Banden bekämpfen

Die Kriegsverbrechen deutscher SS-Truppen in Italien bleiben ungesühnt

"(...) Bei den geringsten Anzeichen einer aufrührerischen deutschfeindlichen Betätigung oder Gesinnung, und sei es nur in Form von Gesten (bolschewistischer Gruß oder ähnliches) oder Schmährufen, erwarte ich schärfstes und schonungsloses Eingreifen aller deutschen und italienischen SS- und Polizeieinheiten. Ich werde gegebenenfalls jeden Führer decken, der in Befolgung dieses Befehls in der Wahl und der Schärfe des Mittels über das bei uns übliche zurückhaltende Maß hinausgeht. (...)" Befehl von Bürger, Oberst der Polizei in Mittelitalien Der Befehl von SS-Oberführer Bürger ist einer von vielen ähnlich lautenden Befehlen aus dem Jahr 1944, die an die im besetzten Italien stationierten deutschen Wehrmachtstruppen adressiert waren. Sie dokumentieren, dass der so genannte "Bandenbekämpfungsbefehl" Adolf Hitlers vom 16. Dezember 1942, der ursprünglich zur Bekämpfung der PartisanInnen an der Ostfront erlassen worden war, seine Entsprechung im ehemals verbündeten Italien fand. Der Führerbefehl beinhaltete die Anweisung, "ohne Einschränkungen auch gegen Frauen und Kinder jedes Mittel anzuwenden, wenn es nur zum Erfolg" führe und sicherte den Soldaten Straffreiheit zu. In Italien wurde dieser Befehl Hitlers durch den Oberbefehlshaber Generalfeldmarschall Kesselring, dem seit April 1944 auch die Partisanenbekämpfung oblag, umgesetzt und eine Strafverfolgung nochmals ausdrücklich verboten. Für die verheerenden Folgen dieser Besatzungspolitik stehen gut 250 italienische Ortsnamen, in denen teilweise die gesamte Dorfbevölkerung massakriert wurde. Die Zahl der zivilen Opfer wird auf 10.000 geschätzt. Am bekanntesten dürften die Ortschaften Marzabotto und SantÂ’Anna di Stazzema sein. Im Frühherbst 1944 wurden in Marzabatto und den umliegenden Gemeinden insgesamt 770 ZivilistInnen, in der Mehrzahl Frauen und Kinder, von der 16. SS-Panzergrenadierdivision "Reichsführer-SS" massakriert. Am 12. August 1944 überfielen 400 Soldaten dieser Waffen-SS-Einheit das toskanische Bergdorf SantÂ’Anna di Stazzema und gingen mit aller Grausamkeit gegen die Zivilbevölkerung vor. Augenzeugenberichten zufolge wurden die meisten BewohnerInnen zusammengetrieben und erschossen, andere in ihren Häusern mit Handgranaten umgebracht, Kinder an Häuserwänden erschlagen. Später übergossen die deutschen Soldaten die Leichen mit Benzin und verbrannten sie. 560 Menschen wurden getötet.

Italienische Strafurteile

Im Juni 2005 sind vom italienischen Militärgericht in La Spezia zehn frühere Mitglieder dieser SS-Einheit, darunter die Offiziere Gerhard Sommer, Ludwig Sonntag und Alfred Schönenberg, wegen des Massakers in SantÂ’Anna di Stazzema in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt wurden. Ebenso wurden im Januar 2007 zehn weitere ehemalige SS-Soldaten wegen der Verbrechen in Marzabotto verurteilt. Die heute über achtzigjährigen Täter leben in Deutschland und werden nicht an Italien ausgeliefert. Die verspätete Strafverfolgung der Täter durch die italienischen Behörden geht auf die Öffnung des so genannten "Schrankes der Schande" zurück. In den fünfziger Jahren wurden 695 von den Westalliierten angelegte Ermittlungsakten über deutsche Kriegsverbrechen in Italien mit Rücksicht auf die Belange des westlichen Bündnispartners in einen Aktenschrank auf unbestimmte Zeit verstaut. Erst 1994 entdeckten Justizbeamte auf der Suche nach Beweismitteln gegen den NS-Täter Erich Priebke die Aktenbündel. Die Auswertung machte es den Staatsanwaltschaften möglich, diverse Verfahren gegen die noch lebenden Täter einzuleiten.

