''Die Polizei betreibt aktiv Politik''

Interview mit der Antifaschistischen Linken Berlin (ALB)

Die Polizeiübergriffe gegen Strukturen der außerparlamentarischen und radikalen Linken häufen sich - seien es die Durchsuchungen bei Labournet oder der anti atom aktuell, ...

... der Polizeieinsatz auf dem Prekär Camp oder das §129-Verfahren im Zusammenhang mit den Protesten gegen den Hotelbau. Auch in Berlin schlug die Polizei in den letzten Wochen zu - im Visier: die Antifa-Szene der Hauptstadt.

ak: In der Nacht zum 28. August sprengte die Polizei eine Antifa-Party und durchsuchte Wohnungen und Büros. Was ist passiert?

ALB: Offiziell wurden die Durchsuchungen, an denen mehr als 300 Polizeibeamte beteiligt waren, mit der Einladung zu einer Antifa-Party begründet, die auf www.antifa.de veröffentlicht war. Die recht junge Berliner Gruppe Antifaschistische Brigaden Berlin hatte zu der Party eingeladen und jedem ein Freigetränk versprochen, der Nazi-Wahlkampf-Material mitbringt. Die Polizei bewertete dies als Aufruf zu Straftaten und besorgte sich Durchsuchungsbeschlüsse für die Wohn- und Büroräume der technischen Betreuer der Website und für die Partyräumlichkeiten selbst, um dann während Party, also am Wochenende und nachts, zeitgleich in die Objekte einzureiten. Letztlich waren von der Durchsuchung neben der Party zwei Privatwohnungen, zwei Büroetagen sowie der Laden "Fusion" betroffen, in dem der Antifa-Versand Red Stuff, das Musik-Kollektiv Lucha Armada und FelS residieren. Im Anschluss an die Polizeiaktionen hat es eine spontane Solidemo gegeben, bei der es auch zu Festnahmen kam. Einer der Betroffenen sitzt immer noch in U-Haft, ihm wird vorgeworfen, die Polizei mit einer Flasche beworfen zu haben.

ak: Hattet ihr mit einer Polizeiaktion zu diesem Zeitpunkt gerechnet?

ALB: Wir wissen, dass sich Teile der Polizei mit uns beschäftigen. Vor allem nach den Hausdurchsuchungen am 6. Juli wussten wir, woher momentan der Wind weht. Damals wurden Wohnungen von aktiven Antifaschisten wegen einer angeblichen Schlägerei mit Nazis am Ostbahnhof durchsucht. Die Genossinnen und Genossen sind mit einem immensen Observations- und Ermittlungsaufwand überzogen worden. Auch wenn man gesehen hat, mit welchem martialischem Polizeiaufgebot der Wunsiedel-Ersatz-Aufmarsch in Berlin geleitet wurde, war das eine relativ klare Ansage.

ak: Am 6. Juli die Durchsuchungen von 15 Wohnungen von Antifas in Berlin, Potsdam und Eisenhüttenstadt, jetzt die Aktion gegen die Jugendantifa-Party, das Antifaschistische Pressearchiv und Bildungszentrum (apabiz) und euren Laden . Wie erklärt ihr euch, dass die Berliner Polizei nun schon zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen so massiv gegen die Antifa-Szene der Hauptstadt vorgeht?

ALB: Diese Aktivitäten stehen unter anderem im Zusammenhang mit einer Umstrukturierung im Berliner Landeskriminalamt. Seit Mitte Juni gibt es dort eine neue Sonderkommission mit Namen AG Links-Rechts-Auseinandersetzungen, was Ausdruck der Tatsache ist, dass sich bei der Berliner Polizei die These der Gewaltaufschaukelung zwischen rechten und linken Gruppen erneuter Popularität erfreut. Eine Entwicklung, die allerdings nicht nur auf Berlin beschränkt ist. In Potsdam, wo in letzter Zeit die Zahl rechter Übergriffe massiv zugenommen hat, wird beispielsweise nach einem Überfall auf einen stadtbekannten Nazi gegen vier Antifas wegen Mordversuchs ermittelt. Die Polizei tut momentan alles, um die Auseinandersetzung zwischen Antifas und Nazis als eine Art Bandenkrieg erscheinen zu lassen. Auf einmal ist in den Medien - bis hin zur taz wurde diese Sichtweise vertreten - wieder ganz unreflektiert von der Spirale der Gewalt zwischen Rechts und Links die Rede.
Auf der einen Seite werden also auf diese Art die politischen Auseinandersetzungen entpolitisiert, auf der anderen Seite betreibt die Polizei selbst aktiv Politik. Die Durchsuchungen in der Nacht zum 28. August sollten laut richterlichem Beschluss dem Auffinden von Unterlagen dienen, die "Auskunft über politische Aktivitäten außerhalb der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und den übersteigerten Hass der Beschuldigten auf die NPD geben" könnten. Diese Ausführungen zeigen doch deutlich, dass hier von polizeilicher Seite versucht wird, diejenigen, die Nazi-Plakate abreißen, außerhalb der demokratischen Grundordnung zu stellen, wodurch umgekehrt der Eindruck vermittelt wird, die Nazis seien Bestandteil dieser demokratischen Grundordnung. Man kommt nicht umhin, festzustellen, dass die Berliner Polizei wenn auch nicht aktive, dann doch passive Wahlkampfhilfe für die NPD geleistet hat. Gleichzeitig ist nun ein beträchtlicher Teil der Antifa-Szene in Berlin von Repression überzogen, und anstatt sich damit beschäftigen zu können, was anderer Orts Zivilcourage gegen Rechts heißt, und beispielsweise am 8. Mai von staatlicher Seite auch willkommen ist, wird nun kriminalisiert.

ak: Vielleicht ist ja der diesjährige 8. Mai ein wichtiges Stichwort. Hängt die aktuelle Repression gegen die Antifa vielleicht mit ihrem erfolgreichem Agieren an diesem Tag zusammen?

