Präsenz zeigen

Die deutsche Außenpolitik im Dienst des Militärs

Im Geschacher um einen Einsatz der deutschen Marine vor den Küsten Libanons fällt viel Schatten auf die deutsche Außenpolitik.

So war im Halbdunkel
kursierender Gerüchte um die Formulierung von Einsatzangeboten
der Bundesregierung und Einsatzanforderungen Libanons kaum noch zu
erkennen, worin das politische Ziel und – vor allem - der
humanitäre Ertrag für die vom Krieg betroffene libanesische
Bevölkerung liegen. Man konnte den Eindruck gewinnen, die
politische Klasse in Berlin handele nach dem Muster: Wenn die Politik
mit ihrem Latein am Ende ist, überlässt sie das Denken dem
Militär. Das Militär seinerseits hat sich ganz dem
"olympischen"
Wahlspruch ergeben: "Dabei sein ist alles".


Noch während der
UN-Sicherheitsrat im August über einer Resolution zur Beendigung
der Kämpfe im israelischen Krieg brütete, war sich die
Große Koalition schon darin einig, die Bundeswehr in den Nahen
Osten zu schicken – erst danach begann man in Berlin zu überlegen,
was sie denn dort überhaupt tun solle. Der Vorsitzende des
Bundeswehrverbands, Oberst Gertz, hat in einer Phoenix-Fernsehrunde
am 5. September davon gesprochen, dass die Marine deshalb besonders
geeignet sei für den Libanoneinsatz, weil es in dieser
Waffengattung noch genügend Ressourcen gäbe. Die anderen
Teilstreitkräfte sind mit ihren terrestrischen Einsätzen
vom Balkan über den Kongo bis nach Afghanistan bis an die
Halskrause ausgelastet. Da macht es dann auch nichts, wenn der
Einsatz vor den Küsten der Levante militärisch wenig Sinn
macht. Wollte man wirklich die Waffenlieferungen an die Hisbollah
behindern – erklärtes Ziel der Bundesregierung -, dann wären
doch wohl eher die Landwege vom Iran über Syrien in den Libanon
unter die Lupe zu nehmen. Dafür aber gibt es kein Mandat des
UN-Sicherheitsrats. Also begnügt man sich mit dem militärisch
überflüssigen, symbolisch aber umso wichtigeren Einsatz
deutscher Fregatten, Korvetten und Versorgungsschiffe im südöstlichen
Mittelmeer.


"Präsenz
zeigen", ist in dem
Zusammenhang eines der beliebtesten Wörter der Berliner
Regierung geworden. Präsenz zeigen, um potenzielle
Waffenschmuggler abzuschrecken, Präsenz zeigen, um dem
Verbündeten Israel zu bedeuten, dass man ihn nicht alleine lässt
und "deutsche Verantwortung"
übernimmt, Präsenz zeigen, um den Anspruch Deutschlands auf
eine gewichtigere Rolle in den Vereinten Nationen zu unterstreichen.
Präsenz zeigen aber auch um der kriegsunwilligen deutschen
Bevölkerung zu zeigen, dass deutsche "Normalität"
heute anders aussieht.


Mit einem
Militäreinsatz zur Regulierung des israelisch-libanesischen
Konflikts reißt Deutschland das letzte Tabu nieder, das die
deutsche Nachkriegspolitik trotz aller Kalten-Kriegs-Töne
Jahrzehnte lang bestimmte: Für undenkbar galt, militärisch
in einen Konflikt einzugreifen, in dem die Nachkommen der vom
deutschen Faschismus vernichteten sechs Millionen Juden zu Schaden
kommen könnten. Genau das aber ist bei einem wirklich neutralen,
das heißt die Konfliktparteien auseinander haltenden
Blauhelmeinsatz – ob robust oder nicht – möglich.


