Multikulturalismus, Umverteilung, Anerkennung

Vom Unbehagen in der Vielfalt der Kulturen (*)

in (03.01.2007)
Die Debatte um den Multikulturalismus verläuft auf den unterschiedlichsten Ebenen und verbindet sich mit den unterschiedlichsten Wertorientierungen. Für Samuel Huntington ist der Multikulturalismus die Quelle allen Übels in seiner Gesellschaft - ein Land der vielen Zivilisationen, wie es die amerikanischen Multikulturalisten anstrebten, sei in Wirklichkeit eines ohne Zivilisation und kulturellen Mittelpunkt, und als solches zum Untergang verdammt (vgl. Huntington 1996: 305). Für Claus Leggewie dagegen liegt gerade "die Überzeugungskraft des amerikanischen Traums" in der "hybriden Mischung aus allen möglichen Kulturen der Welt" begründet (Leggewie 2000: 886). Für andere Apostel der kulturellen Hybridisierung (vgl. z.B. Wagner 2001) ist der Multikulturalismus nichts anderes als eine Quelle gegenseitiger kultureller Befruchtung und Bereicherung für alle. Dagegen wenden linke Kritiker (vgl. z.B. Ha 2004) mit guten Gründen ein, in derartigen Lobpreisungen würden die gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse allzu leichtfertig unter den Tisch gekehrt. Dem kann ich mich anschließen - und dennoch möchte ich auch Michael Wallace und Stuart Hall beipflichten: "... jeder weiß, dass Multikulturalismus nicht das gelobte Land ist. ... Jedoch selbst in seiner zynischsten und pragmatischsten Form gibt es etwas im Multikulturalismus, das nach wie vor erstrebenswert ist ... Wir müssen Wege finden, die Bedeutung kultureller Vielfalt öffentlich zu manifestieren und die Beiträge der 'people of colour' in das Gefüge der Gesellschaft zu integrieren" (Wallace zit. n. Hall 2004: 191). Das Unbehagliche an dieser verwirrenden Situation scheint mir daraus zu resultieren, dass das Minimum an normativer Verständigung, ohne das die transkulturelle Interaktion in einer multikulturellen Gesellschaft nicht denkbar ist, auf den ersten Blick nur auf zwei Wegen erreichbar erscheint: Entweder wir erkennen alle Lebensformen ohne Einschränkung als gleichwertig an - und begeben uns damit jeder Möglichkeit der Kritik auch an aus unserer Sicht so inhumanen Sitten und Gebräuchen wie beispielsweise Mädchenbeschneidung und Sklaverei. Oder wir erklären einen einzigen Maßstab zum für alle gültigen, sei es wie bei Huntington den der eigenen kulturellen Werte, sei es wie in Teilen der marxistischen Tradition oder der liberalistischen Gerechtigkeitstheorie den einer ausschließlich ökonomisch bestimmten Verteilungsgerechtigkeit - und unterwerfen damit alle anderen unserem Diktat. Einen ersten Ausweg aus diesem Dilemma verspricht das für ein philosophisches Werk außergewöhnlich erfolgreiche Buch "Multiculturalism and 'The Politics of Recognition'" von Charles Taylor u.a. (1992). Mit ihm und der daran anschließenden philosophischen Diskussion um den Multikulturalismus in USA und Deutschland werde ich mich im folgenden in erster Linie auseinandersetzen.

