataldiagnostik in einigen Modellprojekten. Anfangs sollte sie ausschließlich Frauen mit hohem Risiko der Vererbung schwerer genetischer Erkrankungen angeboten werden. Doch die Ultraschalltechnik expandierte schnell und wurde binnen kurzem zum Standard in der Schwangerenvorsorge. Die Altersgrenze für die Fruchtwasseruntersuchung (Amniozentese) rückte bald von 38 auf 35 Jahre vor, und durch biochemische Testverfahren (Triple-Test) und verfeinerte Ultraschalldiagnostik (Nackenfaltenscreening) entstanden immer mehr Auffälligkeiten, die durch invasive Eingriffe abgeklärt werden.1 Mit dem Fortschreiten des Humangenomprojektes werden immer mehr Gentests verfügbar, die auch vorgeburtlich eingesetzt werden können. Die Suche nach - meist nicht therapierbaren - Fehlbildungen und genetischen Erkrankungen nahm damit wachsenden Raum in der Schwangerenvorsorge ein und stellt Frauen vor die Konsequenz, die Schwangerschaft mit einem - in der Regel erwünschten Fötus - in einem relativ späten Stadium abzubrechen.
Nach der Geburt des ersten "Retortenbabys" Louise Brown 1978 in Großbritannien kam 1982 in der BRD, 1984 in der DDR, erstmals ein Kind zur Welt, bei dem die Vereinigung von Sperma und Eizellen in einer Petrischale stattfand, bevor der so erzeugte Embryo in die Gebärmutter einer Frau übertragen wurde. Die Verfahren breiteten sich rasch aus; in Deutschland gibt es inzwischen über 100 Zentren, die Verfahren der In-vitro-Fertilisation (IVF) durchführen. Auch ICSI (Intra-cytoplasmatische Spermieninjektion), eine Technik, bei der eine einzelne Samenzelle direkt in die Eizelle eingespritzt wird, hat sich binnen kürzester Zeit etabliert, wobei damit die Unfruchtbarkeit des Mannes an der Frau behandelt wird. Inzwischen nehmen ein Prozent der jährlichen Geburten in Deutschland ihren Ausgangspunkt im Labor. Die Verfügbarkeit von Embryonen außerhalb des Frauenkörpers hat Möglichkeiten ihrer zeitlichen Lagerung, der "Qualitätsprüfung" und Auslese, des Übertragens in eine andere Frau und des Verwertens für Forschungszwecke aufgeworfen.
In der Bundesrepublik hat das 1991 in Kraft getretene Embryonenschutzgesetz Restriktionen für die IVF gesetzt und Leihmutterschaft, Eizellspende, Mutterschaften nach der Menopause, Geschlechtsbestimmung sowie verbrauchende Embryonenforschung strafrechtlich verboten.2 Gegen Ende der 1990er Jahre brachen Kontroversen um diese gesetzlichen Grenzen erneut auf. Reproduktionsmediziner drangen auf Zulassen der Präimplantationsdiagnostik (PID), bei der ein in-vitro erzeugter Embryo auf Erbkrankheiten diagnostisch untersucht werden kann. Die Gewinnung von Stammzellen aus Embryonen weckte Hoffnungen auf neue therapeutische Potenziale. Die Geburt Dollys 1996 warf die Frage nach der Realisierbarkeit des reproduktiven Klonens am Menschen auf. Die Kombination der Zellkerntransplantation als Klontechnik mit der embryonalen Stammzellforschung verhieß, künftig "maßgeschneiderten" Zellersatz per "therapeutischem Klonen" zu schaffen. Fremdnützige Ziele erhielten damit Einzug in die Fortpflanzung, die Reproduktionsmedizin verflicht sich mit der Gendiagnostik und mit Transplantationsverfahren.