Es sei denn,
Deutschland nimmt den UN-Auftrag – die Verpflichtung zur
Neutralität - nicht ernst und greift militärisch als Partei
in den Nahost-Konflikt ein. Dafür spricht Vieles.
Unmissverständlich erklären z. B. die Propagandisten eines
deutschen Militäreinsatzes, es sei Deutschlands Hauptaufgabe im
Nahen Osten, Israel zu schützen, da es sich hier um die einzige
Demokratie in der Region handele und weil man das den Juden aus
historischen Gründen schuldig sei. Selbst die anfänglichen
konservativen Gegner eines Militäreinsatzes, wie der bayerische
Ministerpräsident Edmund Stoiber, argumentierten auf der selben
Linie wie die Befürworter: Wollten die einen nicht dabei sein,
weil man dann ja womöglich in die Lage kommen könnte, „auf
Israelis zu schießen“,
so wollen die anderen unbedingt
dabei sein, weil der Schutz israelischen Lebens einen besonders hohen
Wert darstelle. Diese Spielart des voreingenommenen Philosemitismus
ist bei genauem Hinsehen nichts anderes als ein latenter Rassismus.
Im Umkehrschluss heißt das: Auf alles andere, auf islamische
Hisbollah-Kämpfer, auf libanesische Soldaten, auf
Hamas-"Terroristen",
auf irgendwelche anderen "Araber"
kann sehr wohl geschossen werden, nur Israelis sind "Tabu".
Das aber ist nur die halbe Konsequenz aus der deutschen Geschichte,
der wir uns selbstverständlich alle stellen müssen. Aus der
Erfahrung des schrecklichsten Kapitels der deutschen Geschichte mit
der millionenfachen Judenvernichtung und der Behandlung anderer,
insbesondere slawischer Völker als "Untermenschen"
muss auch die Lehre gezogen werden: Deutschland darf Menschen
unterschiedlicher Hautfarbe, Herkunft, Religion usw. nie wieder als
mehr oder weniger "minderwertig",
aber auch nicht als mehr oder weniger "höherwertig"
klassifizieren. Deutschland muss das Lebensrecht aller Menschen
gleich hoch bewerten. Die Menschenrechte, wie sie in der Allgemeinen
Menschenrechtserklärung 1948 und in den beiden
Menschenrechtskonventionen (Sozialpakt und Zivilpakt, 1967) verankert
wurden, haben eben universelle Gültigkeit.


In der
Bundestagsdebatte am 19. und 20. September zum Antrag der
Bundesregierung, bis zu 2.400 Soldaten
in den Nahen Osten zu entsenden, waren sich – mit Ausnahme
der Vertreter der Linksfraktion alle Redner/innen darin einig, dass
Israel beim Libanonkrieg nur von seinem Recht auf Selbstverteidigung
Gebrauch gemacht habe und bei allen anderen Kriegen – auch denen,
die vielleicht noch kommen mögen – das internationale Recht
und natürlich auch Deutschland auf seiner Seite habe, während
die Hisbollah (ersatzweise: die Hamas oder andere arabische Gegner
Israels) der eigentliche Aggressor sei. Eine sehr einseitige Sicht,
der zu Grunde liegt, dass das Kidnapping der beiden israelischen
Soldaten am 12. Juli d. J. die Ursache des Krieges gewesen sei. Eine
Position, die sich auch in der UN-Resolution 1701 (2006)
wiederfindet, die aber leider nicht das Monate, ja, Jahre dauernde
Konfliktgeschehen im israelisch-libanesischen Grenzgebiet im Ganzen
betrachtet. Beispielsweise spricht der letzte Bericht des
Generalsekretärs der Vereinten Nationen über die Tätigkeit
von UNIFIL davon, dass dem 12. Juli „permanente provokative“
Grenzverletzungen („persistent and provocative Israeli air
incursions“)
der israelischen Luftwaffe vorausgegangen seien
(S/2006/560 - 21 July 2006). Obwohl man es also besser wissen könnte,
weil die entsprechenden Dokumente vorliegen, beruht der von der
herrschenden Meinung dominierte öffentliche Diskurs über
den Nahen Osten auf der unausgesprochenen und nicht mehr
hinterfragbaren "Geschäftsgrundlage",
dass Israel im Recht, seine Gegner im Unrecht seien. Wer das
anzweifelt und für seine Zweifel nach historischen Belegen sucht
(wobei man nicht lange suchen muss), gerät dann schnell in die
Gefahr, nicht auf dem Boden des Rechts zu stehen bzw. antiisraelische
oder sogar antisemitische Ressentiments zu bedienen.


