Unsere Ratte

Zum Wahlsieg Daniel Ortegas in Nicaragua

Nach seiner fünften Kandidatur wird Daniel Ortega schon bald zum zweiten Mal seit 1984 den Amtseid als Präsident Nicaraguas leisten dürfen. Der späte Erfolg wird allerdings ein wenig getrübt durch die Tatsache, dass ihm dies mit dem vermutlich schlechtesten Wahlergebnis seiner Laufbahn gelungen ist.

Von Mal zu Mal ist er bei diesen Kandidaturen weiter nach rechts gerückt, ohne dass es ihm viel genutzt hätte - wie jemand, der von einer Medizin, die nicht hilft, einen noch größeren Schluck nimmt. Dieses Mal hat er sich ein führendes Mitglied der Contra als Vizepräsidenten ausgesucht und ist auf Schmusekurs zur katholischen Kirche gegangen. Aber er verdankt den Sieg nicht dieser Strategie, sondern der Tatsache, dass sich seine Gegner noch schneller demontiert haben als er. Die USA können die Einheit der Antisandinisten nicht mehr erzwingen, mit dem verurteilten Kleptokraten Arnoldo Alemán wollen sie sich nicht mehr verbünden. Die Kirchenhierarchie ist tief in Alemáns Machenschaften verstrickt, Daniel Ortega soll nun dafür sorgen, dass sie juristisch nicht behelligt wird.
Das Dauerkandidieren und Wegbeißen aller Konkurrenten hat sich Daniel, wie er in Nicaragua schlicht genannt wird, von niemandem ausreden lassen. Seit 1998 hat er die letzten Prinzipien über Bord geworfen und einen Pakt mit Alemán geschlossen, um die wichtigen Institutionen des Staats, insbesondere die Wahlbehörde, den obersten Rechnungshof und das oberste Gericht als Juniorpartner im Verhältnis 6:4 aufzuteilen. Alemáns 20-jährige Gefängnisstrafe wurde in Hausarrest umgewandelt, de facto darf er sich frei bewegen und verfügt noch über einen erheblichen Teil des geklauten Staatseigentums. Daniel durfte das Wahlgesetz so zurechtbasteln, dass weniger als 50 Prozent im ersten Wahlgang für einen Sieg reichen. Ältere NicaraguanerInnen fühlen sich an finstere Zeiten erinnert: Mit dem gleichen 6:4-Schema hat der Diktator Somoza die Staatspfründe zwischen seiner Liberalen und der Konservativen Partei aufgeteilt, um die Opposition ruhig zu stellen.
Die oberen Ränge der Sandinistischen Nationalen Befreiungsfront (FSLN), Daniels Partei, geben heute ein Bild ab, das ein wenig an die KPdSU um 1930 erinnert: Fast alle alten Bolschewiki sind tot, kaltgestellt oder in der Verbannung, nur einer steht noch im Zentrum der Macht, umgeben von wenigen Getreuen und einer Nomenklatura von Karrieristen und Speichelleckern. Was das Vergraulen von Intellektuellen betrifft, hat die FSLN dieses historische Vorbild sogar weit in den Schatten gestellt, die Liste der Ortega-GegnerInnen liest sich wie ein Who is Who der Kunst und Kultur: Ernesto Cardenal, die Brüder Mejía Godoy, Sergio Ramirez, Gioconda Belli usw. usw. Die Danielistas sind eine Partei ohne Frauen, alle prominenten Sandinistinnen sind zur inner- oder außerparteilichen Opposition übergelaufen: Vilma Nuñez, Mónica Baltodano, Dora Maria Tellez, Sofía Montenegro ... Zu Daniel steht als einzige seine Ehefrau Rosario Murillo. Auch dies ein Zeichen des Wandels: Früher lehnten sie die Ehe als "bürgerliche Zwangsinstitution" ab, inzwischen sind sie katholisch verheiratet.
Ein Unterschied zur KPdSU muss allerdings hervorgehoben werden, vielleicht die wichtigste noch bestehende Errungenschaft der Revolution: Man wird aus der Partei geworfen oder aller demokratischen Machtmittel beraubt, aber niemandem kann der Mund verboten werden und jedeR DissidentIn findet in Presse, Radio und Fernsehen ein Publikum. Das macht insbesondere politische Fernsehsendungen so lebhaft und interessant, wie man es sich vor Christiansens Mattscheibe nicht träumen lassen würde. Leider bleiben diese Lebhaftigkeit und die heftige Kritik am autoritären Vorgehen und dem Opportunismus Daniel Ortegas weitgehend folgenlos, sie werden als Spielereien des Bildungsbürgertums wahrgenommen.

Wie aber kann jemand dreimal hintereinander eine Wahl verlieren und auch bei der vierten Kandidatur kaum Stimmeneinbußen erleiden? Möglicherweise sind die AnhängerInnen der Sandinisten deshalb so hartnäckig, weil gerade die traumatische Erfahrung der abgewählten Revolution gezeigt hat, dass Wahlen etwas verändern können. Wenn man die Revolution abwählen kann, kann man sie auch herbei wählen. Deswegen ist auch die Wahlbeteiligung in Nicaragua so hoch. Wichtig außerdem: Sandinistische WählerInnen nehmen die WählerInnen der Rechten nicht als Rechte wahr, sondern als VerräterInnen, die gegen ihre eigenen Interessen verstoßen - eine verständliche Sichtweise in einem Land, in dem 80 Prozent der Bevölkerung an oder unterhalb der Armutsgrenze leben und in dem heute bei Umfragen ebenso viele erklären, dass es ihnen in den 1980er Jahren besser gegangen sei. Bei Kommunalwahlen, wo der Druck der USA keine Rolle spielt, bringt die FSLN eine klare absolute Mehrheit hinter sich und regiert heute sogar Städte, in denen sie in den 80er Jahren auf verlorenem Posten stand.

VerräterInnen seien die WählerInnen der Rechten - und Feiglinge. Feiglinge, weil sie rechts wählten aus Angst vor einem Wiederaufleben des Contra-Kriegs, vor wirtschaftlichen Sanktionen der USA und vor Sperren der Überweisungen von einer halben Million NicaraguanerInnen, die in den USA leben. So erscheint es vielen legitim, sich ebenfalls zu verstellen, um die eigenen Ziele zu erreichen. Und Daniel ist einer, der sich besonders gut verstellen und die Rechten austricksen kann. Dass er auch standhaft sein kann, hat er schließlich bewiesen, als sieben Jahre Gefängnishaft ihn nicht vom Kampf gegen die Somoza-Diktatur abbringen konnten. Selbst sein süßliches Gerede von Liebe, Versöhnung und dem lieben Gott lässt viele WählerInnen nicht daran zweifeln, dass nach dem Sieg aus dem Schafspelz der alte Wolf mit seiner Guerrilla-Uniform hervorkommen und die Errungenschaften der Revolution zurückbringen wird. Andere WählerInnen nehmen die Kritik der Linken an Daniel durchaus ernst, halten es mit ihm aber wie Franklin D.Roosevelt mit Somoza: "Ich weiß, dass er eine Ratte ist, aber er ist unsere Ratte."

Christian Neven-du Mont ist Mitarbeiter im iz3w.