Rifondazione Comunista in der Regierungs-Sackgasse

Beim 6. Parteitag der Rifondazione Comunista (März 2005) schlug Bertinotti der Partei ein Wahlbündnis mit der Mitte-Links-Koalition vor. Die Partei sollte nach dem Wahlsieg 2006 dann mitregieren.


Beim 6. Parteitag der Rifondazione Comunista, der im März 2005 in Venedig stattfand, schlug Fausto Bertinotti der Partei ein Wahlbündnis mit der Mitte-Links-Koalition vor. Die Partei sollte nach dem Wahlsieg 2006 dann mitregieren.

Bertinottis Argumentation basierte im Wesentlichen auf zwei Voraussetzungen. Einerseits behauptete er, die Krise des neoliberalen Zyklus, die in der ganzen kapitalistischen Welt seit Mitte der 70er Jahre wütete und die materielle Grundlage der sogenannten Globalisierung bildete, verfestige sich. Dieses Krise hatte schließlich die Dogmen der Chicago Boys in Frage gestellt, welche sich auch die mit der Europäischen Sozialistischen Partei verbundene „gemäßigte Linke“ lange zueigen gemacht hatte, was diesen sozialdemokratischen Kräften schließlich ein liberales oder bestenfalls sozialliberales Profil verlieh. Jetzt schienen die Linksdemokraten über ihre Irrtümer nachzudenken.Andrerseits hatte seit den Tagen von Seattle 1999 – als zum erstenmal die G8 herausgefordert wurden – ein neues historisches Subjekt die internationale politische Bühne betreten, die Antiglobalisierungsbewegung oder „Bewegung der Bewegungen“, um mit Bertinotti zu sprechen. In Italien war diese Bewegung besonders stark geworden. Sie hatte 2001 in Genua die harte Erfahrung polizeilicher Repression durchgemacht und sich nach dem Krieg gegen den Irak in eine eindrucksvolle pazifistische Bewegung verwandelt, die monatelang mit enormen Massendemonstrationen die Szene beherrschte und ein beachtliches politische Gewicht gewann. Im Druck „von unten“ durch diese Bewegung sah Bertinotti die entscheidende Kraft, die Rifondazione helfen würde, die künftige Regierung nach links zu drängen und die Widerstände der gemäßigteren Parteien der Koalition zu überwinden.

Um ein Mitte-Links-Bündnis zu unterstützen, hätte es freilich ausgereicht, auf die von Silvio Berlusconi und der Casa delle libertà ausgehenden Gefahren zu verweisen. In fünf Jahren hat die Berlusconi-Regierung Italien zugrunde gewirtschaftet, hat die Steuerflucht begünstigt, eine äußerst volksfeindliche Politik betrieben und sich fast täglich mit den Gewerkschaften angelegt. Berlusconi hat darüber hinaus enthusiastisch die Politik von Bush jr. unterstützt und damit die traditionelle proeuropäische und multilaterale Außenpolitik Italiens aufgegeben. Was die Nahostpolitik angeht, hat Italien sich nicht nur den Positionen Israels angenähert und damit die jahrzehntelange Freundschaft mit den Palästinensern missachtet, sondern sich auch für die Entsendung von Soldaten in den Irak entschieden, im offenen Widerspruch zum Geist unserer Verfassung. Schließlich stellte Berlusconi einen Krisenfaktor für die italienische Demokratie dar, da seine intensive Kontrolle über die Massenkommunikationsmittel und sein maßloser Reichtum ihm die Manipulation der öffentlichen Meinung leicht machten.