Besonders forsche
Apologeten der israelischen (Kriegs-)Politik, ob sie aus der diffusen
Ecke der sog. Antideutschen oder
aus dem Zentralrat der Juden in Deutschland kommen, tun sich nicht
mehr so leicht mit ihren grobschlächtigen Klassifizierungen in
gut oder böse, seit ihnen aus den eigenen Reihen heraus
widersprochen wird. Die "Europäischen
Juden für einen gerechten Frieden"
stellten sich in einer öffentlichen Erklärung hinter
Entwicklungshilfeministerin Wieczorek-Zeul, nachdem diese den
israelischen Angriff auf den Libanon als „völkerrechtswidrig“
beurteilt hatte und vom Zentralrat der Juden hierfür heftig
angegriffen worden war. Kurze Zeit später meldete sich Rolf
Verleger, Mitglied der jüdischen Gemeinde in Lübeck und
zugleich im Direktorium des Zentralrats, zu Wort und kritisierte die
völlige Identifikation des Zentralrats der Juden mit der
Außenpolitik Israels. „In einer Zeit“, so monierte
Verleger, „in der der jüdische Staat andere Menschen
diskriminiert, in Kollektivverantwortung bestraft, gezielte Tötungen
ohne Gerichtsverfahren praktiziert“,
könne vom Zentralrat
der Juden erwartet werden, „dass das wenigstens als Problem
erkannt wird.“
Und Evelyn Hecht-Galinski, die Tochter des
angesehenen früheren Zentralrats-Präsidenten Heinz
Galinski, legte in einem Interview mit dem Deutschlandfunk am 1.
September nach, indem sie dem Zentralrat vorwarf, sich „zum
wiederholten Male als Sprachrohr der israelischen Regierung in
Deutschland“,
als „Propagandamaschinerie“ zu
verstehen, „anstatt sich um die sozialen Belange der
Gemeindemitglieder in den jüdischen Gemeinden in Deutschland zu
kümmern.“
Das sei seine „eigentliche Aufgabe“.
Sie legt auch den Finger auf einen wunden Punkt der öffentlichen
Diskussion und der mangelnden Bereitschaft der Linken und der
Friedensbewegung, sich in der Nahostfrage stärker zu engagieren:
„Ich kriege so viele Zuschriften von sehr, sehr engagierten
Deutschen, die absolut nicht in der rechten Ecke sind, die sich aber
schon gar nicht trauen, den Mund aufzumachen. Die sagen immer, ´Sie
können das mit ihrem Namen, aber wenn wir das sagen, sind
wir sofort Antisemiten´.“
Mit dem Antisemitismus-Vorwurf
hantiert besonders schnell die streitbare Präsidentin des
Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch, die vor kurzem sowohl der
Entwicklungshilfeministerin Wieczorek-Zeul als auch dem
Linksfraktions-Vorsitzenden Oskar Lafontaine vorwarf, sie
unterstützten mit ihrer Kritik an Israel „die Anti-Stimmung
gegen Juden in Deutschland“.
Dem hält Hecht-Galinski
entgegen, dass „nicht diejenigen, die Israels Politik
kritisieren“,
den Antisemitismus „fördern“,
sondern diejenigen, „die schweigen und damit zulassen, dass das
Bild von hässlichen Israeli und inzwischen auch von hässlichen
Juden“
entstehen könne. Die Ursache für eine hier zu
Lande steigende antiisraelische Stimmung liege in erster Linie an der
israelischen Politik, „die durch nichts mehr zu rechtfertigen“
sei.


Linke Intellektuelle –
deren Ahnengalerie gespickt ist mit jüdischen Denkern – und
die Friedensbewegung taten sich schwer, die israelische Politik in
den letzten Wochen und Monaten als das hinzustellen, was sie ist:
völkerrechtswidrig, aggressiv und menschenverachtend. „Jegliche
Kritik wird als Antisemitismus verurteilt, und dadurch ist ja schon
fast jeder mundtot gemacht worden“,
sagte Frau Hecht-Galinski
und kann sich dabei auch auf Erfahrungen der Organisation
"Europäische Juden für
einen gerechten Frieden" (EJJP)
stützen, deren Mitglied sie ist und deren Stimme nur sehr selten
ein Echo in den Mainstream-Medien findet. Man stelle sich nur einen
Augenblick vor, die USA – und
nicht die Israelis - hätten den Libanon-Krieg geführt: Wäre
da nicht ein Aufschrei durch die Welt, auch durch Deutschland
gegangen? Hätten sich da nicht wieder unzählige
Intellektuelle, politische, soziale und kulturelle Organisationen und
Institutionen zu Wort gemeldet und ihren geharnischten Protest hinaus
posaunt? Die Friedensbewegung hätte mit Sicherheit wieder
größere Menschenmassen auf die Straße gebracht.
Kurz: Die Empörung über einen völkerrechtswidrigen
Krieg, über Kriegsverbrechen und Verstöße gegen die
Genfer Konvention hätte über die Linke und die
Friedensbewegung hinaus breite Teile der Gesellschaft erfasst.
Israels Krieg gegen Libanon und - nicht zu vergessen - die
andauernden militärischen "Strafaktionen"
gegen Palästinenser im Gazastreifen und Westjordanland
verstießen genauso gegen Völkerrecht, Genfer Konvention
und alle einschlägigen Menschenrechtskonventionen. Der
lautstarke Protest dagegen blieb aus, weil die Hemmschwelle Israel zu
kritisieren, ungleich höher liegt als im Fall der USA.