Deutsche Ermittlungsverfahren

Die deutschen Justizbehörden indes blieben bislang dem Versprechen des Führers, die Täter von einer Strafverfolgung zu verschonen, auch nach Ende des Vernichtungskrieges im Wesentlichen treu. Zu Strafurteilen kam es vor den deutschen Gerichten bislang nicht, auch wenn einige Staatsanwaltschaften mittlerweile auf die Verfahren in Italien reagierten und Strafverfahren gegen die hochbetagten SS-Männer eingeleitet haben. Was von derartigen Ermittlungsverfahren zu erwarten ist, zeigte eindrucksvoll der Fall des NS-Verbrechers Friedrich Engel. Zu dem als "letzten großen Kriegsverbrecherprozess" bezeichneten Hauptverfahren kam es erst, nachdem Engel in Italien 1999 in Abwesenheit wegen 246-fachen Mordes zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden war. Der SS-Sturmbannführer hatte als Chef des Sicherheitsdienstes (SD) von Genua den gewaltsamen Tod von 246 italienischen Geiseln zu verantworten. Im Juli 2002 wurde er vom Hamburger Landgericht für eine einzelne Vergeltungsaktion zu sieben Jahren Haft wegen Mordes verurteilt. Bei dieser "Sühnemaßnahme" wurden 59 italienische Gefangene in eine zuvor von ihnen ausgehobene Grube am Turchino-Pass nahe Genua regelrecht hineingeschossen. Mit ihr sollte eine von italienischen PartisanInnen verübte Bombenexplosion in einem deutschen Soldatenkino vergolten werden, bei der sechs Deutsche ums Leben kamen. In der Revision Engels wurde um die grundlegenden juristischen Fragen zu den Vergeltungsaktionen gestritten, nämlich ob diese Taten Kriegsverbrechen darstellten und ob sie außerdem nach deutschem Strafgesetzbuch als Mord zu qualifizieren und somit noch nicht verjährt waren. Der Bundesgerichtshof (BGH) kassierte das Urteil des Landgerichts im Juni 2004. Das Hamburger Gericht hätte nicht ausreichend belegt, dass der in Italien als "il boila di Genova" (der Henker von Genua) berüchtigte SS-Mann auch vorsätzlich grausam handelte. Somit fehle es an dem Mordmerkmal der Grausamkeit. Ohne es an das Landgericht wieder zurückzuverweisen, stellten die BundesrichterInnen das Verfahren gleich für immer ein, mit Hinweis auf das fortgeschrittene Alter des 95-jährigen Greises und die Tatsache, dass "mit einer ernstlichen Verfolgung" Engels erst 1995 "und damit unbegreiflich spät begonnen wurde".1

Kriegsrepressalie

Das Urteil stieß auf entschiedene Kritik unter deutschen JuristInnen. Diese empörte aber nicht die Tatsache, dass der BGH den SS-Offizier unwiderruflich auf freien Fuß setzte, nachdem dieser nach seiner Tat bis ins hohe Alter ein nahezu unbehelligtes und gediegenes Leben in Hamburg führen konnte. Vielmehr mochte man nicht begreifen, dass der BGH Engel nicht einfach freisprach.2 Sie konnten kein Kriegsverbrechen im militärischen Handeln Engels erkennen. Das Kriegsvölkerrecht, so wurde eingewandt, erlaubte zur Tatzeit im Jahr 1944 doch die von der deutschen Besatzungsmacht praktizierten Geisel- und Gefangenenerschießungen, mit der sie die PartisanInnen von weiteren Angriffen auf die Besatzungstruppen abzuhalten versuchte. Selbst die von Engel der Massenerschießung am Turchino-Pass zugrundegelegte so genannte Repressalquote von 1:10, mit der die bei einem Bombenanschlag umgekommenen sechs Wehrmachtssoldaten mit je zehn toten Italienern gesühnt werden sollten, seien im Zweiten Weltkrieg bestehende Völkerrechtspraxis gewesen. Derartige Erwägungen gehen von zwei Annahmen aus: Zunächst müsste die Partisanenaktion eine völkerrechtswidrige Handlung dargestellt haben, die die deutsche Besatzungsmacht überhaupt zu einer Kriegsrepressalie berechtigte. Zum anderen müsste diese Repressalmaßnahme tatsächlich in völkerrechtskonformer Weise ausgeübt worden sein.

