Brecht und …

Brecht und die GitarreÜber "Brecht und Â…" ist viel geschrieben worden: "Brecht und die Frauen", "Brecht und Marx", "Brecht und die Naturheilkunde" und so weiter. Über Brecht und die Gitarre gibt

so viel ich weiß, fast nichts. Dabei war sie sein täglicher Gebrauchsgegenstand, jedenfalls als er noch Eugen Berthold Friedrich hieß und in Augsburg lebte. Er gebrauchte sie zum Singen und zur Liebe. Noch heute gibt es Berichte, wie sein Vortrag der "Seeräuberballade", bei dem er sich in e-Moll auf der Gitarre begleitete, Zuhörer, vor allem aber Zuhörerinnen hinriß. Auch später in Berlin. Elisabeth Hauptmann berichtet in ihren Erinnerungen: "Brecht war es, der vorsang und den Rhythmus angab, Brecht war ganz stark in e-Moll. Das kam von der Gitarre her, weil ihm das am meistens lag, nicht nur stimmlich, sondern wegen der Finger, e-Moll, ja."

Von Brecht gibt es nur wenige Äußerungen zu seinem Lieblingsinstrument. In den frühen " Psalmen" heißt es: "Wir haben Rum eingekauft und auf die Gitarre neue Därme aufgezogen. Weiße Hemden müssen noch verdient werden." Und in der " Hauspostille":
"In der roten Sonne auf den Steinen
Liebe ich die Gitarre, es sind Därme von Vieh
Die Klampfe singt viehisch
Sie frißt kleine Lieder."

Es gibt sogar ein Büchlein des sehr jungen Brecht "Lieder zur Klampfe von Bert Brecht und seinen Freunden". Viel später, es war in den fünfziger Jahren, gibt es noch einmal eine Liebeserklärung an die Gitarre. Ein junger Lyriker, der Brecht seine Gedichte zeigte, durfte, was eine große Ausnahme war, nach dem Gespräch in Brechts Haus in Berlin-Weißensee übernachten. Um sein Interesse und seine Dankbarkeit zu zeigen, verlangte er die "Hauspostille" als Bettlektüre. Am nächsten Morgen überfiel er Brecht geradezu mit seinem Enthusiasmus für die Tiefe des lyrischen Ego in diesen Texten, für den existentiellen Hintergrund des völligen Geworfenseins und so weiter. Er rang geradezu um Worte, um seine Ergriffenheit auszudrücken. Brecht hörte es sich interessiert an. Dann sagte er: "Ja, ja, die gehen alle zur Klampfe zu singen."

Brecht und Murxismus
Man schrieb das Jahr 1952. Es war die Zeit der langwierigen Vorarbeit zu der Inszenierung von Erwin Strittmatters Komödie "Katzgraben", dem ersten "Zeit-Stück" am Berliner Ensemble, in dem es um die gesellschaftlichen Umwälzungen auf einem Dorf der DDR ging.
Brecht arbeitete mit großer Intensität. Es sollte der Versuch werden, "dem Theater" - wie er in den "Katzgraben-Notaten" schreibt - "eine dichterische Lösung seiner neuen politischen Aufgaben zu geben". Gearbeitet wurde im Theater jeweils vor den Proben von 8 bis 10 - Brechts liebste Zeit für dramaturgische Arbeit - und sonntags ganztägig in Buckow, etwa 60 Kilometer östlich von Berlin.

Auf unseren Fahrten nach Buckow, wo uns Brecht spätestens 10.30 Uhr in seinem "Gärtnerhaus" erwartete, entdeckten wir auf den Feldern Pflüge und Eggen, die dort ungenutzt herumstanden und vor sich hin rosteten. Wir waren empört. So etwas hielten wir besonders bei Genossenschaftlern mit Bauernehre für unvereinbar. Ich glaube, es fiel auch das Wort von der "kompakten reaktionären Masse", wie Lassalle einst die Bauern bezeichnete, und auch vom eklatanten Verstoß gegen den Marxismus war die Rede.

Brecht war entsetzt. Aber nicht über die Bauern, sondern über uns. Unsere Ansichten seien ganz einfach "moralinsauer", unvereinbar mit so bedeutenden historischen Ereignissen wie der revolutionären Umgestaltung auf dem Lande.
Und wie der alte Cato sein "ceterum censeo" ständig wiederholte, wenn es um die Zerstörung Karthagos ging, hörten wir von Brecht wieder sein Wort vom "gräßlichen Mangel an Dialektik":

Ob denn ein Bauer immer ein Bauer bleiben müsse, wie ihn Gott geschaffen habe? Also Untertan seines Hofes, dessen Lebensablauf allein von Vieh und Acker bestimmt werde? Sicher, ein Bauer hätte sich früher lieber totschlagen lassen, als daß seinem Vieh etwas zustößt; er hätte sich lieber selber dem Unwetter ausgesetzt und seine Pflüge unters Dach gestellt, daß sie nicht verrosten. Aber was wir da "Bauernehre" nennen, sei doch nichts anderes als purer Notstand mit der einzige Ehre, sich selber zu versklaven.

