Gemengelage unübersichtlich

Ein Ritt durch den Linkspartei-Fusions-Parcours

Wann immer der Bundesgeschäftsführer der Linkspartei nach dem Stand der Fusion mit der Wahlalternative befragt wird, verwandelt er sich in eine Art politischer Schaffner. Der Zug der neuen Linken, .

... lautet stets die Antwort von Dietmar Bartsch, ist nicht mehr aufzuhalten. Bis kommenden Juni soll die sprichwörtliche Kuh vom Gleis - doch auch der 48-Jährige weiß, was in der ersten und zweiten Klasse derzeit los ist. Links ist eben nicht gleich links. Und die Gemengelage etwas unübersichtlich. Die Gräben verlaufen kreuz und quer durch die Parteien und mitunter findet zusammen, was im nächsten Moment einander beharkt. Seit im Frühjahr die Programmdebatte mit der Veröffentlichung eines ersten Entwurfs der so genannten Eckpunkte begann, wuchsen dem Linksbündnis die Flügel. Bald gab es eine Antikapitalistische Linke, eine Emanzipatorische und eine Sozialistische auch, zudem gründete sich ein inzwischen wieder aufgelöstes Netzwerk Linke Alternativen und eines der Linken Opposition, die mächtig zerstritten ist. Ein Netzwerk Reformlinke existierte bereits. Und dann meldeten sich auch noch führende GenossInnen aus dem Osten mit einem "Aufruf aus der PDS" zu Wort. Es wurden eifrig Papiere verfasst - doch der Ton blieb freundlich. Das änderte sich nach den Landtagswahlen im September. Anders als ein Jahr zuvor, als die "neue Linke" als eigentlicher Sieger aus den vorgezogenen Bundestagswahlen hervorgegangen war und das Wort von der "historischen Chance" die meisten Differenzen zukleisterte, brach nach der Wahlschlappe in Berlin das große Hauen und Stechen los. Die lange Zeit den Fusionsprozess dominierenden "PDS-Realos" haben im September in Berlin nicht nur die Hälfte der Stimmen im Ostteil verloren - sondern auch an Boden gegenüber der Wahlalternative. Lange war von der Gefahr die Rede, die SozialistInnen könnten ihre bis dato ausgebliebene Westausdehnung durch die Einverleibung der WASG doch noch zum Erfolg führen. Inzwischen ist eher fraglich, wie viel PDS in der neuen Partei übrig bleibt. Im "strategischen Dreieck" der Ost-SozialistInnen war die Beteiligung an Regierungen fester Bestandteil der Politik. Der Platz am Kabinettstisch wurde mit dem Gebrauchswert der Partei begründet: Nur durch Regierungshandeln könne man die Lage der Menschen verbessern - wobei immer klar war, dass eine regionale 20-Prozent-Partei wie die PDS die Möglichkeit dazu auf absehbare Zeit nur auf Landesebene bekommen würde. Davon ist die Regierungslinke zwar auch nach dem Berliner Debakel nicht abgerückt. Die strategische Option auf Landesregierungen (mit der zum Beispiel eine mögliche Koalition auf Bundesebene vorbereitet werden könnte) hat aber Federn gelassen.