Charles Taylors Grundlegung eines philosophischen Multikulturalismus-Konzepts

Ausgangspunkt von Taylor u.a. war die in der kommunitaristischen Schule vielfach formulierte Unzufriedenheit mit der liberalistischen "Theorie der Gerechtigkeit", wie sie John Rawls 1971 in seinem gleichnamigen Buch begründet und danach zusammen mit seinen Nachfolgern weiter ausgebaut hatte. Der Kern dieser Theorie ist das Gebot der strikten Neutralität des Staates und aller öffentlichen Institutionen gegenüber allen partikularen Identitäten und Wertvorstellungen ihrer Bürger, insbesondere ihren Identitäten und Wertvorstellungen als Angehörige bestimmter Religionen oder bestimmter nationaler oder ethnischer Herkunft, als Männer oder Frauen, Schwarze oder Weiße, MigrantInnen oder Einheimische, Hetero- oder Homosexuelle und so weiter. Unsere Gerechtigkeitsansprüche gegenüber dem Staat könnten sich nur auf das beziehen, was allen Bürgern gemeinsam sei: unsere "universellen Bedürfnisse" nach "'Primärgütern' wie Einkommen, Gesundheitsversorgung, Erziehung, Religions-, Gewissens, Rede-, Presse-, Vereinigungs-Freiheit, Rechtssicherheit, Wahlrecht und Recht auf Bekleidung öffentlicher Ämter" (Gutman 1992: 4). Der Schutz darüber hinausgehender partikularer Identitäten und Wertvorstellungen sei nicht mehr Sache des Staates; davon müsse er sich fernhalten. Dagegen wenden Taylor und Gutman vor allem ein: Zu den Grundbedürfnissen gehöre nicht nur die Versorgung mit ökonomischen und juristischen Ressourcen der gerade aufgeführten Art; auch die Anerkennung des Individuums durch eine kulturelle Gemeinschaft sei ein Primärgut (ebd.: 5; Taylor 1992: 26; vgl. auch Kymlicka 1989: 166; Gerdes 1996: 53). Ein Selbst, eine eigenständige Persönlichkeit mit Selbstbewusstsein und Ich-Identität können wir nur in der Interaktion mit "signifikanten Anderen" (Mead 1962) entwickeln. Nur dadurch, dass wir uns mit ihren Augen sehen lernen, können wir ein Bild davon gewinnen, wer wir sind, nur durch Identifikation mit ihnen lernen wir, was sein soll und was nicht. Das Selbst konstituiert sich im Dialog mit den signifikanten Anderen - und zwar nicht nur am Anfang, sondern unser ganzes Leben hindurch, selbst wenn diese längst aus ihm verschwunden sind (vgl. Taylor 1992: 33). Nicht aus uns selbst heraus, sondern aus der Anerkennung durch eine kulturelle Gemeinschaft gewinnen wir Identität und Selbstbewusstsein. Eben deshalb ist der Staat in dieser Sicht verpflichtet, benachteiligte kulturelle Gemeinschaften vor der Unterdrückung durch die herrschende Mehrheitskultur zu schützen (vgl. Gutman 1992: 5; Taylor 1992: 43), ihnen nicht Gleichheit aufzuoktroyieren, sondern ihr Recht auf Differenz zu gewährleisten; denn wenn die kulturelle Gemeinschaft, auf deren Anerkennung ich meine Identität gründe, durch die Mehrheitsgesellschaft verächtlich gemacht wird, muss auch meine Selbstachtung leiden. Da die meisten Gesellschaften heute multikulturelle seien, sei der Kampf um Anerkennung kultureller Differenzen in der Gegenwart - anders als in früheren Epochen der kapitalistischen Entwicklung, als es in aller erster Linie um die Abschaffung nicht zu rechtfertigender sozio-ökonomischer Ungleichheiten gegangen sei - das zentrale Feld der Auseinandersetzung um eine gerechtere Gesellschaft. Die wahren Probleme für eine derartige Konzeption stellen sich natürlich erst dann, wenn wir zur Betrachtung der Inhalte der jeweiligen Kulturen übergehen - wie umgehen mit Kulturen, die für sich selbst eine Vorrangstellung, wenn nicht gar Herrschaft über die anderen beanspruchen? Taylor plädiert hier dafür, den Liberalismus als "kämpferische Überzeugung" (Taylor 1992: 62) zu verstehen und zu vertreten. Der Liberalismus könne kein "neutrales Feld anbieten, auf dem alle Kulturen einander treffen und miteinander koexistieren können" (ebd.), er "könne und solle keine vollständige kulturelle Neutralität beanspruchen" (ebd.). Auch er müsse "die Grenzlinie ziehen" (ebd.), "z.B. zwischen dem was öffentlich und dem was privat ist oder zwischen Politik und Religion" (ebd.) - und schon sind wir in gewohnt stereotyper Weise bei der Islam-Schelte angelangt: Für den "Mainstream Islam" gebe es die Trennung zwischen Politik und Religion bzw. die Abschiebung der letzteren in den Bereich des Privaten nicht. Sie sei ebenso wie der Liberalismus selbst eine Errungenschaft der christlichen Zivilisation und auf beiden müsse man beharren. Selbstredend weiß Taylor, dass sich gerade die westlichen, christlich-liberalen Gesellschaften in besonderer Weise der Aufoktroyierung ihrer Herrschaft und ihrer Werte auf andere Kulturen schuldig gemacht haben (vgl. ebd.: 63) - im Rahmen der kolonialen Expansion ebenso wie im internen Umgang mit den als "Andere" stigmatisierten Mitgliedern der eigenen Gesellschaft (die Frauen ebenso umfassen wie kulturelle Minderheiten im engeren Sinn). Gerade daher beziehe der Kampf der Kolonisierten und als "anders" Definierten um Anerkennung heute sein hohes Maß an Legitimität; und dabei gehe es nicht nur um deren nacktes Überleben, sondern auch und vor allem um ihre Anerkennung als gleichwertig - auf die sie angewiesen seien, um das notwendige Maß an Selbstachtung gewinnen zu können. Was aber kann die Anerkennung fremder Kulturen als "gleichwertig" bedeuten? Schulden wir wirklich allen Kulturen gleichen Respekt - trotz ihrer mit den unseren teilweise offenkundig völlig unvereinbaren Wertforderungen und ihrer teilweisen Unverstehbarkeit aus unserer Sicht? Taylors Antwort ist: Was wir ihnen allen schulden, ist die Gleichwertigkeitsvermutung (die Analogie zur "Unschuldsvermutung" im Gerichtsverfahren bietet sich an). Wenn Anerkennung durch eine kulturelle Gemeinschaft ein Primärgut gleicher Art ist wie materielle Grundversorgung oder Garantie der Menschenrechte, dann ist es ein Verstoß gegen die Gerechtigkeit, wenn eine Mehrheitskultur eine Minderheitskultur von vornherein als nicht achtenswert abstempelt - zumal jede Kultur, die über längere Zeit überlebt hat, "irgendetwas für alle menschlichen Wesen Wichtiges zu sagen haben muss" (ebd.: 66). Deshalb hat eine jede ein Anrecht auf die Gleichwertigkeitsvermutung. Wie jede Vermutung muss aber auch diese im konkreten Fall der Überprüfung offenstehen. Hierfür verweist Taylor auf hermeneutische Verfahren, speziell auf Hans Georg Gadamers "Wahrheit und Methode" (1960). Zunächst kommt es demnach darauf an, die uns anfangs unverständlichen Vorstellungen der anderen von dem, was "wertvoll" überhaupt bedeutet, verstehen zu lernen, das heißt, nachzuvollziehen, was sie ihnen als vernünftig erscheinen lässt. Dadurch werden unsere eigenen Maßstäbe relativiert, unser Verständnis vom "Wertvollen" verändert sich. Im Idealfall kommt es zu einer "Verschmelzung der Horizonte", auf deren Grundlage wir zu einem neuen, begründeten Urteil kommen können - welches so oder so ausfallen kann: Manche Institutionen werden nach dieser Überprüfung mittels intensiver Auseinandersetzung zwischen den Kulturen als wertvoller dastehen als zuvor gedacht, andere als weniger wertvoll, wieder andere mögen sich als wertlos oder verwerflich erweisen. Ohne diese Auseinandersetzung aber ist jedes Urteil gleich ethnozentrisch und gleich anmaßend, die Verteufelung wie die Vergöttlichung. Das Konzept hat einige Vorzüge. Es schärft den Blick dafür, dass sich systemische Ungerechtigkeit nicht in Klassenherrschaft erschöpft, sondern auch die Verweigerung der Anerkennung für kulturell definierte Personenkategorien wie Frauen, religiös, ethnisch oder rassisch bestimmte Minoritäten, Schwule und Lesben usw. umfasst. Und es liefert (später vor allem durch Nancy Fraser weiter ausgearbeitete) Ansätze für einen einheitlichen begrifflichen Rahmen, innerhalb dessen die Kämpfe solcher Gruppierungen um Anerkennung ebenso ihre Erklärung - und gegebenenfalls auch ihre Rechtfertigung - finden können wie der Widerstand gegen sozio-ökonomische Unterdrückung. Darüber hinaus zeigt es mit der "Verschmelzung der Horizonte" einen Weg auf, der geeignet scheint, sich sowohl den Fallstricken der vorurteilsvollen Ablehnung alles Fremdkulturellen wie denen seiner unkritischen Verherrlichung zu entziehen. Es hat jedoch auch seine substanziellen Schwächen, die ich in drei Punkten diskutieren möchte: Zum ersten hat Taylors Ansatz die Eierschalen des substantialistischen Kulturkonzepts der älteren kommunitaristischen Ansätze keineswegs vollständig abgestreift. Zum zweiten spielt er, nachdem er das Konzept des "Kampfes um Anerkennung" einmal eingeführt hat, die Bedeutung sozio-ökonomischer Gegensätze und Ungleichheiten für die Gegenwart dermaßen herunter, dass der Vorwurf der Vernachlässigung gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse durchaus zutreffend erscheint - eine Prozedur, die ihren Gipfelpunkt allerdings in Taylors Nachfolge erst bei Axel Honneth (2003a & b) erreicht, welcher die sozio-ökonomischen Auseinandersetzungen vollständig im Kampf um Anerkennung aufgehen lassen möchte. Zum dritten führt er mit seinem Konzept des "kämpferischen Liberalismus" vorschnell und ohne ausreichende argumentative Begründung seine eigene, durchaus partikulare Konzeption des "guten Lebens" ein, welche die anti-ethnozentrischen Vorzüge seines hermeneutischen Ansatzes zum Verstehen des Fremdkulturellen gleich wieder verspielt.

