Die lästigen Alten

in (10.04.2006)

Es. Es muß. Es muß werden. Es muß gespart werden. An den Alten.An ihrer Rente. An ihrer Krankenversorgung. Sie müssen spüren, daß sie nicht mehr gebraucht werden. Unnütze, unerwünschte Kostenf

Das Finanzamt Sankt Augustin, nahe Bonn, hat dem Autor (und gelegentlichen Ossietzky-Mitarbeiter) Wilhelm Boeger steuerliche Vergünstigungen aberkannt: Wegen vorgeschrittenen Alters und einer Parkinson-Erkrankung könne er keine einwandfreie Ausübung seiner schriftstellerischen Tätigkeit gewährleisten.
Mancher nicht mehr junge Schriftsteller, der sich auf dem Literaturmarkt wachsenden Schwierigkeiten gegenüber sieht, könnte durch einen solchen Bescheid deprimiert und gelähmt werden. Boeger hingegen wehrt sich. Und um andere zu ermutigen, sich ebenfalls gegen solche Verletzung ihrer Menschenwürde zu wehren, seien hier einige Informationen über Wilhelm Boeger gegeben.

Schon als Schüler in der Nachkriegszeit und als Student war Boeger journalistisch tätig; als Lokal- und Sportreporter verdiente er einen Teil seines Lebens-unterhalts. Er wurde Jurist, Experte für Baurecht und veröffentlichte darüber vier Fachbücher. Im Dienste der Bundesrepublik Deutschland arbeitete er zuletzt im Planungsstab des Ministeriums für Bildung und Wissenschaft. Nach dem Beitritt der DDR zur BRD legte er eine dreibändige Anthologie zeitgenössischer gesellschaftskritischer Literatur aus Ost- und Westdeutschland vor. Seine Erfahrungen mit der Bürokratie verdichtete er zu dem 2003 erschienenen Buch "Der Schimmel läßt das Wiehern nicht". Fritz Rudolf Fries schrieb ihm: "Ihre Amtsschimmel-Episoden sind zum Wiehern komisch ... alles ist frisch erzählt, an keiner Stelle raschelt Papier, man hört geradezu Ihren Vortrag und wird zum vergnügten Zuhörer ... Es ist ein rundes Buch geworden, das Sie zum Klassiker einer Gattung macht, die es in Deutschland kaum gibt: die literarische Polit-Satire." Ingrid Zwerenz urteilte in Ossietzky 9/03: "Ein perfektes Buch." So empfohlen schrieb Boeger kenntnisreich und mit aufklärerischem Witz auch einige Beiträge für Ossietzky, zuletzt über das sogenannte Luftsicherheitsgesetz (mit Argumenten, die kurz darauf auch das Bundesverfassungsgericht zur Ablehnung des Gesetzes bewogen) und ließ sich jetzt von dem Rostocker Literaturwissenschaftler Professor Gunnar Müller-Waldeck bestätigen, das Angebot dieser Zeitschrift zur Mitarbeit werde in der Fachwelt wie ein "Ritterschlag" gewertet.

Boeger wandte sich auch an einen Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, der ihm bescheinigte: "Es entbehrt für mein Empfinden nicht einer gewissen Peinlichkeit, wenn ich mich nun aufgefordert sehe, meinem Patienten den vollkommen offenkundigen Umstand fachlich zu attestieren, daß er in seiner geistigen Beweglichkeit nicht im mindesten eingeschränkt ist. Ganz im Gegenteil imponiert bei Herrn B. seine klinisch fraglos überragende Intelligenz, sprachliche Wendigkeit und die Tiefe und Breite einer in einem langen Leben erworbenen Bildung, die ihn bei altersgerecht besten Gedächtnisleistungen zu einem in ungewöhnlich hohem Maße anregendem und witzigem Gesprächspartner macht, trotz gelegentlicher depressiver Inhalte voller Esprit."

Mit dieser Bescheinigung legte Boeger jetzt Einspruch beim Finanzamt Sankt Augustin ein und verwies auch auf eine "Liste bedeutender Frauen und Männer, die trotz hohen Alters (nicht nur Konrad Adenauer, der mit 73 Bundeskanzler wurde und 14 Jahre im Amt blieb) und ernster chronischer Erkrankung (nicht nur der letzte Papst) weitaus mehr geleistet haben, als mancher junge, kerngesunde Bursche leistet und vermutlich auch künftig leisten wird".

Entscheiden sollte aber besser nicht das Finanzamt Sankt Augustin, auch nicht das nordrhein-westfälische Finanzministerium, sondern die Konferenz aller Finanzminister des Bundes und der Länder, nicht ohne vorher eine Stellungnahme der Kultusministerkonferenz eingeholt zu haben; auch eine Äußerung der Gesundheitsminister wäre sicher von allgemeinem Interesse. Die Frage an sie alle könnte knapp lauten: Soll diese Gesellschaft auf Altersweisheit verzichten?

Falls man sich auf die Antwort Ja verständigt, sollte man Alterswerke - zum Beispiel "Faust II" - konsequent aus allen öffentlichen Bibliotheken entfernen. Soweit man die Büchereien noch nicht geschlossen hat. An der Bildung muß ja gespart werden. An der Jugend. Es muß. Es.