Wenn die Bauern Menschen werden wollen wie andere Menschen, müßten sie diese gottgewollte "Ehre" abstreifen wie einen zerlumpten Anzug. Sie müßten sich zu allererst von der ewig gebückten Haltung befreien und sich aufrichten, koste es, was es wolle, denn diese Versklavung durch Sachen, die sie selbst zu einer Sachen machten, sei ihnen zur zweiten Natur geworden. Die verrosteten Maschinen auf dem Acker seien ein Skandal, jedenfalls für uns, die wir auf die Bauern angewiesen seien, da immer noch Mangel herrsche. Für die Bauern aber sei es ein notwendiger Befreiungsakt - und wo stehe geschrieben, daß Befreiungsakte ohne Verluste abgingen? Ja, vielleicht seien die, deren Pflüge da auf dem Acker verrosteten, in die Ferien gefahren, früher für einen Bauern ein Unding und für Bauern außerhalb der Genossenschaften noch immer undenkbar. Aber solle ein Bauer nicht dürfen, was jeder Städter darf? Da arbeiteten wir an einem Stück über die Befreiung auf dem Dorf, und beim ersten wirklichen Befreiungsakt riefen wir entsetzt nach Bauernehre und machten den ökonomischen Nutzen zum Lieben Gott. Wenn wir schon von Marx reden, dann sollten wir davon reden, daß nach einer Gesellschaftsumwälzung, wie sie hier stattgefunden habe, die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist. Und nicht nur in positiven Ergebnissen dieses Landes zeige sich das Humanere gegenüber der alten Gesellschaft. Die Mängel, anderswo undenkbar, da gewinnschädigend, zeigten es ebenso. Auch die verrosteten Pflüge auf dem AckerÂ…
Es war ein solcher Salto mortale, wie wir ihn kannten, wenn Brecht sich von der Dialektik hinreißen ließ, und ich muß gestehen, daß man ebenfalls mitgerissen wurde (und mitschrieb, was Brecht am liebsten hatte). Aber immer blieb da ein Rest von Verdacht, daß das alles nicht ganz so stimmen könne, wovon man da mitgerissen wurde. Und als wir am Abend Buckow verließen und wieder an den verrosteten Ungetümen auf den Äckern vorbeifuhren, war es wie vorher: Die alte Wut war wieder da, nur vielleicht etwas vorsichtiger, was Marx betrifft.
Denn der "Benutzer von Marx", wie sich Brecht gern nannte, hatte uns beim Abschied mit verstecktem Lächeln "Murxisten" genannt.

Brecht und Ionesco
Die erste Tournee des Berliner Ensembles 1954 nach Paris, wo wir "Mutter Courage und ihre Kinder" zeigten, wurde zu einem Triumph, wie ihn Paris noch kaum erlebt hatte. Die Presse jubelte. Selbst der rechte Figaro verlangte sofort, dem Berliner Ensemble den Preis des Theaters der Nationen zu geben. Brecht verstörte solcher Enthusiasmus, obwohl er ihn schätzte. Je größer der Beifall, desto weiter zog er sich befriedigt zurück. Eines Abends, als im Zuschauerraum der Beifall noch tobte, verzog er sich in die hinterste Ecke des kleinen Cafès vor dem Theatre Sarah Bernhardt, in dem das Berliner Ensemble gastierte. Und gerade da erwischte es ihn. Vor ihm stand plötzlich Eugenè Ionesco, der berühmte Vertreter des Absurden Theaters. Nach einer etwas zu höflichen Begrüßung stellte Ionesco, der ganz gut Deutsch sprach, Brecht zur Rede: "Ich beschuldige Sie der Tötung der Gefühle auf der Bühne und des Terrors der Vernunft. Sie rauben den Menschen das Recht auf Verzweiflung." Und nachdem der Beifall seiner Anhänger, die er mitgebracht hatte, verklungen war, setzte er zum Höhepunkt an: "Geben Sie sich keine Mühe, Herr Brecht, diese Welt ist unerkennbar!".
Brecht wandte, wie immer, wenn ihm etwas unbehaglich war, den Kopf hin und her, dann sagte er freundlich: "Wenn die Welt unerkennbar ist, Herr Ionesco, woher wissen Sie das dann?"
Soviel ich weiß, hat Ionesco Brecht nie wieder in Sachen Vernunft angesprochen.

Brecht und Diderot
Bei meiner letzten Inszenierung zu Brechts Lebzeiten, die ich zusammen mit dem Chefdramaturgen des BE, Peter Palitzsch, machte, John Millington Synges irische Komödie "The Playboy of the Western World", hatten wir große Befürchtungen, daß "moralinsaure" Kritiker wieder Anstoß nehmen würden, weil ein vermeintlicher Mörder, der seinem Vater mit dem Spaten den Schädel gespalten hat und in ein abgelegenes Dorf flüchtet, von diesem Dorf als Held gefeiert wird, da in diesem hintersten Winkel Irlands sonst nichts los ist. Als der Vater dann mit verbundenem Kopf, aber heilem Schädel auftaucht, wird der "Held" ein Betrüger genannt und verstoßen. Sicher würde es in der Presse wieder einmal heißen, das Berliner Ensemble mißachte die Gefühle der "einfachen Menschen".

Brecht, mit dem wir noch an der sonst ausgezeichneten Übersetzung von Peter Hacks weiterarbeiteten, dachte kurz nach, dann diktierte er mir für das Programmheft: "Sage mir, wen du als Helden verehrst, und ich sage dir, wer du bist. Diderot." Ich muß verblüfft geguckt haben, denn er ergänzte sofort: "Das habe ich natürlich eben erfunden. Aber wer Diderot kennt, weiß, das der alles Mögliche geschrieben hat, warum nicht auch das? Und wer Diderot nicht kennt, wird sich hüten, das zuzugeben."
Diderot wurde in fast allen Kritiken als kulturpolitischer Bezugspunkt der Aufführung sehr positiv erwähnt.