Die Aporien des Konzepts

Substantialismus

Unter einem "substantialistischen" Konzept von Kultur verstehe ich in Anlehnung an Bourdieu (1998: 16) eines, welches die Eigenschaften, "die für bestimmte Individuen oder Gruppen einer bestimmten Gesellschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt kennzeichnend sind, als substantielle, ein für allemal in irgendeinem biologischen oder ... kulturellen Wesen angelegte Merkmale" behandelt. Einer derartigen Konzeption kommt Taylor vor allem dort sehr nahe, wo er die Notwendigkeit der Anerkennung und des Schutzes der Identität eines und einer jeden einzelnen "als eine Individuum und auch als eine Kultur" (Taylor 1992: 42 - meine Hervorhebung) ableitet aus der Konstitution des Selbst in der Interaktion mit den signifikanten Anderen. Von den signifikanten Anderen zur Kultur ist es jedoch ein weiter Weg. Die signifikanten Anderen sind "die, deren Liebe und Fürsorge uns in der Jugendzeit prägten" (ebd.: 33), unsere Eltern vor allen Dingen, aber auch andere Angehörige unserer primären Sozialisationsgruppen. Dass wir der Anerkennung in solchen Primärgruppen bedürfen, um ein Selbst entwickeln zu können, heißt aber noch lange nicht, dass wir (als Mitglieder) aus dem gleichen Grund auch der Anerkennung durch solche Großgruppen wie die Francokanadier oder die kanadischen Ureinwohner bedürfen, welchen Taylor das Recht auf Garantie der "Integrität ihrer Kulturen" bzw. ihres "kulturellen Überlebens" (ebd.: 61) durch den Staat zuspricht - mutmaßlich weil sie in seiner Sicht den hermeneutischen Test auf "Gleichwertigkeit" bestanden haben. Wir bedürfen ihrer nicht und wir können sie auch gar nicht bekommen, weil es bei der Konstitution des Selbst in der Interaktion mit den signifikanten Anderen um personale Anerkennung geht, an die in anonymen Großgruppen jener Art überhaupt nicht zu denken ist. Problematisch sind in diesem Zusammenhang weiterhin die Zwillingskonzepte der "Integrität der Kulturen" und ihrer "Differenz". Indem Gutman und Taylor (ähnlich übrigens auch Kymlicka) politische Maßnahmen zum Schutz des "Überlebens" von Minderheitenkulturen bzw. der Erhaltung ihrer "Differenz" gegenüber der Mehrheitskultur befürworten (wenngleich keineswegs bedingungslos), setzen sie immer noch voraus, Kulturen seien diskrete, eindeutig voneinander abgegrenzte, wesensmäßig unterschiedene, in sich einheitliche und widerspruchsfreie, dem geschichtlichen Wandel in ihrem Kern widerstehende Gebilde (vgl. auch Fraser 2003a, 83). Spätestens seit den "konstruktivistischen" Diskussionen um die "Erfindung von Traditionen" (Hobsbawm & Ranger 1983), "imaginierte Gemeinschaften" (Anderson 1983) und "hybride Kulturen" (z.B. Clifford 1988) sollte aber jedem und jeder, die sich mit diesen Fragen befasst, klar sein, dass die Unterschiede zwischen den Kulturen eben nicht ontologischer Art sind, nicht in einem unveränderbaren Wesen begründet liegen, sondern historisch, menschengemacht und veränderbar sind; dass in Kulturen regelmäßig aus den unterschiedlichen Zeiten und Regionen stammende Elemente zusammengefasst sind; dass alle Kulturen in sich widersprüchliche Elemente enthalten, die keineswegs nach Art eines logisch konsistenten Systems, sondern allenfalls nach Art von "Kochbuchwissen" miteinander integriert sind; dass die richtigen Deutungen umstritten zu sein pflegen; dass Kulturen einander auch überlappen können, so dass das Innen und das Außen ineinander verschwimmen; dass sie durch Außeneinflüsse selbst in zentralen Bereichen veränderbar sind; und dass sie intern nahezu ausnahmslos machtpolitisch und klassenmäßig gespalten sind (vgl. zusammenfassend Hauck 2006). All dies galt selbstredend auch zu früheren Zeiten. Angesichts der durch die neuen Medien und Verkehrsmittel ermöglichten gewaltigen Zunahme der Mobilität wie auch der interkulturellen Kommunikation in Gestalt von Tourismus, Arbeitsmigration und sonstigen Verkehrsströmen bzw. Fernsehen, Film und Internet wird es jedoch heute sehr viel offenbarer. Darin liegt einer der größten Vorzüge des Multikulturalismus (so auch Hall 2004: 207ff) und eben deswegen wird er von den Chauvinisten jedweder Couleur umso wütender attackiert. Er ist heute allgegenwärtig. In den Großstädten aller sechs Kontinente leben aus der Fremde gekommene Bevölkerungen, die sich zwar anpassen, aber meist sehr partiell und in sehr spezifischer Weise. Das Exotische ist ungemütlich nah. Umgekehrt können wir noch so weit von zu Hause wegfahren bzw. -fliegen, die moderne Warenwelt und die modernen Medien sind immer schon da. Kulturelle Differenz begegnet uns in unmittelbarer Nachbarschaft, das Altbekannte am Ende der Welt. Und beides ist oft genug nicht nur in ein und derselben Gemeinschaft, sondern sogar in ein und derselben Person anzutreffen (1) - Subcomandante Marcos wirbt über Fernsehen und Internet um Unterstützung des Kampfes mexikanischer Indigenas für ihre kulturelle und ökonomische Emanzipation; christliche Fundamentalisten benutzen die gleichen Medien, um ihre Forderung nach Ablösung der biologischen Evolutionstheorie im Schulunterricht durch die biblische Schöpfungsgeschichte durchzusetzen; und Voodoo-Priester begleiten die ghanaische oder togolesische Nationalmannschaft (deren Spieler größtenteils schon seit Jahren als hochbezahlte Profis in europäischen Vereinen arbeiten) zur Fußballweltmeisterschaft nach Deutschland. Wenn man nach alledem mit Taylor u.a. "den Kulturen" der Frankokanadier oder der "Ureinwohner" in Kanada bzw. der Afroamerikaner, der Juden, der "Hispanics" und der "Asiaten" in USA oder der Türken und der Russen in Deutschland staatlichen Überlebensschutz verspricht, dann festigt man in Wirklichkeit ganz bestimmte partikulare Elemente und Interpretationen derselben, vorzugsweise mutmaßlich die in den machtpolitisch und ökonomisch herrschenden Gruppierungen dominierenden. Diejenigen Gruppierungen von "signifikanten Anderen", die diesen Interpretationen ganz oder teilweise widersprechen, würden in ihrer Identität durch solche Maßnahmen gerade nicht gestärkt; was sie angeht, hätte die "Politik der Anerkennung" ihr proklamiertes Ziel verfehlt. Bedeutet dies, dass man die Minderheitskulturen der Überwältigung durch die Mehrheitskultur schutzlos preisgeben, die Gleichwertigkeitsvermutung ihnen gegenüber ad acta legen sollte? Natürlich nicht! Es bedeutet nur, dass man das alles einige Stufen tiefer ansetzen muss als auf der von als Ganzheiten verstandenen Großkulturen der genannten Art. Dies heißt nicht in erster Linie, dass man auf die Ebene kleiner, etwa lokaler Gemeinschaften herabsteigen müsste. In gewissem Umfang macht dies zwar durchaus Sinn, da man dort eben näher an den für die Identitätsgewinnung entscheidenden Gruppierungen von signifikanten Anderen dran ist. Aber Widersprüche, Wandel und politische wie sozio-ökonomische Gegensätze gibt es regelmäßig auch in Lokalgemeinschaften. Viel entscheidender ist, dass man Abstand davon nimmt, Kulturen als ganze der Bewertung zu unterziehen und sich stattdessen auf die Diskussion und gegebenenfalls den Schutz spezifischer kultureller Praxen, beschränkt. De facto tun auch Taylor und seine Anhänger in den Beispielen, an die sie mit ihrer hermeneutischen Methode herangehen, nichts anderes - da geht es darum, ob Sikhs, die in der kanadischen Polizei als Ranger arbeiten wollen, im Dienst ihren Turban oder muslimische Mädchen in französischen Schulen ihr Kopftuch tragen dürfen. Die Autoren haben auch kaum eine andere Wahl. Kulturen als ganze in all ihren Vernünftigkeitserwägungen miteinander zu konfrontieren und diese gegeneinander abzuwägen, so dass man schließlich zu einer "Verschmelzung der Horizonte" gelangt, welche ein Gesamturteil ermöglicht, wäre selbst dann ein hoffnungsloses Unterfangen, wenn sie in sich stimmige, harmonische und logisch konsistente Gesamtkonfigurationen darstellen würden. Angesichts der tatsächlichen Widersprüchlichkeit und Unabgeschlossenheit aller empirischen Kulturen erscheint es gänzlich ausgeschlossen. Übrigens geht es auch Gadamer bei der Darstellung seiner hermeneutischen Methode nicht um das Verständnis von Kulturen als ganzen, sondern um das von einzelnen Texten. Zu beachten ist allerdings, dass auch die Interpretation von Einzeltexten oder -institutionen niemals kontextfrei vor sich gehen kann; welchen Sinn und welche Bedeutung sie innerhalb bestimmter kultureller Kontexte haben, lässt sich ohne Kenntnis dieser Kontexte niemals verstehen. Dennoch macht es einen gewaltigen Unterschied, ob man einen Text im Rahmen eines bestimmten kulturellen Kontextes interpretiert - wozu die hierfür relevanten Kontextvariablen herangezogen werden müssen - oder ob man eine Kultur als ganze der Beurteilung unterzieht. Auf eine Ungereimtheit in Taylors Umgang mit dem Konzept der "Differenz" weist Susan Wolf (1992: 76) hin: Es ist ja keineswegs so, dass Frauen in der herrschenden patriarchalen Ideologie nicht als "different" angesehen würden; sie werden im Gegenteil sogar als wesensmäßig verschieden definiert, und es ist gerade diese Verschiedenheit, deretwegen sie als minderwertig abgestempelt und unterdrückt und ausgebeutet werden. Das Ziel des Kampfes der Frauen um Anerkennung könne deshalb - anders als etwa das der Amish, der Buddhisten oder der Armenier - niemals das Recht auf Differenz rein als solches sein. Dem ist zuzustimmen. Anders als Wolf meint, verhält sich dies allerdings bei anderen kulturellen Minderheiten nicht prinzipiell und notwendig anders; für Afroamerikaner und andere als "rassisch" definierte Minoritäten stellt sich die Situation ganz ähnlich dar. Eine wirklich radikale, an die Wurzeln gehende Gegenstrategie gegen die Verweigerung der Anerkennung müsste in all solchen Fällen nicht auf Bestätigung, sondern auf Dekonstruktion der kulturellen Differenzen, ihre Entontologisierung abzielen - eine Konsequenz, die auch Nancy Fraser zieht, ohne deshalb andere Strategien prinzipiell abzulehnen: Je nach Situation kann der "affirmative" Ansatz, "Gruppenbesonderheiten aufzuwerten und somit Gruppendifferenzierungen zu bestätigen", durchaus sinnvoll sein; "transformativ" ist dagegen nur ein Ansatz, der darauf abzielt, "Grenzziehungen zu lockern oder ganz zu beseitigen" (Fraser 2003a: 117; vgl. auch ebd.: 26, 34, 67). Ehrlich allerdings kann die erstgenannte Strategie in meinen Augen nur sein, wenn auch sie der Ontologisierung widersagt, wenn auch sie darauf verzichtet, die von ihr aufgewerteten und bestimmten kulturellen Gemeinschaften zugesprochenen Eigenschaften als in einem unveränderlichen Wesen derselben angelegt anzusehen - "wertvoll" kann schließlich nicht nur "in einem unveränderlichen Wesen meiner Kultur Angelegtes", sondern auch "historisch Gewordenes" sein.

