Es liegt noch viel Arbeit vor uns

Eindrücke vom Anti-G8-Camp in Mecklenburg-Vorpommern - Interview mit Ben Trott

Zehn Tage lang - zwischen dem 4. und 13. August - haben AktivistInnen aus unterschiedlichen Spektren der radikalen Linken in Steinhagen den Protest gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 ...

... diskutiert und vorbereitet. Auf über 150 Work-Shops und Veranstaltungen ging es dabei nicht nur alleine um die Vorbereitung der Proteste, das "CampInski" war auch ein erster Gradmesser für den Stand der Mobilisierung. Wir sprachen mit Ben Trott, der bereits in der Mobilisierung gegen den G8-Gipfel in Gleneagles 2005 aktiv war und heute bei FelS organisiert ist, über seine Eindrücke vom Camp.

ak: Die Vorbereitung war - wie man hört - etwas chaotisch. Lange Zeit war unklar, ob man überhaupt einen Platz in Mecklenburg-Vorpommern bekommt. Wie sieht deine Bilanz nach zehn Tagen Polit-Campen aus?

Ben Trott: Das Camp war m.E. ein politischer Erfolg. Es kamen mehr Menschen, als viele erwartet hatten. Insgesamt waren zwischen 800-1.000 AktivistInnen auf dem Camp; die meisten sind allerdings nur ein paar Tage geblieben. Die Leute kamen aus den verschiedenen Spektren der Bewegung - aus dem dissent!-Netzwerk, aus Gruppen, die in der Interventionistischen Linken mitarbeiten, von attac, aus der Antikriegs-, Anti-Castor- und Umweltbewegung, aus der Bewegung gegen Studiengebühren und Leute, die durch die Kämpfe gegen Hartz IV politisiert wurden ... Die internationale Beteiligung hätte sicherlich besser sein können. Aber immerhin sollen - so ist es zumindest in der abschließenden Camp-Pressemittelung zu lesen - Menschen aus 15 verschiedenen Ländern vor Ort gewesen sein.

Wichtiger und auch überraschender als die Unterschiedlichkeit der TeilnehmerInnen war in meinen Augen aber etwas anderes: Auf dem Camp schien es zwischen allen Beteiligten eine ähnliche Einschätzung hinsichtlich der Stärke und Schwäche der Antiglobalisierungsbewegung in Deutschland und darüber hinaus zu geben. Am deutlichsten zeigte sich das m.E. in der allgemeinen Bereitschaft für eine breite Bündnisarbeit. Das hatte ich so vorher nicht erwartet. Viele scheinen die Einschätzung zu teilen, dass keine Strömung der sozialen Bewegung - auch nicht das autonome Spektrum - heute noch so stark ist wie früher. Niemand ist momentan in der Lage, alleine eine erfolgreiche Anti-Gipfel-Mobilisierung auf die Beine zu stellen. Gleichzeitig scheint es die Hoffnung zu geben, dass eine gemeinsame politische Praxis, zum Beispiel gemeinsame Aktionen gegen den G8-Gipfel 2007, zu einer Radikalisierung von BasisaktivistInnen führen könnte, die eher der traditionellen Linken nahe stehen.

Eine Zusammenarbeit über Spektrengrenzen hinweg war Konsens auf
dem Camp?

Natürlich haben auf dem Camp nicht alle mit dieser Position überein gestimmt, und sicherlich kann man nicht von einem gemeinsamen Konsens in dieser Frage sprechen. Aber vielen scheint klar zu sein, dass eine Zusammenarbeit der verschiedenen Spektren für eine erfolgreiche Mobilisierung gegen den G8-2007 notwendig ist. Es gab also auf dem Camp weniger Differenzen in der Frage, ob eine solche Zusammenarbeit wünschenswert ist. Vielmehr sind die Erwartungen unterschiedlich, wie wahrscheinlich ein solches breites Bündnis in der konkreten Praxis ist. Aber über diese Frage wird die Zeit entscheiden.

Was wurde während der zehn Tage sonst noch besprochen? Standen auf dem Camp vor allem praktische Belange im Mittelpunkt oder gab es auch inhaltliche Fragen, die diskutiert wurden?

Es gab eine gute Mischung von praktischer Vorbereitung und theoretischer Reflexion - wobei das eine oft in das andere überging. Erfreulicherweise endeten ziemlich viele organisatorische Diskussionen mit praktischen Ergebnissen und Verabredungen. So wurde zum Beispiel beschlossen, dass man 2007 ein oder mehrere Camps organisiert. Dort sollen während des Gipfels die AktivistInnen aus den verschiedenen politischen Netzwerken und Milieus zusammenkommen. Eine Arbeitsgruppe wurde eingerichtet, um diesen Prozess in Gang zu setzen. Auch hat sich eine Gruppe zusammengefunden, die einen Newsletter herausbringen will, um die AktivistInnen aus dem Ausland über die Vorbereitungsprozesse auf dem Laufenden zu halten.

