Wie machen wir's uns selbst?

Wie fing es an mit der Selbstorganisation von Feministinnen im Pop? Über starke Damenkapellen und die Power informeller Netzwerke.

Die Notwendigkeit war natürlich mit dem vehementen Erstarken des Feminismus zu Beginn der 1960er Jahre, vor allem in den USA, auf einmal ganz plastisch da. In der Musik tobten die ultramaskulinen Protagonisten des "Pig Rock" sich als vermeintliche soziale Revoluzzer aus - auf Kosten von Frauen, gerne gepaart mit exotistischen rassistischen Stereotypen: man denke nur an die Rolling Stones mit frauenverachtenden Songs wie "Under My Thumb" oder "Brown Sugar". 1963 nahm Phil Spector mit der Frauenband The Crystals den Song "He hit me (and it felt like a kiss)" auf, in dem männliches Schläge-Austeilen mit Liebe geben gleich gesetzt wird. Obwohl es erheblichen Protest gab gegen die masochistische, selbstverneinende Tendenz des Songs,war er emblematisch für die Sorte von Musik, die damals von Frauen erwartet wurde.

Trip zum Mars. In Reaktion auf diese leidenden, selbstzerfleischenden Lyrics sang die Chicago WomenÂ’s Liberation Band, eine der ersten explizit feministischen Frauenbands, Anfang der 1970er Jahre die ironischen Zeilen "Punched out my dog! Totalled my van! He beat me up! I love my man!" - eine Parodie des Bildes, dem Frauen in der Musik zu entsprechen hatten. Naomi Weisstein, damals Keyboarderin der Chicago WomenÂ’s Liberation Band, erinnert sich, wie schwer es für Frauen war, in den Musikbereich überhaupt vorzudringen: "Hier ist ein kurzer geschichtlicher Abriss: Für Frauen war es schwieriger, in den RockÂ’nÂ’Roll-Bereich einzubrechen, als einen Trip zum Mars zu gewinnen - und genauso unabhängig von ihrem Talent. Bei Festivaltouren wurden keine Frauen gebucht, Labels nahmen keine Frauen unter Vertrag, und bei den Radios war auf der gesamten Playlist höchstens eine Frau."
Frauen mussten also selbst aktiv werden, um in diesen Bereichen überhaupt stattzufinden, und so kam es zur Bildung von feministischen oder bald auch lesbischen Musikkollektiven, Plattenlabels und reinen Frauenmusikfestivals. 1973 wurde zum Beispiel das erste Frauenplattenlabel überhaupt in den USA gegründet, Olivia Records, das seine erste Platte erfolgreich per Mailorder verkaufte. Im selben Jahr fand auch das erste Frauenmusikfestival statt, und zwar in Sacramento, Kalifornien an der Universität. 1974 fand dann das erste National WomenÂ’s Music Festival in Illinois statt (das es heute wieder gibt), und das Michigan WomynÂ’s Music Festival, das aufgrund seiner restriktiven "woman-born women"-Politik immer wieder umstritten ist. Das Michigan WomynÂ’s Festival wollte allerdings dort wo "viele Besucherinnen an den ‘Mutter Erde FolkÂ’ glauben und wo auch ein entsprechendes Segment des feministischen Spektrums präsent ist", besonders eine Anlaufstelle für Lesben sein, nachdem die sehr bürgerlich geprägte Betty Friedan, die Gründerin der National Organisation of Women, sich aus Sorge um den "ernsthaften" Ruf ihrer Vereinigung, zunächst von den Zielen der Lesben distanziert hatte. Diese frühen Festivals wie auch Auftritte von deutschen Frauenfolkbands wie Schneewittchen mit ihrem aus heutiger Sicht überemotionalem, folkigen Stil mit Geigen und hohem Gesang stehen im Ruch, eine "gefühlige" Form von Feminismus zu vertreten, mit der sich heute gerade jüngere Frauen nicht mehr identifizieren können. In der Zeitschrift Malmoe schrieb Dominika Krejs: "Dabei sollte aber nicht vergessen werden, dass es sich bei diesen unterschiedlichen Haltungen um einen generationsspezifischen Habitus handelt, der zwar nicht auf reine Oberfläche reduziert, sondern auch verhandelt werden sollte, aber nicht als grundlegend spaltendes Element wahrgenommen werden sollte.Wie die Chicago WomenÂ’s Liberation Band zu Beginn der 1970er Jahre ihre Bühnenperformance als Dekonstruktion von Cock-Rock-Ritualen genutzt hat, ist gar nicht so weit von dem entfernt,was Künstlerinnen wie Peaches heute mit ihren wackelnden Dildos erreicht." Naomi Weisstein erinnert sich:"We did the Kinks ‘You Really Got MeÂ’ but with a whole new set of lyrics that started with ‘Man,Â’ instead of ‘Girl,Â’and we pranced holding our ‘cocksÂ’ like Mick Jagger, or whatever rock star we found really annoying, and it would just look ridiculous. And the audience was totally into the guerilla theater of it. TheyÂ’d shriek and grab at our legs like groupies. It was so much fun, laughing at a culture that had kept us down."
Und ein weiteres Bandmitglied, Susan Abod, erinnert sich an ihre Role Model- Funktion, die sie damals schon hatten:" A lot of women came up to me after our shows and said,‘I want to do that,’ and we tried to make them understand that they could. Any of them could. And I think a lot of them did."Damit stehen sie in einer historischen Linie - bzw. ganz am Anfang dieser Linie - mit den Frauen im (Post)Punk, den Riot Grrrls und den Organisatorinnen der Ladyfeste, die versuchen, genau diese Message auszusenden.