Partisanenkrieg

Einmütig wird der Bombenanschlag des italienischen Widerstands (Resistenza) auf das Soldaten-Kino "Odeon" als illegale Kampfhandlung charakterisiert und als heimtückisch ausgeführter Mord qualifiziert. Ein Urteil, das den landläufigen Wertungen über den Partisanenkrieg im Allgemeinen entspricht. Zustimmend lässt etwa der Hamburger Staats- und Völkerrechtler Ingo von Münch den Rechtsphilosophen Carl Schmitt, einen juristischen Wegbereiter des nationalsozialistischen Unrechts, zu Wort kommen: "Grundsätzlich jedenfalls bleibt der Krieg gehegt, und der Partisan steht außerhalb dieser Hegung. Es wird jetzt sogar sein Wesen und seine Existenz, dass er außerhalb jeder Hegung steht. Der moderne Partisan erwartet weder Recht noch Gnade."3 Derartige Vergeltungssüchte finden in der damals geltenden Haager Landkriegsordnung keinen Raum. Gleichwohl ist es einer Konfliktpartei nach dem Kriegsvölkerrecht erlaubt, auf jeden Verstoß gegen die kriegsrechtlichen Regeln durch ihren Gegner selbst mit kriegsrechtswidrigen Handlungen zu reagieren. Derartige Kriegsrepressalien sind "an sich völkerrechtswidrige Zwangsmaßnahmen, die eine Konfliktpartei anwendet, um Völkerrechtsverletzungen des Gegners zu beenden."4

Besatzungsterror

Allerdings spielt neben der Kriegsrepressalie auch das Gegenseitigkeitsprinzip eine elementare Rolle im Kriegsvölkerrecht. Solange sich eine Seite an das Kriegsrecht hält, kann sie es auch von der Gegenseite erwarten. Dieser Reziprozitätsgedanke macht den Kriegsparteien deutlich, dass eigene völkerrechtswidrige Handlungen schnell zu ähnlichen Verstößen durch den Gegner führen können.5 Doch derartige Gegenseitigkeitserwartungen werden die Deutschen kaum gehegt haben. Schon in den ersten Stunden nach dem Sturz Mussolinis am 8. September 1943 begannen die Deutschen gegen zentrale Normen des humanitären Kriegsvölkerrechts zu verstoßen. Sofort wurden unzählige Massaker an sich bereits ergebenden italienischen Truppenangehörigen verübt, die die Wehrmachtsführung wahrheitswidrig als illegitime Freischärler bezeichnete. Etwa 6.700 Militärangehörige fielen den verbrecherischen Kommandobefehlen zum Opfer. Der Bevölkerung erging es unter der deutschen Besatzung in den Folgemonaten nicht wesentlich anders. Der Historiker Gerhard Schreiber zieht in seinem Standardwerk über deutsche Kriegsverbrechen in Italien schreckliche Bilanz. Danach starben zwischen dem 8. September 1943 und dem 8. Mai 1945 auf direkte und indirekte Weise durch deutsche Hand ca. 46.000 Militärinternierte oder Kriegsgefangene, 37.000 politische Deportierte und 16.600 ZivilistInnen, darunter 7400 Jüdinnen und Juden.6 Welche Kampfmethoden hätte die Partisanenbewegung anwenden sollen, um diesem entgrenzten und totalen Bruch des internationalen Rechtsgefüges durch die militärisch weit überlegene Wehrmacht wirksam zu begegnen? Wie die Widerstandsbewegungen etwa in Jugoslawien, Griechenland, Frankreich oder der Sowjetunion behinderte auch die Resistenza nachweislich den reibungslosen Ablauf der Judendeportation, die Verschleppung aller arbeitsfähigen Menschen, die völlige Versklavung der Zivilbevölkerung, die Ausbeutung des Landes und die Verteidigung gegen die Invasion der alliierten Streitkräfte.7 Ein Widerstandsrecht, das in der Konsequenz auch illegale Kampfmittel erlaubte, lässt sich dem Haager Regelwerk von 1907 nicht entnehmen. Gleichwohl kann der Partisanenkampf und dessen historische Notwendigkeit damit nicht delegitimiert oder gar als Auslöser des deutschen Besatzungsterrors gewertet werden. Auch der BGH mag dies im Fall Engel erwogen haben, wenn er - ohne es weiter zu vertiefen - überlegt, "ob eine Rechtmäßigkeit von Reaktionen der deutschen Wehrmacht gegen italienische Partisanen wegen der Rechtswidrigkeit der deutschen Besatzung Italiens vor dem Hintergrund der deutschen Kriegsschuld am Zweiten Weltkrieg nicht grundlegend in Frage zu stellen ist."8