Umverteilung und Anerkennung

Taylor geht ohne weitere Diskussion davon aus, dass die Kämpfe um Anerkennung heute die früher so virulenten Kämpfe um sozio-ökonomische Gleichheit als dominante Form der gesellschaftlichen Auseinandersetzung abgelöst hätten (vgl. z.B. Taylor 1992: 39). Axel Honneth geht in Taylors Nachfolge und in Anknüpfung an Hegels Begriff der Anerkennung (2) noch einen Schritt weiter und vertritt die Position, dass sozio-ökonomische Auseinandersetzungen generell nur als Unterkategorie von Auseinandersetzungen um Anerkennung von Bedeutung seien. Im "Entzug von sozialer Anerkennung" liege der "Kern aller Unrechtserfahrungen" (Honneth 2003a: 158 - meine Hervorhebung) und selbst "materielle Ungerechtigkeiten" müssten "noch als Ausdruck einer Verletzung von berechtigten Ansprüchen auf Anerkennung gedeutet werden" (ebd.: 159). Um dies zu begründen, entwirft er eine "dreipolige Gerechtigkeitstheorie" (ebd.: 213), die davon ausgeht, dass ein jedes Subjekt bei seiner Identitätsbildung auf drei Formen der sozialen Anerkennung angewiesen sei, auf Liebe, auf rechtliche Anerkennung und auf soziale Wertschätzung. Der "Durchbruch zur bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsform" sei "als das Resultat einer Ausdifferenzierung" dieser drei Anerkennungsformen zu begreifen (ebd.: 163), die ihrerseits als "Fortschritt" (ebd.: 218) zu werten sei. Der Liebe sei mit der Institutionalisierung der Kindheit als einer besonders schutzbedürftigen Phase sowie mit der bürgerlichen Liebesheirat eine eigenständige Sphäre zugewiesen worden; der rechtlichen Anerkennung mit dem Rechtsstaat und der Gleichheit vor dem Gesetz; der sozialen Wertschätzung mit der "Herausbildung der kulturellen Leitidee der 'individuellen Leistung'" (ebd.: 165), gemäß derer nur noch "die persönlich erbrachte Leistung im Gefüge der industriell orientierten Arbeitsteilung" (ebd.: 166) darüber entscheide, wie viel Wertschätzung ein Individuum innerhalb der Gesellschaft verdiene. "Umverteilungskämpfe" seien daher im Regelfall nichts anderes als "definitorische Auseinandersetzungen um die Legitimität der jeweils praktizierten Anwendung des Leistungsprinzips" (ebd.: 183); es gehe in solchen Kämpfen mit anderen Worten um nichts anderes als darum, dass man die eigene Leistung durch die erhaltene Entlohnung nicht ausreichend anerkannt sehe. Viele Fragen stellen sich. Etwa die nach dem Realitätsgehalt des von Honneth gezeichneten idyllischen Bildes von der bürgerlichen Familie; oder die nach der Berechtigung seiner Abwertung aller vorbürgerlichen Familien- und Sozialisationsformen wie generell seines ethnozentrischen Konzepts von "der traditionellen Gesellschaft" und deren Konfrontation mit "der" - moralisch in allen Belangen höher stehenden - "modernen" (vgl. z.B. Honneth 2003a: 164ff, 207, 218). Im gegenwärtigen Zusammenhang entscheidend ist jedoch seine Rede vom "kapitalistischen Leistungsprinzip" - dem er selbst "unzweideutig ideologischen Charakter" zuspricht (ebd.: 166) - es bestimmt nicht wirklich über die Ressourcenverteilung in der kapitalistischen Gesellschaft. (3) Wenn dem so ist - wie soll es dann das entscheidende Strukturprinzip im Bereich der sozialen Wertschätzung abgeben? Honneths Antwort ist, dass im Rahmen dieses Prinzips das, was in der kapitalistischen Wirtschaft an Allokationsprozessen so vor sich geht, auf "normative Zustimmung" stoßen könne (ebd.: 167). Die wirtschaftlichen Prozesse seien damit "kulturell eingebettet", weshalb es falsch sei, "mit Luhmann oder Habermas von einem 'normfreien' System ökonomischer Abläufe zu sprechen" (ebd.: 167). Nancy Fraser wendet zu Recht ein, aus der zutreffenden Prämisse, dass Märkte stets kulturell eingebettet sind, folge noch lange nicht, dass "das Marktgeschehen ... gänzlich der Dynamik der Anerkennung unterworfen" sei (Fraser 2003b, 248). Der Einwand hat mehrere Aspekte. Zum einen den, dass ökonomische Ungerechtigkeiten, auch wenn sie fraglos regelmäßig als Verweigerung von Anerkennung erfahren werden, dennoch nicht darin aufgehen. Wenn die gesamte Belegschaft eines Unternehmens, das wegen irgendwelcher undurchschaubarer Nachfragerückgänge oder Angebotsüberhänge auf dem Weltmarkt pleitegeht, entlassen wird, dann hat dies mit ihren Leistungen erst einmal gar nichts zu tun. Wenn sie dann aufgrund eines strukturellen Mangels an Nachfrage nach Arbeitskraft jahrelang arbeitslos bleiben, dann können wir zwar mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass sie dies als Mangel an Anerkennung empfinden (wenngleich gerade nicht als Missachtung ihrer Leistung, sondern als Verweigerung der Möglichkeit, überhaupt berufliche Leistung zu zeigen) und darunter leiden werden. Aber damit hat sich's doch nicht. Für viele Menschen in der Ersten und noch viel mehr in der Dritten und der ehemaligen Zweiten Welt, die dieses Schicksal teilen, bedeutet es den Fall in die Armut, bedeutet es periodischen Hunger oder chronische Unterernährung, katastrophale Wohnverhältnisse, gewaltig erhöhte Krankheitsanfälligkeit ohne Chancen auf adäquate medizinische Versorgung, unter Umständen auch den Zwang, sich auf dem illegalen Arbeitsmarkt zu lebensgefährlichen Konditionen zu verdingen. Und diese ganz körperlichen Leidenszustände sind wahrhaftig Grund genug, unzufrieden zu sein und die (Weltmarkt-)Verhältnisse, durch die dies zustande gekommen ist, als ungerecht zu empfinden - ganz unabhängig davon, ob und in welchem Maß sie mit verweigerter Anerkennung verknüpft sind. Mindestens ebenso bedeutsam ist ein zweiter Aspekt: Wie schon aus der zitierten, gegen Luhmann und Habermas gerichteten Textstelle deutlich wird, spricht Honneth unpersönlichen Systemmechanismen der Kapitalverwertung jegliche explanatorische Bedeutung ab. Gegenüber der "Systemintegration" komme der "normativen" bzw. "Sozial-Integration" der Primat zu (vgl. Honneth 2003b: 288, 293) - und dieser Primat ist absolut, anders würde es eben keinen Sinn machen, materielle