Sisterhood in Rock. In Deutschland fand 1981 ein weiteres Frauenfestival statt, das, im Zuge der rotzigen Attitüde von Punk, schon ganz andere Töne spuckte. Hier beim Festival Venus Weltklang in Westberlin, bei dem Bands wie Malaria, die Au-Pairs,The Bloods und Liliput auftraten, wurde nicht mehr die harmonische Sisterhood betont. Bei dem selbstbetitelt ersten internationalen Frauenrockfestival, First International WomenÂ’s Rock Festival, hieß es absichtlich nicht: "Frauen können auch Rockmusik machen". Das dürfte sich mittlerweile herumgesprochen haben, obwohl die meisten Frauen erst durch Punk und die neue deutsche Welle ermutigt wurden, sich in die bislang männliche Domäne des Rockbiz vorzuwagen. Und von Nina Hagen, die von Anhängerinnen von Folkfrauenbands wie Schneewittchen ob ihrer Miniröcke und Schminke etwas misstrauisch beäugt wurde, hatte man sich folgendes Statement geliehen:" (...) anstatt am Strickstrumpf zu zappeln, sollten die Mädchen sich lieber ‘n paar Instrumente greifen und einfach loslegen, ne Damenkapelle aufmachen oder sowas!" Interessant ist es, hierbei eine Reaktion zu sehen, die sich wie ein roter Faden durchzieht und auch jetzt immer noch zu beobachten ist: trotz der oft offen oder manchmal auch nur als Subtext mitfließenden feministischen Motivationen der VeranstalterInnen hat jede Generation oder auch Welle auf ‘s Neue das Gefühl, etwas dringend Notwendiges und dabei ganz Neues auf die Beine zu stellen. Da Frauenfestivals am Rande der Gesellschaft und Aufmerksamkeit stattfinden und im kollektiven Bewusstsein daher nicht so präsent sind wie Megaereignisse wie Woodstock, gibt es hier nur so etwas wie eine geheime Geschichte, die jedes Mal staunend neu ausgegraben werden muss. Sarah McLachlan, die Veranstalterin des fahrenden Festivals Lilith Fair, das von 1997-99 stattfand und oft für seine Mainstreamlastigkeit gescholten wurde, startete ihr Unternehmen aus Frust über die Weigerung, zwei weibliche Artists hintereinander im Radio zu spielen - sicherlich nichts Neues.

Lady(Pop) Mission. Und die Ladyfeste, momentan eindeutig die prominenteste und sich am schnellsten ausbreitende Version von Frauenfestivals, greifen mit ihrer Anbindung an Riot Grrrl zwar auch auf die "Girls Night" im Rahmen der International Pop Underground Convention 1991 in Olympia zurück, entstanden aber auch aus dem Gefühl, für die Öffentlichkeit fast wieder bei Null beginnen zu müssen. Das Mission Statement, das man auf fast allen Websites ähnlich wie auf der "Ur"-Website lesen kann, lautet im Grunde immer, mehr oder weniger elaboriert:"Ladyfest is a non-profit, community-based event designed by and for women to showcase, celebrate and encourage the artistic, organizational and political work and talents of women." Die Notwendigkeit, auf diese Kreativität von Frauen hinzuweisen, ist scheinbar ungebrochen und jedes Mal wieder wie von vorne gegeben. Die Ladyfeste sind auf jeden Fall ein faszinierendes Beispiel dafür, wie feministische Selbstorganisation funktionieren kann und welche Power informelle Netzwerke und Mund-zu-Mund-Propaganda entwickeln können: Der Gedanke des ersten Ladyfestes im August 2000 in Olympia, der Heimstätte der Riot Grrrl Bewegung,war unter anderem:"Wenn euch dieses Festival gefällt, nehmt es mit nach Hause und macht selbst eines - nach eurem Gutdünken, mit euren lokalen Strukturen."Tatsächlich hat sich diese Idee ohne allzu große Medienpräsenz in feministischen Kreisen international wie ein Lauffeuer ausgebreitet - mittlerweile gibt es fast jeden Monat irgendwo auf der Erde ein Ladyfest, und zwar nicht nur im (anglophonen) Westen, sondern auch in kleinen Städten wie Timisoara in Rumänien oder in Vilnius in Litauen.
Hierbei ist aber auch eine Entwicklung zu beobachten, die typisch für alle feministischen Anstrengungen scheint: mehr und mehr Ladyfeste werden nicht unbedingt aus einem Grassroots-Kollektiv entwickelt, sondern werden von "offiziellen" Gruppen wie Universitätsgruppen oder NGOs initiiert. Einige dieser Festivals haben auch nur ein sehr dünnes Programm, das notdürftig vom Begriff Ladyfest ummantelt wird. Während es zu begrüßen ist, dass Ladyfest als Begriff so eine Publikumswirksamkeit zugeschrieben wird, dass man sich gerne damit schmückt, ist es fraglich, ob das Aufsaugen durch Institutionen dem aktivistischen und antihierarchischen Aspekt einer solchen Veranstaltung gerecht werden kann. Doch wie gesagt zeichnet sich hier auch der klassische Verlauf feministischer Bestrebungen ab: Während feministische Kräfte und aggressive, fordernde Stimmen aus der protestierenden Basis öffentlich immer seltener zu vernehmen sind, wird häufig damit argumentiert, dass viele der Ex- oder potenziellen Aktivistinnen sich heute direkt in Institutionen wie Universitäten oder auch politischen Ämtern befinden und von dort aus gemäßigt, aber auf breiterem Level agieren - es bleibt zu beobachten, ob Ähnliches auch bei den Ladyfesten zu erwarten sein wird.

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin,
www.anschlaege.at