Feministische Kritik

Die "erste Welle" der feministischen Kritik in den 1980er Jahren verurteilte die Verfahren der In-vitro-Fertilisation (IVF) und der vorgeburtlichen Diagnostik scharf als neue Formen patriarchaler Kontrolle und Aneignung des weiblichen Gebärvermögens. Im Gegensatz zu liberalfeministischen Positionen in angelsächsischen Ländern, die In-vitro-Fertilisation und Leihmutterschaft ebenso wie Samen- und Eizellbanken teilweise als Werkzeuge zum Abbau von Geschlechter-Stereotypen und Mittel zur Vervielfältigung von Lebensformen feierten, war deren konsequente Ablehnung seitens von Feministinnen im deutschsprachigen sowie kontinentaleuropäischen Raum nahezu durchgängig, eine "Vertreibung der Frau aus der Schwangerschaft" wurde befürchtet.3
Die "zweite Welle" feministischer Auseinandersetzung mit Humangenetik und Fortpflanzungsmedizin entstand Ende der 1990er Jahre im Zuge der öffentlichen Kontroversen um Präimplantationsdiagnostik, Embryonenforschung und das Klonen von Menschen. Sie musste konstatieren, dass sich In-vitro-Fertilisation und Pränataldiagnostik, gegen die sich die Frauenbewegung zuvor vehement zur Wehr gesetzt hatte, in der medizinischen Praxis etabliert haben und von vielen Frauen auch durchaus offensiv in Anspruch genommen werden. Die feministische Kritik von Gen- und Reproduktionstechniken reagierte darauf, indem sie wesentlich differenzierter argumentierte als in den Anfangsjahren, die Ambivalenzen der Technik betonte, ihre Schattenseiten wie schlechte Erfolgsraten, potentielle Langzeitschäden für Frauen und Kinder sowie den sozialen Druck zur Inanspruchnahme und einen Trend zur "Eugenik von unten" hervorhob. Außerdem verwies sie auf die Entwicklung zur Reprogenetik, die Keimbahneingriffe am Menschen und genetische "Verbesserungs"-Visionen an den Horizont rückten.4 Allerdings wurde sie in feministische Expertinnenkreise abgedrängt und wird im öffentlichen Diskurs nur selten berücksichtigt.
Demgegenüber werden die neuen Verfahren im "herrschenden" Diskurs wahlweise als Beitrag zur reproduktiven Freiheit von Frauen "verkauft" oder als - im Interesse von Feministinnen - unvermeidlich dargestellt, wenn nicht die "Abtreibungsfreiheit" erneut zur Disposition gestellt werden soll.5 Dabei stehen wir heute vor zwei biomedizinischen bzw. biopolitischen Haupttendenzen: Zum einen besteht die Tendenz zur Optimierung diagnostischer Verfahren, die der Vermeidung von Kindern mit "Fehlbildungen" und unerwünschten genetischen Anlagen dienen. Zum anderen sind wir damit konfrontiert, dass der menschliche Körper einschließlich seiner reproduktiven Potenziale zunehmend zur Ressource für die biomedizinische Forschung und Praxis gemacht wird. Die technischen Möglichkeiten, ihn zu verwerten und zu manipulieren, werden zusehends erweitert. Frauen sind mit ihren Körpern eng in diese Entwicklung verwoben, weil sie als Nutzerinnen von Kinderwunsch-Behandlung und vorgeburtlicher Diagnostik eine "gate keeping"-Funktion (Rapp 1999) haben und weil ihnen die Verantwortung für die Inanspruchnahme der Verfahren zugewiesen wird.
Vor diesem Hintergrund scheint eine neue Positionierung innerhalb der Frauenbewegung unerlässlich zu sein.

Ansatzpunkte für eine Neuorientierung der Kritik

Die intensive feministisch-theoretische Reflexion der vergangenen Jahre bietet zahlreiche konstruktive Ansatzpunkte für eine Neuorientierung der feministischen Kritik der Gen- und Reprotechniken. Dazu gehören die These der sozialen Konstruktion von Wirklichkeit insbesondere bezüglich des Begriffspaares Natur und Technik, die Differenz-These, in der "die Frau" als Kollektivsubjekt aufgegeben wird, die Forderung nach Anerkennung unterschiedlicher Lebensentwürfe und Berücksichtigung verschiedener Lebensbedingungen von Frauen, die feministische Machtkritik im Anschluss an Michel Foucault sowie die feministische Ethik mit ihren Versuchen, weibliche Erfahrungen und Lebenswirklichkeiten in den biopolitischen und bioethischen Debatten zur Geltung zu bringen.

