Leben als ständiges Bewerbungsgespräch

''Fake for Real'' beschreibt das Lebensgefühl einer metropolitanen Kulturszene

Es kommt nicht darauf an, wie viel Wahrheit eine Aussage enthält, sondern darauf, wie spektakulär sie wirkt und ob sie das Image des Urhebers positiv beeinflusst ...

... Es gibt keine guten Nachrichten, außer du machst sie selber. Oberste Prämisse: Wirkung erzielen, als gut vernetzt erscheinen und damit die eigene Absatzquote sichern bzw. nach oben treiben. Solche und ähnliche Postulate betreffen und bestimmen eine Gruppe von Menschen, die sich enorm wichtig vorkommen und ihre Bedeutung im Antlitz des Gegenüber gespiegelt sehen wollen. Ein Muss ist auch, bestimmten aktuellen Codes der Kleidung, Aussehen und Sprache zu gehorchen und sie abzulegen, bevor sie veraltet sind. Die neoliberale Politik mit ihren deregulierenden Maßnahmen hat dazu geführt, dass viele junge Intellektuelle mit akademischen Abschlüssen ohne Aussicht auf feste Jobs mit und in prekären Arbeitsverhältnissen überleben müssen. Gegen eine starke Konkurrenz buhlen sie um freie Aufträge als KuratorInnen, AutorInnen oder LektorInnen. Judith Mair und Silke Becker haben sich dieser gesellschaftlichen Sphäre angenommen und beschreiben in ihrem Buch "Fake For Real" die Strategien des So-Tun-Als-Ob. Das Buch liest sich flott weg, da es im Stil genau jener in auf Geschwindigkeit des Trendwechsels angelegten Berufs- und Gesellschaftsschicht entspricht, deren Analyse es beabsichtigt. Vieles klingt plausibel, die Sprache ist salopp und gespickt mit Begriffs- und Namedropping und passt sich damit auch hier genau dem beschriebenen Phänomen an. Aber ist das wirklich alles so neu, wie uns die Autorinnen verkaufen wollen? Das Samplen von Ideen, das eklektizistische und zitathafte Anreißen von Themen, Theorien und kulturellen Genres macht die postmoderne Figur des metropolitanen, flexibel und mobil frei-driftenden intellektuellen Menschen aus, denn er steht unaufhörlich unter dem Druck, sich als Nonplusultra demonstrieren zu müssen. Ein großer Teil der Existenz solcher Personen ist als Dauerperformance, als ständiges Bewerbungsgespräch angelegt. Damit ist jedoch nicht unbedingt gemeint, dem Gegenüber nach dem Mund zu reden, sondern sich möglichst unverwechselbar zu geben und innovativ zu erscheinen. Dass letztendlich die meisten wieder in der Uniformität landen, ist Schicksal des betrieblichen Anpassungsirrsinns. Die erhöhte Konkurrenzsituation dieser im Neoliberalismus vielfach beschleunigten Entwicklung führt zum Kampf aller gegen alle und damit zur "planmäßigen Zerstörung der Kollektive" (Pierre Bourdieu). Das Ambivalente und Wechselhafte (Flexibilität!), das die große Reservearmee und die verstärkte Konkurrenzsituation erfordern, demonstrieren die Autorinnen an dem Begriff "eigentlich", mit dem die Differenz zwischen der eigenen Berufung z. B. als Drehbuchautor und der Arbeit in einem Callcenter, also zwischen "gefühlter" gesellschaftlicher Position und Realität, markiert wird. Aber existierte dieser Spagat nicht schon immer? Dass viele ihr Leben "entfremdet" fristen und auf den Karrieresprung warten und ihn meistens nicht schaffen, ist so alt wie die Märchenwelt der Brüder Grimm.

Kokettieren mit der Revolution

Das Aufweichen der ideologischen Lager (angeblich gibt es ja kein lechts und rinks mehr) ist eine Umschreibung für das Fehlen einer starken außerparlamentarische Linken und bezeichnet das Driften der ehemals linksliberalen Position nach rechts. Dadurch geraten vormals linke Intellektuelle ideologisch und ökonomisch unter großen Anpassungsdruck. Dies treibt Personen zu ungeahnten Veränderungen an. Jede dieser Ch-Ch-Changes (David Bowie) eröffnet dann auch neue Möglichkeiten, die Gesinnung den realen Machtverhältnissen anzupassen. Sich kontextbezogen zu verhalten und zu diskutieren - z.B. tagsüber kapitalismuskonform zu leben und abends affirmativ über den Weg der RAF zu räsonieren - bildet im Pop-Kapitalismus schon längst keinen Widerspruch mehr. Es ist ermüdend zu wiederholen, aber: das System hat es nun mal an sich, alles in den Warenkreislauf einzufüttern und eben alles zur Ware zu machen inklusive der ProtagonistInnen selber. Das schließt auch das Kokettieren mit Revolution und der Antiglobalisierungsbewegung, attac und der Anti-Branding-Bewegung mit ein. Adbusters, Culture Jamming und andere kreative Protestformen sind jedoch keine wirklichen Gegenstrategien zum System - allenfalls Irritationen. Die künstlerisch und ästhetisch durchaus interessante Methode, ein bisschen Sand ins Getriebe zu streuen, indem man z.B. Macht und Marken lächerlich macht, kann kurzzeitig zu einer Genugtuung führen. Klar ist, dass diese Kritik schon bald als gewandeltes Zitat wieder vom Pop-Kapitalismus aufgesogen wird. Mehr ist nicht drin, wie die Autorinnen selber erkennen, denn "die Kritik am System durch Umarmung zu töten, ist die bewährte Methode ,liberaler`, westlicher Gesellschaften, sich fundamentale Kritik vom Hals zu halten und sie handzahm zu machen." Die Autorinnen räumen dem Authentischen nicht einmal mehr ein Reservat ein, denn alles sei zum Real Fake oder Fake for Real geriert. Dies mag für die von ihnen beschriebene kleine gesellschaftliche Sphäre zutreffen. Die ernüchternde Authentizität der Verhältnisse für die Mehrheit der Gesellschaft, die z.T. sogar noch in festen Lohnverhältnissen arbeiten, bleibt hier unberücksichtigt. Und ohne deren Aktivierung ist allerdings eine gesellschaftliche Veränderung - Revolution und nicht Reform! - nun mal nicht zu erreichen. Kurzum: das Buch ist eine interessante Ansammlung von Verweisen und Zitaten (leider ohne genaue Quellenangaben, was die Verwendbarkeit einschränkt) und beschreibt die gesellschaftliche Praxis einer sich als kulturelle Intellektuelle verstehende Schicht. Matthias Reichelt Judith Mair u. Silke Becker: Fake For Real. Über die private und politische Taktik des So-Tun-Als-Ob. Campus Verlag, Frankfurt/New York 2005. 285 Seiten, 19,90 EUR ak - analyse + kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis/Nr. 499/21.10.2005