Geiselmord

Für StrafrechtlerInnen mögen diese überpositivistischen Überlegungen nicht greifbar genug sein. Bereits der US-amerikanische Militärgerichtshof, der als erstes Strafgericht 1948 im so genannten Geiselmordprozess über die verbrecherischen Befehle der Südost-Generale gegen die PartisanInnen im besetzten Jugoslawien urteilte, unterschied in dieser Frage strikt zwischen dem Verbot des Angriffskrieges (ius ad bellum) und dem Kriegsrecht (ius in bello). Bei aller Abscheu über das "barbarische[...] Überbleibsel aus der Vorzeit" und trotz der Feststellung, dass neben Deutschland keine "andere Nation zum Zwecke der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung zur Tötung von Angehörigen der Zivilbevölkerung gegriffen" hat, erkannte der Gerichtshof an, dass nach damaligem Völkerrecht "Geiseln genommen werden können, um das friedliche Verhalten der Bevölkerung der besetzten Gebiete sicherzustellen und unter gewissen Umständen und wenn die notwendigen vorbereitenden Schritte getan wurden, als letzter Ausweg erschossen werden können."9 Zu den notwendigen Voraussetzungen derartiger Geiseltötungen gehörten nach dem Urteil des Militärgerichtshofs unter anderem das Verbot, Geiseln aus Rache oder militärischen Zweckmäßigkeitsgründen und ohne richterliches Verfahren zu töten; die Verpflichtung nachzuweisen, dass die Bevölkerung an der Widerstandsaktion teilgenommen hatte und die TäterInnen selbst nicht zu ergreifen waren; keine anderen Möglichkeiten zur Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung mehr bestanden und die Anzahl der erschossenen Geiseln der Schwere der zu sühnenden Tat anzupassen.10 Ferner unterliegen nach allgemeiner Ansicht erhebliche Menschenrechtsverletzungen, wie etwa die Tötung von Kindern oder besonders grausame Tötungshandlungen, einer Humanitätsschranke und sind auch durch das Recht auf Kriegsrepressalien nicht mehr gedeckt.11 Ohne hier auf die konkrete Beweiswürdigung näher eingehen zu können, bewertete der BGH unter diesen Gesichtspunkten die unter Befehl von Friedrich Engel heimlich durchgeführte Erschießung der teils minderjährigen italienischen Geiseln nicht als Kriegshandlung, sondern als Kriegsverbrechen. Auch der Militärgerichtshof resümierte im Geiselmordprozess, dass die von den Deutschen angewandte Praxis der Geiselerschießungen den elementarsten Auffassungen von Menschlichkeit und Gerechtigkeit in einem ungeheuren Ausmaß widersprach. Die Vergeltungsaktion in SantÂ’Anna di Stazzema, bei dem unterschiedslos eine gesamte Dorfgemeinschaft vernichtet worden ist, fügt sich unzweifelhaft in den Tenor dieses Urteils ein.