Diskursentwicklung 1: Gesellschaftliche Kontextualität

Die Ausweitung der In-vitro-Fertilisation in der medizinischen Praxis, die Nutzung von Keimzellen und die genetische Prüfung von im Labor gezeugten Embryonen aus feministisch-soziologischer, -politologischer und -ethischer Perspektive haben auch auf feministischer Seite in den Blick gerückt, wie komplex das Phänomen ungewollter Kinderlosigkeit ist. In einer technophilen Gesellschaft haben sich - als vermeintlich einzige Antwort darauf - die Angebote der modernen Fortpflanzungsmedizin entwickelt. Nach wie vor stellen sie die Betroffenen vor ungelöste Probleme und neue Implikationen. Debattiert wird nicht nur der rechtliche und moralische Status von Keimzellen, sondern auch die Kontroverse, ob und unter welchen Bedingungen weibliche Eizellen zu Fortpflanzungszwecken in den Körper anderer Frauen übertragen werden dürfen. Die Vision des "therapeutischen" Klonens hat darüber hinaus eine große Nachfrage nach Eizellen für die Forschungspraxis hervorgerufen. Feministische Einschätzungen hinsichtlich dieser Techno-logie-Entwick-lungen schwanken zwischen der Ablehnung einer "Verrohstofflichung" von Frauen und dem offensiven Befürworten einer weiblichen Selbstinstrumentalisierung und der Zuerkennung von Eigentumsrechten am eigenen Körper, um Frauen eine bessere Verhandlungsposition auf den neu entstandenen Bio-Körpermärkten zu ermöglichen. Die zunehmende Tendenz, die Eigenschaften von Kindern nicht mehr dem Zufall überlassen zu wollen, sattelt auf technikgefesselte Vorstellungen von Machbarkeit auf und erhält durch Pränataldiagnostik und Präimplantationsdiagnostik eine neue Qualität. Anders als der main stream bioethischer Beiträge fragen feministische AutorInnen nicht nur nach den gesellschaftlichen Folgen, wenn an die Anerkennung der Existenz von Menschen Bedingungen geknüpft werden, sondern auch nach der Rolle von Frauen, welche die Verfahren in Anspruch nehmen, und nach den Folgen für Personengruppen, die nicht den geforderten Normen entsprechen.

Diskursentwicklung 2: Anerkennung von Differenz

Feministische Positionen, die den Gen- und Reproduktionstechnologien pauschal ablehnend gegenüberstehen, wurden in den 1980er und 90er Jahren zum Teil von "essenzialistischen" Strömungen innerhalb der Frauenbewegung getragen, die sich umstandslos positiv auf die Gebärfähigkeit beriefen. Diese Strömungen wurden durch die innerfeministische Kritik erschüttert, die ihnen "Mütterlichkeitsideologie" und "Technikfeindlichkeit" vorwarf. Dies hat, zusammen mit den Positionen, die die feministische Theoriebildung in den letzten Jahren geprägt haben, zu einer facettenreichen feministischen Kritik der biomedizinischen Verfahren geführt. Insbesondere kontroverse Positionen zum Natur-/Kultur-Verhältnis standen in der Auseinandersetzung um feministisch-theoretische Positionen zu Gen- und Reproduktionstechnologien im Mittelpunkt dieser Debatte.