Die Wirtschaftskrise traf besonders die Volksklassen, deren materielle Bedingungen sich erheblich verschlechterten. Die Wut auf Berlusconi war deshalb sehr stark, vor allem bei den traditionell mit der Linken verbundenen abhängig Beschäftigten. Unter diesen Bedingungen konnte Rifondazione unmöglich allein kandidieren, wie 2001, und damit erneut Berlusconi siegen lassen: sich von der Mitte-Links-Koalition zu isolieren hätte geheißen, sich vom linken Volk zu isolieren und somit einen regelrechten politischen Selbstmord zu begehen. Aber jetzt, in dieser neuen Lage – Bertinotti war sich dessen bewusst – ging es nicht mehr nur um ein einfaches Wahlbündnis gegen die Rechten, sondern um die Beteiligung an einer Koalitionsregierung. Eine solche Entscheidung ist immer schwierig für eine kommunistische Partei, die die Bedingungen der Umsetz- barkeit einer solchen Option im Rahmen einer bürgerlichen Demokratie genauestens abwägen muss. Und sie ist noch schwieriger für eine Partei wie Rifondazione, die Unterstützung schon seit vielen Jahren in den sozialen Bewegungen und höchstens im Lager des Maximalismus suchte; eine Partei, die den Anspruch erhob, ehrgeizige Bestrebungen zu verkörpern („Eine andere Welt ist möglich“ war die Losung der Antiglobalisierungsbewegung, die sich Rifondazione zu eigen gemacht hatte) und die kompromisslos prinzipielle Positionen vertrat (nur eine Losung als Beispiel: „Nein zu allen Kriegen, ohne Wenn und Aber“).

Die einzige Möglichkeit, einer Partei, deren aktive Mitgliedschaft seit langem auf „Brot und Maximalismus“ eingeschworen worden war, die Regierungsbeteiligung schmackhaft zu machen, bestand darin, daran rhetorisch hohe Erwartungen zu knüpfen; zu suggerieren, eine Koalitionsregierung von sehr unterschiedlichen Kräften, und damit notgedrungen der Kompromisse, könnte wunderbarerweise eine wirkliche Wende bringen („Cambia il vento“, „Der Wind dreht sich“, war die Losung des nationalen Fests von Rifondazione schon im Sommer 2004), könnte damit geradewegs die Bedingungen für eine gesellschaftliche und politische Alternative schaffen („Eine gesellschaftliche Alternative“ war nicht zufällig der Titel der Rede Bertinottis in Venedig). Wäre also eine wenn nicht antikapitalistische, so doch anti-neoliberale Regierung. Außerdem hätte eine Regierungsbeteiligung mit dem einzigen Ziel, sich Berlusconi entgegenzustellen, Bertinottis ehemaligem Mentor Armando Cossutta recht gegeben. Dieser hatte nämlich 1998 die Rifondazione gespalten und die PdCI gebildet, um den Sturz einer mittelmäßigen Mitte-Links-Regierung unter Führung von Massimo D'Alema (DS) und den Sieg der Casa delle Libertà zu verhindern. Zu diesem Zweck ging Cossutta sogar soweit, obwohl schweren Herzens, die Beteiligung Italiens am Krieg der Nato gegen das Jugoslawien Milosevics zu tolerieren.

Man musste kein Prophet sein um zu sehen, dass Bertinottis Darstellung der Perspektiven von Rifondazione und der Mitte-Links-Koalition höchst problematisch war. Sie beruhte, typisch für die politische Kultur eines ehemaligen Gewerkschaftsführers, dem der historische Materialismus immer fremd geblieben ist, auf einer oberflächlichen und völlig verfehlten Analyse der historischen Lage. Die kommunistische Bewegung ist nämlich weit davon entfernt, eine Krise des internationalen neoliberalen Zyklus feststellen und zur Offensive übergehen zu können, befindet sich vielmehr immer noch in einer Phase des Rückzugs und der Defensive. Die Ende der 1980er Jahre erlittene Niederlage war eine historische Niederlage, vergleichbar der Restauration von 1815 oder der Niederlage der europäischen Revolutionen von 1848. Sie wird noch viele Jahre des Bemühens um die Wiedergewinnung einer antikapitalistischen Perspektive erfordern. Dabei muss vor allem der Zusammenhang mit den internationaler Veränderungen (ich denke dabei vor allem an Lateinamerika und China) hergestellt werden. Sowohl ökonomisch wie politisch (vom Militärischen ganz zu schweigen) war die von den USA geführte bürgerlich-kapitalistische Welt noch nie so stark wie heute. In diesem Sinne kann die Welle sozialer und politischer Bewegungen seit 1999 im Westen nicht als der Beginn eines neuen Zyklus von Kämpfen verstanden werden (die Bertinotti zufolge zur endgültigen Überwindung der politischen, organisatorischen und ideologischen Formen der Linken des 20. Jahrhunderts führen müsste); sie ist eher ein letztes Aufflackern der Kämpfe des vorangegangenen Zyklus, ein verzweifelte, aber notwendige Demonstration des Widerstands (ganz anders, und sehr tiefer und struktureller, sind die in Lateinamerika geschehen Veränderungen).

