Die Grenzen der Solidarität

Feministinnen aus Lateinamerika und der EU diskutierten auf dem Alternativen Gipfel in Wien ihre Rollen im Kampf gegen Neoliberalismus und Ausbeutung.

Der Alternativen Gipfel (EA2) in Wien war ein Erfolg, schreiben die OrganisatorInnen auf ihrer Homepage1 und führen die unerwartet hohe Zahl von 3.500 TeilnehmerInnen bei über siebzig Veranstaltungen an. Sogar EU-Ratsvorsitzender Wolfgang Schüssel war voll des Lobes. Trotzdem kam es zu keinem direkten Austausch zwischen der Präsidentschaft mit dem Alternativen Gipfel,was von BeobachterInnen beider Seiten teilweise bedauert wurde. Es gab jedoch zumindest einen Versuch eines Brückenschlags. Bereits zwei Tage vor dem offiziellen EU-Gipfel, am 9. Mai gab es im Parlament ein vom Grünen Klub initiiertes Hearing zu den sich häufenden Frauenmorden in Mexiko und Guatemala. Die Außenpolitiksprecherin der Grünen Ulrike Lunacek wollte mit dieser Veranstaltung dafür sorgen, dass "das Phänomen Frauenmorde in die Schlussdeklaration des EULAC Gipfels aufgenommen wird". So hätte in der Folge die Menschenrechtsklausel des Freihandelsabkommens zwischen EU und Mexiko aktiviert werden können. "Der offizielle Druck von EU, UNO und dem Europarat ist von immenser Bedeutung und unerlässlich, damit endlich ordentliche Untersuchungen durchgeführt werden", stellte die mexikanische Menschenrechtsanwältin Andrea Medina Rosas klar. Leider wurde es nichts mit der Erwähnung in der Schlussdeklaration des EULAC, denn "über eine allgemeine Formulierung zur Gleichstellung von Mann und Frau ging es nicht hinaus", gab sich Ulrike Lunacek sichtlich enttäuscht.

Am Alternativen Gipfel beherrschten einzelne Lichtgestalten das Bild: Friedensforscher Johan Galtung, Attac-Mitbegründerin Susan George, Politologe Elmer Altvater,Vorsitzender des Tribunals der Völker und der Gottseibeiuns der österreichischen Linken, Leo Gabriel. Die politische Hoffnung Lateinamerikas, vertreten durch die Präsidenten Evo Morales (Bolivien) und Hugo Chàvez (Venezuela), gaben sich ein Stelldichein. Es wurde gemunkelt Michele Bachelet, frischgebackene Präsidentin Chiles, sei nicht eingeladen worden, weil sie "nicht links genug" sei. Es bedarf jedoch keiner Gerüchte, sondern die Fakten sprechen für sich. Entsprechend der von neoliberaler Politik und wirtschaftlicher Ausbeutung Betroffenen, hätten Frauen aus Lateinamerika eigentlich in der Überzahl auftreten müssen. Denn "Armut ist weiblich", bestätigt Ariadne Grau von der Asociatión Servicios de Promoción Laboral (ASEPROLA/Costa Rica). Alice Ludvig hat vor dem Gipfel (siehe an.schläge 5/2006) hauptsächlich (makro)ökonomische Fragestellungen aus frauenpolitischer Sicht beleuchtet. In der Nachschau wird deutlich, dass die Themen von weniger globalem Format waren, aber umso universelleren Anspruch hatten."Es muss bereits in der Vorbereitung von Veranstaltungen dieser Art darauf geachtet werden, eine Verhältnismäßigkeit zwischen RepräsentantInnen und Diskussionsinhalten herzustellen", kritisiert Christina Buder von der Frauensolidarität und Mitorganisatorin des Workshops "Feministische Interventionen", "Tatsache ist, dass Frauen zentral sind als Betroffene und als Aktivistinnen gegen den Neoliberalismus. Im letzten Augenblick zu fragen, wo die Frauen sind, zeigt von fehlendem Bewusstsein. Die alten linken Patriarchen haben das Geschehen bestimmt, die Jungen konnten oder wollten dem nichts entgegensetzen".