Offen bleibt nach wie vor die Frage, was die postmodernen Ansätze, welche die feministisch-metatheoretischen Debatten der letzten Jahre bestimmt haben, für die feministische Kritik der neuen biomedizinischen Verfahren erbringen können. Ohne die Beiträge von behinderten Feministinnen, deren Positionen sich in den vergangenen beiden Jahrzehnten selbst verändert haben, hätte die feministische Diskussion ihre heutige Komplexität und Ausgereiftheit nicht erreicht. Über lange Zeit thematisierte die Kritik von Vertreterinnen der Behindertenbewegung insbesondere humangenetische Beratung und Pränataldiagnostik vor dem Hintergrund der These einer Kontinuität staatlich-repressiver eugenischer Bevölkerungspolitik vom "Dritten Reich" bis heute. Diese Argumentation wurde allmählich von der Problematisierung von Selbstbestimmung und einer "freiwilligen Eugenik" abgelöst. Mit Foucault lasse sich die diskursive, institutionelle und identitätspolitische Struktur der neuen Eugenik als Phänomen verstehen, das sich nicht negativ - mittels der Androhung von Strafe - sondern "positiv", mittels des Versprechens von Belohnung mit einem Leben in der Mitte der Gesellschaft, darstelle. Die Diskussion der postmodernen Ansätze etwa von Donna Haraway und Judith Butler hier zu Lande nimmt diese häufig als inspirierenden Impuls auf, aber auch mit dem Hinweis, sie erzählten nicht die ganze Geschichte des Körpers. Sie zeigten zwar, dass die Kategorien Körper und Geschlecht fragil geworden sind und starre binäre Kodierungen wie männlich und weiblich bzw. natürlich und kulturell geformt sich, postmodern dekonstruiert, als dynamische Relationen zwischen den beiden Polen der Begriffspaare erwiesen. Dem vielfach behaupteten emanzipatorischen, weil Herrschaftsstrukturen unterlaufenden, Potenzial derartiger Dekonstruktionsarbeit stehen viele feministische Debattenbeiträge jedoch skeptisch gegenüber. Offenbar verfehlten diese postmodernen Ansätze die Ebene der "erfahrenen", "gelebten" Körper. Damit ließen sie aber die Einfallstore für biotechnologische Herrschaftsphantasien ungesichert. So werden sowohl Positionen problematisiert, die in den Reproduktionstechnologien wertfreie Werkzeuge sehen wollen, derer sich Frauen in emanzipatorischer Absicht bedienen können, als auch die Überbewertung von Technologien als Inkarnation sozialer, politischer und ökonomischer Interessen, denen Frauen als hilflose Opfer ausgeliefert wären. Weder den Technologien selbst noch den gesellschaftlichen Machtverhältnissen kommt ein Primat zu; dem gegenüber ist die Sichtweise vorzuziehen, "Natur" und "Kultur" sind in ihrer Funktion der Koproduktion von Machtverhältnissen zu verstehen. Mit dieser Positionierung jenseits von technik- und sozialdeterministischen Zugängen und mit einer Betonung des Interagierens zwischen Natur- und Kulturverhältnissen wird die Veränderbarkeit von Technikentwicklung und gesellschaftlichen Strukturen betont. Dies wiederum eröffnet Chancen des Eingreifens und fordert die politische Verantwortung der AkteurInnen ein.