Grausam

Um aber die SS-Männer für diese Verbrechen knapp sechzig Jahre später noch bestrafen zu können, musste ihr Handeln gleichfalls als Mord im Sinne des § 211 Strafgesetzbuch (StGB) zu qualifizieren sein. Der BGH prüfte im Fall Engel lediglich das Tatbestandsmerkmal der Grausamkeit, deren objektive Voraussetzungen er in den entwürdigenden und quälenden Tatumständen erfüllt sah. Die sich in der Praxis daraus regelmäßig ergebende gefühllose und unbarmherzige Gesinnung des Täters wollte der BGH beim Sturmbannführer der SS aber ausgerechnet nicht entdecken können.12 Es ist bezeichnend, dass der BGH die innere Motivationslage Engels nicht näher untersuchen und auch das Mordmerkmal der niederen Beweggründe nicht einmal ansatzweise prüfen wollte. Derartig niedere Motive einer Tötung liegen vor, wenn sie nach allgemeiner sittlicher Anschauung verachtenswert sind und auf tiefster Stufe stehen, etwa wenn aus Rache, ideologisch-politischen Überzeugungen oder aus Rassenhass bzw. in Anmaßung einer Überlegenheit der eigenen "Rasse" getötet wird.13 Ist eine solche innere Haltung bei hochrangigen Mitgliedern der Waffen-SS partout auszuschließen? Wohl kaum. Das Idealbild des politischen Soldaten, der sich mit der nationalsozialistischen Ideologie und den politischen Zielen des NS-Regimes identifizierte, galt insbesondere für die SS-Soldaten.14

Kriegsverbrechen oder NS-Verbrechen

Ingo von Münch und der ehemalige Strafkammervorsitzende des Hamburger Landgerichts, Günter Bertram, lehnen solche Überlegungen kategorisch ab und sprechen sich vehement dagegen aus, Kriegsverbrechen der SS-Einheiten mit nationalsozialisti­schen Gewalttaten gleichzusetzen. Es ginge nicht um die in der Geschichte ein­malige, weil industriell betriebene Ausrot­tung von Menschen, sondern es handele sich um Kriegsverbrechen, die von den ungeheuerlichen Mordtaten der Nazis strikt zu unterscheiden seien. In einem Strafverfahren, wendet von Münch ein, bedeute der Vorwurf eines NS­-Verbrechens, dass der Angeklagte immer auch als Akteur der NS-Schreckensherr­schaft verdammt werde. Die Tat Engels aber sei keines jener NS-Verbrechen gewesen, die "die blutige, schaurige Kehrseite des nationalsozialistischen Herrenmenschentums" darstellten. Wie die andere Seite des Nationalsozialismus aussieht, erläutern die Juristen nicht. Dafür legen sie unmissverständlich dar, welchen eigentlichen Sinn die Unterscheidung hat: Kriegsverbrechen fielen allen Parteien im Zweiten Weltkrieg zu Last und ihrer hätten sich die Alliierten ebenso schuldig gemacht wie die Deutschen.15 Tatsächlich dürften gerade auch die Ermittlungsverfahren gegen die deutschen Offiziere dokumentieren, wie eng die SS-Truppen und Wehrmachtstruppen in die Vernichtungsmaschinerie der nationalsozialistischen Führung eingebunden waren und diese auch ideologisch mittrugen. Die erste Wehrmachtsausstellung über den Vernichtungskrieg in Osteuropa hatte seinerzeit aufgezeigt, dass die Wehrmachtseinheiten selbst mit traditionellen Kriegsmethoden mehr als ein Drittel der Opfer des Nationalsozialismus ermordeten. Hannes Heer, der ehemalige Leiter der Ausstellung, hat den Diskurs, in welchem diese Zusammenhänge ausgeblendet oder bestritten werden, als "Verschwinden der Täter" bezeichnet.16

Niedere Beweggründe

Tatsächlich dürfen die eingangs umrissenen Forschungsergebnisse des Historikers Gerhard Schreibers, der als sachverständiger Zeuge im Priebke-Prozess mitwirkte, Anlass genug geben, hinter den Verbrechen der SS-Truppen niedere Beweggründe zu vermuten. Schreiber konstatiert, dass die kriminellen Befehle der politischen und militärischen Führungsebene auf einen alltäglichen Rassismus fußten. Ohnehin sei der fehlende Respekt vor nichtdeutschem Leben geradezu ein Wesensmerkmal deutscher Kriegsführung und Besatzungsherrschaft, unbeschadet der Besonderheiten jedes einzelnen Kriegsschauplatzes und okkupierten Gebietes. Dieser Rassismus, der nicht auf einen Genozid, sondern auf eine nationale Deklassierung zielte, kostete gleichwohl Tausende von italienischen Opfern das Leben und zählt zu den wesentlichen Ursachen der verübten Kriegsverbrechen.17