ALB: Einen direkten Zusammenhang können wir nicht erkennen. Klar, der diesjährige 8. Mai in Berlin war ein politischer Erfolg. Sicherlich gab es den politischen Willen von Staatsseite aus, sich an diesem Tag möglichst zivilgesellschaftlich zu geben und den Nazi-Aufmarsch nicht stattfinden zu lassen, aber das traf sich an diesem Punkt mit unserem eigenen Interesse. Man darf sich seine eigenen politischen Erfolge nicht klein reden: Am 8. Mai gab es eine der größten linken, antifaschistischen Demonstrationen der letzten zehn bis 15 Jahre.
Aber auch wenn wir keinen direkten Zusammengang sehen, zielt die momentane Repression gleichwohl auf eine erfolgreiche Antifa-Politik. In diesem Fall trifft es vor allem den Jugendantifa-Bereich. Es ist der Polizei sicherlich nicht entgangen, dass sich in letzter Zeit neue Gruppen in Berlin gegründet haben. Das harte Eingreifen auch bei relativ geringfügigen Delikten ist aus polizeistrategischer Sicht Vorfeldbekämpfung militanter Antifapolitik.
Davon abgesehen, gibt es natürlich das Interesse, politische Strukturen, die eine gewisse Wirkung entfalten und wahrnehmbar sind, stärker unter die Lupe zu nehmen. Es geht nicht nur um Einschüchterung, sondern angesichts des zunehmenden sozialen Widerstands will man sich auch durch Beschlagnahme von Computern, Akten und Adressenlisten einen aktuellen Überblick über die linke Szene verschaffen. Das deckt sich momentan mit einer weiteren Entwicklung. Erst vor zwei Wochen gab es einen massiven SEK-Einsatz in der Berliner Diskothek Jeton, der sich angeblich gegen die Berliner Hooligan-Szene richtete. Die Polizei ist mit äußerster Brutalität vorgegangen und hat an die 150 Menschen stundenlang festgehalten. Dieser Einsatz, aber auch die ganze Diskussion um Überwachung und die Sicherheitslage im Vorfeld der Fußball-WM 2006, stehen für eine generelle Verschiebung in diesem Bereich. Die persönlichen Handlungsspielräume, aber auch die Spielräume politischer Artikulation und sozialer Organisierung, wie gering sie in Deutschland auch sein mag, sollen eingeschränkt werden.
Dass heute Plakateabreißen zu einer Straftat wird, die den Polizeieinsatz von 300 Beamten legitimiert, das ist doch relativ lächerlich. Weniger lächerlich ist, dass seit zehn Tagen einer der Party-Besucher wegen eines angeblichen Flaschenwurfs in U-Haft sitzt.

ak: In NRW werden Antifas wegen Straßenblockade mit Verfahren überzogen, ebenso ergeht es Antifas z.B. aus Gera. Wir haben es also mit einem bundesweiten Trend zu tun?

ALB: Ja, das ist sicherlich ein bundesweiter Trend, aber mit ein paar Berliner Eigenheiten wie etwa der hohen Eigenständigkeit der Polizei. Mit großer Kaltschnäuzigkeit wurde von Innensenator Körting der Einsatz gegen die Disko-Besucher gedeckt und als ganz normaler Polizeieinsatz verteidigt, obwohl er angeblich von dem Einsatz im Vorfeld nicht informiert worden war.

ak: Ihr seht also Verselbstständigungstendenzen innerhalb der Berliner Polizei?

ALB: Das wäre ja in Berlin nicht das erste Mal. In der Stadt gab es immer wieder Teile der Polizei, die auf eigene Faust gehandelt haben, oder ihrem übersteigerten Hass gegen die Linke nachgegangen sind. Wenn nicht mal mehr große SEK-Einsätze mit dem Innensenator abgesprochen werden, muss das sicherlich als Indiz gewertet werden, dass es Kräfte innerhalb der Polizei gibt, die eigenständige Interessen verfolgen. Zumal aus dem Abgeordnetenhaus zu hören ist, das, was gewisse Polizeieinsätze angeht, absolute Intransparenz herrscht, und selbst Parlamentarier der Regierungsfraktionen anscheinend keine Informationen mehr erhalten.
Auf der einen Seite haben wir es also mit solchen Verselbstständigungstendenzen zu tun, auf der anderen Seite erleben wir die Renaissance dieser Rechts-Links-Gewaltspirale-Ideologie und all dem, was totalitarismus-theoretisch dahinter steht und die politisch-ideologisch eine solche Polizeipraktik flankiert.

ak: Wie fällt eure vorläufige politische Bewertung der Polizeiaktion aus?

ALB: Seit der Durchsuchungsaktion erfahren wir eine große solidarische Resonanz und spüren viel politischen Rückhalt. Bei all dem Stress, den die Durchsuchungen für die Betroffenen bedeuten, politisch waren sie für die Polizei sicherlich nicht erfolgreich. Im Endeffekt beschäftigen sich jetzt viel mehr Leute mit dem Thema, wie man sich aktiv gegen NPD-Wahlpropaganda wehren kann - und zwar auch ein Teil der zivilgesellschaftlichen, bürgerlichen Öffentlichkeit, also genau der Teil, der am 8. Mai mit uns auf die Straße gegangen war. Mit ihrer Unterstützung wird nun eine große Gala am 16. September stattfinden, auf der das Konzept der Jugendantifa-Party im großen Stil noch einmal wiederholt werden soll.

Interview: mb., Berlin

aus: ak - analyse + kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis/Nr. 498/16.9.2005