Strategien gegen Instrumentalisierung

Die gegenwärtige hegemoniale Diskussion über Embryonenforschung und Präimplantationsdiagnostik behauptet oft, es zeuge von doppelbödiger Moral, dass einerseits Schwangerschaftsabbrüche - insbesondere aus sozialen Gründen vorgenommene - gesellschaftlich toleriert würden, andererseits dagegen das Leben von im Labor gezeugten Embryonen strafrechtlich streng geschützt sei. Der § 218 zum einen und das Embryonenschutzgesetz zum anderen führten zu ethischer und rechtlicher Inkonsistenz, weil im Labor gezeugte Embryonen höheren Schutz genössen als viel weiter entwickelte Föten während der Schwangerschaft. Dieser diskursive Schachzug hat auf feministischer Seite unterschiedliche Antworten hervor gebracht. Prononciert wendet sich die eine gegen die Fokussierung der Debatte auf den aus der leiblichen Einheit mit der schwangeren Frau diskursiv herausgelösten Embryo. Sie rückt die Frau und ihre Schwangerschaft in den Mittelpunkt, um so auch ethische Debatten wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen. Eine Diskussion dieser Frage aus dem Blickwinkel der bürgerlichen Individualrechte, mit denen die herrschenden Debatten geführt werden, seien dem Gegenstand unangemessen, weil der Embryo als Subjekt der Menschwerdung ohne die Frau undenkbar sei. Diesem Konzept zufolge, das eine Ethik der Beziehung zwischen Frau und Embryo konstituiert, ist es nicht der isolierte Embryo, sondern die Einheit von Frau und Embryo, die Schutzwürdigkeit verdiene - und dieser Einheit könne unter Umständen auch die Pränatal- oder Präimplantationsdiagnostik dienen. Demgegenüber steht eine Position, einzig in der Sprache der bürgerlichen Individualrechte formulierte feministische Positionen könnten Wirkungen entfalten, die auch rechtlich relevant würden, so berechtigt dabei alle anderen gesellschaftlichen und kulturellen Erwägungen auch seien. Jedoch dürften Frauen nicht zum Austragen einer ungewollten Schwangerschaft gezwungen werden, auch wenn dem menschlichen Embryo Menschenwürde zugeschrieben werde. Andernfalls würde eine bestimmte Klasse von Menschen - nämlich Frauen - dazu verpflichtet, ihren Körper für andere zur Verfügung zu stellen - eine Vorstellung, die dem üblichen Rechtsverständnis sonst völlig fremd sei. Verbrauchende Embryonenforschung und Präimplantationsdiagnostik hingegen ließen sich mit diesem Ansatz nicht rechtfertigen.
Feministische Kritik beschäftigt sich, nicht zuletzt auch auf Druck behinderter Feministinnen seit den 80er Jahren, mit den technischen Selektions- und gesellschaftlichen Ausgrenzungstendenzen, die der Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik inhärent sind. Es lässt sich zeigen, dass behinderte Frauen im biopolitischen Diskurs und besonders in Bezug auf die vorgeburtliche Diagnostik eine dreifache Rolle spielen: als Expertinnen in Sachen Behinderung, als bürgerrechtsbewegte Frauen, aber auch als Verkörperung des Nicht-Perfekten. In der feministischen Diskussion hat der Begriff der Differenz das Verhältnis von behinderten und nichtbehinderten Feministinnen in Bezug auf den Anspruch verändert, die jeweils andere Frau mit ihren Besonderheiten anzuerkennen. Trotzdem ist Ignoranz gegenüber behinderten Frauen - auch in feministischen Kreisen - nach wie vor weit verbreitet. Gerade aber hinsichtlich der feministischen Kritik von Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik führen die kategorischen Zuweisungen "hier Feministinnen, dort behinderte Menschen" nicht weiter. Stattdessen werden mittlerweile Gemeinsamkeiten hinsichtlich der Situationsanalyse und der politischen Zielvorstellungen gesucht. Der Slogan "selbstbestimmt leben", auf den sich zentrale Forderungen der Frauen- wie auch der Behinderten-Bewegung beziehen, kann dafür Ansatz- und Bezugspunkt sein. Diese mögliche Gemeinsamkeit wird durchaus nicht als spannungfrei wahrgenommen: Individuelle Entscheidungen zur Vermeidung der Geburt eines behinderten Kindes etwa bewegten sich zwischen dem Anspruch auf individuelle Selbstbestimmung und der gesellschaftlichen Akzeptanz von Menschen mit Behinderung. Sie seien ihrerseits von sozialen Normen geprägt und wirkten auf die gesellschaftliche Akzeptanz von Menschen mit Behinderung zurück.