Interessengegensätze vollständig in Fragen der Anerkennung aufgehen zu lassen. Natürlich ist ihm beizupflichten, dass System- und Sozialintegration keine eigenständigen, in sich geschlossenen und unabhängig nebeneinanderher existierenden sozialen Wesenheiten darstellen (was sie im Übrigen auch für Fraser, gegen die er dies einwendet, nicht sind). Aber dies ändert doch nichts daran, dass die Handlungskoordination auf dem Markt in sehr viel stärkerem Maß über systemische Mechanismen erfolgt - in der Sprache von Habermas: über die Vernetzung von Handlungsfolgen (4) statt über Aushandlungsprozesse zwischen den Beteiligten (vgl. z.B. Habermas 1981 II: 278) - als beispielsweise in der Familie oder der peer group. Warum ist dies alles so wichtig? Weil es bei der Sozialintegration (zum Unterschied von der Systemintegration) immer um intentionales, personal zurechenbares Handeln von Akteuren geht. "Ungerecht" kann für Honneth angesichts seiner Verdrängung der Systemintegration nur solches Handeln sein, nicht irgendwelche personal nicht zurechenbaren Systemzustände. Das ist aber absolut unplausibel. Strukturelle Arbeitslosigkeit z.B. wird von den Betroffenen in aller Regel als ungerecht empfunden, ist aber eben nicht personal zurechenbar. Ihre Ursachen liegen in anonymen Systemprozessen - auch wenn sich ihre Folgen u.a. in personal zurechenbaren Anerkennungsverweigerungen zeigen mögen (in denen sie sich allerdings selten erschöpfen - s.o.). Dass Honneth diese anonymen Systemprozesse aus der Betrachtung ausschließt, hat, von allen theoretischen Einwänden einmal abgesehen, vor allem fatale strategische Konsequenzen: Gegenüber systembedingten Ungerechtigkeiten wie struktureller Arbeitslosigkeit usw. müssen auf die Änderung personal zurechenbaren Handelns abzielende Strategien notwendig versagen - Antidiskriminierungsgesetze, Quotenregelungen und entsprechende moralische Appelle mögen zwar gegen rassische Segregation in den Schulen oder Benachteiligung von Frauen in politischen Parteien (in Grenzen) ganz nützlich sein; als Maßnahmen gegen die Entlassung der Beschäftigten einer pleitegegangenen Firma in die Arbeitslosigkeit aber wären sie absurd. Der "kulturtheoretische Monismus" (Fraser 2003a: 75), in den der Multikulturalismus bei Honneth mündet (er selbst würde lieber von "moraltheoretischem Monismus" reden - Honneth 2003a: 186), führt in theoretische wie praktisch-politische Hilflosigkeit gegenüber jeder Form von systembedingter Ungerechtigkeit. Den Ausweg muss man mit Fraser in einer zweidimensionalen Konzeption der Gerechtigkeit suchen. Man kann weder davon ausgehen, dass sich sämtliche ökonomischen Ungerechtigkeiten in Fragen mangelnder Anerkennung auflösen lassen (was ich gerade am Beispiel Honneths zu zeigen suchte), noch umgekehrt davon, dass "die kanonisierten Theorien der Verteilungsgerechtigkeit die Probleme der Anerkennung in ausreichendem Maße einzubeziehen vermögen" (Fraser 2003a: 51). Nicht jede Form mangelnder Anerkennung ist das "Nebenprodukt einer unfairen Verteilung" (ebd.). Wenn Homosexuelle auf den verschiedensten Ebenen unterschiedlichsten Arten der institutionellen Verächtlichmachung und Diskriminierung unterliegen, dann hat dies mit politischer Ökonomie wenig zu tun; "schließlich kommt ihnen bei der Arbeitsteilung keine eigentümliche Stellung zu und sie stellen auch keine ausgebeutete Klasse dar" (ebd.: 30). Dies mag einen Extremtypus darstellen. In den meisten Fällen treten - wie am Beispiel der Arbeitslosigkeit schon aufgezeigt - Verweigerung der Anerkennung und systembedingte ökonomische Diskriminierung ineinander verschränkt auf. Aus der ökonomischen Perspektive dient beispielsweise das gender als ein grundlegendes Organisationsprinzip der kapitalistischen Wirtschaft: Männern wird in erster Linie die "produktive" und bezahlte Erwerbsarbeit zugewiesen, Frauen die "reproduktive" und unbezahlte Hausarbeit - und soweit sie doch Erwerbsarbeit leisten, der schlechter bezahlte Teil derselben. Gegenstrategien müssen, so betrachtet, darauf abzielen, die gesamte gender-spezifische Arbeitsteilung abzuschaffen - was nicht ohne Rückwirkung auf das System als ganzes bleiben könnte. Auf der anderen Seite werden Frauen auch einer ganzen Reihe von davon relativ unabhängigen Diskriminierungen in der Anerkennungsordnung unterworfen, "die vor sexueller Nötigung und häuslicher Gewalt nicht halt macht, die sie durch massenmedial propagierte, trivialisierende, verdinglichende und beleidigende Stereotype schikaniert, sie im öffentlichen Raum und in Entscheidungsgremien marginalisiert ... und ihnen die vollen Bürgerrechte verweigert" (ebd.: 34). In dieser Perspektive müssen Gegenstrategien darauf abzielen, den Androzentrismus zu demontieren und neue Formen der Anerkennung zu etablieren. Der entscheidende Punkt ist, dass beide Arten von Ungerechtigkeit, auch wenn sie zusammen auftreten, "primär und gleichursprünglich" sind, keine bloß "eine indirekte Wirkung der anderen darstellt" (ebd.: 32). Gender, Rasse, Ethnie, Sexualität und Klasse sind keineswegs sauber voneinander getrennt. Vielmehr "kreuzen sich all diese Achsen der Benachteiligung derart, dass sie die Interessen und Identitäten eines jeden betreffen" (ebd.: 41). Aus all diesen Gründen ist es unabdingbar, dass der Kampf um Anerkennung in den Auseinandersetzungen um die soziale Gerechtigkeit gleichberechtigt an die Seite des Kampfes um Umverteilung gestellt wird - oder genauer: ohne Vorabfestlegung auf eine bestimmte Rangordnung zwischen beiden. Bei jeder spezifischen Praxis ist danach zu fragen, ob sie sowohl die in der Güterverteilung angesiedelten "objektiven" als auch die in der Anerkennungsordnung liegenden "intersubjektiven Bedingungen" dafür gewährleistet, dass die Gesellschaftsmitglieder "als Ebenbürtige" miteinander verkehren können (vgl. ebd.: 89, 55) - eine Vorgehensweise, welche Fraser als "perspektivischen Dualismus" (ebd.: 84 ff) zur Geltung bringen möchte.