Die falsche Analyse der historischen Situation verhinderte von Anfang an das ernsthafte Nachdenken über die Bedingungen einer Regierungsbeteiligung von Kommunisten und über die generelle Rolle ihrer Partei in der heutigen kapitalistischen Welt. Rifondazione traf mit Mitte-Links eine „Katze im Sack“-Über- einkunft, weil sie nicht durch ein vorheriges gemeinsames Programm vorbereitet wurde, in dem man die Minimalziele, die gemeinsam durchgesetzt werden sollten, klar benannte, und das gefährliche Illusionen verhindert hätte. Die Rifondazione-Minderheit hatte in Venedig vergeblich ein rigoroses Programm mit klaren „Pflöcken“ gefordert. Ohne solche Bezugspunkte musste das Risiko eines prinzipienlosen Abdriftens ins „Mitregieren“, das Rifondazione zwingen würde, volksfeindliche Maßnahmen zu unterstützen, sehr groß sein. Beim Parteitag von Venedig entschied sich Bertinotti, obwohl die Parteiopposition 41 Prozent erreichte, für eine gravierende Verletzung der innerparteilichen Demokratie und ließ das Parteistatut von der Mehrheit handstreichartig ändern. Danach veränderte er die Führungsorgane der Partei zugunsten der Mehrheit und verfügte die eiserne militärische Gleichschaltung der Partei, die zur rigorosen Auswahl der PRC-Wahlkandidaten führte und die Minderheiten fast völlig ausschloss, um jeglichem Dissens vorzubeugen.

Das Abkommen zwischen Rifondazione und den Bündnispartnern von Mitte-Links wurde durch die Nominierung von Bertinotti zum Präsidenten der Abgeordnetenkammer besiegelt. Diese Nominierung führte zur Verringerung der Anzahl der Rifondazione-Minister im Kabinett von Romano Prodi (lediglich Paolo Ferrero, der das relativ unwichtige und finanziell kärglich ausgestattete Sozialministerium leitet, gehört der PRC an), war aber nötig als Garantie für die Loyalität der PRC für die gesamte Legislaturperiode. Schon wenige Monate nach dem knappen Wahlsieg über Berlusconi und seine Verbündeten wurden die düsteren Prognosen der PRC-Minderheit voll bestätigt. Rifondazione steckt heute in einer der tiefsten Krisen ihrer Geschichte. Zwar steht vielleicht nicht die Existenz der Partei auf dem Spiel (auch wenn sie bei den Regionalwahlen in Molise ihre Stimmen halbiert hat), wohl aber ihre Daseinsberechtigung als kommunistisch inspirierte Kraft. Gezwungen, die Regierung zu unterstützen, auch wenn diese volksfeindliche Entscheidungen trifft, ist Rifondazione in Widerspruch zu ihrer eigenen Wählerbasis geraten und wird jetzt auch von links herausgefordert. Der eklatanteste Ausdruck dieser Unzufriedenheit waren die Proteste, mit denen Bertinotti am 26. März 2007 bei einer Tagung an der Universität La Sapienza in Rom von einer kleinen Gruppe der radikalen Linken empfangen wurde. Diesen Protesten gingen jedoch viel gewichtigere Arbeiterproteste gegen die nationalen Gewerkschaftsführungen, die der CGIL eingeschlossen (die den Kommunisten nahesteht), im FIAT-Werk Mirafiori voraus. Seither ist das Bewusstsein der Krise auch im aktiven Kader der Partei gewachsen.

