Sin City

Besprechung der Comic-Adaptation "Sin City" von Robert Rodriguez.

Was geschieht, wenn ein Regisseur ein Comic so adaptiert, dass es fast so wirkt, als ob er die Bilder seiner Vorlage eins zu eins nachstellt? Es entsteht ein visuell außerordentlich eindrucksvoller Film, dessen Faszination man sich kaum entziehen kann. Das trifft zumindest auf den Film Sin City des Regisseurs Robert Rodriguez zu. Als Vorlage dienten ihm die düsteren Comics aus der gleichnamigen Reihe von Frank Miller, der zugleich als Co-Regisseur fungierte. Das geschah auf ausdrücklichen Wunsch von Rodriguez, der dafür sogar seinen Rauswurf aus dem Verband der Regisseure hinnahm, da es in Hollywood für einen Film nur einen Regieführenden geben darf.

Sin City ist ein komplett animierter Film. Nur die Darstellenden sind echt. Die gesamte Kulisse entstand im Computer. In den meisten Filmen, wo das bisher versucht wurde, funktionierte es nicht. Bei Sin City wirkt es hervorragend. Das mag daran liegen, dass der Film abgesehen von einigen Farbtupfern in Schwarz-Weiß gedreht wurde. Dadurch entsteht eine unwirkliche Atmosphäre, die etwas
(Alp-)Traumhaftes hat. Der Film funktioniert nur, wenn sich die Zuschauenden auf die ihnen dort angebotene Parallelwelt einlassen. Sie müssen bereit sein, sich für zwei Stunden in die düstere Welt von Sin City entführen zu lassen. Sie müssen jede realistische Erwartung an den Film fallen lassen und sich auf die dort herrschende Logik einlassen. Nur wer in der Dunkelheit des Kinos die Welt um sich für zwei Stunden vergessen kann, kann diesen Film genießen. Es wird also Kintopp pur geboten, Kino als Flucht aus der Realität.

In welche Welt wird man durch diesen Film entführt? Es ist eine düstere, brutale Welt, eine Welt, in der man nicht leben möchte, die aber seltsamerweise sehr faszinierend ist. Die Gewalt wird geradezu zelebriert, sie wirkt aber durch die starke Stilisierung der Handlung seltsam abstrakt. Das reichlich fließende Blut ist nur manchmal rot, oft weiß und einmal gelb. Dadurch entsteht eine Distanz, ohne die die Darstellung der Gewalt nicht zu ertragen wäre.

Die Handlung ist stark an den Film noir der 30er und 40er Jahre angelehnt, wobei man noir in diesem Fall NOIR schreiben müsste. Man hat es mit lauter Sam Spades und Philipp Marlowes zu tun, einsamen Männern mit langen Mänteln, die durch die große, dunkle Stadt streifen und sich dabei ihren Teil denken. Diese Gedanken werden - so wie es spätestens seit Humphrey Bogart sein muss - durch ihre raue Stimme aus dem Off mitgeteilt. Diese Männer, die nicht nur einsam sind, sondern auch knallhart, haben jedoch ein Herz aus Gold, dessen höchstes Bestreben es ist, Frauen, denen Unrecht geschieht, zu helfen und sie zu schützen. Wahre Ritter im Moloch der Großstadt.

Die Frauen sind gar nicht so wehrlos, sondern haben es faustdick hinter den Ohren. Aber sie lassen sich von ihren Rittern gerne helfen, weil das in dieser Welt so sein muss. Die meisten von ihnen gehen in "Old Town", dem miesesten und verrufensten Stadtteil einer miesen und verrufenen Stadt, dem angeblich ältesten Gewerbe der Welt nach. Das wird in Old Town aber gewissermaßen autonom betrieben, denn dort haben die "Ladies" das Sagen. Streifenwagen, die sich in den Stadtteil verirren, drehen sofort wieder ab. Das Gleiche gilt für die Mafia und die Zuhälter. Diese Frauen sind allesamt eine Mischung aus Heiliger, Hure und Amazone. Letzteres ist bei einigen von ihnen sogar stark dominierend, wie bei Miho, die geradezu als Racheengel konzipiert ist: Unschuldiges Mädchengesicht in Kombination mit absolut tödlicher Bewaffnung. Die Frauenfiguren wirken allesamt wie die Produkte von Männerfantasien.

Es wurde bereits angemerkt, dass wir es hier mit einer Adaption zu tun haben, die sich sehr eng an ihre Vorlage hält. Die drei Episoden des Films entsprechen ziemlich exakt drei Heften der Comic-Reihe: "The Hard Goodbye", "The Big Fat Kill" und "That Yellow Bastard". Die einzelnen Bilder der Comics kann man überwiegend nachgestellt in der gleichen Reihenfolge im Film wiederfinden. Die optische Wirkung des Films übertrifft die der Vorlage bei weitem. Das liegt auch am sparsamen aber wirkungsvollen Einsatz von Farbe: Das rote herzförmige Bett, auf dem Marv mit seiner Goldie liegt, deren Ermordung ihn zu einem blutigen Rachefeldzug veranlasst. Die ekelhaft-knallige gelbe Haut des "Yellow Bastard", die aus diesem Mädchenschänder und Massenmörder eine derartig widerliche und abstoßende Gestalt machen, dass dagegen alle Gollums in sämtlichen Mittelerden blass aussehen. Die blauen Augen der Verräterin Becky, die eine Unschuld vortäuschen, die nicht vorhanden ist, liefert sie doch fast ihre Kolleginnen in Old Town an die Mafia aus. Rodriguez hat mit diesem Film auf jeden Fall neue Maßstäbe für das Genre der Comic-Verfilmung gesetzt.

Der Film wird nicht chronologisch erzählt. Durch einzelne Szenen, die aus unterschiedlicher Perspektive in den verschiedenen Episoden vorkommen, kann sich der Zuschauende die Chronologie der Handlung erschließen.
Ein visuell unglaublich eindrucksvoller, perfekt inszenierter, technisch großartig gemachter Film, in dem auch die Darstellerinnen und Darsteller zu absoluter Höchstform auflaufen.

Sin City

USA 2005

Regie: Robert Rodriguez, Frank Miller

Gastregie: Quentin Tarantino

Mit Jessica Alba, Rosario Dawson, Elijah Wood, Bruce Willis, Clive Owen, Mickey Rourke, Benicio Del Toro, Michael Clarke Duncan, Carla Gugino, Josh Hartnett, Michael Madsen, Jaime King, Brittany Murphy, Nick Stahl, Marley Shelton, Arie Verveen, Rutger Hauer, Frank Miller.

Kinostart: 11. August 2005