Verstehen von Fremdkulturellem

Taylor betont, wie gesehen, mit großem Nachdruck den dialogischen Charakter der Persönlichkeitsbildung. Umso auffälliger ist, dass von Dialog in seinen Bemerkungen zu der hermeneutischen Methode, die er bei der Überprüfung der Berechtigung von fremdkulturellen Ansprüchen in Anschlag bringen möchte, mit keinem Wort mehr die Rede ist. Mag sein, dass dies bei Gadamer selbst schon angelegt ist - wie die Kritik von Jürgen Habermas (1981 I: 193ff) vermuten lässt. In der Weiterentwicklung des hermeneutischen Ansatzes durch Habermas, vor allem aber durch Seyla Benhabib, auf die Fraser sich in starkem Maße stützt, steht der Dialog dagegen, gerade was das Verfahren angeht, im Zentrum. Verstehen, gar Beurteilen von fremdkulturellen moralischen Ansprüchen kann niemals monologisch funktionieren, als "solitäre(r) Denkprozess in den Köpfen einzelner moralischer Akteure oder Moralphilosophen" (Benhabib 1995: 189), sondern immer nur dialogisch, "in freier Beratschlagung", "durch den Austausch von Argumenten, bei dem widerstreitende Urteile abgewogen und konkurrierende Interpretationen geprüft werden" (Fraser 2003a: 63). Vorausgesetzt ist in alledem eine prozedurale Konzeption von Wahrheit, Vernünftigkeit und Richtigkeit ähnlicher Art, wie sie Habermas entwickelt (wenngleich nicht immer gleichermaßen konsequent vertreten) hat: Als "wahr", "vernünftig" oder "gerechtfertigt" muss gelten, was sich in herrschaftsfreier kritischer Diskussion bewährt hat - einer Diskussion, in der außer dem "eigentümlich zwanglosen Zwang des besseren Arguments" (Habermas 1971: 131) keinerlei andere Zwänge entscheiden und keine anderen Maßstäbe der Kritik vorgegeben werden dürfen als diejenigen, auf die sich die streitenden Parteien selbst argumentativ einigen können (vgl. auch Wellmer 1985: 109). Weit energischer als Habermas betonen Benhabib und Fraser allerdings, dass diese Dialoge, wenn man zu einem begründeten Urteil kommen will, realiter geführt werden müssen, nicht nur hypothetisch; die Stimme des anderen muss tatsächlich gehört werden, er muss "als Ebenbürtiger" (Fraser 2003a: 55) teilnehmen, nur dann ist gewährleistet, dass sein Standpunkt unverzerrt zur Geltung gebracht werden kann. Dass es zu einem "echten" Konsens kommt, ist auch dann nicht garantiert, aber alles andere wäre ein "unechter". Selbstredend handelt es sich bei dem Konstrukt des herrschaftsfreien Diskurses um ein idealtypisches, um eine Unterstellung - die wir zwar bei jedem faktischen Diskurs (soweit er auf Wahrheit oder Richtigkeit abzielt) machen müssen, die aber immer und überall eine kontrafaktische bleiben wird. In dem Konstrukt impliziert ist nicht nur die Bedingung des vollständigen Verzichts aller Beteiligten auf außerargumentative Zwangsmittel im Diskurs selbst. Impliziert ist auch der uneingeschränkt offene Zugang für alle Interessierten und die gleichberechtigte Teilhabe aller Teilnehmer - und diese beiden Bedingungen setzen ihrerseits voraus, dass die Versorgung aller Gesellschaftsmitglieder mit den Primärgütern in den Bereichen von Überlebenssicherung ("Habeas Corpus" gehört ebenso dazu wie materielle Güterversorgung) und Anerkennung gesichert ist, denn anders können sie nicht als "Ebenbürtige" teilnehmen. Michael Korbmacher machte mich darauf aufmerksam, dass in Klassengesellschaften die Unterprivilegierten regelmäßig auch von der Bildung her unterprivilegiert und deshalb meist auch argumentativ unterlegen sind; und dass sie nicht deshalb Anspruch auf unsere Solidarität haben, weil sie vernünftig, sondern weil sie unterprivilegiert sind. Dem kann ich zustimmen. Aber wenn dem so ist, dann muss es eben geändert werden - die Norm der gleichberechtigten Teilhabe steht auch im Widerspruch zu den Klassenverhältnissen. Zum anderen ist daran zu erinnern, dass aus der Norm der Solidarität mit den Unterprivilegierten als Personen nicht notwendig abgeleitet werden kann, dass wir auch ihre kulturellen Praxen für gut heißen müssen; die können, wie Fraser (2003a: 38) unter Verweis auf Edward P. Thompsons (1987) Arbeiten über die Entstehung der englischen Arbeiterklasse herausstellt, etwa im familialen Bereich durchaus auch von Patriarchalismus und Autoritarismus geprägt sein - und dass dies moralisch falsch ist, ist wiederum etwas, was nur im herrschaftsfreien Diskurs aufgewiesen werden kann. In wirklichen Diskursen sind die Bedingungen der Herrschaftsfreiheit so gut wie niemals verwirklicht. Dies ändert aber nichts daran, dass der Vorgriff auf den herrschaftsfreien Diskurs in jedem tatsächlichen Gespräch den Maßstab abgibt, mittels dessen wir den wahren vom trügerischen Konsens (oder auch Dissens) unterscheiden. Als "wahr" lassen wir den Konsens gelten, von dem wir annehmen, dass er nicht durch außerargumentative Zwänge, durch Herrschaftseinflüsse verfälscht ist. Und daraus ergibt sich die Norm, Diskurse, in denen es um Wahrheits- oder Gerechtigkeitsfragen geht, so einzurichten, dass sie dem idealtypischen Konstrukt möglichst nahe kommen - wenn Demokratie noch nirgends vollständig verwirklicht wurde, folgt daraus noch lange nicht, dass man sie als Norm aufgeben sollte. Ausschließlich prozedural ist auch diese Vorgehensweise nicht. Eine Wertvoraussetzung muss auch sie machen, nämlich die, dass tatsächlich das als das Vernünftigere angesehen werden muss, was die besseren Argumente für sich hat. Nur