Die jüngste Krise der Regierung Prodi ist ein getreuer Spiegel dieser Schwierigkeiten. Von Anfang an gab es heftigen „zentristischen“ Druck mit dem Ziel, das „moderate“ Lager zu stärken und dabei auch durch die Kooptierung einzelner Parlamentarier der Opposition oder ganzer parlamentarischer Gruppen (insbesondere der UDC) die Zusammensetzung der Regierungsmehrheit zu verändern. Nach Monaten aufgeregter Nervosität stürzte Prodi am 21. Februar, wahrscheinlich aufgrund eines geschickten gemeinsamen Manövers der US-Regierung, des Vatikans und des Unternehmerverbands Confindustria: ihm fehlten die entscheidenden Stimmen der Senatoren auf Lebenszeit Cossiga, Andreotti und Pinifarina, während die Stimmenthaltung des trotzkistischen Rifondazione-Senators Turigliatto (der sofort aus der Partei ausgeschlossen wurde) und von Senator Rossi (der für die PdCI kandidiert, diese aber schon zuvor verlassen hatte) keinerlei Einfluss auf den Ausgang hatte. Dies bedeutet nicht, dass die Regierung Prodi eine Regierung mit linkem Übergewicht wäre, in der Lage, fortschrittliche anti-neoliberale Strategien zu verfolgen, wie die PRC-Führer behaupten. Sie war aber aus der Sicht jener – von Zeitungen wie dem „Corriere della sera“ und „il Sole 24 ore“ unterstützten – „starken Kräfte“ eine nicht genügend wirtschaftsliberale und proatlantische Regierung: die Präsenz von Rifon- dazione und der radikalen Linken verhinderte einige Entscheidungen oder schwächte sie ab, die diese Kräfte für strategisch wichtig hielten (insbesondere erschwerten die Linkskräfte die Unterstützung Italiens für die Nato in Afghanistan, wandten sich gegen die Einmischung der kirchlichen Hierarchie in die italienische Politik, verhinderten die Konterreform des Rentensystems und drängten erfolgreich auf die Senkung staatlicher Subventionen für private Unternehmen). Die Regierung wurde also von rechts angegriffen, weil sie nicht genügend stark und fähig ist, die Interessen der USA, der katholischen Kirche und des Großkapitals durchzusetzen. Diese Kräfte wollen eine umfassende Umgestaltung des italienischen politischen Systems, gestützt auf ein gemäßigtes Zentrum und fähig, den linken Parlamentsflügel auszuschalten, um so einen breiten Konsens für eine neues Stadium neoliberaler und imperialistischer Politik zu garantieren.

Kein Manöver aber hätte Erfolgschancen gehabt, hätte es nicht objektive Bedingungen und reale Widersprüche innerhalb der Regierung und des nationalen politischen Gefüges ausnutzen können.

1. Die Mitte-Links-Koalition hat die Wahlen von 2006 nicht wirklich gewonnen, sondern hat im wesentlichen nur ein Patt erreicht, das ihr keine Mehrheit im Senat liefert.
2. Italien ist in Wirklichkeit in zwei soziale und wahlpolitische Blöcke gespalten: ein Regierungsantritt von Mitte-Rechts hätte tendenziell eine Mehrheit und stünde in der Kontinuität mit der traditionell konservativen Ausrichtung eines Landes, das 20 Jahre Faschismus und 50 Jahre christdemokratischer Herrschaft hinter sich hat.
3. Innerhalb der Regierung gab es, in Hinblick auf die Außenpolitik ebenso wie die Wirtschaftspolitik und die Bürgerrechte (vor allem nichtehelicher Lebensgemeinschaften und homosexueller Paare) Positionen, die sich nicht nur im Detail, sondern auch im Grundsätzlichen unterschieden. In zahllosen Fragen können die PRC und die radikale Linke einerseits, die DS und die Margherita andrerseits zwar ehrenwerte unmittelbare Kompromisse finden, sind ihre Positionen auf lange Sicht aber kaum zu vereinbaren.
4. Objektive Widersprüche existierten auch zwischen der Regierung in ihrer Gesamtheit und ihrer Wählerbasis. Die Unzufriedenheit mit dem Haushalt für 2007, der die reale Umverteilung der Einkommen, die von den Massen nach fünf Jahren Berlusconi-Regierung erwartet wurde, aber nicht gebracht hat, ist offensichtlich und auch unter den Anhängern der Mitte-Links-Koalition verbreitet. Und obwohl die Prodi-Regierung weniger UShörig als die Berlusconis ist, hat die Ablehnung einiger wichtiger außenpolitischer Entscheidungen Prodis (Afghanistan, Verdopplung der US-Militärbasis von Vicenza) in Italien Massencharakter.