Frauenpolitische Interventionen in Gesundheits- und Forschungspolitik

Parallel zur Etablierung und dynamischen Ausweitung der Kinderwunsch-Behandlung mittels In-vitro-Fertilisation sind seit den 80er Jahren feministische Beratungsangebote entwickelt worden. Sie versuchen, die Kompetenz der Frauen im Umgang mit den technischen Angeboten zu stärken, ihnen Hilfestellungen für eigene Entscheidungen über Art, Form und Dauer der Inanspruchnahme zu geben und sie bei der persönlichen Verarbeitung traumatischer Folgen zu begleiten. Ob feministische Beratungsangebote aber eine hinreichende Lösung bieten für die komplexen Entscheidungsanforderungen, vor die sich Frauen und ihre PartnerInnen angesichts der neuen medizinisch-technischen Möglichkeiten gestellt sehen, hängt nicht zuletzt von den Möglichkeiten und Grenzen rationaler Lebens- und Familienplanung in der Realität ab. Zum einen zeigt sich, dass die lebensweltliche Haltung einer Frau zu ihrer Schwangerschaft durch per Beratung vermittelte Risikowahrnehmung überformt wird. Für sie sind so genannte selbstbestimmte Entscheidungen paradox, weil der Umstand, sich überhaupt entscheiden zu müssen, nicht selbstbestimmt gewählt ist. Als "Entscheidungsfalle" wird am Angebot der Pränataldiagnostik erstens wahrgenommen, dass es unausweichlich bedingt, sich entscheiden zu müssen - nämlich entweder dafür oder dagegen, und zweitens, dass die getroffene Entscheidung ebenso unausweichlich verantwortet werden muss. In diesem Zusammenhang wird mittlerweile auf Grund empirischer Studien auch die Frage nach der Planbarkeit von Lebensentwürfen und damit zusammenhängend das Erleben von Körperkontrolle thematisiert. Das Familienplanungsverhalten von Frauen zeige das Phänomen einer Planungs-Aporie: In der heutigen Gesellschaft mit ihrem Verlust an partnerschaftlicher wie familiärer Stabilität und Sicherheit sowie dem Flexibilitätsdruck im Arbeitsleben sehen Frauen sich gezwungen, ihre Reproduktions-Biografie zu planen und biografische Risiken zu minimieren. Kinder werden unter diesen Umständen als Bedrohung für die individuelle, soziale Sicherheit wahrgenommen. Dies spitzt sich in Bezug auf die Vorstellung zu, mit einem behinderten Kind zu leben, und wird mit der Unmöglichkeit, berufstätig zu sein, einem drohenden Verlust des Partners und gesellschaftlicher Stigmatisierung assoziiert. Nur eine wesentlich verbesserte soziale Absicherung des Lebens mit Kindern könne den Planungsdruck abschwächen und Perspektiven jenseits der technogenen Fixierungen eröffnen.
Vor nationalen Grenzen machen biotechnologische Entwicklungen keinen Halt. Längst sind die scientific communities internationalisiert und neue biomedizinische Erkenntnisse und Machbarkeiten von der Gendiagnostik bis hin zum Klonen weltweit verfügbar. Sowohl die Förderung wie auch die Regulierung der Biomedizin müssen daher neben der nationalen die internationale Ebene miteinbeziehen. Beispiele für supranationale Regulationsversuche sind die UNESCO-Erklärung zum menschlichen Genom, die umstrittene Biomedizin-Konvention des Europarates, die WTO-Vorgaben zu Patentrechten auf biotechnologische Erfindungen (TRIPS) und die - bislang ergebnislosen - Bemühungen zu einer verbindlichen Völkerrechts-Konvention für ein Klonverbot. Internationale Vorgänge und Entwicklungen sind bisher in der feministischen Debatte besonders aus politikwissenschaftlicher Sicht behandelt worden. In der Europäischen Union als Arena biopolitischer Policy-Prozesse zeigt sich etwa, dass Initiativen von Parlamentarierinnen die jeweilige Policy im Hinblick auf die Aufnahme geschlechtsbezogener Technik-Implikationen in parlamentarische Beratungen über Forschungsprogramme modifiziert haben. Dies scheint durch Verstärkung der deskriptiven wie der substanziellen Repräsentation von Frauen im Europäischen Parlament zwischen Ende der 1980er zum Ende der 1990er Jahre hin mitbewirkt worden zu sein. Allerdings blieben Geschlechterverhältnisse meist auf Thematisierungen und Deutungen beschränkt, die sich auf den weiblichen Körper bezogen. Der Reichtum feministischer Analysen und Theoriebildung hielt allenfalls in äußerst verdünnter Form Eingang in die politische Arena. Die Chancen für ein systematisches "Re-Engendering" der Forschungspolitik, das Frauen als Akteurinnen in Rechnung stellt und ihre Gestaltungsoptionen erweitert, scheinen sich dennoch deutlich verbessert zu haben. Öffnungen in den Governance-Strukturen der Europäischen Kommission und vorgesehene stärkere Partizipation zivilgesellschaftlicher Gruppen dürften hierzu beigetragen haben.