wenn dies von allen Seiten akzeptiert wird, macht die Prozedur einen Sinn. Auf der Ebene des manifesten Bewusstseins ist es nur allzu offensichtlich, dass wir von einer universellen Akzeptanz dieser Voraussetzung keineswegs ausgehen können. Denkverbote, Diskussionsverbote, Argumentationsverbote sind hier allüberall geradezu die Regel - in "modernen" wie in "traditionellen", in "majoritären" wie in "minoritären" Kulturen. Ich gehe jedoch von der starken Vermutung aus, dass dies auf einer tieferliegenden Bewusstseinsebene (mit Antonio Gramsci - 1974 II: 1385 - zu sprechen: auf der Ebene des buon senso zum Unterschied vom senso commune) anders aussieht. Im Grunde ihres Bewusstseins wissen jedermann und jedefrau in jeder Kultur, dass vernünftig nicht das ist, was einer nur akzeptiert, weil er die Faust des Mächtigen im Nacken spürt, nicht das, was nur den derberen Stock, sondern das, was das bessere Argument für sich hat (vgl. Hauck 2003: 147ff). Sie beugen sich zwar unter Umständen dem derberen Stock, aber dann eben, wie es so treffend heißt, "wider ihr besseres Wissen". Dieses implizite Bewusstsein gilt es zu nutzen, wenn transkulturelle Verständigung stattfinden soll - und nicht nur dort, sondern in allen Diskursen, in denen es um Entscheidungen in Wahrheits- und Gerechtigkeitsfragen geht; sie alle müssen so gestaltet werden, dass den Normen der Offenheit für alle Interessierten, der gleichberechtigten Teilhabe und der Ausschaltung von außerargumentativen Zwängen genüge getan wird. Über diese Wertvoraussetzung hinaus muss ein prozeduraler oder "deontologischer" Ansatz nach Art des Fraserschen anders als Taylor keinerlei zusätzliche mehr vertreten. Er eröffnet "eine Meta-Ebene (der Beratschlagung über die Beratschlagung)" (Fraser 2003a: 65), auf der auch die Maßstäbe der Kritik selbst der kritisch-argumentativen Auseinandersetzung unterzogen werden können (s.o.). Der "kämpferische Liberalismus" Taylors dagegen muss (auch in der "gastfreundlicheren Variante", die er vertritt - Taylor 1992: 62) selbst "die Grenzlinie ziehen", und die ist unverhandelbar. Wie sie genau auszusehen hat, deutet er bestenfalls an. Konkret wird er nur in einem Punkt, bei der Unterscheidung zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten einschließlich derer zwischen Politik und Religion (ebd.). Ob er sich darüber im Klaren ist, wie sehr er sich mit dieser Vorabunterscheidung selbst dem Vorwurf aussetzt, sein angeblich "neutraler" Liberalismus sei seinerseits "tatsächlich eine Widerspiegelung einer dominanten Kultur" (ebd.: 43)? Die Grenze zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft ist die zwischen den Bereichen der Politik, des Marktes (und gegebenenfalls auch der Zivilgesellschaft) einerseits, die den Normen der demokratischen Entscheidungsfindung und des Äquivalententauschs unterworfen sind, den Bereichen des Haushalts, des Unternehmens und der Religion andererseits, die dies nicht sind. Damit sind nicht nur despotische Strukturen in den drei letztgenannten der Kritik entzogen (vgl. Kößler 1993); damit sind darüber hinaus auch die spezifisch bürgerlich-kapitalistischen Herrschaftsverhältnisse in den Bereichen der Produktion und der Reproduktion gerechtfertigt. Die Demokratie endet in der klassischen kapitalistischen Rechts- und Werteordnung vor den Fabriktoren ebenso wie vor den eigenen vier Wänden des Haushalts. Hinter den ersteren herrscht der Unternehmer kraft seines Kapitaleigentums, hinter den letzteren der Hausvater kraft des bürgerlichen Familienrechts. Die Herrschaft des Kapitaleigentümers beinhaltet sein Recht auf private Aneignung der Mehrarbeit seiner Arbeiter, die des Hausvaters sein Recht auf Aneignung der "reproduktiven" Arbeiten und Potenzen der Ehefrau. Dies alles müssen, wenn man Taylors Modell mit seiner unverhandelbaren Unterscheidung des Privaten vom Öffentlichen ernst nimmt, Gleichwertigkeitsforderungen erhebende fremde oder Minderheiten-Kulturen als Voraussetzung übernehmen, um auch nur die Chance zu erhalten, dass ihre Ansprüche ernstgenommen werden. Kann das gewollt sein? Taylors Multikulturalismus unterscheidet sich an dieser Stelle kaum von bürgerlich-kapitalistischen Alleinvertretungsansprüchen. Sicher haben die Frauenbewegung mit ihrer Parole, dass auch das Private politisch sei, und die Arbeiterbewegung mit ihren Forderungen nach Mitbestimmung in den Unternehmen Breschen in diese Mauern geschlagen (vgl. u.a. Beck 1996: 70ff, 81ff); auch religiöse Erneuerungsbewegungen bemühen sich allerorten (mit mehr oder weniger Erfolg) um Demokratisierung ihrer jeweiligen Religionsgemeinschaften. Aber eingerissen sind jene Mauern noch lange nicht. Zudem zeigen gerade die Erfolge dieser Bewegungen, von denen die einen überwiegend einer Politik der Anerkennung, die andere überwiegend einer der Umverteilung nachgingen, dass es möglich und sinnvoll sein kann, die scheinbar unabdingbaren Voraussetzungen für das Zustandekommen eines interkulturellen Diskurses in Frage zu stellen, ja mehr noch, dass ohne den Rekurs auf diese Meta-Ebene der "Debatte über die Debatte" (Fraser 2003a: 65), der kritischen Auseinandersetzung über die Maßstäbe der Kritik, der Multikulturalismus zum bloßen Schleier zu werden droht, hinter dem sich die Hegemonie der Mehrheitskultur, konkret auf die Gegenwart bezogen: der bürgerlich-kapitalistischen Herrschaftsordnung, verbirgt.

