Die EU-Dienstleistungsrichtlinie

Liberalisierung hoch 25

in (01.11.2005)

Der Entwurf für die EU-Dienstleistungsrichtlinie ist ein Angriff auf alle Sozialstandards sowie auf den Umwelt- und Verbraucherschutz im Dienstleistungssektor.

Bundeskanzler Schröder und der französische Premier Chirac haben sich auf Europaebene erfolgreich gegen den Beschluss der Richtlinie gewehrt. Wie es mit dieser weitergeht ist derzeit unklar.

So ähnlich wie das GATS-Abkommen der Welthandelsorganisation soll die EU-Richtlinie die Deregulierung der Dienstleistungen vorantreiben. Erklärtes Ziel ist der Ausbau von Handelsfreiheit und der Abbau von Bürokratie. GegnerInnen kritisieren die Ausheblung der Sozialstandards und der demokratischen Kontrolle.

Problematisch ist vor allem die Einführung des Herkunftslandprinzips. Danach sollen für einen Betrieb im Dienstleistungssektor nicht mehr die örtlichen Regeln und Gesetze, sondern nur noch die des Herkunftslands zählen. Dienstleistungsbetriebe sind nicht nur Reinigungs- und Baufirmen, sondern auch Gas-, Strom- und Wasserwerke, Universitäten und Krankenhäuser sowie gemeinnützige Organisationen. Dies führt dazu, dass Regelungen zu Lärm, Schadstoffen, Qualität von Produkten oder Arbeitsbedingungen nicht mehr dort beschlossen werden, wo sie Anwendung finden. So lässt sich ein Firmensitz ohne größere Schwierigkeiten mittels einer Briefkastenfirma in das Land mit den angenehmsten und das heißt niedrigsten Standards verlegen. So wäre bei Inkrafttreten dieser Richtlinie erst eine Mischung der verschiedensten nationalen Regelungssysteme zu erwarten, bis aufgrund des Standortwettbewerbs um Firmensitze (oder sogar durch die rechtliche Erstreitung einzelner Unternehmen oder Branchen von gleich schlechten Standards) sich diese EU-weit auf dem niedrigst möglichen Niveau einpendeln - ein rasant beschleunigter "race to the bottom".

Darüber hinaus sollen nach dem Willen der Wirtschaftsverbände auch staatliche Einschränkungen der Vertragsfreiheit selbständiger Dienstleistungserbringer verboten werden. Eine effektive Bekämpfung von Scheinselbständigkeit, durch die Arbeitgeber von eigentlich abhängig Beschäftigten Arbeitnehmerrechte und Sozialabgaben umgehen, wäre so unmöglich. Selbst Vorschriften über die Aufbewahrung von Sozialversicherungsunterlagen sollen künftig verboten sein - es läge nur noch am guten Willen ausländischer Unternehmen, ob sie die Sozialversicherungsbeiträge zahlen oder das Geld behalten und ihre Mitarbeiter lieber schwarz beschäftigen, denn kontrollieren könnte man es nicht mehr.

Auf dem EU-Frühjahrsgipfel 2005 blockierten Bundeskanzler Schröder und Staatspräsident Chirac noch die Richtlinie und gaben vor, sich für den Erhalt der sozialen Sicherungssysteme einzusetzen. Doch eine grundsätzliche Überarbeitung inklusive der Streichung des Herkunftslandsprinzips, wie Chirac es versprach, wurde bisher nicht erreicht. Während der britischen Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2005 kommt die Richtlinie wieder auf den Tisch. Angesichts der Krise der EU nach dem vorläufigen Scheitern der Verfassung und des Regierungswechsels in Deutschland ist es unwahrscheinlich, dass die Richtlinie im Rat abgelehnt wird. Doch auch eine endgültige Ablehnung im Europäischen Parlament könnte sie zu Fall bringen.