Auf dem Camp gab es aber auch genügend Raum für die Behandlung "politischer" Themen. Es gab Workshops und Diskussionen beispielsweise zum Thema "Antisemitismus und die globalisierungskritische Bewegung". Es wurde auch die Frage behandelt, inwieweit mit klassischen Imperialismus-Theorien oder ob mit der Empire-These von Negri/Hardt die gegenwärtig globale Situation besser beschrieben werden kann und vieles mehr ...

Obwohl tendenziell in den Workshops auf einem "höheren Abstraktionsniveau" diskutiert wurde, sind die Themen jedoch im Allgemeinen nicht "rein akademisch" abgehandelt worden. Vielmehr war allen Beteiligten klar, dass die Behandlung solcher Fragen von zentraler Bedeutung für die eigene politische Praxis ist.

Gab es noch weitere konkrete Verabredungen zu den Gipfelprotesten? Z.B. wurde doch das Konzept von Massenblockaden vorgestellt.

Ein entsprechender Vorschlag wurde kurz vor dem Camp veröffentlicht. Interessant finde ich, wer hinter diesem Vorschlag steht: Avanti, die Antifaschistische Linke Berlin, die Grüne Jugend und X-tausendmal quer sowie einzelne AktivistInnen von attac, solid und der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion. Das Ziel sind Blockaden, an denen sich Menschen aus unterschiedlichen politischen Spektren und mit unterschiedlichen Aktionserfahrungen beteiligen können, die sich in den Aktionen nicht nur gegenseitig respektieren und tolerieren sollen, sondern tatsächlich gemeinsam handeln.

Wie wurde dieser Vorschlag aufgenommen?

Eine der interessanteren Diskussionen, die sich an dem Vorschlag entzündete, war: Wie soll man mit dem Spannungsverhältnis umgehen, das sich zwischen kalkulierbarer Massenaktion und potenzieller Revolte auftut. Gibt es noch Raum für Rebellion, wenn man eine Situation herstellt, die für viele Menschen so berechenbar wie möglich ist? Geplant ist ja eine Massenaktion, bei der die Leute wissen, worauf sie sich einlassen und woran sie sich beteiligen, die aber gleichzeitig für den Staat nicht völlig vorhersehbar ist. Ausführlich diskutiert wurde auch die Frage, inwieweit das eine das andere ausschließt, oder ob in der aktuellen Situation nicht der einzige Weg zu erfolgreichem Widerstand darüber führt, dass wir uns und unsere Netzwerke öffnen und mit der Zusammenarbeit beginnen. Natürlich gab es kein endgültiges Ergebnis in dieser Debatte.

Daneben wurden auch andere Aktionsformen und -ideen auf dem Camp besprochen. Wichtig scheint mir in diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass die VertreterInnen des Konzepts Massenblockade immer betont haben, dass ihr Vorschlag andere Aktionsformen nicht ausschließt. Ich hatte den Eindruck, alle im Camp haben gespürt, dass eine solidarische Zusammenarbeit aller linken Gipfel-GegnerInnen jenseits ihrer traditionellen Aktionsformen notwendig ist.

Auf dem Camp gab es über 150 Veranstaltungen. Gab es ein Thema oder eine Diskussion, die dich besonders beeindruckt hat?

Mehrere Themen wurden sehr intensiv diskutiert. Es gab zum Beispiel eine sehr gute und offene Diskussion über das Konzept von "globalen Rechten" - und den scheinbaren Widerspruch, das Rechte von Bewegungen eingefordert werden, die staatskritisch sind. Ich finde die _hnlichkeiten in der Debatte um "globale Rechte", die in der radikalen Linken immer mehr um sich greift (das Motto des Camps lautete nicht umsonst "Für globale soziale Rechte und eine ganz anderes Ganzes", und auch auf den EuroMayday-Paraden in Berlin und Hamburg in diesem Jahr wurden ganz ähnliche Forderungen gestellte), und der Idee der "Richtungsforderungen", wie sie von Gruppen aus der Interventionistischen Linken eingebracht wurde, sehr interessant. Diese Ähnlichkeiten sind m.E. ein Indiz dafür, das man sich mit ähnlichen Problemen in den verschiedenen Spektren beschäftigt. Beide Spektren scheinen zu merken, dass die falsche Gegenüberstellung von "Reform" und "Revolution" nicht weiter bringt. Und in beiden Spektren ist man darum bemüht, einen diskursiven Raum zu öffnen, in dem begonnen werden kann, über eine andere Welt nachzudenken.