Die österreichischen Organisatorinnen, ein Frauenkollektiv bestehend aus den an.schlägen, der Frauensolidarität, Lefö2 und Frauen der KPÖ sowie SJ, wollten mit ihrem Beitrag nicht nur Quotenfrauen sein, sondern lieferten mit "Feministische Interventionen" eine wichtige Gelegenheit, bei der sich Feministinnen aus Lateinamerika und Europa über frauenpolitische Analysen und Lösungen des Neoliberalismus austauschen konnten. Im Folgenden sind die wichtigsten Diskussionspunkte zusammengefasst: Cristina Boidi (Argentinien/Österreich, Lefö Mitarbeiterin) sah einen gemeinsamen Nenner für die Frauenbewegungen hüben wie drüben in der Migration. Alle Frauen seien vom neoliberalen Dogma betroffen. Frauen, die von Südamerika nach Europa immigrierten, würden aber mehrfach ausgebeutet. Zuerst vom frauenfeindlichen System der Arbeitsteilung in ihrer Heimat, danach in Europa als billige Arbeitskraft, ohne soziale Sicherheit oder Aussicht für sich selbst ein wirtschaftliches Fundament schaffen zu können. Europäische Frauen seien nicht gleichberechtigt aber gleichzeitig Teil des ausbeuterischen Systems in dem sie von billiger Schwarzarbeit der Migrantinnen profitierten. Migrantinnen würden darüber hinaus Devisen in den Süden bringen und wiederum ein System stützen, das Frauen ausbeute. Diese Zusammenhänge würden die sexistische, rassistische Struktur der staatlichen Systeme widerspiegeln. "Die Frauenbewegungen müssen dagegen gemeinsame Strategien entwickeln!", fordert Boidi. Betty Puerto Parrera von der Organización Femenina Popular (OFP) aus Kolumbien erklärt wie ihre seit 33 Jahren existierende Organisation trotz zahlloser Versuche, auch von offizieller Seite, sie zum Schweigen zu bringen, bestehen konnte. Da es keine ökonomischen oder sozialrechtlichen Ressourcen gibt, entwickelten die Frauen Alternativen, die Schritt für Schritt das soziale Gefüge der Zivilgesellschaft stärkte und somit zur Hilfe für Selbsthilfe wurde. Volksküchen und -märkte halfen gegen Geldknappheit; Traditionelle Medizin wurde im Kampf gegen ausbeuterische Pharmaorganisationen gelehrt; Bildungsprogramme wurden ein Mittel gegen familiäre und staatliche Gewalt. Die Frauen der OFP seien darüber hinaus Akteurinnen im Friedensprozess und kämpften gegen den Raubbau an ihren lebenswichtigen Ressourcen. Parrera kritisierte die EU, den Widerstand durch ihre Entwicklungshilfemaßnahmen zu unterminieren und forderte eine stärkere Zusammenarbeit der Frauenbewegungen zwischen Nord und Süd. Adriane Grau von ASEPROLA, Costa Rica, erklärte, die Ursachen für die Feminisierung der Armut lägen in der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und der Ausgestaltung von Frauenarbeitsplätzen. Ihre Organisation lieferte mit dem Schwerpunkt "Flexibilisierung der Arbeit" den anderen von insgesamt zwei frauenpolitischen Beiträgen am EA2.

Für die Aktivistinnen in Lateinamerika waren und sind der Austausch und die Vernetzung zwischen den Frauenbewegungen beider Kontinente nicht nur für sie persönlich wichtig. Solche Allianzen bergen Ressourcen und verschaffen den Aktivistinnen Vorteile gegenüber ihren politischen EntscheidungsträgerInnen. Deshalb beschlossen die Organisatorinnen und TeilnehmerInnen des Workshops eine Deklaration zu verfassen, in der ihre Kritik an der fehlenden qualitativen und quantitativen Repräsentanz von Frauen zum Ausdruck kommen sollte. Frauen sind, so die Deklaration3, maßgeblich Betroffene und,was noch deutlicher betont wurde, Akteurinnen im Kampf gegen Militarisierung und Ausbeutung des Südens durch europäische transnationale Konzerne, Freihandelsabkommen und die negativen Ursachen und Folgen der Migration. Sie kennen und bekämpfen die Ursachen der Frauenarmut und strukturellen Gewalt, die sexuelle Ausbeutung und Mord provozieren. Aber wie wichtig ist so ein Abschlusspapier eigentlich? Christina Buder ist der festen Überzeugung,"es ist für unsere Freundinnen und Kolleginnen in Lateinamerika unbedingt wichtig. Dort legt man viel Wert auf offizielle Stellungnahmen und Papers. Sie dienen als Argumentationsfundament und Legitimation. Auf diese Weise können Solidarität und Unterstützung erreicht werden." Das Entscheidende sei, so Cristina Boidi,"das Sichtbarmachen unserer speziellen Betroffenheit als Frauen in einem patriarchalen System. Wir müssen uns gegen die Unsichtbarkeit, in der wir immer wieder zu verschwinden drohen, wehren."

1 www.alternativas.at
2 Verein Lefö - Beratung, Bildung
und Begleitung für Migrantinnen,
www.lefoe.at
3 www.frauensolidaritaet.org

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin,
www.anschlaege.at