Zynischer Klang

Mit den deutschen Ermittlungsverfahren gegen Tatbeteiligte des Massakers von SantÂ’Anna di Stazzema ist die Staatsanwaltschaft Stuttgart betraut. Seit nunmehr fünf Jahren ist sie außerstande gegen die namentlich bekannten und bereits in La Spezia verurteilten SS-Soldaten Anklage zu erheben. Noch immer prüft sie, ob bei dem Geschehen Mordmerkmale erfüllt worden waren. Dass einer der Beschuldigten öffentlich zugab, auf Frauen und Kinder gefeuert zu haben "bis der Patronengurt leer war", hilft offensichtlich nicht. Als Präzedenz wird das Urteil des BGH im Fall Engel verwendet, wie der zuständige Oberstaatsanwalt Bernhard Häußler erklärt: "So zynisch es klingt. [...] Um wegen Mordes anklagen zu können, müssen wir nachweisen, dass den Beschuldigten als Befehlsempfängern auch eine weniger grausame Tötungsalternative zur Verfügung gestanden hatte."18 Den Zynismus scheint der Mann gepachtet zu haben. Im vergangenen Jahr erwirkte er das skandalträchtige Strafurteil gegen den antifaschistischen Händler, der durchgestrichene und zerstörte Hakenkreuze verkauft hatte. Stephen Rehmke schreibt in Hamburg. 1 BGH, Beschluss vom 17.6.2004, in: Neue Zeitschrift für Strafrecht (NStZ) 2005, 36. 2 Etwa Bertram, Günter: Zweierlei Maß?, in: Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2004, 2278; Bröhmer, Ewald / Bröhmer, Elgin, Anmerkung zum BGH-Beschluss vom 17.6.2004, in: NStZ 2005, 38-40. 3 von Münch, Ingo, Geschichte vor Gericht. Der Fall Engel, 2004, 69. 4 Oeter, Stefan, in: Fleck, Dieter (Hrsg.), Handbuch des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten, 1994, Nr. 476. 5 Vgl. Hobe, Stephan / Kimminich, Otto, Einführung in das Völkerrecht, 2004, 542. 6 Schreiber, Gerhard, Deutsche Kriegsverbrechen in Italien, 1996, 216. 7 Vgl. Schreiber, Gerhard, Partisanenkrieg und Kriegsverbrechen der Wehrmacht in Italien 1943 bis 1945, in: Meyer, Ahlrich (Hrsg.), Repression und Kriegsverbrechen, 1997, 93 (114 ff.). 8 BGH, NStZ 2005, 36 (37). 9 Abgedruckt in: Zöller, Martin / Lezczynski, Kazimierz (Hrsg.), Fall 7. Das Urteil im Geiselmordprozess gefällt am 19. Februar 1948 vom Militärgerichtshof V der Vereinigten Staaten von Amerika, 1965, 91 ff. 10 Ebenda. 11 Vgl. Berber, Friedrich, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd.II, 1969, 236 f.; Kämmerer, Jörn Axel, Kriegsrepressalie oder Kriegsverbrechen?, in: Archiv des Völkerrechts (AVR) 1999, 283 (296 ff.). 12 Hierzu: Zöller, Mark, Grausame Tötung oder völkerrechtlich gedeckte Kriegsrepressalie?, in: Juristische Ausbildung (Jura) 2005, 552 (558). 13 Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen (BGHSt) Band 18, 37; Neumann, Ulfried, in: Nomos-Kommentar zum Strafgesetzbuch, § 211, Rn.34. 14 Ausführlich: Cüppers, Martin, Wegbereiter der Shoah: die Waffen-SS, der Kommandostab Reichsführer-SS und die Judenvernichtung 1939-1945, 2005, 75 ff. 15 Vgl. von Münch, aaO. 31 ff.; Bertram, aaO., 2279 f. 16 Heer, Hannes, Vom Verschwinden der Täter, 2. Aufl. 2004. 17 Schreiber, Deutsche Kriegsverbrechen in Italien, aaO., 10, 22 ff.; ders., Deutsche Kriegsverbrechen gegenüber Italienern, in: Wette, Wolfram / Ueberschär, Gerd R. (Hrsg.), Kriegsverbrechen im 20. Jahrhundert, 2001, 222 f. 18 Zit. nach Dörries, Bernd, Ankläger, die nicht anklagen, in: Süddeutsche Zeitung vom 5.9.2005.