Anmerkungen

1)
Zur Entwicklung der Pränataldiagnostik und zur Indikationsausweitung siehe den Überblick in REM (Enquete-Kommission Recht und Ethik der modernen Medizin) (2002), Schlussbericht. Hg. vom Deutschen Bundestag, Referat Öffentlichkeitsarbeit, Zur Sache 2/2002, Berlin, S. 148-183.
2)
Zur Entwicklung der IVF siehe REM 2002,a.a.O., S. 65-146
3)
Vgl. Corea, Gena (1986), MutterMaschine. Reproduktionstechnologien. Von der künstlichen Befruchtung zur künstlichen Gebärmutter, Berlin; Paczenski, Susanne von/Sadrozinski, Renate (Hg.) (1988), §218. Zu Lasten der Frauen, Reinbek; Klein, Renate (1989), Das Geschäft mit der Hoffnung, Berlin; Bradish, Paula / Feyerabend, Erika / Winkler, Ute (Hg.) (1989), Frauen gegen Gen- und Reproduktionstechnologien. Beiträge vom 2. Bundesweiten Kongress vom 28.-30.10.1988 in Frankfurt, Frankfurt/M.; Schindele, Eva (1990), Gläserne Gebär-Mütter. Vorgeburtliche Diagnostik - Fluch oder Segen, Frankfurt/M.; Beck-Gernsheim, Elisabeth (1991), Technik, Markt und Moral. Über Reproduktionsmedizin und Gentechnologie, Frankfurt/M.; Duden, Barbara (1991), Der Frauenleib als öffentlicher Ort. Vom Mißbrauch des Begriffs Leben, Hamburg; Mies, Maria (1992), Wider die Industrialisierung des Lebens, Pfaffenweiler; Degener, Theresia/Köbsell, Swantje (1992), "Hauptsache, gesund"? Weibliche Selbstbestimmung unter humangenetischer Kontrolle, Hamburg; Fleischer, Eva/Winkler, Ute (Hg.) (1993), Die kontrollierte Fruchtbarkeit, Wien; Wichterich, Christa (Hg.) (1994), Menschen nach Maß. Bevölkerungspolitik in Nord und Süd, Göttingen.
4)
Bayer, Vera (1993), Der Griff nach dem ungeborenen Leben. Zur Subjektgenese des Embryos, Pfaffenweiler; Schneider, Ingrid (1995), Föten - der neue medizinische Rohstoff, Frankfurt/M./New York; Fränznick, Monika/Wieners, Karin (1996), Ungewollte Kinderlosigkeit: psychosoziale Folgen, Bewältigungsversuche und die Dominanz der Medizin, Weinheim; Gen-ethisches Netzwerk / Pichlhofer, Gabriele (Hg.) (1999), Grenzverschiebungen: Politische und ethische Aspekte der Fortpflanzungsmedizin, Frankfurt/M.; Kollek, Regine (2000), Präimplantationsdiagnostik. Embryoselektion, weibliche Autonomie und Recht, Tübingen, Basel; Braun, Kathrin (2000), Menschenwürde und Biomedizin. Zum philosophischen Diskurs der Bioethik, Frankfurt a.M.; Graumann, Sigrid (Hg.) (2001), Die Genkontroverse. Grundpositionen, Freiburg; Bioskop (2000), Der frauenlose Embryo. Denkzettel Nr. 4, www.bioskop-forum.de; Reprokult, Frauenforum Fortpflanzungsmedizin (2000), Positionspapiere: www.reprokult.de; Reprokult, Frauenforum Fortpflanzungsmedizin (2002), Reproduktionsmedizin und Gentechnik. Frauen zwischen Selbstbestimmung und gesellschaftlicher Normierung. Dokumentation der Fachtagung 15.-17.11.2001 in Berlin, BzgA, Köln; Bergermann, Ulrike/Breger, Claudia/ Nusser, Tanja (Hg.) (2002), Techniken der Reproduktion. Medien - Leben - Diskurse, Königstein/Taunus; Brähler, Elmar/Stöbel-Richter, Yve/Hauffe, Ulrike (Hg.) (2002), Vom Stammbaum zur Stammzelle. Reproduktionsmedizin, Pränataldiagnostik und menschlicher Rohstoff, Gießen; Kuhlmann, Ellen/Kollek, Regine (Hg.) (2002), Konfiguration des Menschen. Biowissenschaften als Arena der Geschlechterpolitik, Opladen.
5)
Vgl. Geyer, Christian (Hg.) (2001), Biopolitik. Die Positionen, Frankfurt/M.; BMG (Bundesministerium für Gesundheit) (Hg.) (2001): Fortpflanzungsmedizin in Deutschland. Band 132, Schriftenreihe des Bundesministeriums für Gesundheit, Baden-Baden.

Dr. Sigrid Graumann, Biologin und Philosophin, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut Mensch, Ethik und Wissenschaft (IMEW) in Berlin und Mitglied der Enquete-Kommission Ethik und Recht der modernen Medizin wie auch der Zentralen Ethikkommission der Bundesärztekammer.
Dr. Ingrid Schneider, Politologin, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsgruppe Medizin/Neurowissenschaft des Forschungsschwerpunkts BIOGUM (Biotechnologie, Gesellschaft, Umwelt) der Universität Hamburg.
Beide Autorinnen sind Gründungsmitglieder des Frauenforums Fortpflanzungsmedizin (www.reprokult.de), einem überregionalen Zusammenschluss von Frauen aus Praxis, Wissenschaft, Politik und Medien, die aus feministischer Perspektive zu Gen- und Reprotechniken arbeiten.

Aus: Forum Wissenschaft 4/2004