Hauen und stechen nach der Berlin-Wahl

Im Aufwind sind die KritikerInnen des rot-roten Senats, denen es natürlich um mehr geht als nur den Ladenschluss. Die selbst ernannte Parteilinke, allen voran die Antikapitalistische Plattform, hält von Regierungsbeteiligungen per se wenig. Ihre politische Hoffnung ist auf die Macht der Straße gerichtet, auf Proteste und Streiks, die die politische Hegemonie nach links verschieben sollen. Manche sehen wohl auch die Chance, Niederlagen der PDS-Vergangenheit nun in Siege zu verwandeln. Wenn überhaupt, dann sollten Koalitionen nach dem Willen von Sarah Wagenknecht und Co. von der Einhaltung "absoluter Minimalbedingungen" abhängig gemacht werden. Zum Beispiel soll ein Privatisierungstabu gelten - was dann ebenfalls die Überführung eines Staatsbetriebes in die Hände einer Genossenschaft ausschließt. Gegen Privatisierungen macht sich auch Oskar Lafontaine stark - und erhält dafür von der Antikapitalistischen Linken viel Beifall. Möglicherweise ist die Hoffnung, der einstige SPD-Chef könnte gegen die Regierungsfreunde der PDS eine "Linksverschiebung" der neuen Partei durchsetzen und alsbald den Sozialismus einführen, verfrüht. Lafontaine ist zwar selbst nie um eine radikale Forderung verlegen - seine Kritik am letzten amtierenden rot-roten Bündnis folgt aber eher taktischem Kalkül: Regierungsbeteiligungen auf Landesebene dürfen die "Glaubwürdigkeit" der Linken nicht gefährden, weil sonst die Zustimmung auf Bundesebene schmilzt. Und genau darum geht es Lafontaine: Wenn schon nicht ins Kanzleramt, will der Saarländer mindestens zurück auf die Regierungsbank. Ein Harald Wolf, der seine Gründe hat, die Berliner Koalition nicht durch "überzogene Forderungen" in Richtung SPD zu gefährden (Rot-Rot stehe im Gegensatz zu einer Großen Koalition auf Landesebene für eine sozialere Umsetzung der notwendigen Sparpolitik), soll ihm da nicht im Wege stehen. Allein mit Rechnungen, die Lafontaine mit Gerhard Schröder offen haben mag, lässt sich das natürlich nicht erklären. Motor für Lafontaine ist etwas anderes: Erst in bundespolitischer Verantwortung lassen sich, so der Glaube nicht nur des damit schon einmal gescheiterten Ex-Finanzministers, Ziele wie eine "gerechte" Steuerreform, keynesianische Wirtschaftspolitik, Re-Regulierung und die Wiederherstellung des Sozialstaats erreichen. Lafontaine steht damit nicht allein: Seine Basis sind die GewerkschafterInnen und enttäuschten SozialdemokratInnen, die längst mit ihrer Sozialistischen Linken die Wahlalternative dominieren. Ironie der Geschichte: Es waren Leute wie der WASG-Vorstand und IG-Metall-Bevollmächtigte Klaus Ernst, die eine Solokandidatur der Wahlalternative in Berlin sogar juristisch bekämpften und heute zu den lautesten Kritikern der Berliner Mitregierungs-PDS gehören. Klaus Lederer und Genossen, so Ernst heute, hätten "nicht alle Tassen im Schrank". So denkt mancher auch über Katja Kipping von der Emanzipatorischen Linken. Das vor allem von jüngeren PDS-Mitgliedern unterstütze Netzwerk macht sich nicht nur für ein bedingungsloses Grundeinkommen stark, sondern auch für libertäre Grundsätze, eine offene Drogenpolitik und anderes mehr. In den Reihen jener, die wie Lafontaine und der Parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion, Ulrich Maurer, auf einen neuen Populismus setzen, der mit alten linken "Sentimentalitäten in Fragen von Nation, Religion und Familie" (Jürgen Elsässer) aufräumen will und schon mal gegen "schwule Subkultur", US-amerikanische "Fremdbestimmung" und kapitalistische "Blutsauger" Stimmung macht, wird der Kipping-Flügel mit seinen libertären Ansätzen als Joint-Fraktion verlacht. Auch der junge Bundestagsabgeordnete Jan Korte, der der Partei empfahl, das liberal-grüne Milieu nicht in der Mitte liegen zu lassen und entsprechende politische Angebote zu machen, wurde zurückgepfiffen. Kein Zufall sicher, dass Korte und Kipping zu den KritikerInnen der vorherrschenden Nahost-Sicht der Linksfraktion zählen - und ihrerseits mit Argumenten der radikalen Linken vor einer undifferenzierten Solidarität allein mit den PalästinenserInnen warnen. Katja Kipping mag über den Joint-Vergleich schmunzeln. Zu Lachen haben die Emanzipatorischen Linken derzeit aber ebenso wenig. Oskar Lafontaine etwa meint, es nütze den Hungernden nichts, ihre Meinung frei zu äußern, weshalb sozialen Rechten der Vorrang vor Freiheitsrechten gebühre. Auf einer von der Antikapitalistischen Linken getragenen Veranstaltung im Herbst fand Lafontaines Äußerung großen Beifall. Zwar sind nicht zuletzt die zahlreichen InnenpolitikerInnen der Bundestagsfraktion hier ganz anderer Meinung. Im Fall des bedingungslosen Grundeinkommens war es aber zuvorderst die Schar der linken ParlamentarierInnen, die der Emanzipatorischen Linken einen Riegel vorschob - auf Drängen des an Einfluss gewinnenden Gewerkschafterflügels.

Libertär-populistische Gewerkschaftspolitik - oder?