Fazit

Das scheinbar unüberwindliche Dilemma des Multikulturalismus, das darin besteht, dass nicht in den Kampf aller gegen alle mündende Interaktion zwischen den Kulturen nur dann möglich erscheint, wenn entweder die eine Seite allen anderen ihre eigenen kulturellen und ökonomischen Normen aufzwingt oder aber jedweder Lebensform Anspruch auf Tolerierung zuerkannt wird, lässt sich überwinden durch einen Ansatz, der 1. bipolar Anerkennung und Umverteilung als gleichberechtigte und ineinander verschränkte Gerechtigkeitspostulate vertritt, 2. dialogisch die normative Richtigkeit von Praxen am "eigentümlich zwanglosen Zwang des besseren Arguments" bemisst und 3. Kultur nicht in substantialistischen, sondern in prozessualen Begriffen - als Konglomerate von widersprüchlichen und sich ständig wandelnden Praxen - versteht. Die zentralen Einzelpunkte sind: 1. Der Kampf um kulturelle Anerkennung muss als eigenständige Dimension der Auseinandersetzungen um eine gerechtere Gesellschaft neben dem um materielle Gleichheit anerkannt werden. Er kann diesen weder ersetzen, noch geht er in ihm auf. Jede auf Gesellschaftsveränderung abzielende Praxis muss in beiden Dimensionen daraufhin überprüft werden, ob sie dazu beiträgt, Möglichkeiten des Zusammenlebens der Gesellschaftsmitglieder als Ebenbürtiger zu verbessern. 2. Dies bedeutet nicht, dass kulturelle Gemeinschaften per se einen Anspruch auf Schutz ihrer differenziellen Eigenart durch den Staat bzw. die Gesamtgesellschaft besäßen. Sie alle bestehen aus einer Vielzahl unterschiedlichster Praxen heterogener Herkunft, die niemals in ein logisch konsistentes System integriert sind, sondern stets Widersprüche und Ungereimtheiten enthalten; und sie alle weisen auch materielle, politisch-ökonomische Machtungleichgewichte auf. Ansprüche auf Schutz im Rahmen einer Politik der Anerkennung sind deshalb immer nur mit Bezug auf einzelne derartige Praktiken zu rechtfertigen, niemals in Bezug auf ganze "Kulturen". 3. Ob sie solchen Schutz verdienen, kann niemals monologisch entschieden werden - weder von irgendwelchen Moralphilosophen noch von den Vertretern der Mehrheitsgesellschaft noch von denen der betroffenen Minderheiten. Es kann nur in realen Dialogen zwischen den Betroffenen ausgetestet werden. Erstes Ziel dieser Dialoge muss es auf beiden Seiten sein, die Gründe verstehen zu lernen, die der jeweils anderen Seite ihre Praxis als vernünftig erscheinen lassen. So lange dies nicht geschehen ist, ist jede sich als gültig verstehende Beurteilung der jeweils anderen Seite gleichermaßen ethnozentrisch und arrogant, sowohl die Verherrlichung (klassischer Fall: "der edle Wilde") als auch die Verächtlichmachung ("der elende Wilde"). 4. Jene Gründe sind jedoch keineswegs sakrosankt. Sie müssen in Fortsetzung des Dialogs ihrerseits auf ihre Rechtfertigung hin überprüft werden in einem für alle offenen Diskurs, in dem alle gleichberechtigt sein müssen, in dem ausschließlich das bessere Argument und keinerlei außerargumentative Zwänge den Ausschlag zu geben haben und in dem keine anderen Maßstäbe der Kritik vorgegeben werden dürfen als diejenigen, auf die sich die streitenden Parteien selbst einigen können. Darüber hinausgehende inhaltliche Vorgaben können nur dazu führen, dass die mächtigere Seite - konkret auf den Multikulturalismus der Gegenwart bezogen: die bürgerlich-kapitalistische Mehrheitskultur - ihre hegemonialen Interessen durchsetzt. 5. Wenn ein solcher Diskurs auf der Ebene gesamtgesellschaftlich relevanter Entscheidungen auch nur in Annäherung eine Chance haben soll, genügt es nicht, bloß diskursintern die Norm der Herrschaftsfreiheit aufzustellen. Die gesamtgesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsverhältnisse werden in der Realität, vermittelt über Bildungsungleichheiten und die Ideologeme des senso commune, auch im Diskurs immer wieder durchschlagen. Die Forderung, die normative Richtigkeit/Gerechtigkeit von Praxen am "eigentümlich zwanglosen Zwang des besseren Arguments" zu bemessen, schließt deshalb auch die nach Abbau der gesamtgesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse - im Minimum: die Versorgung aller Gesellschaftsmitglieder mit den Primärgütern in den Bereichen von Überlebenssicherung und Anerkennung - mit ein.

Anmerkungen

(*) Für wertvolle Kritik danke ich Michael Korbmacher, den Teilnehmern der Redaktionskonferenz der PERIPHERIE am 19./20. 5. 2006 und den anonymen Gutachtern. (1) (vgl. hierzu v.a. Clifford 1988; für viele schöne Fallbeispiele vgl. Loimeier u.a. 2005; Pfaff-Czarnecka 2005). (2) Vgl. das Kapitel "Selbständigkeit und Unselbständigkeit des Selbstbewusstseins; Herrschaft und Knechtschaft" in der "Phänomenologie des Geistes" - Hegel 1991 (3) Ihm selbst ist klar, dass, was überhaupt als Leistung zählen soll, von den (alten und neuen) kapitalistischen Eliten definiert ist, die selbst davon profitieren (vgl. Honneth 2003a: 174). Nicht klar ist ihm, dass mindere Leistung selbst als ideologisches Erklärungsprinzip für systembedingte Ungerechtigkeiten wie die Entlassung ganzer Belegschaften im Fall von Firmenpleiten versagen muss. (4) Als simple Illustration solcher Koordination über Vernetzung der Handlungsfolgen statt über Aushandlungsprozesse zwischen den Beteiligten könnte der Fall dienen, dass weltweit zahllose agrarische Produzenten ihre Produktion wegen günstiger Weltmarktpreise auf z.B. Erdnüsse (oder Kaffee oder Kakao) umstellen, um dann nach der Ernte erfahren zu müssen, dass ihr Produkt nun als Folge eben dieser massenhaften Umstellung unverkäuflich geworden ist, bzw. die Preise unter die Gestehungskosten gefallen sind.

Literatur

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Aus: PERIPHERIE Nr. 103: "Kultur und Macht", 26. Jg. 2006, Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster, S. 415-433

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