Als die Regierung stürzte, wurde Rifondazione von ihren Verbündeten sofort beschuldigt, aufgrund ihrer extremistischen Forderungen die Krise verursacht zu haben. Doch die PRC hatte bis zu diesem Augenblick die dicksten Kröten geschluckt, nur um Prodi zu halten. Angesichts eines medialen Trommelfeuers und der Gefahr der Isolierung unternahm die Parteiführung verständlicherweise alles, um Prodi wieder in den Sessel zu heben. Der politische Überlebensinstinkt lässt Rifondazione unter den neuen Bedingungen sogar eine Ausweitung der Regierungsmehrheit zur Mitte hin durch die Kooptation der UDC als möglich erscheinen. Das Manöver, das zur Krise der Prodi-Regierung führte, hat somit angesichts dessen, dass die Regierung sofort aus ihrer Asche wieder auferstanden ist, zwar seinen Hauptzweck verfehlt, aber zumindest ein Minimalziel erreicht: die Achse der Koalition wurde deutlich nach rechts verschoben, der linke Flügel geschwächt. Rifondazione und die radikale Linke müssen von nun an sich mit jeglicher Äußerung von Dissens zurückhalten, um eine neue Regierungskrise und die Rückkehr Berlusconis zu vermeiden. Diese Drift nach rechts wird von den „12 Punkten“ der neuen Prodi-Regierung bestätigt. Sie sind ein regelrechtes neues Programm, das eine Reihe neoliberaler Maßnahmen umfasst, wäh- rend es alle Vorschläge der radikalen Linken übergeht. Der Ministerpräsident behält sich zudem vor, über alle Fragen, in denen sich die Koalitionsparteien nicht einigen können, souverän zu entscheiden.

Der Chefredakteur von „il manifesto“, Gabriele Polo, kommentierte diese Situation so:
„Prodis Dodekalog zeigt eine Verschiebung des Regierungshandelns nach rechts an: es ist kein Zufall, dass sich für Fragen der Arbeitswelt keinerlei Platz in diesen zwölf Punkten gefunden hat. Die Linke geht aus der Krise geprügelt (und weit über ihre Verantwortung hinaus beschuldigt) hervor; der zur Mitte hin ausgeworfene Rettungsanker wird die Durchsetzungsfähigkeit, die Rifondazione bis heute hatte, drastisch vermindern [...] Die Bewegungen werden immer mehr erpresst werden und dabei Gefahr laufen, sich zur ‚Schadensbegrenzung’ selbst zu zensieren. Und während sich ein ähnlich düsteres Szenario abzeichnet, redet der Papst immer häufiger so, als ob er der Staatspräsident wäre, machen die Kriege Fortschritte und nähert sich das Grollen neuer Konflikte im Osten, bemühen sich die extreme Rechte und die Fußballfans darum, der sozialen Unzufriedenheit Ausdruck zu verleihen.”

Trotz der Verschlechterung des politischen und sozialen Kräfteverhältnisses bleibt Rifondazione unter diesen Bedingungen nichts anderes übrig, als die Regierung, koste es was es wolle, zu unterstützen; alles andere wäre ihr politisches Ende. Das ist der offenkundige Bankrott der in Venedig beschlossenen Linie, mit der die Partei sich in die Sackgasse manövriert hat. Lässt sie die Regierung stürzen, wird sie von ihren Verbündeten massakriert, und auch viele ihrer Wähler könnten das nicht verstehen, da sie ihr die Verantwortung für die Rückkehr Berlusconis zuschieben würden. Überlebt Rifondazione, wird sie ihr eigenes Wahlprogramm missachten müssen, das eine klare Abkehr von der Politik Berlusconis versprochen hatte, und wird nurmehr eine Krücke für die „gemäßigt“ neoliberale Politik Prodis sein. Schließlich wird Rifondazione ihre eigene Daseinsberechtigung in Frage gestellt haben: als alternative Kraft wird sie nicht mehr glaubwürdig sein, man wird sie lediglich als eine Partei wie andere wahrnehmen.