Hier hält man das Konzept für "keine sozialistische Position" (WASG-Bundesvorstand und ver.di-Wirtschaftsexperte Michael Schlecht). Stattdessen setzt man auf eine Grundsicherung, deren Zahlung ähnlich wie bei Hartz IV von der Bereitschaft zur Annahme fast jeder Arbeit abhängig gemacht werden soll. Mit der Parole "Hartz muss weg" lässt sich das schwerlich in Einklang bringen - korrespondiert aber mit der gewerkschaftlichen Vollbeschäftigungsutopie und der Idealisierung des traditionellen Sozialstaates durch eine Mehrheit in der WASG. Als Sachsen-Anhalts PDS-Spitze im September ein Papier vorlegte, in dem letzteres unzweideutig kritisiert wurde, brachte Oskar Lafontaine das halbe Linksbündnis gegen die "rechtssozialdemokratischen Positionen" der Regierungslinken auf. In den Eckpunkten wird der jedoch zur Privatsache erklärt. Eine über den Kapitalismus hinausweisende Perspektive, heißt es da, "gilt vielen von uns als demokratischer Sozialismus". Das reicht vielen GenossInnen aus dem Osten nicht. Von der Kommunistischen Plattform bis zu Bundesgeschäftsführer Bartsch reicht die Front derer, die nun lauthals einfordern, dass der Sozialismus in der künftigen gemeinsamen Programmatik ganz weit vorn steht. Den einen geht es wohl mehr um ein Symbol, den anderen um eine Weltanschauung. Auch die Antikapitalistische Linke ist mit dabei und geißelt die "Abkehr vom Ziel des Sozialismus". Wechselt man das Thema, ist die innerparteiliche Bündnis-Lage schon wieder eine andere. Als im Oktober der dritte Entwurf der "Programmatischen Eckpunkte" vorgestellt wurde, fragten sich plötzlich nicht wenige aus der PDS, wo denn ihr demokratischer Sozialismus geblieben ist. Den hatten sie zuvor durch alle Programmdebatten gerettet, und als sie für ein Wahlbündnis mit der WASG im Sommer 2005 schweren Herzens den Namen PDS fallen ließen, hatte man ihnen versprochen, dass wenigstens der demokratische Sozialismus an prominenter Stelle im neuen Programm bleiben werde. Klaus Ernst, der gerade noch gemeinsam mit Sarah Wagenknecht die Berliner RegierungssozialistInnen abkanzelte, hält ihr nun entgegen, dass "viele in der WASG mit dem demokratischen Sozialismus nichts am Hut haben", manche GewerkschafterInnen sprechen von einer Hypothek aus SED-Zeiten. Das ist zwar knapp daneben, schließlich steht der demokratische Sozialismus auch im SPD-Programm und viele SozialdemokratInnen verließen die Schröder-Partei in Richtung WASG, weil eben jener demokratische Sozialismus ihn auf dem Weg in die neue Mitte entsorgt hatte. Aber auch dieses Beispiel zeigt, dass Bündnisse zwischen den Linkspartei-Strömungen in einer Frage nicht gleichbedeutend mit dem Versprechen sind, auch in anderen Fällen auf derselben Seite der Barrikade zu kämpfen. Das mag auch daran liegen, dass politische Worthülsen mitunter über- und das ihnen zu Grunde liegende taktische Kalkül unterschätzt werden. Schließlich geht es zurzeit nicht nur um die Formulierung eines Programms. Das wird sich die neue Linke ohnehin erst später geben. Der Streit um die Gründungsdokumente, zu denen auch die Satzung und mithin nicht unwichtige Fragen wie der Delegiertenschlüssel des Fusionsprojektes gehören, ist auch ein Kampf um die Macht in der neuen Partei.

Die Existenz der neuen Partei will niemand riskieren

Der hat jedoch seine Grenze: Die Existenz der neuen Partei will niemand riskieren. Und so werden auf allen Seiten zwar mächtig die Backen aufgeblasen. Doch jede Fraktion weiß, dass ein völliger Triumph über die andere auch die eigene Existenz beenden könnte. Allein wird weder eine auf ihr Gewerkschaftszentrum im Westen reduzierte WASG noch die alte PDS der Regierungslinken und auch nicht ein so antineoliberales wie populistisches Bündnis von Wagenknecht und Lafontaine in Zukunft erfolgreich sein. "Jetzt müssen wir nur noch auf einen glänzenden Zieleinlauf warten", meinte Ulrich Maurer vor ein paar Wochen. Der einstige SPD-Mann ist ein Freund von Ironie - wie Dietmar Bartsch, der Schaffner des Fusionsprozesses. Der Zug der neuen Linken ist ganz sicher nicht mehr aufzuhalten, da haben beide Recht. Wo er ankommt, ist allerdings noch offen. Tom Strohschneider aus: ak - analyse & kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis/Nr. 512/15.12.2006