Pragmatismus als Politikprinzip

Sozialdemokratie

in (10.05.2004)

In zahlreichen europäischen Staaten werden die Regierungen von Sozialdemokraten gestellt oder sind sie zumindest an der Koalition beteiligt. Dennoch kann nicht gerade davon gesprochen werden, dass in Europa eine besonders arbeitnehmerfreundliche oder soziale Politik im Sinne alter sozialdemokratischer Grundwerte gemacht wird. Auch in Deutschland hat sich die SPD im letzten Jahrzehnt vom Verteidiger des Wohlfahrtsstaates (in der Opposition) zur treibenden Kraft im neoliberalen Umbauprozess (an der Regierung) entwickelt.

Abstrakt können für diese Veränderung der politischen Zielrichtung drei Gründe angeführt werden: Erstens die Krise der traditionellen Industriegesellschaft und dem dadurch bedingten Ende der Einheit von wirtschaftlichem Wachstum und sozialer Stabilität. Zweitens die Rückkehr zum entgrenzten Kapitalismus, in welchem unter der Chiffre "Globalisierung" die politische und soziale Kontrolle zurück gedrängt wird. Und drittens schließlich der Rückzug des Staates auf seine Rahmenfunktionen, wodurch öffentliche und private Ökonomie immer stärker voneinander entkoppelt werden. Unter diesen Bedingungen 1998 mit den Regierungsgeschäften betraut, haben die Sozialdemokraten ihre bis dahin immer wieder aufgeweichte inhaltlich-konzeptionelle Orientierung aufgeben und sich unter dem Diktat der Sachzwanglogik mit dem globalisierten Kapitalismus arrangiert. Vorausschauender als man hätte ahnen können war der Spruch Gerhard Schröders bei Regierungsantritt, dass man "nicht alles anders, aber vieles besser machen" wolle. Tatsächlich hat sich die Lage verschärft, nicht nur in wirtschafts- und sozialpolitischer Hinsicht. Weder die geplante Streichung des "demokratischen Sozialismus" aus dem Grundsatzprogramm, noch der aktuelle Umbau der Parteiführung gehen hinsichtlich der politischen Orientierung der SPD über einen symbolischen Akt hinaus.
So zeichnete schon das sog. "Schröder-Blair-Papier" im Juni 1999 vor, welche Entwicklung die SPD aus Sicht des Bundeskanzlers nehmen müsse und letztlich auch genommen hat. Frei nach der Blairschen Formel, dass man gute Politik daran erkenne, dass sie funktioniere, erhob auch die SPD den Pragmatismus zum obersten Prinzip der Politik. Folgerichtig formulierte Gerhard Schröder, es gebe keine linke oder rechte Wirtschaftspolitik, nur eine richtige oder falsche. Offen bleibt dabei jedoch die Frage, an welchen Kriterien dies zu beurteilen ist. Das dahinter stehende Politikverständnis sieht Demokratie als Methode, als bloßen Regelungsmechanismus für Elitenwahl und -wechsel.

Fraglich ist, ob die Sozialdemokraten diesen Kurs noch lange beibehalten können, ohne ihre politische Bedeutung als Partei zu verlieren. Die jüngst geführte interne Agenda-Debatte hat gezeigt, dass der Streit um Positionen von der Führung als Abweichlertum verstanden wird - und die Basis dieses Verständnis bestätigt. Die Verschärfung der sozialen Frage wird nicht ewig mit pragmatischen Einschnitten in den Sozialstaat zu beantworten sein