Zum Schaden scheint noch der Spott zu kommen. Ungeachtet des zur Schau getragenen Optimismus hat sich die Regierung Prodi nicht von ihren inneren Widersprüchen befreien können und wird daher von vielen Beobachtern als lebender Leichnam betrachtet. Lediglich dank der Schwächen und Spaltungen der Mitte-Rechts-Opposition – die sich weder über eine gemeinsame Strategie noch über ihre Führung einig ist –, hält sie sich noch auf den Beinen. Rifondazione läuft deshalb Gefahr, der einzige tapfere Paladin einer totgeborenen Regierung zu sein. In Wirklichkeit denken schon alle politischen Kräfte an die Nach-Prodi-Zeit und setzen bereits auf ein neues Wahlgesetz, das künftigen Regierungen mehr Stabilität verleiht. Debattiert wird über die Auflösung des gegenwärtigen politischen Gefüges und die Überwindung des bipolaren Systems mittels eines Mechanismus, der die Formierung einer politischen Kraft der Mitte erlaubt, die fähig ist,Verbündete sowohl rechts als auch bei der gemäßigten Linken zu finden, unter Ausschluss der äußersten Linken. Da das Ende des Bipolarismus die Entfernung von Rifondazione aus dem politischen Spiel bedeuten würde, könnte die PRC bald gezwungen sein, um dieses Manöver zu konterkarieren, auf die Verteidigung des Verhältniswahlrechts zu verzichten (das eine Grundlage der modernen Demokratie ist). Damit würde sie sich zur starren Rolle des linken Flügels einer Mitte-Links-Koalition verurteilen, sich als ewige Regierungspartei sehen und einen Wechsel in die Opposition von vornherein ausschließen, es sei denn im Falle eines klaren Siegs von Mitte-Rechts.

Was müsste Rifondazione heute tun, um sich aus dieser Notlage zu befreien, die sie zu vernichten droht? Auf keinen Fall darf sie so tun, als sei nichts geschehen, und die Regierung Prodi weiterhin unkritisch unterstützen. Nachdem sie den Kopf lange Zeit in den Sand gesteckt hatte, denkt die Partei jetzt intensiv nach und melden sich die ersten kritischen Stimmen zu Wort, vor allem die einiger Parlamentarier der Minderheit, wie die prominenten Vertreter der leninistischen Strömung „l’Ernesto“ Fosco Giannini und Gianluigi Pegolo.Während ein anderer Vertreter dieser Strömung, Claudio Grassi, sich der Regierungslinie der Mehrheit anzunähern scheint, drängen Giannini und Pegolo darauf, die Partei wieder an die gesellschaftlichen Konflikte heranzuführen. Eine Radikalisierung der Bewegungen und der sozialen Kämpfe könnte für Rifondazione tatsächlich eine Lösung sein, denn dadurch würde sie ihre konstruktive Potenz stärken und könnte sie dazu nutzen, um Prodi immer stärker zu bedrängen. Dann wäre es an den jetzigen Verbündeten, sie aus der Regierung auszuschließen und durch eine andere Partei zu ersetzen; diese würden damit das tun, was die PRC jetzt nicht tun kann, und würden so die Kastanien für sie aus dem Feuer holen. Rifondazione würde damit ihre natürlichen Standort als Opposition wieder einnehmen, in Einklang mit ihrer sozialen Basis, und damit verhindern, dass der soziale Protest nach rechts ausschlägt.

Die Gelegenheit zu diesen Überlegungen bot vor kurzem eine Organisationskonferenz der Partei, die in Wirklichkeit zu einer Art außerordentlichem Parteitag wurde insofern, als sie sich notwendigerweise mit der strategischen Orientierung der PRC beschäftigen musste. Seit einiger Zeit schon hatte Bertinotti begonnen, die Idee der „Europäischen Linken“ in die Praxis umzusetzen, indem er sich im Straßburger Parlament mit einigen Parteien aus der GUE-Gruppe verband. Es handelt sich dabei um ein verschwommenes Projekt, das von Bertinotti als notwendige „Öffnung“ der Partei gegenüber antikapitalistischen Kräften nichtkommunistischen Zuschnitts und als ebenso notwendige internationale Verankerung von Rifondazione präsentiert wird. Diese Initiative hat aber mehr zur Spaltung als zur Einigung beigetragen. Viele Parteien aus verschiedenen europäischen Ländern haben sie nicht unterstützt und auch innerhalb der Rifondazione selbst gibt es nicht wenige, die vermuten, dass die Europäische Linke – von ihrem neuen Sekretär Franco Giordano manchmal als Konföderation, manchmal als „neues politisches Subjekt“ apostrophiert – vor allem ein Weg sein soll, um sich „auf die sanfte Tour“ und schrittweise aus der kommunistischen Geschichte und ihrer Symbolik davonzustehlen. Dieses Projekt hat sich in jüngster Zeit überdies gekreuzt mit Bemühungen der DS, der größeren Linkspartei. Die DS sind dabei, mit den ehemaligen Christdemokraten der Margherita zu fusionieren, eine Demokratische Partei ins Leben zu rufen und die Europäische Sozialistische Partei zu verlassen. Die Euthanasie der italienischen Sozialdemokratie und deren Umwandlung in einen liberal-demokratischen Zwitter bringt eine Verschiebung des gesamten italienischen Parteiensystems nach rechts, zur „Mitte“ hin, mit sich. Rifondazione wird dadurch gedrängt, ebenfalls immer gemäßigtere Positionen einzunehmen. Nicht zufällig scheint das – schon für sich genommen sehr moderate – Projekt einer „Europäischen Linken“ bereits überholt zu sein angesichts der Überlegungen Bertinottis, zusammen mit dem Minister Fabio Mussi und anderen DS-Überläufern eine Art „sozialistischer Neugründung“ (rifondazione socialista) zu bilden, der dann jegliches antikapitalistische Merkmal abgeht.