Soweit das historische
Bewusstsein und politische Gewissen der Deutschen dafür
verantwortlich sind, dass diese Hemmschwelle höher liegt als bei
jedem anderen Staat, ist das sogar ein zivilisatorischer Fortschritt.
Das Bekenntnis der Deutschen zu ihrer nicht tilgbaren Schuld
gegenüber den Juden impliziert immer auch eine besondere
Verantwortung für deren Schutz und Sicherheit - nicht nur in
Israel übrigens, sondern auch bei uns und überall in der
Welt. Wenn die politische Klasse daraus allerdings eine "Staatsräson"
macht, welche die bedingungslose Solidarität mit Israel zum
wichtigsten Credo deutscher Außenpolitik im Nahen Osten
erklärt, beraubt sie sich jeglichen politischen und
diplomatischen Handlungsspielraums. Die Rede der Bundeskanzlerin in
der Haushaltsdebatte am 6. September war diesbezüglich eine
Offenbarung. „Es muss verhindert werden, dass deutsche Soldaten
auf Israelis schießen, und sei es nur ungewollt“,
sagte
sie. (Dürfen wir ergänzen: Es bereitet uns kein Problem auf
andere zu schießen?). Und die Kanzlerin fährt fort: „Wenn
es aber zur Staatsräson Deutschlands gehört, das
Existenzrecht Israels zu gewährleisten, dann
können wir nicht einfach sagen: Wenn in dieser Region das
Existenzrecht Israels gefährdet ist - und das ist es -, dann
halten wir uns einfach heraus.“
Wann wird es dieser Kanzlerin
und all jenen, die sich ihrer Staatsräson verschrieben haben,
dämmern, dass die Sicherheit Israels langfristig nur dadurch zu
erreichen ist, dass auch die Sicherheit der Palästinenser und
aller anderen Staaten der Region garantiert wird? Krieg und Militär,
das zeigt die Geschichte des Nahen Ostens der letzten 58 Jahre, haben
noch nie einen Beitrag dazu geleistet.


Der Einsatz der
deutschen Marine vor Libanons Küste, der am 20. September vom
Bundestag mit Dreiviertelmehrheit beschlossen wurde, wird erstens die
Gewalt im Nahen Osten nicht beenden. Der nächste militärische
Konflikt wartet gleichsam "auf
Wiedervorlage". Zweitens wird
Israel, ohnehin hochgerüstet dank US-amerikanischer und
deutscher Militärhilfe, einen verlässlichen Alliierten "vor
Ort" haben. Das ist zwar nicht
(ganz) im Sinne der UN-Resolution 1701 und des entsprechenden Mandats
des Sicherheitsrats für UNIFIL, aber es könnte – drittens
- ein weiterer Bestandteil der US-Kriegsvorbereitungen werden, die
auf Syrien und den Iran abzielen. Die USA halten ja nach wie vor an
ihrer Drohkulisse gegen Iran fest und schließen einen Krieg
nicht aus - der israelische Minister Jacob Edri ist von der
Notwendigkeit dieses Krieges sogar überzeugt (Thüringer
Allgemeine vom 05.09.06). Eine deutsche Truppenpräsenz vor
Libanons Küste könnte Deutschland also auch in einen
größeren Krieg hinein ziehen. Frau Merkel wäre, als
sie noch nicht Kanzlerin war, gern beim US-Krieg gegen Irak
mitmarschiert. Ob ihr damaliger Traum sich gegen Iran erfüllt?
Er geriete zum Alptraum - für alle Beteiligten: Die Bundeswehr
"zeigt Präsenz"
im Libanon und wird "präsent"
im nächsten Nahost-Krieg.




Dr.
Peter Strutynski, Politikwissenschaftler; Mitglied der Arbeitsgruppe
Friedensforschung an der Uni Kassel, die die jährlichen
"Friedenspolitischen
Ratschläge"
veranstaltet.