In meinen Augen haben allerdings "Richtungsforderungen", wie z.B. das Recht auf Legalisierung oder das "Existenzgeld", ein größeres politisches Potenzial in dem Sinne, dass - anders als die abstrakteren Forderung nach "Rechten" im Allgemeinen - sie notwendigerweise über die Logik einer kapitalistischen Gesellschaft hinausweisen. Die Forderung nach "Existenzgeld" kann zum Beispiel durchaus zum Bezugspunkt für eine breit
verankerte Bewegung werden, gleichzeitig stellt die Forderung aber auch eine der zentralen Grundlagen kapitalistischer Verhältnisse in Frage: nämlich den Zwang, die Arbeitskraft verkaufen zu müssen, um zu überleben.

Und was wurde noch kontrovers diskutiert?

Kontrovers waren sicherlich die Diskussionen über Aktionsformen: Welche Aktionen sind unter den gegenwärtigen Verhältnissen angemessen in Heiligendamm 2007; mit wem soll die radikale Linke zusammenarbeiten, wie offen soll sie für eine solche Zusammenarbeit sein ... Aber auch die aktuelle Situation im Nahen Osten ebenso wie die Art und Weise, wie dieser Konflikt innerhalb der Linken in Deutschland diskutiert wird, war Anlass zur Diskussion.

Vom Camp aus gab es mehrere Aktionen etwa das Door-Knocking in Bad Doberan oder der Aktionsbadetag direkt in Heiligendamm. Wie haben die Leute vor Ort auf diese Aktionen reagiert?

Die Idee des Door-Knockings war wortwörtlich gemeint. Vom Camp sind Leute in Bad Doberan von Haus zu Haus gegangen und haben versucht, mit den Einheimischen über das G8-Treffen nächstes Jahr in Heiligendamm ins Gespräch zu kommen. Andere sind derweil durch den Ort gezogen und haben Flugblätter verteilt. Viele BürgerInnen schienen ziemlich uninteressiert oder waren völlig unbeeindruckt von dem, was wir zu sagen hatten. Es gab aber auch eine beachtliche Minderheit, die der ganzen Sache wohlgesinnt gegenüber stand. Sie haben dankbar und interessiert unsere Flyer, Flugblätter und Broschüren angenommen und interessiert nachgefragt.

Daneben gab es vom Camp aus u.a. eine antirassistische Demonstration in Rostock und eine Demo im Rahmen der Kampagne "Kein Stimme den Nazis" in Wismar, sowie der Besuch eines Feldes mit genmanipuliertem Getreide in Groß Lüsewitz. Auch haben rund 400 Campistas dem Kempinski Grand Hotel Heiligendamm einen Besuch abgestattet, in dem der Gipfel nächstes Jahres stattzufinden soll.

Du hast die Mobilisierung gegen den G8-2005 in Gleneagles hautnah mitverfolgt. Wie schätzt du vor diesem Hintergrund die Mobilisierung in Deutschland ein?

Das dissent!-Netzwerk in Großbritannien wurde im November 2003 gegründet. Mit anderen Worten: Die Gleneagles Mobilisierung begann ähnlich wie hier bereits eineinhalb Jahre vor dem G8-Gipfel. Allerdings ist die Mobilisierung in Deutschland schon jetzt an einem Punkt, den wir erst viel später erreicht haben. Ich denke, dass man hier schon weiter ist, was die Bildung eines breiten Bündnisses anbelangt. Das gilt auch hinsichtlich der Entwicklung gemeinsamer Vorstellungen, wie die Tage des Widerstands während des Gipfels aussehen könnten, oder eines gesellschaftlichen Bewusstseins über den G8 und die Notwendigkeit des Protests. Das ist aber kein Grund für Selbstgefälligkeit. Es liegt noch viel Arbeit vor uns. Aber die Mobilisierung scheint verhältnismäßig gut zu laufen.

Woran liegt das deiner Meinung nach?

Eine Rolle spielt sicherlich, dass die Verhältnisse in Deutschland und die Situation der Linken und der radikalen Linken hier anders sind als in Großbritannien. Hier existiert eine viel stärkere (post-) autonome Tradition mit entsprechenden Ressourcen und Mobilisierungspotenzial. Beides übertrifft weitaus das, mit dem wir für Gleneagles arbeiten mussten. Auch scheinen die NGOs in Deutschland weiter links zu stehen als die im Vereinigten Königreich. Die Gefahr eines Bündnisses wie Make Poverty History, das in Gleneagles im Stande war, die Mobilisierung fast vollkommen frei von linken Inhalten zu halten, scheint mir jedenfalls gering.

Interview: mb.

aus: ak - analyse & kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis/Nr. 509/15.9.2006