Die Gefahren dieser Mutation liegen auf der Hand. Über die Änderung des Namens und der Symbole hinaus, die für sich genommen schon von Bedeutung sind, strebt Rifondazione nach einer stabilen Rolle als Regierungspartei. Das heißt, sie will sich voll ins politische System Italiens integrieren und damit auf jegliche Perspektive einer gesellschaftlichen Umgestaltung, die mehr als rein deklamatorischen Charakter hat, verzichten. Damit würde die kommunistische Idee in Italien zu Grabe getragen: tatsächlich steht die Existenz und politische Präsenz einer eigenständigen kommunistischen Kraft auf dem Spiel.

Dieses Geschehen ist großenteils die Folge dessen, dass das politische System Italiens sich nach dem Untergang der großen Massenparteien am Ende des Kalten Krieges und dem Entstehen der sogenannten Zweiten Republik bis heute nicht wieder stabilisieren konnte. Das ist im Übrigen nicht verwunderlich, wenn man sich die chronische Schwäche der italienischen Bourgeoisie vor Augen hält, die ungeachtet aller Veränderungen sich immer noch jene „lumpenartigen“ Züge erhalten hat, die seinerzeit von Antonio Gramsci so meisterlich herausgearbeitet wurden.Vor allem aber ist es Ausdruck der Schwäche einer Partei, Rifondazione Comunista, die sich von Anfang an schwer tat, ihre Identität zu bestimmen. Hervorgegangen aus der Fusion von sehr unterschiedlichen Kräften (die aus der früheren PCI kamen, aber auch der Neuen Linken der 70er Jahre), war sie, ungeachtet ihres Namens, nie fähig zu einer wirklichen „rifondazione“, d. h. Neu(be)gründung der kommunistischen Theorie und politischen Praxis. Sie hat sich deshalb schwankend vorwärts bewegt, in Sprüngen und Beschleunigungen, die zumeist von ihrer charismatischen Führung diktiert wurden, ohne Massenverankerung (vor allem in der Arbeitswelt) und ohne eine wissenschaftlich begründete Analyse der konkreten historischen Bedingungen. Rifondazione hat sich deshalb vor allem durch ihre Neigung zu einem abstrakten „nuovismo“, d. h. zum Neuen um des Neuen willen, und zum ideologischen Abschwören hervorgetan; bis hin zum Bruch mit allen Bindungen zur Erfahrung des Kommunismus des 20. Jahrhunderts. In unterschiedlichen Abschnitten ihrer eigenen kurzen Geschichte hat sie das Ende der Parteiform gepredigt, die Ablehnung der Eroberung der politischen Macht, die Veraltetheit des Leninismus und der Imperialismuskonzeption; schließlich wurde das Bekenntnis zu Gandhis Theorie der Gewaltlosigkeit als großartige Innovation verkündet.

Angesichts der äußerst komplizierten Bedingungen, denen sich die Kommunisten in einer Phase, die von der umfassenden Offensive der herrschenden Klassen gekennzeichnet ist, überall in Europa konfrontiert sehen, war mit einem vollen Erfolg der Rifondazione Comunista wohl kaum zu rechnen. Aber man durfte doch immerhin hoffen, dass eine authentische Neugründung versucht wird, wie sie der großen Geschichte der kommunistischen Bewegung in Italien und den Aufgaben der Gegenwart gemäß wäre.

Aus dem Italienischen von Hermann Kopp.

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